TE Vwgh Erkenntnis 2005/12/21 2003/08/0180

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Veröffentlicht am 21.12.2005
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des J in K, vertreten durch Mag. Dr. Karl Stefan Löscher, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Villacher Ring 19, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 24. April 2003, Zl. LGS/Abt. 4/1218/2003, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezieht seit 27. April 2002 mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Für die Zeiträume vom 31. Mai 2002 bis 11. Juli 2002 und vom 24. Oktober 2002 bis 18. Dezember 2002 (vgl. zu letzterem das hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2003/08/0117) hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bereits rechtskräftig den Verlust seines Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. auf Notstandshilfe ausgesprochen, weil er das Zustandekommen einer ihm zugewiesenen Beschäftigung vereitelt hatte.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer seinen Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für die Zeit vom 19. Dezember 2002 bis 12. Februar 2003 verloren habe.

Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit gehabt, eine von ihm selbst gesuchte Beschäftigung als Liftwart beim Dienstgeber Schiliftzentrum G. anzunehmen. Beim Vorstellungsgespräch am 11. Oktober 2002 habe der Beschwerdeführer zugesagt, am 19. Dezember 2002 mit der Arbeit zu beginnen. Im Zeitraum von Anfang bis Mitte Dezember 2002 hätten Vertreter des Schiliftzentrums G. jeden zweiten Tag vergeblich versucht, den Beschwerdeführer telefonisch zu erreichen. Sie hätten diesem "auf (seine) Mobilbox gesprochen" und um eine Bestätigung der vereinbarten Arbeitsaufnahme ersucht. Da der Beschwerdeführer nie zurückgerufen habe, sei kein Dienstverhältnis zustande gekommen.

Am 28. Jänner 2003 habe der Beschwerdeführer gegenüber dem AMS angegeben, er hätte "trotz schriftlicher Vereinbarung" auf einen Telefonanruf des Schiliftzentrums G. mit dem Inhalt "dass ich anfangen kann" gewartet.

Das Schiliftzentrum G. habe zu diesen Angaben des Beschwerdeführers ausgeführt, dieser hätte am 19. Dezember 2002 mit der Arbeit beginnen können. Ein Arbeitsvertrag mit dem Beschwerdeführer wäre bereits am 11. Oktober 2002 unterzeichnet und der Arbeitsbeginn telefonisch mit 19. Dezember 2002 vereinbart worden. Um eine Bestätigung der Arbeitsaufnahme zu erhalten, hätten sie jeden zweiten Tag auf die Mobilbox des Beschwerdeführers gesprochen.

Dies habe der Beschwerdeführer bestritten. Ihm wäre kein genauer Arbeitsbeginn bekannt gegeben worden. Er hätte am 7. Jänner 2003 beim Schiliftzentrum G. angerufen. Zu diesem Zeitpunkt hätte er "schon wieder eine Zuweisung" des Arbeitsmarktservice erhalten, sodass er die Beschäftigung beim Schiliftzentrum G. nicht hätte antreten können. Da die vom Arbeitsmarktservice vorgeschlagenen Beschäftigungsverhältnisse nicht zustande gekommen wären, hätte er versucht, die Stelle beim Schiliftzentrum G. doch noch anzunehmen. Die Stelle wäre jedoch bereits besetzt gewesen. Ein Vertragsbruch wäre ihm nicht vorgehalten worden.

Die belangte Behörde traf unter Hinweis auf die Glaubwürdigkeit der Angaben der Vertreter des Schiliftzentrums G. die Feststellung, dass der Arbeitsbeginn des Beschwerdeführers als Liftwart mit 19. Dezember 2002 fixiert gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe ein Verhalten gesetzt, das als Vereitelung iSd § 10 AlVG zu qualifizieren sei. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht iSd § 10 Abs. 2 AlVG lägen nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens im Verfahren zur hg. Zl. 2003/08/0117 vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde hält den angefochtene Bescheid für inhaltlich rechtswidrig, weil sich der Beschwerdeführer die Beschäftigung beim Schiliftzentrum G. selbst gesucht und es sich bei dieser nicht um eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zugewiesene Tätigkeit iSd § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG gehandelt habe. Es sei auch kein anderer der in § 10 Abs. 1 AlVG taxativ aufgezählten Vereitelungstatbestände erfüllt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder der die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der vierte Fall des § 9 Abs. 1 AlVG (von einer sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen) ist zwar nicht der ersten Alternative des ersten Falles (Z. 1) des § 10 Abs. 1 AlVG (Weigerung, eine von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen) gleichzustellen, es könnte aber die zweite Alternative der zuletzt genannten Gesetzesstelle (wer "die Annahme einer solchen" - d.h. sich bietenden und zumutbaren, nicht aber notwendigerweise von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesenen - "Beschäftigung vereitelt") erfüllt sein. Somit kann auch das Fehlen der Bereitschaft, von einer gemäß § 9 Abs. 2 AlVG zumutbaren, sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit iSd § 9 Abs. 1 vierter Fall AlVG Gebrauch zu machen, nach § 10 Abs. 1 AlVG zum Verlust des Arbeitslosengeldes führen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl. 2002/08/0131). Eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit unterscheidet sich nach dem aus dem Gesetzeswortlaut abzuleitenden Konzept des Gesetzgebers von einer durch die regionale Geschäftsstelle vermittelten dadurch, dass sich eine Arbeitsmöglichkeit in der Regel erst dann "bieten" wird, wenn es entweder nur mehr am Dienstnehmer liegt, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt, oder wenn zumindest der potenzielle Dienstgeber (oder ein von diesem Bevollmächtigter) direkt mit der arbeitssuchenden Person in Kontakt tritt und ihr (zumindest) ein Vorstellungsgespräch offeriert (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. April 2005, Zl. 2004/08/0037). Nach dem Gesagten besteht unter Zugrundelegung der Feststellungen des angefochtenen Bescheides kein Zweifel, dass sich dem Beschwerdeführer beim Schiliftzentrum G. im Sinne der angeführten Gesetzesbestimmung eine Arbeitsmöglichkeit ab Mitte Dezember 2002 geboten hat, sodass eine Sanktionierung einer Vereitelung dieser Arbeitsmöglichkeit - sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind - zulässig ist.

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerde geltend, dass der angefochtene Bescheid auf Grund einer unschlüssigen Beweiswürdigung widersprüchliche Feststellungen getroffen habe und die belangte Behörde eine Zeugin befragt habe, ohne dem Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Befragung Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen.

Dies führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Vorauszuschicken ist, dass die dem Verwaltungsgerichtshof (zur hg. Zl. 2003/08/0117) vorgelegten Verwaltungsakten keine klare Trennung zwischen den Schriftstücken des erstinstanzlichen und des Berufungsverfahrens erkennen lassen. Eine fortlaufende Journalisierung der Aktenstücke nach Ordnungszahlen und Seiten wurde nicht vorgenommen. In Ermangelung eines Inhaltsverzeichnisses kann nicht ermittelt werden, an welcher Stelle die belangte Behörde die Ergebnisse der im Berufungsverfahren angeblich vorgenommenen telefonischen Befragung der Zeugin H. (einer Vertreterin des Schiliftzentrums G.) festgehalten hat bzw. ob über diese Befragung überhaupt ein Aktenvermerk angelegt worden ist. In dem Akt finden sich verfahrensrelevante Aktenvermerke der Erstbehörde ohne Datum und Unterschrift. In der erstinstanzlichen Niederschrift vom 28. Jänner 2003 findet sich folgende (dem Beschwerdeführer offenbar vorgehaltene) maschinschriftlich wiedergegebene "Stellungnahme des Dienstgebers":

"(Der Beschwerdeführer) hätte am 19.12.2002 das Dienstverhältnis aufnehmen können. Ein Arbeitvertrag wurde am 11.10.02 bereits unterzeichnet und auch der Arbeitsbeginn wurde festgelegt."

Wann und von wem die dieser Wiedergabe zu Grunde liegende Befragung von Vertretern des potenziellen Dienstgebers stattgefunden hat und welche Auskunft diese gaben, wurde - soweit ersichtlich - nirgends dokumentiert.

Zu einem nicht näher angegebenen Zeitpunkt wurden in der maschinschriftlich wiedergegebenen Stellungnahme die Worte "wurde festgelegt" durchgestrichen und die Niederschrift handschriftlich wie folgt ergänzt:

"Lt. RS mit DG Betriebsleiter Karl M. - Tel. ... - und Hrn. F. wäre telefonisch mit 19.12.02 vereinbart worden. Von Anfang Dez 02 bis Mitte Dez. wurde (dem Beschwerdeführer) jeden 2. Tag auf die Mobilbox gesprochen um eine Bestätigung der Arbeitsaufnahme zu erhalten."

Wiederum fehlt jeder Hinweis darauf, wann und von wem die "RS" (Rücksprache) gehalten wurde. Es fehlt eine ordnungsgemäße Dokumentation dieses Gesprächs, denn ein Aktenvermerk kann in dem der Niederschrift ohne Datum und Unterschrift zu einem unbekannten Zeitpunkt hinzugefügten handschriftlichen Zusatz nicht erblickt werden. Eine dritte Veränderung der zunächst von der Leiterin der Amtshandlung mit dem Beschwerdeführer unterfertigten Niederschrift wurde dadurch vorgenommen, dass auf einem losen Papierstreifen die Sätze

"Ergänzung, wollte ich nach tel. Rücksprache mit dem Schiliftzentrum am 7.1.03 die Beschäftigung aufnehmen. Die Stelle war aber schon besetzt bzw. vom Vertragsbruch wurde nichts erwähnt."

vermerkt und der Papierstreifen mit einer Heftklammer so mit der Niederschrift verbunden wurde, dass die erwähnten Unterschriften verdeckt und die sodann hinzugefügte Unterschrift der an der Amtshandlung teilnehmenden Sachbearbeiterin teils auf der Niederschrift, teils auf dem Papierabschnitt zu liegen kommt.

Der ersten Fassung der "Stellungnahme des Dienstgebers" lässt sich folgende Feststellung der belangten Behörde zuordnen:

"Sie haben beim Vorstellungsgespräch am 11. Oktober 2002 der Firma Ihre Zusage zur Arbeitsaufnahme mit 19. Dezember 2002 gegeben."

Der zweiten Fassung der "Stellungnahme des Dienstgebers" kann die Angabe der belangten Behörde zugeordnet werden, die Betriebsleiter des Schiliftzentrums G. hätten angegeben, der Arbeitsbeginn sei telefonisch mit 19. Dezember 2002 vereinbart worden. Ab Anfang Dezember 2002 wäre dem Beschwerdeführer jeden zweiten Tag vergeblich "auf die Mobilbox seines Telefons gesprochen" worden, um eine Bestätigung seiner Arbeitsaufnahme zu erhalten. Diese Aussagen legte die belangte Behörde ihrer Feststellung zu Grunde, "dass der Arbeitsbeginn mit 19.12.2002 bereits fixiert war".

Der Beschwerdeführer weist zu Recht auf den Widerspruch zwischen den Annahmen der belangten Behörde hin. Wie sich die Feststellung der telefonischen "Vereinbarung" des Arbeitsbeginnes wiederum mit der weiteren Feststellung der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer sei alle zwei Tage "auf die Mobilbox gesprochen" worden, vereinbaren lässt, bleibt unklar. Ohne auf diese Widersprüche einzugehen, führt die belangte Behörde lediglich aus, die Angaben des Dienstgebers erschienen plausibel. Da die Angaben des Dienstgebers aber - wie oben dargelegt - nicht ordnungsgemäß dokumentiert wurden und sich in den Verwaltungsakten auch sonst keine verlässlichen und widerspruchsfreien Anhaltspunkte für den Inhalt der Auskünfte des Dienstgebers finden, beruht die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung auf Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens (§ 45 Abs. 2 AVG), die den gesetzlichen Vorschriften (§ 14 Abs. 4 und § 16 Abs. 2 AVG) nicht entsprechen und die im vorliegenden Fall so mangelhaft sind, dass eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung nicht darauf aufgebaut werden kann. Dazu kommt, dass die Befragung der von der belangten Behörde für glaubwürdig erachteten Zeugin H. durch die belangte Behörde im Akt offenbar keinen Niederschlag gefunden hat und der Beschwerdeführer - worauf er zutreffend hinweist - zu dieser Befragung auch nicht Stellung nehmen konnte.

Der angefochtene Bescheid war wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Da das Kostenbegehren der am 11. September 2003 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Beschwerde hinter dem Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand nach der am 18. Juli 2003 ausgegebenen Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003 zurückblieb, war nur der begehrte Betrag zuzusprechen.

Wien, am 21. Dezember 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003080180.X00

Im RIS seit

14.02.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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