TE OGH 1991/6/27 15Os65/91

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Veröffentlicht am 27.06.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Juni 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Jahn als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter P***** wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Angeklagten Walter P***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 18.April 1991, GZ 34 b Vr 30/89-896, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, dem Gesetze gemäß vorzugehen.

Text

Begründung:

In der am 28.September 1990 durchgeführten Hauptverhandlung verkündete der Vorsitzende des Schöffengerichtes das Urteil samt Entscheidungsgründen. Ohne die Angeklagten gemäß § 268 Abs. 1 StPO über die ihnen zustehenden Rechtsmittel zu belehren fragte der Vorsitzende sodann den Erstangeklagten L*****: "Was sagen Sie zum Urteil? Sind Sie damit einverstanden" (S 615/XXXIII). Nach Rücksprache mit seinem Verteidiger erklärte der Erstangeklagte, auf Rechtsmittel zu verzichten

(S 576/XXXVIII). Sodann fragte der Vorsitzende den Zweitangeklagten: "Der Herr P***** auch?". Ohne daß sich dieser mit seinem Verteidiger besprach, verzichtete auch er auf Rechtsmittel (gleichfalls S 615/XXXIII). Anschließend wurde zwischen dem Vorsitzenden, dem Staatsanwalt, den Verteidigern und dem Erstangeklagten über Fragen der Haftentschädigung diskutiert. Währenddessen verließen der Angeklagte P***** und sein Verteidiger mit Zustimmung des Vorsitzenden den Verhandlungssaal. Nach dem sodann erfolgten Schluß der Verhandlung erschien der Verteidiger des Zweitangeklagten mit seinem Klienten wieder im Verhandlungssaal und meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an; dies wurde vom Gericht im Protokoll festgehalten (S 617/XXXIII).

In der Folge fertigte der Vorsitzende das Urteil aus und verfügte die Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Verteidiger des Zweitangeklagten (S 3 c v). Innerhalb der vierwöchigen Frist zur Rechtsmittelausführung (§ 285 Abs. 3 StPO) führte dieser die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung aus (ON 908 in Band XXXIX).

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Beschluß wies der Vorsitzende gemäß § 285 b Abs. 1 StPO diese Nichtigkeitsbeschwerde mit der Begründung zurück, dem Zweitangeklagten sei zwar nach Verkündung des Urteils keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden, er habe aber auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet und dies habe auch - wie aus einem nachträglich mit ihm geführten Telefonat zu schließen sei - seinem Willen entsprochen.

Der dagegen vom Zweitangeklagten fristgerecht erhobenen Beschwerde kommt - entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur - Berechtigung zu.

Auszugehen ist davon, daß der Beschwerdeführer mit dem betreffenden Urteil der Vergehen nach § 36 Abs. 1 Z 1 WaffG, der Zuhälterei nach § 216 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe und gemäß § 369 Abs. 1 StPO zur Bezahlung eines Geldbetrages an einen Privatbeteiligten verurteilt wurde. Ihm stand daher die Möglichkeit offen, den Schuldspruch mit Nichtigkeitsbeschwerde, den Strafausspruch mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie das Adhäsionserkenntnis mit Berufung zu bekämpfen. Unstrittig ist, daß der Beschwerdeführer vor Abgabe seines Rechtsmittelverzichtes vom Vorsitzenden entgegen der Vorschrift des § 268 Abs. 1 letzter Satz StPO nicht über diese ihm zustehenden Rechtsmittel belehrt wurde, mithin auch keine Belehrung über die Möglichkeit einer dreitägigen Überlegungsfrist (§ 284 Abs. 1 StPO) erhalten hat und sich auch mit seinem Verteidiger vor Abgabe seiner Erklärung nicht besprechen konnte.

Unter diesen Umständen stellt die als Rechtsmittelverzicht protokollierte Erklärung des Beschwerdeführers keinen wirksamen Verzicht auf Rechtsmittel dar. Denn ungeachtet der Bestimmung des § 3 StPO, nach welcher ohnedies alle im Strafverfahren tätigen Behörden verpflichtet sind, den Beschuldigten, auch wo es nicht ausdrücklich vorgesehen ist, über seine Rechte zu belehren, normiert § 268 Abs. 1 letzter Satz StPO ausdrücklich, daß der Vorsitzende nach Urteilsverkündung den Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel zu belehren hat. Die Erteilung dieser Rechtsmittelbelehrung ist aber unabdingbare Voraussetzung für die Wirksamkeit eines sogleich erklärten Rechtsmittelverzichts.

Der Oberste Gerichtshof hat schon in der in EvBl 1951/81 veröffentlichten Entscheidung ausgesprochen, daß - allerdings in einem Verfahren vor dem Einzelrichter - die stets als Rechtsmittelverzicht aufzufassende Erklärung, die Strafe anzunehmen, ohne vorausgegangene Rechtsmittelbelehrung nicht als Rechtsmittelverzicht auszulegen ist. Gleiches muß aber auch für das Verfahren vor dem Schöffengericht (und vor dem Geschwornengericht) gelten, denn bevor der Vorsitzende dem Angeklagten die Rechtsmittelbelehrung erteilte, brauchte der Verteidiger nicht damit zu rechnen, daß der Angeklagte eine Rechtsmittelerklärung abgeben würde. Dabei ist auf die einhellige Rechtsprechung (SSt 32/56) zu verweisen, nach welcher bei widersprechenden Rechtsmittelerklärungen in bezug auf Angeklagten und Verteidiger im schöffengerichtlichen Verfahren stets die Erklärung des Angeklagten wirksam, eine Rechtsmittelanmeldung des Verteidigers nach vorangegangenem Rechtsmittelverzicht des Angeklagten demnach unbeachtlich ist.

Daran vermag vorliegend der Umstand nichts zu ändern, daß der Vorsitzende nach Urteilsverkündung den Erstangeklagten fragte, was dieser zum Urteil sage und ob er damit einverstanden sei, und der Erstangeklagte nach Rücksprache mit seinem Verteidiger auf Rechtsmittel verzichtete; denn der Zweitangeklagte hat auf die Frage des Vorsitzenden: "Der Herr P***** auch?" auf Rechtsmittel verzichtet, ohne daß ihm vom Vorsitzenden gestattet worden wäre, sich zuvor mit seinem Verteidiger zu beraten (vgl SSt 22/76).

Der dem Vorsitzenden unterlaufene Verstoß gegen die fundamentale Verfahrensvorschrift, den Angeklagten über die ihm zustehenden, eingangs angeführten Rechtsmittelmöglichkeiten zu belehren, macht somit den (vermutlich unter dem Eindruck der Rechtsmittelverzichtserklärung des Erstangeklagten) erklärten Rechtsmittelverzicht des Beschwerdeführers unwirksam (idS auch 10 Os 7,13/87 in bezug auf eine der Manuduktionspflicht des § 3 StPO zuwiderlaufende unrichtige Information über Inhalt, Voraussetzungen und mögliche Folgen einer Rechtsmittelerklärung). Nur ein nach ordnungsgemäßer Belehrung gemäß §§ 3, 268 StPO und im Beisein seines Verteidigers abgegebener Rechtsmittelverzicht ist als prozessuale Erklärung wirksam und dementsprechend unwiderruflich (14 Os 103/90). Sonach war die innerhalb der Frist des § 284 Abs. 1 StPO erfolgte Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde (und der Berufung) durch den Verteidiger des Zweitangeklagten zulässig und wirksam, ohne daß dem die keineswegs eindeutigen Äußerungen dieses Angeklagten anläßlich eines Telefongesprächs mit dem Vorsitzenden (vgl ON 846/S 177) entgegenstehen.

Der rechtlich verfehlte Zurückweisungsbeschluß des Vorsitzenden war daher in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu kassieren und dem Erstgericht aufzutragen, gemäß § 285 Abs. 1 und Abs. 2 StPO vorzugehen.

Anmerkung

E26408

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0150OS00065.91.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19910627_OGH0002_0150OS00065_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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