TE OGH 1991/7/25 7Ob571/91

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Veröffentlicht am 25.07.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Unterbringungssache der Theresia P*****, infolge Revisionsrekurses der Sachwalterin Edith K*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 20. März 1991, GZ 44 R 251/91-17, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 15.Februar 1991, GZ 11 Ub 178/91-11, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß die Frist am 9.8.1991 endet.

Text

Begründung:

Theresia P***** wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 30.1.1978 wegen Geisteskrankheit voll entmündigt und befand sich seit 1.9.1986 in einem Pflegeheim der Stadt Wien. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 15.2.1991 wurde ihre weitere Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien bis 15.8.1991 für zulässig erklärt. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes besteht bei Thersia P***** ein hochgradiger cerebraler Abbauprozeß im Sinne einer senilen Demenz mit einem Verwirrtheitszustand. Es fehlt bei ihr an Krankheitseinsicht, Kritikfähigkeit und Realitätsanpassung. Es besteht akute Selbstgefährdung infolge Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und der Unfähigkeit, sich selbst zu versorgen.

Das Rekursgericht hob infolge Rekurses der Patientenanwältin den Beschluß des Erstgerichtes wegen Nichtigkeit auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung auf. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist.

Nach der Auffassung des Rekursgerichtes ist das erstgerichtliche Verfahren nichtig, weil gegen den Antrag der Patientenanwältin die Öffentlichkeit in ungerechtfertigter Weise ausgeschlossen worden sei.

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Sachwalterin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, daß durch die Stellung des Patientenanwaltes als Vertreter des Kranken die Vertretungsbefugnis sonstiger Vertreter, wie etwa des Sachwalters, nicht ausgeschlossen wird (§ 14 Abs 2 UbG; 1202 BlgNR 17.GP 7).

Gemäß § 25 Abs 1 UbG gelten für die mündliche Verhandlung im Unterbringungsverfahren die §§ 239 und 242 AußStrG. Nach § 239 letzter Satz AußStrG kann das Gericht die Öffentlichkeit auch ausschließen, wenn es das Interesse des Betroffenen erfordert. Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß das Prinzip der Öffentlichkeit von grundsätzlicher Bedeutung und verfassungsrechtlich verankert ist. Im Widerstreit der Rechtspflegeinteressen und des Schutzes der Intimsphäre ist jedoch anerkannt, daß die Öffentlichkeit aus wichtigem Grunde ausgeschlossen werden kann. Da das Gesetz im Unterbringungsverfahren grundsätzlich die Öffentlichkeit normiert hat, wird auch die übliche Beeinträchtigung des Ansehens einer Person, die mit einem solchen Verfahren verbunden ist, in Kauf genommen werden müssen. Die Art und der Grad der Krankheit und die besonderen Umstände des Falles können jedoch geeignet sein, das Ansehen des Betroffenen in den Augen der Mitmenschen in besonderem Ausmaß heabzusetzen oder sein Recht auf Schutz seiner Intimsphäre zu verletzen. Dann fordert das Interesse des Betroffenen den Ausschluß der Öffentlichkeit. Im vorliegenden Fall besteht eine hochgradige Erkrankung, wobei die Betroffene bei Explorationen zum Teil aggressiv und hysterisch reagiert. Ein cerebraler Abbau ist zwar bei besonders alten Menschen kein ungewöhnlicher Vorgang. Der Grad des Abbauprozesses und die Reaktionen der Betroffenen lassen jedoch in deren Interesse den Ausschluß der Öffentlichkeit gerechtfertigt erscheinen. Der vom Rekursgericht angenommene Nichtigkeitsgrund liegt daher nicht vor.

Beizupflichten ist der Patientenanwältin, daß ihr der Sachverständige gemäß § 22 Abs 3 UbG das Gutachten rechtzeitig vor der Verhandlung zu übermitteln hat, was hier nicht der Fall war. Gleichwohl hatte die Patientenanwältin jedoch Gelegenheit, sich bei der Verhandlung zu äußern. Ein allfälliger Mangel des Gehörs wird auch dadurch behoben, daß der Beschwerdeführer seinen Standpunkt im Rekursverfahren darlegen konnte (NZ 1985/54 ua). Eine nicht rechtzeitige Übermittlung des Gutachtens kann aber einen Verfahrensmangel begründen, wenn dadurch eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Außerstreitsache verhindert wird (vgl Dolinar Österreichisches Außerstreitverfahrensrecht 166). Es sind aber keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Sachverständige bei seiner Befundaufnahme und Gutachtenerstattung erhebliche Umstände außer acht gelassen hätte, und die Patientenanwältin konnte solche in ihrem Rechtsmittel, in dem Neuerungen eingeschränkt zulässig waren, weil es sich um ein Rechtsfürsorgeverfahren handelt (Dolinar aaO, 171), auch nicht aufzeigen. Dies gilt sinngemäß auch für sonstige, außerhalb der Begutachtung durch den Sachverständigen liegende, entscheidungswesentliche Umstände.

Der Revisionsrekurs der Sachwalterin ist daher im Ergebnis berechtigt. Da nach den Erhebungsergebnissen des Erstgerichtes die Anhaltung gerechtfertigt und das Rechtsmittelgericht im Fürsorgebereich nicht an die Rechtsmittelanträge gebunden ist (Dolinar aaO, 164), ist die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Hiebei ist jedoch zu beachten, daß die Frist laut Beschluß des Erstgerichtes vom 8.8.1990 am 8.2.1991 endete, sodaß die Zulässigkeit der weiteren Unterbringung den Zeitraum vom 9.2.1991 bis 9.8.1991 umfaßt.

Anmerkung

E26241

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0070OB00571.91.0725.000

Dokumentnummer

JJT_19910725_OGH0002_0070OB00571_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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