TE OGH 1991/7/9 10ObS169/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.07.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Richard Bauer (AG) und Reinhold Ludwig (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag.Richard F*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Stephan Frotz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung und Gewährung von Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.März 1991, GZ 33 Rs 185/90-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18.Mai 1990, GZ 12 Cgs 41/90-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

Es wird festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet ist, der beklagten Partei den für die Zeit vom Juli 1988 bis einschließlich August 1989 geltend gemachten Überbezug an Waisenpension von S 70.295,40 zurückzuzahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß für die Monate Dezember 1989, Jänner und Februar 1990 und die mit insgesamt S 18.599,40 bestimmten Kosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 3.099,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 23.7.1964 geborene Kläger begann im Wintersemester 1982/83 das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien und im Wintersemester 1983/84 zusätzlich das Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien. Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 8.6.1988 wurde ihm nach dem Tod seines Vaters eine Waisenpension von S 4.280,60 zuerkannt. Am 1.2.1988 trat er eine Stelle als halbbeschäftigter Studienassistent am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Wirtschaftsuniversität Wien mit einem damaligen monatlichen Bruttogehalt von S 5.935,50 an. Im Juni 1988 wurde anläßlich der Beendigung des Studiums der Rechtswissenschaften dieses Dienstverhältnis in eine halbe Vertragsassistentenstelle mit einem damaligen Bruttogehalt von S 8.688,50 umgewandelt. Von dieser Umwandlung des Dienstverhältnisses und der damit einhergehenden Erhöhung des monatlichen Bezuges wurde der beklagten Partei eine verspätete Meldung erstattet. Der Kläger hat keine Inskriptionsbestätigungen für sein Jusstudium mehr übersandt, sondern solche für sein Studium der Handelswissenschaften. Durch die Umstellung auf eine halbe Vertragsassistentenstelle änderte sich am Umfang der Beschäftigung des Klägers nichts. Durch das gleichzeitige Studium der Handelswissenschaften war der Kläger in seiner Arbeitskraft überwiegend in Anspruch genommen. Im Sommersemester 1988 rückte er in den zweiten Studienabschnitt des Studiums der Handelswissenschaften vor; seither legte er 15 Prüfungen ab und arbeitete an seiner Diplomarbeit, die er im November 1989 fertigstellte. Im Wintersemester 1988/89 besuchte er 8 Wochenstunden, im Sommersemester 1989

6 Pflichtlehrveranstaltungen, so daß er mit Ausnahme der Zeit von August bis November 1989, wo er neben seiner Vertragsassistententätigkeit noch Rechtspraktikant am Bezirksgericht Döbling war, täglich mehrere Stunden für dieses Studium in Form von Übungs- und Seminarvorbereitungen, Lehrveranstaltungsbesuchen oder Lernzeit aufgewendet hat. Nach dem Ausscheiden aus der Gerichtspraxis wurde er von Dezember 1989 bis Februar 1990 wieder überwiegend durch sein Studium in Anspruch genommen.

Mit Bescheid vom 24.11.1989 entzog die beklagte Partei dem Kläger die Waisenpension rückwirkend mit Ablauf des Monates Juni 1988; gleichzeitig trug sie ihm die Rückzahlung des Überbezuges von S 70.295,40 auf. Zur Begründung führte die beklagte Partei an, es liege keine Schul- oder Berufsausbildung mehr vor, die die Arbeitskraft überwiegend beanspruche.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Feststellung, daß das Rückforderungsbegehren nicht zu Recht bestehe und daß die beklagte Partei schuldig sei, ihm für die Monate Dezember 1989, Jänner und Februar 1990 die Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Die beklagte Partei beantragte, die Klage abzuweisen und dem Kläger den Rückersatz des entstandenen Überbezuges aufzuerlegen.

Das Erstgericht wies sowohl das Feststellungs- wie das Leistungsbegehren ab und erkannte den Kläger schuldig, der beklagten Partei den Überbezug von S 70.295,40 binnen 14 Tagen zurückzuzahlen. Es vertrat die Auffassung, die hier maßgebliche Bestimmung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG sei auch unter dem Gesichtspunkt der Selbsterhaltungsfähigkeit zu betrachten, so daß eine die Kindeseigenschaft verlängernde Berufsausbildung nur dann vorliege, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen werde. Der Kläger habe aber seit 1.6.1988 aus seiner Tätigkeit als Studienassistent einen monatlichen Bruttobezug von S 8.688,50 und weiters von der Landesversicherungsanstalt Oberbayern eine Waisenpension von S 577,30 erhalten. Bei einem Bruttoeinkommen von etwa S 10.000 monatlich 14 x jährlich gelte der Kläger als selbsterhaltungsfähig und nicht mehr als Kind iS des § 252 Abs 1 ASVG. Weiters verfüge der Kläger durch den Abschluß des Studiums der Rechtswissenschaften mit dem Titel Mag.jur. über eine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung, mit der er alle juristischen Berufe ergreifen könne. Das Studium der Handelswissenschaften stelle somit keine der bisherigen Ausbildung entsprechende unabdingbare Fortbildung dar. Von der Umwandlung des Dienstverhältnisses in eine halbe Vertragsassistentenstelle anläßlich der Beendigung des Studiums der Rechtswissenschaften habe der Kläger keine rechtzeitige Meldung erstattet und damit die Meldepflicht des § 40 ASVG verletzt, woraus der Überbezug entstanden sei. Da dem Kläger unter Zugrundelegung gewöhnlicher durchschnittlicher geistiger Fähigkeiten bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Aufmerksamkeit habe auffallen müssen, daß ihm die Leistung nicht gebühre und ihm auch bekannt gewesen sei, daß er die oben genannte Veränderung hätte mitteilen müssen, bestehe der Rückforderungsanspruch zu Recht. Aus den genannten Gründen gebühre dem Kläger auch für die Monate Dezember 1989 bis Februar 1990 keine Waisenpension.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Entscheidend sei, daß der Kläger nach Beendigung seines Studiums der Rechtswissenschaft mit dem Erwerb des Magisteriums seine Berufsausbildung abgeschlossen habe. Das wenn auch früher begonnene Zweitstudium der Handelswissenschaften stelle keine der bisherigen Ausbildung entsprechende unabdingbare Fortbildung dar. Ein Vorbringen, wonach die Fortsetzung des Studiums der Handelswissenschaften eine der bisherigen Ausbildung entsprechende unabdingbare Fortbildung wäre, habe der Kläger nicht erstattet. Ab Juni 1988 habe er sich nicht mehr in einer Schul- oder Berufsausbildung iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG befunden. Ab diesem Zeitpunkt komme ihm Kindeseigenschaft nicht mehr zu, zumal der Gesetzgeber klar von nur "einer" Schul- oder Berufsausbildung spreche. Damit seien ab Juni 1989 die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Waisenpension weggefallen. Da der Kläger auch seine Meldepflicht nach § 40 ASVG verlezt habe, bestehe der Rückforderungsanspruch der beklagten Partei zu Recht.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung iS einer vollen Klagsstattgebung, hilfsweise Aufhebung.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 1988 (BGBl 1987/609) besteht die Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres. Nach der Stammfassung des § 252 Abs 1 ASVG war als Kind auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus anzusehen, wer wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten konnte, bis zur ordnungsgemäßen Beendigung der Ausbildung, jedoch längstens bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres. Nach der hier anzuwendenden Fassung dieser Gesetzesstelle kommt es für das Bestehen der Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres nur darauf an, daß sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht. Wenn und solange diese Voraussetzung zutrifft, besteht die Kindeseigenschaft bis zur festgesetzten Altersgrenze weiter. Neben der die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung erzielte Einkünfte jeglicher Art berühren daher weder den Grund noch die Höhe des Anspruchs auf Waisenpension, sondern wirken sich allenfalls darauf aus, ob das waisenpensionsberechtigte Kind Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension hat (SSV-NF 1/39). Ob das Kind vor der Schul- oder Berufsausbildung bereits in einer anderen Schul- oder Berufsausbildung oder im Erwerbsleben stand, ist dabei unerheblich (SSV-NF 2/51). Die Kindeseigenschaft besteht während einer Berufsausbildung nur dann weiter, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen wird. Ob die Arbeitskraft durch eine Schul- oder Berufsausbildung überwiegend iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG beansprucht wird, ist durch einen Vergleich der konkreten Auslastung der Arbeitskraft zu dem von der geltenden Arbeits- und Sozialordnung - etwa im Arbeitszeitgesetz oder den Kollektivverträgen - für vertretbar

gehaltenen Gesamtbelastungsausmaß zu ermitteln (SSV-NF 2/35 =

SZ 61/85 = ZAS 1989, 63 mit Besprechung von Binder). Wenn sich

jemand einer die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung unterzieht, dann ist (in der Regel) seine Arbeitskraft so in Anspruch genommen, daß eine die Selbsterhaltung garantierende Berufstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Diese Wertung trifft aber etwa auf jene Fälle nicht zu, in denen eine Erwerbstätigkeit (wie im Falle eines Rechtspraktikanten) gleichzeitig der Ausbildung dient. Deshalb wurde entschieden, daß die Kindeseigenschaft durch ein Hochschulstudium, welches neben der Tätigkeit als Rechtspraktikant mit einer Inanspruchnahme von 40 Wochenstunden betrieben wird, nicht die Kindeseigenschaft verlängert (SSV-NF 4/9).

Dem Berufungsgericht ist daher darin beizupflichten, daß, solange beim Kläger Kindeseigenschaft im genannten Sinne anzunehmen ist, die Höhe eines Einkommens auf Grund sonstiger Tätigkeiten wie etwa auf Grund der Tätigkeit als Assistent, nicht zu berücksichtigen ist. Entgegen der Meinung der beklagten Partei kommt es dabei nicht darauf an, ob der Kläger auf Grund seines sonstigen Einkommens als selbsterhaltungsfähig anzusehen ist oder nicht.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen, die vom Berufungsgericht übernommen wurden, wurde die Arbeitskraft des Klägers durch das Studium der Handelswissenschaften im hier maßgeblichen Zeitraum überwiegend in Anspruch genommen. Diese Aussage wurde dadurch verdeutlicht, daß der Kläger nach Beendigung des Studiums der Rechtswissenschaften 15 Prüfungen ablegte und seine Diplomarbeit verfaßte. Die beklagte Partei ist der Annahme der überwiegenden Inanspruchnahme der Arbeitskraft durch dieses Zweitstudium nur mit dem Hinweis darauf entgegengetreten, daß der Kläger als halber Vertragsassistent eine wöchentliche Arbeitsbelastung von 20 Stunden zu erbringen gehabt habe. Wenngleich das Zeitausmaß der beruflichen Inanspruchnahme ein Indiz dafür bilden kann, ob diese Inanspruchnahme überwiegt, so muß doch jegliche starre Grenzziehung vermieden werden und auch das Gewicht der Erwerbstätigkeit einerseits und der Schul- und Berufsausbildung andererseits berücksichtigt werden, denn auch das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit mit einer Arbeitszeit von rund der Hälfte der Normalarbeitszeit sagt noch nichts Endgültiges über die parallel absolvierte Ausbildung aus (so Binder in der Entscheidungsbesprechung ZAS 1979, 232, 234 mwN). Der Erwerbsbetätigung kann nur Indizfunktion zukommen, ob die Schul- oder Berufsausbildung die Arbeitskraft noch überwiegend zu beanspruchen vermag. Nicht das Ausmaß der im begleitenden Erwerb erzielten Einkünfte entscheidet, sondern ob die Erwerbstätigkeit an sich einen Charakter aufweist, der der absolvierten Ausbildung das Merkmal der Hauptsächlichkeit nimmt (Binder in der Entscheidungsbesprechung ZAS 1989, 64, 66).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall rechtfertigt die Annahme, daß der Kläger in den hier maßgeblichen Zeiträumen einem Universitätsstudium oblag, das seine Arbeitskraft ungeachtet des Umstandes überwiegend beanspruchte, daß er daneben eine Stelle als Vertragsassistent mit einer Arbeitszeit von 20 Wochenstunden innehatte. Die Vorbereitung auf die zahlreichen Prüfungen, die der Kläger ablegte und das Verfassen einer Diplomarbeit erforderte zweifellos einen Arbeitseinsatz, der über 20 Wochenstunden hinausging und auch das Arbeiten an Abenden und an Wochenenden erforderte. Daß der Kläger bereits ein anderes Studium, nämlich das der Rechtswissenschaften mit der Sponsion zum Mag.jur. abgeschlossen hatte, nahm der bereits vorher begonnenen und sodann fortgesetzten Ausübung des Studiums der Handelswissenschaften nicht den Charakter einer (weiteren) Schul- oder Berufsausbildung iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG, weil es, wie bereits dargelegt wurde, unerheblich ist, ob das "Kind" vorher in einer anderen Schul- oder Berufsausbildung oder im Erwerbsleben stand und überdies das Wort "einer" in der zitierten Gesetzesstelle nicht als Zahlwort, sondern als unbestimmter Artikel zu verstehen ist. Da der Kläger im Rahmen dieses Universitätsstudiums kein Entgelt bezog, die daneben erzielten Einkünfte aber nach den obigen Darlegungen irrelevant sind, bestand der Anspruch des Klägers auf Waisenpension fort. Im übrigen hat auch das Oberlandesgericht Wien als damals letzte Instanz in Leistungsstreitsachen im Jahr 1986 die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen der Regelmäßigkeit der Ausbildung und der mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit durch die 29. ASVG-Novelle aus dem § 252 Abs 2 Z 1 ASVG eliminiert worden seien und daß es daher nur mehr darauf ankomme, daß sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befinde, die dessen Arbeitskraft überwiegend beanspruche; es sei dagegen nicht notwendig, daß sich die Ausbildung im Rahmen der Norm einer gesetzlich vorgesehenen Laufbahn, des allgemein Üblichen udgl. bewege, weil auch das Erfordernis der Regelmäßigkeit weggefallen sei (SSV 26/100). Der davon abweichenden Auffassung der beklagten Partei in ihrer Revisionsbeantwortung vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Die von ihr geäußerte Befürchtung, jeder Absolvent eines Studiums könne nachher ein anderes Studium betreiben und dadurch die Waisenpension bis zum 26. Lebensjahr beziehen, schlägt nicht durch. Selbst mehrfacher Ausbildungswechsel läßt für sich allein genommen die pensionsversicherungsrechtliche Kindesqualität nicht erlöschen, außer das Abbrechen von verschiedenartigsten Ausbildungen nach kürzester Zeit würde auf mangelnde Ernsthaftigkeit hindeuten. Lediglich bei Rechtsmißbrauch (§ 1295 Abs 2 ABGB), wenn sich also aus den aneinander gereihten Ausbildungen ergibt, daß sie offensichtlich nur den Zweck hatten, den Sozialversicherungsschutz zu erwirken, müßte der Leistungszuspruch ausbleiben (so Binder aaO ZAS 1989, 67). Derartiges wurde weder behauptet, noch ist es nach dem festgestellten Studienverlauf des Klägers anzunehmen.

Demnach bestand der Anspruch des Klägers auf Waisenpension nicht nur in dem von der Rückforderung betroffenen Zeitraum, sondern auch in dem sich an die Gerichtspraxis anschließenden Zeitraum vom Dezember 1989 bis Februar 1990 zu Recht. (Die beklagte Partei hatte die Zahlung der Waisenpension ab 1.9.1989 eingestellt, vgl Blatt 70-77 des Anstaltsaktes.) Damit stellt sich das Problem nicht mehr, ob der Kläger allfällige Meldepflichten verletzt und dadurch einen Überbezug an Waisenpension verursacht hätte.

In Stattgebung der Revision waren die Urteile der Vorinstanzen vielmehr im Sinne einer vollen Klagsstattgebung abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Der mehrfache Hinweis der beklagten Partei, daß im konkreten Fall von einem Streitwert von nur S 50.000 auszugehen sei, ist deshalb verfehlt, weil § 77 Abs 2 ASGG nur Rechtsstreitigkeiten betrifft, die eine Feststellung oder einen Anspruch des Versicherten auf eine wiederkehrende Leistung zum Gegenstand haben. Dies wäre im vorliegenden Fall der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Waisenpension. Daneben begehrt der Kläger aber die Feststellung, daß die beklagte Partei nicht berechtigt sei, einen Überbezug von S 70.295,40 zurückzufordern. Bei der Rückforderung eines Überbezuges handelt es sich aber nach der Natur der Sache nicht um eine wiederkehrende Leistung im Sinne des ASGG (SSV-NF 2/1, 3/12 ua), so daß sich in solchen Fällen die Bemessungsgrundlage aus der Höhe der rückgeforderten Leistung ergibt. Werden mehrere verschiedenartige Begehren in einer Klage geltend gemacht, sind sie für die Kostenbemessung zusammenzurechnen (vgl § 4 RATG). Der vom Klagsvertreter seinen Kostenverzeichnissen zugrundegelegte Streitwert ist daher nicht als überhöht anzusehen. Für die Klage war allerdings nur der einfache Einheitssatz zuzusprechen, weil es sich bei der hier vorliegenden Klage in einer Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 und 2 ASGG nicht um einen Fall des § 23 Abs 6 RATG idF Art XII Z 1 ZVN 1983, BGBl 1983/135, handelt. Nach dieser Bestimmung ist in Rechtsstreitigkeiten, in denen ein bedingter Zahlungsbefehl (§ 448 ZPO) zu erlassen ist und keine erste Tagsatzung stattfindet oder in denen die erste Tagsatzung nach § 243 Abs 4 ZPO entfällt, ua auch für die Klage der Einheitssatz doppelt zuzusprechen. Durch diese Änderung des RATG sollte im rechtsanwaltlichen Honorarrecht insgesamt ein gewisser Ausgleich für die Zurückdrängung der ersten Tagsatzung durch das obligatorische Mahnverfahren und durch die Möglichkeit, die Klagebeantwortung mittels schriftlichen Beschlusses aufzutragen, geschaffen werden (vgl JAB 1337 BlgNr 15. GP 28). In Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen und über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung durfte aber schon vor dem Inkrafttreten der ZVN 1983 weder ein bedingter Zahlungsbefehl erlassen noch eine erste Tagsatzung anberaumt werden (§§ 388 Abs 1, 396 Abs 1 ASVG aF; nunmehr § 85 Abs 1 ASGG, vgl Kuderna ASGG 429 f Erl 1 und 3 zu § 85). Es besteht daher keine Veranlassung, im vorliegenden Fall den Einheitssatz für die Klage doppelt zuzusprechen (im Ergebnis ebenso OLG Wien SVSlg 34.182 und OLG Graz SVSlg 34.166). Gerade wegen des in den zitierten Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Zieles der Regelung des § 23 Abs 6 RATG ist eine analoge Anwendung dieser Bestimmung in Sozialrechtssachen wie der vorliegenden (wie sie vom OLG Innsbruck SVSlg 34.167 = 34.186 vertreten wird), nicht angezeigt.

Anmerkung

E26354

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00169.91.0709.000

Dokumentnummer

JJT_19910709_OGH0002_010OBS00169_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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