TE OGH 1991/7/10 9ObA154/91

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Veröffentlicht am 10.07.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie Dr. Alfred Mayer und Otto Schmitz als fachkundige Laienrichter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** P*****, Arbeiter, ***** vertreten durch ***** und *****, Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei O***** P*****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wegen S 19.974,64 sA, infolge außerordentlicher Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31.Jänner 1991, 7 Ra 110/90-15, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 26.Juni 1990, 34 Cga 83/90-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1) Aus Anlaß der Revision werden die Entscheidungen der Vorinstanzen im Umfang des Zuspruches (Erstgericht) bzw. der Abweisung (Berufungsgericht) eines Betrages von S 2.600,-- (Familienbeihilfe) samt 4 % Zinsen seit 25.1.1990 einschließlich des darauf Bezug habenden Verfahrens, als nichtig aufgehoben und die Klage insoweit zurückgewiesen.

Im übrigen wird der Revision Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß das Ersturteil im Umfang eines Zuspruches von S 17.374,64 samt 4 % Zinsen seit 25.1.1990 wiederhergestellt wird.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 7.480,80 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (davon S 996,80 Umsatzsteuer und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit November 1988 beim Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er wurde am 18.12.1989 entlassen. Er begehrte vom Beklagten zuletzt Zahlung von S 20.690,-- an Normallohn, Vergütung für Reisezeit, Überstunden, Kündigungsentschädigung für eine Woche (S 2.720,--), Kinderbeihilfe für Dezember 1989 für zwei Kinder (S 2.600,--) sowie Auslösen abzüglich einer Teilzahlung von S 715,36, sohin restlich S 19.974,74. Er sei vom Beklagten ungerechtfertigt entlassen worden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, den Kläger wegen beharrlicher Pflichtverletzung und Arbeitsverweigerung berechtigt entlassen zu haben. Die Ansprüche des Klägers seien verfallen, weil er sie nicht gemäß § 15 Z 3 und 4 des Rahmenkollektivvertrages für das Bauhilfsgewerbe innerhalb von drei Monaten nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht und nicht innerhalb von sechs Wochen nach Ablehnung der Ansprüche durch den Arbeitgeber gerichtlich gefordert habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf zum Grund der Ansprüche des Klägers - die Höhe der Ansprüche ist nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens - folgende Feststellungen:

Der Kläger und der Partieführer O***** M***** erhielten vom Beklagten im Dezember 1989 den Auftrag, in Z***** Kessel zu isolieren. Nachdem es ihnen mit Hilfe von zwei weiteren Mitarbeitern, die erst am 15.12.1989 nach Z***** gekommen waren, gelungen war, die Isolierungsarbeiten an den drei Kesseln bis Sonntag, 17.12.1989, gegen Mitternacht fertigzustellen, erhielten sie vom Beklagten den Auftrag, binnen vier Tagen noch drei weitere Kessel zu isolieren. Der Partieführer O***** M***** teilte daraufhin dem Beklagten am 19.12.1989 telefonisch mit, daß dies nicht möglich sei. Hierauf sagte der Beklagte zu O***** M*****, daß die Mitarbeiter dann gleich nach Hause fahren sollten. Am 26.12.1989 fuhr der Kläger mit O***** M***** zum Beklagten, um ihn zu fragen, "wie die Sache weitergehen würde". Der Beklagte erwiderte, daß sie auf eigene Kosten nach Z***** fahren und dort bis 30.12.1989 die drei Kessel fertig isolieren sollten. Wenn sie das nicht machen, "könnten beide gleich verschwinden".

Mit Schreiben vom 29.12.1989 forderte der Klagevertreter vom Beklagten die Abrechnung des Klägers spätestens bis 5.1.1990 und die dem Kläger zustehenden Auszahlungsbeträge. Am 17.1.1990 erstellte der Beklagte eine (unvollständige) Abrechnung der Ansprüche des Klägers, in der an Lohn und Weihnachtsremuneration für die Zeit vom 1.12. - 18.12.1989 ein Betrag von 23.124,87 ausgewiesen war, von dem der Beklagte die Weihnachtsremuneration abzüglich Nebenkosten in Abzug brachte, so daß sich ein Auszahlungsbetrag von S 715,36 ergab. Am 28.3.1990 richtete der Klagevertreter an den Beklagtenvertreter ein detailliertes Aufforderungsschreiben.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Kläger seine Ansprüche mit Schreiben vom 29.12.1989 rechtzeitig und in ausreichender Form geltend gemacht habe. Es genüge, wenn der Arbeitnehmer bei Auflösung des Dienstverhältnisses erkläre, daß ihm ein höherer Betrag als der angebotene zustehe. Der Kläger habe weder die Arbeit unbefugt verlassen noch beharrlich seine Pflichten verletzt. Schon die telefonische Erklärung des Beklagten vom 19.12.1989, der Kläger möge "gleich nach Hause fahren", sei in Verbindung mit dem darauf folgenden Verhalten als Entlassungserklärung zu werten. Der Kläger habe daher auch Anspruch auf Kündigungsentschädigung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Da das Arbeitsverhältnis am 18.12.1989 aufgelöst worden sei, hätte der Kläger gemäß § 15 Z 3 KV seine Forderungen spätestens binnen drei Monaten bei sonstigem Verfall beim Arbeitnehmer geltend machen müssen. Die detaillierte Anspruchsgeltendmachung mit Schreiben vom 28.3.1990 liege außerhalb dieser Frist. Entscheidend sei daher, ob die Ansprüche schon mit dem Schreiben des Klagevertreters vom 29.12.1989 wirksam geltend gemacht worden seien. Zur gehörigen, den Verfall abwendenden Geltendmachung eines Anspruches bedürfe es außer der erkennbar ernstlichen Einforderung einer Leistung auch noch deren Konkretisierung. Die geltendgemachten Ansprüche müßten zwar nicht beziffert aber doch so weit konkretisiert werden, daß der Arbeitgeber erkennen könne, welche Ansprüche ihrer Art nach gemeint seien. Der bloße Hinweis auf offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis genüge diesem Mindesterfordernis nicht. Das Schreiben des Klagevertreters vom 29.12.1989 habe eine derartige Konkretisierung nicht enthalten, so daß die Fallfrist des § 15 Z 3 KV am 18.3.1990 ungenützt abgelaufen sei.

Diese Entscheidung bekämpft der Kläger mit außerordentlicher Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt, seinem Rechtsmittel stattzugeben und die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil die Entscheidung hinsichtlich des Verfalls der Kündigungsentschädigung der

zwingenden Vorschrift des § 1162d ABGB widerspricht (SZ 56/27 =

Arb 10.219 ua; zuletzt SZ 59/180 = Arb 10.578). Außerdem hat das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Anspruchsgeltendmachung durch den Kläger den unbestrittenen Inhalt des weiteren vom Klagevertreter an den Beklagten gerichteten Schreibens vom 29.12.1989 in Sachen O***** M***** unberücksichtigt gelassen.

Was den Anspruch auf Auszahlung der Familienbeihilfe in Höhe von S 2.600,-- s.A. betrifft, haben die Vorinstanzen übersehen, daß dieser Anspruch dem öffentlichen Recht angehört. Der Arbeitgeber ist zwar (regelmäßig) verpflichtet, dem Dienstnehmer, der ihm die Familienbeihilfenkarte übergeben hat, die Familienbeihilfe nach Maßgabe der Eintragungen in der Familienbeihilfenkarte gemeinsam mit den Bezügen auszuzahlen (§ 17 Abs 1 FLAG); der Dienstgeber ist jedoch nur Zahlstelle, was sich insbesondere aus § 18 Abs 1 FLAG ergibt, wonach der Dienstgeber von der Auszahlungsverpflichtung zu befreien ist, wenn er keine Möglichkeit hat, die ausgezahlten Beihilfen mit Abgabenschulden zu verrechnen. Kommt der Dienstgeber seiner Auszahlungsverpflichtung nicht nach, ist die Familienbeihilfenkarte gemäß § 19 FLAG zur Auszahlung der rückständigen Familienbeihilfe dem nach § 43 FLAG zuständigen Finanzamt zur Auszahlung des Rückstandes zu übergeben. Der Rechtsweg zur Geltendmachung rückständiger Familienbeihilfen ist demnach in aller Regel ausgeschlossen (Arb 8901; 9124 = SZ 46/60; RdW 1988, 323). Da für das ausnahmsweise Entstehen eines privatrechtlichen Titels durch konstitutives Anerkenntnis (Arb 9124 = SZ 46/60; RdW 1988, 323) hier jeder Anhaltspunkt fehlt, war gemäß § 42 JN die Nichtigkeit der über die Familienbeihilfe gefällten Entscheidung auszusprechen.

Im Umfang des restlichen Klagebegehrens ist die Revision berechtigt.

§ 15 des Rahmenkollektivvertrages für das Bauhilfsgewerbe hat in seinen maßgeblichen Teilen folgenden Wortlaut:

"1. ....

2. Ansprüche jeglicher Art aus dem Arbeitsverhältnis und Reklamationen in bezug auf die Abrechnung müssen innerhalb von drei Monaten nach Empfangnahme der Abrechnung bei sonstigem Verfall beim Arbeitgeber bzw. dessen Beauftragten erhoben werden.

3. Nach Lösung des Arbeitsverhältnisses sind Forderungen jeglicher Art spätestens binnen drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt der Lösung, bei sonstigem Verfall beim Arbeitgeber geltend zu machen....

4. Lehnt der Arbeitgeber den Anspruch ab, verfällt er, wenn er nicht innerhalb von sechs Wochen nach Ablehnung gerichtlich geltend gemacht wird."

Der Auslegung des Berufungsgerichtes, daß sich Z 2 dieser Norm auf Ansprüche aus dem laufenden Arbeitsverhältnis, Z 3 und Z 4 der Norm aber auf die bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses offenen Entgeltansprüche bezieht, ist zuzustimmen. Wie das Berufungsgericht ferner richtig erkannt hat, müssen Ansprüche, damit der Verfall abgewendet wird, zwar nicht beziffert, aber doch soweit konkretisiert werden, daß der Arbeitgeber erkennen kann, welche Ansprüche ihrer Art nach gemeint sind. Der bloße Hinweis auf offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis genügt diesem Mindesterfordernis nicht (4 Ob 117/80, teilveröffentlicht in DRdA 1981, 328).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes wird jedoch das Schreiben des Klagevertreters vom 28.12.1989 diesen Anforderungen gerecht. Der Klagevertreter hat in diesem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er nunmehr auch vom Kläger mit der anwaltlichen Vertretung zur Durchsetzung seiner Ansprüche beauftragt worden sei und auf das ausführliche Schreiben (vom selben Tag) in der Rechtssache des O***** M*****, der den Klagevertreter ebenfalls mit seiner anwaltlichen Vertretung beauftragt hatte, Bezug genommen. In diesem Schreiben hat aber der Klagevertreter ausdrücklich Ansprüche auf Zahlung von Überstunden, Anreisekosten und anteilige Sonderzahlungen geltend gemacht sowie auf die ungerechtfertigte Entlassung und den sich daraus ergebenden Kündigungstermin, den 5.1.1990, hingewiesen. Er hat daher mit hinreichender Deutlichkeit auch die Ansprüche in der Rechtssache des Klägers soweit detailliert, daß eine verfallsabwendende Geltendmachung im Sinne der zitierten Entscheidung vorliegt.

Verfall ist aber auch nicht nach § 15 Z 4 des Rahmenkollektivvertrages für das Bauhilfsgewerbe eingetreten. Die Lohnabrechnung des Beklagten vom 17.1.1990 ist unklar und enthält keine ausdrückliche Ablehnung sonstiger Ansprüche. Eine unmißverständliche Ablehnung muß aber verlangt werden, da sonst die vom Obersten Gerichtshof in der E SZ 59/180 = Arb 10.578 für die weitere Anspruchsverfolgung gerade noch als ausreichend angesehene Frist von nur sechs Wochen für die Einbringung der Klage im Sinne der Entscheidung zu kurz wäre.

Soweit der Kläger Ansprüche auf Kündigungsentschädigung (S 2.720,--) geltend macht, sind die Verfallsfristen des § 15 Z 3 und 4 des Rahmenkollektivvertrages für das Bauhilfsgewerbe nicht anzuwenden. Ansprüche wegen vorzeitiger Entlassung ohne wichtigen Grund nach § 1162b ABGB sind gemäß § 1162d ABGB bei sonstigem Ausschlusse binnen sechs Monaten nach Ablauf des Tages, an dem sie erhoben werden konnten, gerichtlich geltend zu machen. Die Berechtigungen des Dienstnehmers, die sich aus dieser Bestimmung ergeben, können gemäß § 1164 Abs 1 ABGB durch den Dienstvertrag nicht aufgehoben oder beschränkt werden. Dasselbe gilt für Aufhebungen und Beschränkungen durch Kollektivvertrag (Krejci in Rummel, ABGB2 Rz 13 zu § 1164). Damit darf die Frist des § 1162b ABGB nicht durch Einzel- oder Kollektivvertrag zum Nachteil des Dienstnehmers verkürzt werden (Krejci aaO Rz 1 zu § 1162d;

SZ 44/151 = JBl 1972, 216; SZ 56/27 = Arb 10.219; SZ 59/180 = Arb 10.578; ebenso zu § 34 AngG Martinek-Schwarz, AngG6, 686;

Arb 9039; 9349).

Der Revision ist daher im aufgezeigten Umfang Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 43 Abs 2, 50 ZPO.

Anmerkung

E27185

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00154.91.0710.000

Dokumentnummer

JJT_19910710_OGH0002_009OBA00154_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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