TE OGH 1991/9/18 1Ob33/91

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Veröffentlicht am 18.09.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** gemeinnützige Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 483.755,49 S sA, infolge ao. Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12.Juni 1990, GZ 14 R 283/89-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 6.Oktober 1989, GZ 52b Cg 1034/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der ao. Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 15.891 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei beantragte am 26.Februar 1987 beim Finanzamt ***** gemäß § 240 Abs 3 BAO die Rückerstattung der in den Jahren 1984 bis 1986 entrichteten Zinsertragssteuer (ZESt) im Gesamtbetrag von 472.775,49 S. Diesen Antrag wies das Finanzamt mit Bescheid vom 16.März 1987, zugestellt an die klagende Partei am 17.März 1987, ab. Die von der klagenden Partei dagegen am 20. März 1987 erstattete und am 24.März 1987 bei der Abgabenbehörde erster Instanz eingelangte Berufungsschrift wurde mit Vorlagebericht am 6.April 1987 der Finanzlandesdirektion ***** als Berufungsbehörde vorgelegt und von dieser mit Bescheid vom 3.März 1988 als unbegründet abgewiesen. Die Berufungsentscheidung wurde der klagenden Partei am 7.März 1988 zugestellt. Mittlerweile hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Abschnitt XIV des Bundesgesetzes über die Einführung einer Zinsertragssteuer, BGBl 1983/587, von Abschnitt X des Bundesgesetzes BGBl 1984/531 und von Abschnitt I des Bundesgesetzes BGBl 1986/327 gemäß Art 140 Abs 1 B-VG eingeleitet und die öffentliche mündliche Verhandlung für den 8.März 1988,

10.30 Uhr, anberaumt; dieser Termin wurde im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 13.Februar 1988 bekannt gemacht. Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 17.März 1988, Zl G 7-36/88-14, 66,67/88-12, ua alle diese die ZESt betreffenden, oben angeführten Normen als verfassungswidrig auf (kundgemacht mit BGBl 1988/247). Noch am 9.März 1988 hatte die klagende Partei die zu B 640/88 protokollierte Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Bescheid vom 14.Oktober 1988 die Behandlung dieser Beschwerde gemäß Art 144 Abs 2 B-VG ab.

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei aus dem Titel der Amtshaftung den Zuspruch von 472.775,49 S sA als nicht refundierte ZESt sowie von 11.000 S sA als Kosten ihrer VfGH-Beschwerde. Dazu trägt die klagende Partei im wesentlichen vor, ihrem Antrag auf Rückerstattung der ZESt wäre im Normenkontrollverfahren Anlaßwirkung zugekommen, wenn die Abgabenbehörde zweiter Instanz mit der Fällung der Berufungsentscheidung nicht säumig geworden wäre; weiters hätte sie im Fall des Obsiegens die Kosten ihrer VfGH-Beschwerde bis zu einem Betrag von 11.000 S ersetzt erhalten. Eine Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte keinen Erfolg gehabt, weil die Abgabenbehörde zweiter Instanz auch auf Grund von Säumnisbeschwerden nicht rascher entschieden und die Berufungsentscheidung am selben Tag - wie viele andere auch - zugestellt hätte. Die klagende Partei habe im Parallelverfahren AZ 52 a Cg 1050/89 des Erstgerichtes ohnedies - erfolglos - eine Säumnisbeschwerde eingebracht. Ein Verstoß gegen § 2 Abs 2 AHG liege daher durch die unterlassene Säumnisbeschwerde nicht vor.

Die beklagte Partei wendete ua ein, daß die klagende Partei ihrer Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG nicht nachgekommen sei, weil sie keine Säumnisbeschwerde erhoben habe. Im übrigen wäre es ihr möglich gewesen, bis zum Beginn der öffentlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof am 8.März 1988, 10.30 Uhr, eine VfGH-Beschwerde einzubringen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der klagenden Partei ein Verstoß gegen die sich aus § 2 Abs 2 AHG ergebende Rettungspflicht (unterlassene Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof) vorzuwerfen sei. Eine Prüfung der Erfolgsaussichten der klagenden Partei aufgrund einer solchen Säumnisbeschwerde sei nicht vorzunehmen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes; die ordentliche Revision ließ es nicht zu. Die zweite Instanz billigte im wesentlichen die Rechtsauffassung der ersten Instanz.

Die ao. Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelwerberin leitet ihre Amtshaftungsansprüche aus der Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz ab; durch diese Säumnis sei sie außerstande gesetzt worden, deren Bescheid rechtzeitig beim Verfassungsgerichtshof anzufechten und so in den Genuß der Anlaßwirkung iS des Art 140 Abs 7 B-VG zu gelangen. Der Verfassungsgerichtshof vertrete seit 1984 die Auffassung, daß dem Anlaßfall im engeren Sinn, anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, jene Fälle gleichzuhalten seien, die bei Beginn der mündlichen Verhandlung oder, wenn eine solche unterbleibt, bei Beginn der nichtöffentlichen Beratung des Gerichtshofes im Normprüfungsverfahren anhängig sind (VfSlg 10616, 10067; vgl auch Walter-Mayer, Grundriß des österr. Bundesverfassungsrechts6 Rz 1170). Die von der beklagten Partei gegen diese Rechtsprechung im Verfahren und auch noch in der Revisionsbeantwortung geäußerten Bedenken änderten daran nichts.

Die beklagte Partei bestreitet die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ihrer zu möglichst raschen Erledigung ("ohne unnötigen Aufschub") der Berufung der klagenden Partei berufenen Organe (§ 311 Abs 1 BAO) nicht. Verletzt die Abgabenbehörde zweiter Instanz, gleichviel, ob sie als Rechtsmittelbehörde oder als funktionell erstinstanzliche Behörde einschreitet, ihre Entscheidungspflicht, kann ihre Untätigkeit nicht mehr im Verwaltungsverfahren, sondern nur mehr mit Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 132 B-VG bekämpft werden (Stoll; BAO, Handbuch, 748), weil die Abgabenbehörde zweiter Instanz jene oberste Behörde iS des § 27 VwGG ist, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden kann. Die zur Wahrnehmung der Entscheidungspflicht in der eben genannten Bestimmung vorgesehene sechsmonatige Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war, wobei der Tag des Einlangens bei der Verwaltungsbehörde in den Lauf der sechsmonatigen Frist des § 27 VwGG nicht eingerechnet wird (VwSlgNF 8304 A). Die Berufungsschrift der klagenden Partei gegen den Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz vom 27.Februar 1987 langte nach den Feststellungen am 24.März 1987 - als maßgeblichem Stichtag für die Fristberechnung nach § 27 VwGG (VwSlgNF 5329 A) - bei der Abgabenbehörde erster Instanz ein: Die Berufungsbehörde hätte deshalb zur Vermeidung einer Verletzung ihrer Entscheidungspflicht über die Berufung innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden gehabt. Tatsächlich entschied die Abgabenbehörde zweiter Instanz aber erst mit Bescheid vom 3.März 1988. Trotz Säumnis der Abgabenbehörde zweiter Instanz mit der Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei hat die klagende Partei jedoch nach dem 25.September 1987 keine - nun zulässige - Säumnisbeschwerde nach Art 132 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

Gemäß § 2 Abs 2 AHG besteht der Ersatzanspruch gegen den Rechtsträger nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Nach dem weiten Rechtsmittelbegriff des § 2 Abs 2 AHG fällt unter die ausdrücklich angeführte "Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof" nicht nur die Bescheidbeschwerde, sondern jedenfalls auch die Säumnisbeschwerde nach Art 132 B-VG (SZ 54/86 = JBl 1982, 658 mwN; 1 Ob 13/91, 1 Ob 41/83; Schragel, AHG2 Rz 181 mwN, 184; Vrba-Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 180; Vrba-Zechner, Begriff des Rechtsmittels nach § 2 Abs 2 AHG und die Rettungspflicht nach § 1304 ABGB in ÖJZ 1981, 589 ff, 594; vgl auch Koziol, österr. Haftpflichtrecht2 II 382 mwN in FN 23). Entgegen der Darstellung in der Revision vertreten auch Walter-Mayer (aaO, Rz 1294) den Standpunkt, daß unter "Rechtsmittel" die ordentlichen Rechtsmittel....des Verwaltungsverfahrens, einschließlich der Behelfe gegen Säumnis, zu verstehen sind. Der von der klagenden Partei geforderten teleologischen Interpretation steht der Wille des historischen Gesetzgebers entgegen, daß Säumnisbeschwerden Rechtsmittel iS des § 2 Abs 2 AHG sind (SZ 54/86; 1 Ob 41/83). Nur die Frage, ob und inwieweit eine Haftung eintritt, obgleich der Rechtsmittelzug erschöpft und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ergriffen wurde, weil der Schaden trotzdem nicht abgewendet werden konnte, sollte nach dem Willen des Gesetzgebers der Rechtsprechung im einzelnen Fall zur Entscheidung übelassen bleiben, weil hier die Probleme der Kausalität eine erhebliche Rolle spielen (Bericht und Antrag des Ausschusses für Verwaltungsreform, 515 BlgNR V.GP, 2; siehe auch die bei Loebenstein-Kaniak, AHG 149 ff abgedruckten Materialien und Protokolle über die parlamentarische Debatte). Ein Amtshaftungsanspruch kann daher nur bestehen, wenn der Schaden durch ein Rechtsmittel oder eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht mehr abgewendet werden kann, weil er schon entstanden ist, ehe diese Rechtsbehelfe ergriffen werden konnten, oder wenn solche nicht zur Verfügung stehen. Der Amtshaftungsanspruch ist also insofern (formell) subsidiär, als ein durch einen Bescheid oder eine Verfahrensverzögerung potentiell Geschädigter zunächst verpflichtet ist, die ihm vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten und eine Abwendung des Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe (mit Ausnahme der im § 2 Abs 2 AHG nicht erwähnten VfGH-Beschwerde) auszunützen. Amtshaftung hat demnach nur einzutreten, wenn das von den Gesetzen primär zur Verfügung gestellte Sicherheitsnetz an Rechtsbehelfen nicht ausreicht oder ausreichen könnte, den Schaden noch zu verhindern. Die vorherige erfolglose Ergreifung der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe oder die Aussichtslosigkeit, daß diese Rechtsbehelfe den Schaden noch abwenden hätten können, ist also anspruchsbegründendes Element für die Amtshaftung; nur für "unverbesserliche" Vollzugsakte soll

Ersatz geleistet werden (EvBl 1990/47 = ecolex 1990, 23;

SZ 61/211; SZ 55/81 = JBl 1983,326; SZ 54/86, jeweils mwN ua;

Schragel aaO, Rz 176 mwN). Das Wort "können" in § 2 Abs 2 AHG bedeutet auch nur, daß ein Rechtsbehelf bestand, der seiner Art nach abstrakt die Möglichkeit bot, den Schaden noch zu verhindern, nicht aber die Zulässigkeit der Beweisführung im Amtshaftungsverfahren, daß etwa eine nicht erhobene Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof keinen Erfolg hätte haben können (SZ 55/81; Schragel aaO. Rz 176; Walter-Mayer aaO, Rz 1294; Zechner, Amtshaftung - Recht im Wandel in ZfV 1985, 591 ff, 594). Es kann nach gefestigter Rechtsprechung nicht Aufgabe des Amtshaftungsprozesses sein, den potentiellen Erfolg einer nicht erhobenen Säumnisbeschwerde nachzuvollziehen (SZ 55/81; 1 Ob 40/88, 1 Ob 41/83). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich gerade für Bescheide der Verwaltungsbehörden aus § 11 Abs 1 AHG. Das Gericht ist danach nicht berechtigt, die Rechtswidrigkeit eines Bescheides von sich aus anzunehmen. Es darf dies dann aber auch nicht durch hypothetischen Nachvollzug des Erfolges einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Diese Besonderheit des Amtshaftungsprozesses schließt - anders als beim Schadenersatzanspruch gegen einen Rechtsanwalt wegen eines ihm unterlaufenen Versehens in der Beratung seines Klienten:

SZ 58/165 - die Prüfung der hypothetischen Erfolgsaussichten des Rechtsmittels aus. Letztlich sei darauf verwiesen, daß auch im Recht der Bundesrepublik Deutschland (vgl § 839 Abs 3 BGB) die Amtshaftung zur Voraussetzung hat, daß der Geschädigte den Schaden nicht durch den Gebrauch von in der Sache in Betracht kommenden Rechtsbehelfen abwenden konnte. Wie Kopp in Aicher, Die Haftung für staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsleben, 85, zutreffend aufzeigt, besteht im modernen Rechtsstaat der Rechtsschutz primär darin, daß der Bürger Unrecht, das ihm zugefügt wird, unmittelbar abwehren kann. Nur wenn dies tatsächlich oder rechtlich nicht möglich ist, bestehe ein Anspruch auf Entschädigung. Die Amtshaftung könne nicht dahin verstanden werden, daß dem Bürger damit ein Anspruch auf Herstellung eines den Gesetzen gemäßen Zustandes durch Geldzahlung eingeräumt wird, vielmehr solle sie nur nicht wiedergutzumachende Schäden ausgleichen.

Da im konkreten Fall vom Ablauf der Entscheidungsfrist für die Abgabenbehörde zweiter Instanz bis zum Gerichtstag beim Verfassungsgerichtshof mehr als fünf Monate verstrichen, kann keine Rede davon sein, daß auch durch eine Säumnisbeschwerde der Schaden - abstrakt - nicht abzuwenden gewesen wäre.

Die Revisionswerberin macht Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs 2 AHG geltend und regt deshalb auch die Stellung eines Antrages auf Aufhebung der Wortfolge "oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof" beim Verfassungsgerichtshof an. Der Anspruchsverlust des Geschädigten nach § 2 Abs 2 AHG sei in Art 23 Abs 1 B-VG nicht vorgegeben; die sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zu § 1304 ABGB mache die Bestimmung des § 2 Abs 2 AHG aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes verfassungswidrig.

Der Oberste Gerichtshof kann die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilen. Der die Gesetzgebung - und die Vollziehung - bindende Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG), der heute als umfassendes Willkürverbot verstanden wird, gebietet es, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln und läßt damit nur "sachlich gerechtfertigte" Differenzierungen zu. Davon kann nach der neueren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann gesprochen werden, wenn die Differenzierung nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen, also nach eindeutig feststellbaren Sachunterschieden erfolgt; unterschiedliche Regelungen sind dort zulässig, wo sie durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen gerechtfertigt sind (OGH ZVR 1991/44; WoBl 1990/11; SZ 61/261, SZ 61/141; Walter-Mayer aaO, Rz 1347; Adamovich-Funk, Österr. Verfassungsrecht3 380 f). Art 23 Abs 1 B-VG trifft die grundsätzlichen Regelungen über die Haftung der Rechtsträger gegenüber den in Vollziehung der Gesetze rechtswidrig Geschädigten. In Durchführung des Art 23 B-VG erging das AHG BGBl 1949/20. Dem einfachen Gesetzgeber kommt eine, freilich nicht unbegrenzte rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzeß nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb der aufgezeigten Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN; 10 Ob S 5/90). Daß daher das AHG den durch Art 23 Abs 1 B-VG eingeräumten Amtshaftungsanspruch in verschiedener Form einschränkt, ist per se nicht zu beanstanden, weil die Einschränkung nicht schrankenlos ist (VfSlg 8207; Walter-Mayer aaO, Rz 1350). Amtshaftungsansprüche sind Schadenersatzansprüche. Da die Grundsätze des bürgerlichen Rechts im Amtshaftungsrecht zu gelten haben, stehen dem haftungspflichtigen Rechtsträger auch alle Einwendungen zu, die nach bürgerlichem Recht dem Anspruch des Klägers entgegengehalten werden können. Insbesondere kann ein Mitverschulden des Geschädigten geltend gemacht werden (SZ 51/7;

JBl 1970, 261 ua; Schragel aaO, Rz 155; Koziol aaO, II 380;

Vrba-Zechner, Begriff des Rechtsmittels nach § 2 Abs 2 AHG und die Rettungspflicht nach § 1304 ABGB in ÖJZ 1981, 589 ff, 622 ff, 626 mwN). Nach herrschender Auffassung hat das Mitverschulden iS des § 1304 ABGB kein Verschulden im technischen Sinn zur Voraussetzung; nicht einmal Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nötig, sondern nur Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern (SZ 54/85, SZ 51/188 ua; Koziol aaO, I 236 f; Schragel aaO, Rz 155). Das Vorliegen beidseitigen Verschuldens wird in der Regel zu einer Schadensteilung führen, doch kann unter Umständen trotz Mitverschulden eine alleinige Schadenstragung durch den Schädiger oder den Geschädigten in Betracht kommen. Hat etwa der Geschädigte selbst bewußt zu seinem Nachteil gehandelt, so wird eine Schadenersatzpflicht des fahrlässigen Schädigers ebenso zur Gänze entfallen (Koziol aaO, I 241 mwN in FN 36) wie bei einem weitaus überwiegenden Eigenverschulden des Geschädigten (Mayrhofer in Ehrenzweig, Das Recht der Schuldverhältnisse Allgemeine Lehren3 307 mwN). Zwischen der allgemeinen Regel des § 1304 ABGB und § 2 Abs 2 AHG als Spezialvorschrift zur Ergänzung des § 1304 ABGB besteht kein prinzipieller Unterschied: Nach § 1304 ABGB kann eine (allenfalls auch gänzliche) Minderung des Schadenersatzanspruches des Geschädigten eintreten, wogegen nach § 2 Abs 2 AHG der Schadenersatzanspruch des Geschädigten immer zur Gänze entfällt, wenn ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf Abhilfe hätte schaffen können; Voraussetzung ist aber auch hier eine Sorglosigkeit des Amtshaftungsklägers im Umgang mit seinen eigenen Rechtsgütern (JBl 1990, 456; SZ 61/156 = JBl 1989, 113;

SZ 55/190, SZ 55/81 ua; Koziol aaO, II 382). Das Nichtergreifen eines Rechtsmittels ist aber in aller Regel eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten. Der daran geknüpfte Entfall des Amtshaftungsanspruchs (jedenfalls insoweit als ein Rechtsmittel abstrakt überhaupt hätte Abhilfe schaffen können), ist nur eine logische Konsequenz der Absicht des Gesetzgebers, nur für unverbesserliche Akte der Vollziehung Amtshaftungsansprüche zur Verfügung zu stellen. Die unterschiedlichen Regelungen der § 1304 ABGB und § 2 Abs 2 AHG sind somit durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen sachlich gerechtfertigt. Dem Revisionshinweis, daß bei einem Schadenseintritt vor der Möglichkeit der Erstattung einer Säumnisbeschwerde eine solche nicht zu erstatten ist, sonst hingegen schon, ist mit dem Hinweis zu begegnen, daß bei einem Schadenseintritt vor der Möglichkeit, eine Säumnisbeschwerde oder sonstiges Rechtsmittel zu erheben, § 2 Abs 2 AHG dem Ersatzanspruch, wie bereits ausgeführt, nicht entgegensteht, weil es sich dann insoweit um einen "unverbesserlichen" Vollzugsakt handelt. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der hier anzuwendenden Vorschrift des § 2 Abs 2 AHG bestehen somit nicht. Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlaßt, der Anregung der klagenden Partei zu folgen und an den Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, die Wortfolge "oder Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof" in § 2 Abs 2 AHG als verfassungswidrig aufzuheben. Warum die VfGH-Beschwerde in § 2 Abs 2 AHG nicht genannt ist, haben Schragel (aaO, Rz 185 mwN) und Vrba-Zechner (Begriff des Rechtsmittels nach § 2 Abs 2 AHG und die Rettungspflicht nach § 1304 ABGB in ÖJZ 1981, 589 ff, 593 mwN) überzeugend dargestellt. Dadurch kann die klagende Partei auch nicht beschwert sein. Die Frage, ob es bei einer Zustellung des Bescheides der Abgabenbehörde zweiter Instanz an die klagende Partei am 7.März 1988 möglich gewesen wäre, eine VfGH-Beschwerde bis 8.März 1988 10.30 Uhr einzubringen, mag auch der Klagevertreter 20 Beschwerdeführer in der Gesetzesprüfungsverhandlung vertreten, seine Kanzlei gut organisiert haben und mit der Materie vertraut gewesen sein, bedarf dann keiner Prüfung.

Der ao. Revision ist nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E27322

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00033.91.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19910918_OGH0002_0010OB00033_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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