TE OGH 1991/9/18 2Ob540/91

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Veröffentlicht am 18.09.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte G*****, vertreten durch Dr. Karl Bernhauser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Silvia H*****, 2.) Florian J*****, beide vertreten durch Dr. Werner Pennerstorfer, Rechtsanwalt in St.Pölten, und 3.) Andrea W*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Moringer und Dr. Heinrich Maderthaner, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 253.056,70 und Feststellung, infolge Revision der erst- und zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25. April 1991, GZ 14 R 204/90-45, womit das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 16.Juli 1990, GZ 1 Cg 109/90-41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Klägerin auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche geltend, weil sie von einem Rottweiler gebissen wurde. Der Vorfall ereignete sich, während die Drittbeklagte in Begleitung der Klägerin mit dem Hund "äußerln" ging. Vorher waren alle drei Beklagten im Beisein des Hundes mit der Klägerin beisammen.

Alle drei Beklagten bestritten Halter des Hundes zu sein und die Aufsicht über das Tier vernachlässigt zu haben.

Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren gegenüber der Drittbeklagten statt (insoweit blieb das Urteil unangefochten), hinsichtlich der Erst- und des Zweitbeklagten wurde das Klagebegehren abgewiesen.

Das Berufungsgericht hob das im ersten Rechtsgang gefällte Ersturteil hinsichtlich der Erstbeklagten und des Zweitbeklagten auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Es führte aus, werde ein Tier von mehreren Personen gemeinsam gehalten und seien bei jedem von ihnen die Haftungsvoraussetzungen gegeben, dann hafteten sie solidarisch. Auch einer von mehreren Haltern könne sich von der Haftung nach § 1320 ABGB frei beweisen, wenn das Tier nicht seiner unmittelbaren Aufsicht unterlegen sei und die erforderliche Aufsicht und Verwahrung durch einen der anderen Mithalter gewährleistet gewesen sei. Bei Prüfung der Sorgfaltsverletzung bei einer Haltermehrheit könne nicht der Augenblick des Bisses isoliert betrachtet werden, die übrigen Mithalter könnten sich nicht durch ihre Abwesenheit allein oder durch einen einmaligen Hinweis auf die notwendigen Verwahrungsmaßnahmen von jeder Sorgfaltsverletzung frei beweisen. Gerade bei einer Mehrheit von Tierhaltern komme der konsequenten Einhaltung der Sorgfaltspflichten besondere Bedeutung zu, um nicht ein Nachlassen in der erforderlichen Beaufsichtigung einschleichen zu lassen. Jeder Beklagte sei daher verpflichtet, Nachlässigkeiten eines Mithalters in seiner Gegenwart zu kompensieren, um nicht den Mithalter oder den Besucher - der von der Gefährlichkeit des Tieres überhaupt nichts wisse - trotz Verwahrungs- oder Aufsichtsfehlern eines anderen Halters bezüglich der ausreichenden Sorgfaltsanwendung in Sicherheit zu wiegen. Es komme daher für die Beurteilung der Haftungsbefreiung der Erstbeklagten und des Zweitbeklagten darauf an, was sich vor dem Spaziergang mit dem Hund abgespielt habe; ob der Hund nach der grundsätzlichen Anweisung des Zweitbeklagten weggesperrt gewesen sei, als sich die Klägerin (zweifellos ein Gast) im Haus aufgehalten habe, zumal die Streitteile bereits ausgiebig Alkohol konsumiert gehabt hätten; weiters ob die übrigen Beklagten im sorglosen Verhalten der Drittbeklagten nicht bereits deren fehlende Bereitschaft zum sorgfältigen Umgang mit dem Hund in Gegenwart der Klägerin erkannt und trotzdem keine zumutbaren Vorkehrungen - etwa demonstratives Wegsperren des Hundes, Warnung der Drittbeklagten und der Klägerin - getroffen hätten, um das Spazierengehen mit dem Hund zu unterbinden. Ein einzelner Hundehalter habe nämlich über die konsequente Verwahrung des Hundes naturgemäß einen besseren Überblick als mehrere Hundehalter. Dadurch sei es ihm auch leichter, durch frühere Inkonsequenz angebahnte Gefahrensituationen durch erhöhte Sorgfalt zu kompensieren. Diese Möglichkeiten seien bei einer Mehrheit von Haltern naturgemäß eingeschränkt. Dieser Nachteil dürfe sich nicht zum Nachteil Dritter auswirken. Vielmehr müsse diesem Umstand jeder von mehreren Teilhabern durch geeignete Maßnahmen Rechnung tragen, wolle er sich von seiner Haftung nach § 1320 ABGB frei beweisen. Über all diese Umstände habe das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren auch gegenüber der Erstbeklagten und dem Zweitbeklagten statt. Es ging hiebei von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Der derzeit in Strafhaft befindliche Josef H***** betrieb unter anderem in M***** ein Bordell, in welchem der Zweitbeklagte als Hausmeister beschäftigt war. Im Jahre 1984 brachte H***** einen Rottweilerrüden in das Etablissement und übergab ihn dem Zweitbeklagten zur Beaufsichtigung. Als die Erst- und die Drittbeklagte in den Betrieb des Josef H***** nach M***** kamen - offenbar um dort als Prostituierte zu arbeiten - sagte ihnen der Zweitbeklagte, daß der Hund nur mit einem Beißkorb und angeleint spazierengeführt werden dürfe und eingesperrt werden müsse, wenn Gäste im Haus anwesend seien. Die Beklagten wußten, daß der Hund schon einige Male jemanden gebissen hatte. Die Beaufsichtigung und Verwahrung des Tiers in M***** oblag nicht einer einzelnen bestimmten Person, sondern wurde von jener Person vorgenommen, die gerade anwesend war und dazu Zeit hatte. Das Tier bekam sein Futter und zu trinken von demjenigem, der sich gerade darum annahm. In der Beaufsichtigung, Verwahrung und Betreuung des Tiers wechselten sich die drei Beklagten also ab. Auch für die täglichen Spaziergänge mit dem Tier war nicht einer von ihnen zuständig, sondern solche Ausgänge wurden entweder gemeinsam oder von jenem der Beklagten mit dem Tier durchgeführt, der gerade dazu Zeit hatte oder spazierengehen wollte. Am 20.8.1985 besuchte die Klägerin die Erst- und die Drittbeklagte, die ihr persönlich bekannt waren, in M*****. Sie wurde von allen drei Beklagten vom Bahnhof abgeholt, sodann begab man sich gemeinsam zu einem Mittagessen in ein Lokal. Nach dem Essen begaben sich alle vier in das Etablissement, in dem die Beklagten tätig waren. Dort sah die Klägerin erstmals den Hund, der nicht angeleint war. Ob er einen Beißkorb trug, ist nicht feststellbar. Das Tier war jedenfalls nicht weggesperrt. Die Klägerin wußte nicht, daß der Hund scharf ist und schon jemanden gebissen hatte. Die Beklagten sagten ihr dies nicht. Die Klägerin gewann den Eindruck, daß der Hund der Erstbeklagten und dem Zweitbeklagten gehört. In der Folge gingen die vier genannten Personen in ein Kaffeehaus. Der Hund wurde mitgenommen, er war angeleint und trug einen Beißkorb. Nachdem eine Zeitlang gezecht worden war, gingen alle vier am Abend mit dem Hund wieder zurück in das Etablissement des Josef H*****. Die Drittbeklagte sagte, sie müsse mit dem Hund noch "äußerln" gehen, die Klägerin solle sie begleiten. Dieser Spaziergang fand nach 20 Uhr statt. Der Erstbeklagten und dem Zweitbeklagten war bekannt, daß die Klägerin und die Drittbeklagte diesen Ausgang mit dem Tier unternehmen. Irgendwelche Anweisungen an die Drittbeklagte in bezug auf das Tier wurden nicht gegeben, auch keine Warnungen für die Klägerin in bezug auf den Umgang mit dem Hund. Im Verlauf des Spazierganges war der Hund angeleint, einen Beißkorb trug er nicht. Wann und von wem der Beißkorb vor dem Spaziergang entfernt worden war, läßt sich nicht mehr feststellen. Während des Spazierganges kehrten die Klägerin und die Drittbeklagte in einem Lokal ein. Danach waren sie mit dem Hund im Augebiet von M***** unterwegs. Die Drittbeklagte ließ das Tier von der Leine. Die beiden Frauen warfen Holzstecken, die vom Hund apportiert wurden. Als die Klägerin auf dem nassen Schotterweg stolperte, versuchte sie sich bei der Drittbeklagten anzuhalten und kam zu Sturz. Der Hund dürfte diesen Vorgang als Attacke gegen die Drittbeklagte mißverstanden haben; jedenfalls fiel er die Klägerin an und biß sie mehrmals in die unteren Gliedmaßen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Erstbeklagten und des Zweitbeklagten nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz verwies auf seinen im ersten Rechtsgang gefaßten Aufhebungsbeschluß und führte aus, die Beklagten hätten es an der konsequenten Einhaltung der von ihnen für notwendig erachteten Sicherheitsmaßnahmen - Wegsperren des Hundes, wenn Gäste anwesens seien, Ausgänge nur mit dem angeleinten und mit Beißkorb versehenen Hund - fehlen lassen. Damit sei ihnen der Entlastungsbeweis, wie er im Aufhebungsbeschluß dargestellt worden sei, nicht gelungen.

Die Erst- und der Zweitbeklagte bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, machen den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das gegen sie gerichtete Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist trotz des Ausspruches des Berufungsgerichtes über ihre Zulässigkeit - an den der Oberste Gerichtshof gemäß § 508 a Abs 1 ZPO nicht gebunden ist - nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerber bekämpfen die Ansicht, sie seien Halter des Hundes gewesen, nicht. Diese Ansicht entspricht auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach es bei der Haltereigenschaft nicht auf die rechtliche Beziehung zum Tier, sondern auf das tatsächliche Herrschaftsrecht ankommt (EvBl 1986/111; 8 Ob 160/82 uva). Die Revisionswerber vertreten jedoch die Ansicht, sie hätten den Entlastungsbeweis erbracht.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß dann, wenn ein Tier von mehreren Personen gehalten wird und bei jeder von ihnen insofern die Haftungsvoraussetzungen gegeben seien, als keiner für die erforderliche Verwahrung gesorgt und damit eine Ursache für den gesamten Schaden gesetzt habe, jeder der Halter für den gesamten Schaden zu haften habe (SZ 55/62; EvBl 1986/111; 8 Ob 160/82 ua). Es entspricht also ständiger Rechtsprechung, daß jeder der Halter haftet, wenn er nicht den Beweis erbringt, er habe für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tiers gesorgt. Dazu gehört auch der Beweis der Tüchtigkeit und mangelnden Überforderung der mit der Verwahrung und Beaufsichtigung des Tiers betrauten Person (3 Ob 556/79 ua). Die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung hat in elastischer und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu erfolgen, wobei insbesondere die Gefährlichkeit des Tieres nach seiner Art und Individualität eine Rolle spielt; je größer die Gefährlichkeit, desto größere Sorgfalt ist anzuwenden (JBl 1982, 150). Wohl darf die Haltung nicht bösartiger Haustiere durch überspannte Anforderungen an die Verwahrungs- oder Beaufsichtigungspflicht nicht geradezu unmöglich gemacht werden (3 Ob 556/79), doch handelte es sich im vorliegenden Fall um einen Rottweiler, der schon einige Male jemanden gebissen hatte, also um ein bäsartiges gefährliches Tier. Im Sinne der Rechtsprechung waren die Beklagten daher verpflichtet, besondere Sorgfalt anzuwenden. Bei der Frage, ob die Erstbeklagte und der Zweitbeklagte verpflichtet gewesen wären, die Klägerin auf die Gefährlichkeit des Tieres aufmerksam zu machen, handelt es sich um eine solche des Einzelfalles, die die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann. Überdies haben die Revisionswerber nicht bewiesen, daß der Hund, als sich die Drittbeklagte mit der Klägerin von den übrigen Beklagten trennte, um das Tier "äußerln" zu führen, einen Beißkorb trug. Es bedarf keiner Erörterung, daß die Erst- und der Zweitbeklagte nicht für die erforderliche Verwahrung des Hundes im Sinne des § 1320 ABGB sorgten, wenn sie gesehen haben, daß die Drittbeklagte mit der Klägerin wegging, ohne dem gefährlichen Tier einen Beißkorb angelegt zu haben.

Die Entscheidung hängt somit nicht von Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab, weshalb dagegen eine Revision nicht zulässig ist.

Das Rechtsmittel war daher zurückzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung, weil sie darin nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat.

Anmerkung

E27372

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0020OB00540.91.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19910918_OGH0002_0020OB00540_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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