TE OGH 1991/8/28 9ObA99/91

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Veröffentlicht am 28.08.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner und Mag.Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr.G***** S*****, Angestellter, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Ärztekammer für Steiermark, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wegen S 170.947 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Jänner 1991, GZ 7 Ra 117/90-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Jänner 1990, GZ 31 Cga 41/89-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.590 (darin S 2.265 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 18.154 (darin S 1.359 Umsatzsteuer und S 10.000 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte betreibt einen Ärztenotdienst, an dem sich auch der hauptberuflich in einem Rehabilitationszentrum angestellte Kläger beteiligte. Mit Schreiben vom 25.August 1988 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß von einer weiteren Einteilung zum Ärztenotdienst Abstand genommen werde.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger S 87.787 an Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 12.September bis 31. Dezember 1988 und S 83.160 an Urlaubsentschädigung für 90 Werktage. Er sei seit 1979 in einem Dienstverhältnis zur Beklagten gestanden und habe im Rahmen des funkärztlichen Bereitschaftsdienstes im Durchschnitt 6,7 Diensteinheiten a 12 Stunden pro Monat erbracht. Sein Monatsbezug habe im Jahre 1988 S 24.026 betragen. Da die Beklagte das Dienstverhältnis abrupt beendet habe, stehe ihm ein Schadenersatzanspruch nach den §§ 1151 ff ABGB zu.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie sei nicht passiv legitimiert, da für die Verwaltung des Ärztenotdienstes ein Kuratorium bestehend aus dem Land Steiermark, dem Magistrat Graz, dem Geschäftsausschuß der steiermärkischen Krankenversicherungsträger und der Beklagten zuständig gewesen sei. Im übrigen sei der Kläger nicht in einem Dienstverhältnis gestanden. Er habe sich vertreten lassen können, jeweils ein Honorar samt Umsatzsteuer erhalten und sei für seine Entscheidungen selbst verantwortlich gewesen. Wenn ein Arzt eine weitere Einteilung zum Bereitschaftsdienst abgelehnt habe, sei dies von der Beklagten akzeptiert worden. Im Jahr 1988 sei der Kläger 23mal zum Dienst eingeteilt gewesen; er habe aber insgesamt 80 Dienste geleistet und somit 57mal andere Ärzte vertreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Auf Grund eines Abkommens mit einem Kuratorium, das aus der beklagten Partei, dem Amt der Steiermärkischen Landesregierung, dem Magistrat Graz und einem Geschäftsauschuß der steiermärkischen Krankenkassen besteht und das im wesentlichen für die Verwaltung öffentlicher Mittel zuständig ist, betreibt die Beklagte einen Ärztenotdienst in Form eines "funkärztlichen Bereitschaftsdienstes". Dieser Bereitschaftsdienst besteht an Wochentagen zwischen 19.00 Uhr und 7.00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen; er ist in Räumlichkeiten eingerichtet, die der Beklagten gehören und für die das Kuratorium Mietzins zahlt. Aufgabe der Beklagten ist es, durch organisatorische und administrative Tätigkeit, etwa durch entsprechende Diensteinteilung, dafür zu sorgen, daß eine ausreichende Anzahl von Notärzten zur Verfügung steht. Zwei bis vier Ärzte haben am Fahrdienst, für den das Rote Kreuz die Fahrzeuge zur Verfügung stellt, als sogenannte "Besuchsdienstärzte" teilzunehmen, wogegen ein sogenannter "Innendienstarzt" im Notdienstlokal telefonisch Ratschläge erteilt, Ferndiagnosen erstellt, den Fahrdienst an die jeweiligen Einsatzorte dirigiert und auch einfache Untersuchungen vornimmt. Die Kosten der Beförderung der Notärzte trägt die Stadt Graz. Die Personalkosten teilen sich die Stadt Graz, das Land Steiermark und die Krankenversicherungsträger.

Das im Notdienstlokal vorhandene ärztliche Verbrauchsmaterial wird von der Gebietskrankenkasse beigstellt. Es ist zwar üblich, daß die Ärzte ihre eigenen Taschen verwenden; es gibt im Lokal aber auch andere ausreichend bestückte Ärztetaschen. Nach einer Dienstanweisung der Beklagten sollen die Notärzte das Notdienstlokal nicht verlassen und auch ihre Mahlzeiten grundsätzlich dort einnehmen. Es darf zwar kein Einsatzbetrag genommen werden, jedoch soll von den Patienten ein Unkostenbeitrag von S 50 eingehoben werden.

Für die Einteilung zum Notdienst werden die Ärzte aufgefordert, ihre Einteilungswünsche für ein halbes Jahr im voraus schriftlich bekanntzugeben. Die Beklagte ist bemüht, Wünsche über Einteilungen zum Telefon- oder Fahrdienst nach Möglichkeit und nach Maßgabe der Gleichheit zu erfüllen. Nach Bekanntgabe der Wünsche übermittelt die Beklagte die Diensteinteilung mit Daten und Uhrzeiten. Ungeachtet dieser Einteilung besteht für jeden Arzt die Möglichkeit, sich für einen bestimmten Termin zu entschuldigen, worauf ohne Überprüfung der Entschuldigungsgründe ein anderer Arzt eingeteilt wird. Eine Dienstordnung der Beklagten sieht vor, daß ein Verhinderter selbst für seine Vertretung zu sorgen und Verhinderungsgründe sowie Vertreter der Beklagten bekanntzugeben hat. Aber selbst dann, wenn ein Arzt seinen Dienst ohne Entschuldigungsgründe nicht angetreten hat, bemühte sich die zuständige Angestellte, eine Vertretung zu finden, was ihr praktisch stets auch gelang. Lediglich nach Antritt des Dienstes war eine Vertretung kaum mehr möglich. Für die Beklagte stand somit erst bei Beginn des einzelnen Notdienstes fest, welcher Arzt den Dienst angetreten hatte und an wen das Honorar (samt Umsatzsteuer) zu zahlen war.

Einige Male kam es vor, daß eingeteilte, aber säumige Ärzte an einspringende Ärzte Ersatzzahlungen leisteten; dies machten sich diese letztlich unter sich aus. Jedenfalls wurde das Honorar nur an den Arzt ausgezahlt, der den Dienst tatsächlich verrichtete und nicht an den Vertretenen. Dazu lag im Notdienstlokal ein Protokoll auf, in das sich der tatsächlich den Dienst verrichtende Arzt einzutragen hatte.

Es kann nicht festgestellt wreden, daß der Kläger von der Existenz eines Kuratoriums wußte, zumal auch die Beklagte zum Teil Honorare etwa an die Innendienstärzte zahlte. Der Kläger hat eine gut bezahlte Position und war auf den Notdienst finanziell nicht angewiesen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Beklagte zur Klage passiv legitimiert sei, da sie dem Kläger gegenüber stets einteilend, anweisend und zum Teil auch zahlend aufgetreten sei. Zwischen den Parteien habe ein (echter) Dienstvertrag vorgelegen. Der Kläger habe in Ein- und Unterordnung in einer Organisation gearbeitet, welche die Beklagte im Auftrag des Kuratoriums geschaffen habe. Die fachliche Ungebundenheit und Eigenverantwortlichkeit könne die Wirkung der organisatorischen und funktionellen Abhängigkeit nicht aufheben. Allerdings sei aus der Tatsache, daß die Person des Notarztes jeweils erst bei Dienstbeginn festgestanden sei, zu schließen, daß es sich jeweils um befristete Dienstverhältnisse gehandelt habe, die von Fall zu Fall auf eine zwölfstündige Diensteinheit beschränkt gewesen seien. Demnach bestehe kein Anspruch des Kläger auf Kündigungsentschädigung und mangels einer Zeitdauer von mehr als der Hälfte eines Urlaubsjahres gemäß § 9 Abs 1 Z 5 UrlG auch nicht auf Urlaubsentschädigung. Ein bloß zwölfstündiges Dienstverhältnis vermöge auch keinen Urlaubsabfindungsanspruch zu begründen.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die persönliche Dienstpflicht kein wesentliches Kriterium eines Dienstverhältnisses sei. Da sich der Kläger nur in Ausnahmefällen und an sich nur bei Vorliegen eines Verhinderungsgrundes vertreten lassen durfte, sei dessen persönliche Abhängigkeit bestehen geblieben. Auf seine wirtschaftliche Unabhängigkeit komme es dabei nicht an. Da Dienstverträge auf bestimmte Zeit nur aus besonderen Umständen gerechtfertigt seien, die hier nicht einmal behauptet worden seien, sei vom Vorliegen eines unbefristeten Dienstverhältnisses auszugehen, das bereits mehr als acht Jahre bestanden und durch Entlassung geendet habe. Die geltend gemachten Ansprüche bestünden daher zu Recht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt insoweit nicht vor, als das Vorbringen der Beklagten, daß die geleisteten Dienste nicht mit den eingeteilten übereinstimmten, ohnehin außer Streit gestellt wurde, worauf im übrigen auch der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung hinweist.

Rechtliche Beurteilung

Hingegen ist der Rechtsrüge im Ergebnis beizupflichten. Bei dem zwischen den Parteien bestandenen Rechtsverhältnis handelte es sich zwar nicht um einen bloßen Werkvertrag, wie die Beklagte meint, sondern um ein Dauerschuldverhältnis, das entweder als echter Dienstvertrag im Sinne des § 1151 ABGB oder als sogenannter freier Dienstvertrag zu qualifizieren ist. Im Gegensatz zum Werkvertrag werden auch beim freien Dienstvertrag keine "Werke", sondern Dienstleistungen geschuldet, die allerdings nicht in persönlicher Abhängigkeit zu leisten sind (vgl Krejci in Rummel ABGB2, § 1151 Rz 83 ff mwH;

Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 121 ff; Martinek-Schwarz, AngG7 45 ff; Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I 39 ff; Kuderna, ASGG § 51 Erl 10 mwH; JBl 1987, 332; Arb 10.697, 10.055; Infas 1990 A 26 uva). Es ist daher zu prüfen, ob nach der konkreten Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen und der festgestellten Tätigkeit des Klägers für die Beklagte die Elemente eines freien Dienstvertrages jene Merkmale, die für ein Dienstverhältnis sprechen, in ihrer Zahl und Intensität überwiegen.

Es liegt in der Natur eines "funkärztlichen Bereitschaftsdienstes", daß ein entsprechender Sachaufwand bereitgestellt und eine bestimmte Einsatzzeit vorgegeben wird (vgl etwa den Nachtdienst der Apotheken, den Auskunftsdienst der Rechtsanwälte oder die den Kassenärzten auferlegten Vorgaben). Andererseits entsprach es aber schon den ärztlichen Berufspflichten, daß der Kläger seine ärztliche Tätigkeit im Notdienst weisungsfrei und auf eigene Verantwortung ausübte. Der unbestritten wirtschaftlich unabhängige Kläger war damit zwar zwangsläufig in die Organisation des Notdienstes eingebunden, aber nicht in dem Maße, daß er der funktionellen Autorität der Beklagten unterworfen gewesen wäre. Dieser Mangel der persönlichen Abhängigkeit von der Beklagten und die weitgehende Selbstbestimmung des Klägers findet schon darin ihren Ausdruck, daß der Kläger nach der konkreten Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen über seinen Einsatz frei verfügen durfte. Er durfte nicht nur seine Einteilungswünsche im voraus äußern, sondern jeweils auch entscheiden, ob er den eingeteilten Dienst antreten wolle oder sich vertreten lasse. Dafür bedurfte es keiner Entschuldigungsgründe. Soweit der Kläger selbst überwiegend andere eingeteilte Ärzte vertrat, wurde dies der Beklagten erst bei Beginn des Notdienstes oder aus dem im Notdienstlokal aufliegenden Protokoll bekannt. Soweit er sich selbst vertreten ließ, erhielt er kein Honorar. Er erbrachte sohin seine fallweisen Dienste ohne persönliche Abhängigkeit, weitgehend selbständig und - abgesehen von vorgegebenen sachlichen Einschränkungen, welche die Dienstleistungen als Notarzt an sich betrafen - frei von Beschränkungen des persönlichen Verhaltens. Es trifft daher entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht zu, daß im Verhältnis zwischen den Parteien die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwogen hätten.

Da somit ein sogenannter freier Dienstvertrag vorlag, sind nur jene arbeitsrechtlichen Normen, die nicht vom persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des Dienstnehmers ausgehen und den sozial Schwächeren schützen sollen, analog anwendbar. Dies ist hinsichtlich der Vorschriften des Angestelltengesetzes über Kündigungstermine und Kündigungsfristen ebensowenig der Fall wie für Urlaubsansprüche, die mangels anderer Vereinbarung nur Dienstnehmern zustehen, die zur Dienstleistung in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sind (vgl Cerny, UrlR5 33;

Klein-Martinek, Urlaubsrecht, UrlG § 1 Erl 3.1; Wachter, Der sogenannte freie Dienstvertrag, DRdA 1984, 405 ff, 415 f;

Sprung-König, ZAS 1985, 171; Arb 10.697 uva). Allenfalls mögliche analoge Ansprüche nach den §§ 1159b, 1162b ABGB (vgl DRdA 1984/18 (Wachter); Arb 10.055 ua) können im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da der Kläger nach Erhalt des Schreibens vom 25.August 1988 ohnehin noch bis 5.September 1988 Notdienste verrichtete (Beil 1) und er selbst demnach Kündigungsentschädigung erst ab 12.September 1988 begehrt.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E26291

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00099.91.0828.000

Dokumentnummer

JJT_19910828_OGH0002_009OBA00099_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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