TE OGH 1991/9/26 7Ob580/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.09.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Frieda R*****, vertreten durch Dr. Peter Rustler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Hermine W*****, vertreten durch Dr. Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 17. April 1991, GZ 41 R 48/91-42, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 1. Oktober 1990, GZ 42 C 273/86m-37, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Leibrentenvertrag vom 25. 9. 1985 veräußerte Maria K***** das in den von der Klägerin gemieteten Räumen betriebene Gasthaus an die Beklagte, die das Unternehmen weiterführte und Hauptmieterin der Geschäftsräume wurde (AS 91 f ON 24). Die Klägerin erklärte die Aufhebung des Bestandvertrages aus dem Grunde des § 1118 zweiter Fall ABGB und begehrt mit der am 14. 5. 1986 eingebrachten Klage die Räumung des Bestandobjektes. Die Beklagte bestreitet einen Mietzinsrückstand. Mit der am 1. 6. 1990 eingebrachten Klage focht sie den Leibrentenvertrag wegen Rechtsirrtum über die Rechtsfolgen der Unternehmensveräußerung hinsichtlich des Übergangs der Hauptmietrechte und der Berechtigung des Vermieters zur Einhebung eines höheren Mietzinses an. Es erging ein Versäumungsurteil im Sinne des auf Aufhebung des Leibrentenvertrages gerichteten Klagebegehrens, das in Rechtskraft erwuchs. Daraufhin wies das Erstgericht das Räumungsbegehren ab. Durch das Versäumungsurteil sei rückwirkend die Mieterstellung und somit auch die Passivlegitimation der Beklagten beseitigt worden.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil zur Prüfung des geltend gemachten Aufhebungsgrundes auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist.

Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes könne die erfolgreiche Anfechtung des Rechtsgeschäftes über die Unternehmensveräußerung wegen Irrtums die bereits eingetretene Rechtsfolge des Erwerbes der Hauptmietrechte durch die Beklagte nicht beseitigen. Durch die Anfechtung werde auch nicht die bereits erfolgte Unternehmensübergabe beseitigt, hiezu bedürfe es einer gesonderten Rückabwicklung. Selbst wenn eine solche bereits stattgefunden haben sollte oder in Zukunft stattfinde, habe dies gemäß § 234 ZPO auf den vorliegenden Rechtsstreit keinen Einfluß.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Rekurs der Beklagten ist nicht berechtigt.

Soweit sich die Rechtsmittelwerberin gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über ihren Zwischenantrag auf Feststellung (ON 24) wendet, ist ihr entgegenzuhalten, daß auch der Oberste Gerichtshof an seine im gleichen Verfahren bereits geäußerte Rechtsansicht gebunden ist (Fasching IV 367 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Tatsache ist, daß der zwischen der Beklagten und Maria K***** abgeschlossene Leibrentenvertrag mit rechtskräftigem Versäumungsurteil des Erstgerichtes vom 4. 7. 1990 aufgehoben wurde. Das Erstgericht folgerte, folgend den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes SZ 43/47 und JBl 1976, 90 (mit kritischer Anmerkung von Kralik), die Bindung an dieses Urteil aus der Tatbestands- bzw. Reflexwirkung. Das Berufungsgericht bezeichnete diese Auffassung als bedenklich. Wenn die mit Urteil verfügte Rechtsgestaltung auch durch außergerichtliche Parteiendisposition, wie bei der Vertragsanfechtung, erfolgen könne, erwachse das Urteil nur zwischen den Parteien in materielle Rechtskraft. Die materielle Rechtskraftwirkung, die damit angesprochen wird, ist jeoch von der Tatbestandswirkung streng zu trennen. Im Bereich der letzteren wirkt die gerichtliche Entscheidung auch gegen Dritte (Fasching, ZPR2 Rz 1565). Ob hier dem Versäumungsurteil Tatbestandswirkung zukommt, mag fraglich sein (vgl. hiezu Kralik in JBl. 1976, 92; Rechberger-Simotta, Zivilprozeßrecht3 Rz 625), kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben. Selbst wenn man davon ausgeht, daß nicht die Fällung des Versäumungsurteils präjudiziell sein kann, sondern nur das Bestehen oder Nichtbestehen des Veräußerungsgeschäftes zwischen der Beklagten und Maria K*****, hat dies lediglich zur Folge, daß bei Unrichtigkeit des Versäumungsurteils die materielle Rechtslage gegenüber der Klägerin unverändert blieb, und es der Klägerin freistand, die Unrichtigkeit der Urteilsfeststellung zu behaupten und nachzuweisen (vgl. Kralik aaO). Derartiges wurde aber nicht behauptet und in dieser Richtung auch kein Sachvorbringen erstattet.

Der Beurteilung ist daher zugrundezulegen, daß das das Unternehmen betreffende Veräußerungsgeschäft wegen Irrtums aufgehoben wurde. Die erfolgreiche Anfechtung eines Rechtsgeschäftes wegen Irrtums beseitigt grundsätzlich das Rechtsgeschäft mit Wirkung ex tunc (JBl. 1984, 200;

Koziol-Welser8 I 124; Rummel in Rummel2 Rz 20 zu § 871;

Schwimann-Apathy, ABGB IV 1 §§ 870, 871 Rz 7; 1 Ob 693/83). Eine Ausnahme besteht - bei gebotener differenzierter

Beurteilung - bei Dauerschuldverhältnissen (MietSlg. 35.089, 31.084, 23.071; Koziol-Welser aaO; Schwimann-Apathy aaO). Insbesondere bei in Gesellschaftsform organisierten Dauerschuldverhältnissen kommt nach herrschender Auffassung jedenfalls im Außenverhältnis aus Gründen des Verkehrsschutzes eine Anfechtung nur mit Wirkung ex nunc in Betracht (Straube, Die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft als Rechtsform zwischenbetrieblicher Kooperation 111; Krejci, Gesellschaftsrechtliche Probleme der Bau-ARGE in Das Recht der Arbeitsgemeinschaften in der Bauwirtschaft 11; derselbe in Rummel2 Rz 251 zu § 879). Der dieser Meinung zugrundeliegende Gedanke des Schutzes des Verkehrs ist auch bei erfolgreicher Anfechtung einer Unternehmensveräußerung im Sinne des § 12 Abs.3 MRG beachtlich. Der § 12 Abs.3 MRG normiert nicht nur den Eintritt des Unternehmenserwerbers in die Mietrechte und seine Verpflichtung zur Zinszahlung, sondern den Eintritt in das gesamte Mietverhältnis (Würth in Rummel ABGB Rz 7 zu § 12 MRG), und eröffnet somit den neuen Vertragspartnern auch die Möglichkeit der Abänderung des Mietvertrages und der Begründung von Rechten Dritter. Aus Gründen des Verkehrsschutzes kommt daher einer erfolgreichen Anfechtung einer Unternehmensveräußerung im Sinne des § 12 Abs.3 MRG jedenfalls im Außenverhältnis nur eine ex nunc-Wirkung zu. Diese Wirkung ist eine gesetzliche Folge der Anfechtung und der Disposition der Parteien des Anfechtungsstreites entzogen, sodaß der gegenteilige Ausspruch im Versäumungsurteil unbeachtlich ist. Daraus folgt, daß Maria K***** erst mit der Vertragsaufhebung wieder Mieterin wurde (vgl. Würth aaO) und die Klägerin bis zur Vertragsaufhebung einen angemessenen Mietzins im Sinne des § 12 Abs.3 MRG begehren kann. Die während des Räumungsprozesses erfolgte erfolgreiche Anfechtung des Veräußerungsgeschäftes hat gemäß § 234 ZPO auch auf den Räumungsstreit keinen Einfluß. Unter Veräußerung nach § 234 ZPO ist jede Art von Einzelrechtsnachfolge zu verstehen und unter eine "in Streit verfangene Sache" fallen auch Rechte, insbesondere Mietrechte (SZ 25/82; SZ 23/290; SZ 22/100; 1 Ob 754/82; Fasching III 97 f). Der § 234 ZPO gilt daher auch in Kündigungs- und Räumungsprozessen (MietSlg. 40.776, 26.502, 24.562, 18.669 ua). Das Berufungsgericht hat daher zu Recht die Sachlegitimation der Beklagten bejaht und dem Erstgericht eine Prüfung des Aufhebungsgrundes aufgetragen.

Demgemäß ist dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

Anmerkung

E27523

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0070OB00580.91.0926.000

Dokumentnummer

JJT_19910926_OGH0002_0070OB00580_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten