TE OGH 1991/10/3 12Os88/91 (12Os89/91)

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Veröffentlicht am 03.10.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Oktober 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loub als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herbert W***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. Februar 1991, GZ 8 c Vr 4693/90-26, sowie über die gegen das Unterbleiben einer Entscheidung gemäß § 494 a Abs. 1 StPO erhobene Beschwerde der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Hauptmann, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Millauer zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben und gemäß § 43 a Abs. 3 StGB (nur) ein Teil der zwanzigmonatigen Freiheitsstrafe, nämlich sechzehn Monate, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Im übrigen wird den Berufungen nicht Folge gegeben. Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und es wird von einem Widerruf der mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 21.November 1989, GZ 20 U 284/89-5, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die diesbezügliche Probezeit von drei auf fünf Jahre verlängert.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Herbert W***** wurde der Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er seine am 16.Dezember 1975 geborene Tochter Monika W***** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt und zur Unzucht mißbraucht, indem er

a) im Jänner 1990 sie rücklings auf ihr Bett drückte, sich auf ihre Hüften setzte, ihre Beine festhielt und sie an der Brust abgriff;

b) Anfang Februar 1990 ihr eine Hand verbog, ihr einen Schlag versetzte und sie an der Brust und am Geschlechtsteil abgriff;

c) Anfang März 1990 sich auf sie legte, sie festhielt, ihr das Nachthemd zum Hals hochzog, sie an der Brust und an der Scheide abgriff und ihr mit einem Finger in die Scheide fuhr.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 3, 4, 5, 5 a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Den ersterwähnten Nichtigkeitsgrund sieht der Beschwerdeführer durch die zeugenschaftliche Einvernahme (und urteilsmäßige Verwertung der Aussage) seiner Tochter Monika W***** verwirklicht, und zwar deshalb, weil die Genannte "auf ihr Recht, sich der Aussage gemäß § 152 StPO zu entschlagen, nur bedingt Gebrauch gemacht" (richtig: bedingt verzichtet) habe und "eine Bedingung hiefür" (gemeint ist wohl: ein bedingter Verzicht) gesetzwidrig sei. Er bezieht sich hiebei ersichtlich darauf, daß die Zeugin nach Vorhalt des § 152 StPO die Erklärung abgab: "Ich will aussagen, aber nur, wenn mein Vater nicht im Saal anwesend ist", worauf der Vorsitzende nach Umfrage den Beschluß auf Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten verkündete und die Aussage der Zeugin nach Verlassen des Verhandlungssaales durch den Angeklagten entgegennahm (S 155 ff).

Der Auffassung des Beschwerdeführers zuwider ist es in der Hauptverhandlung einer Prozeßpartei (vgl. EvBl. 1971/243) grundsätzlich nicht verwehrt, ihrer Erklärung eine Bedingung hinzuzufügen (s. Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts3 Rz 300). Umso weniger kann dies für einen Verzicht eines Zeugen auf sein Entschlagungsrecht nach § 152 Abs. 1 Z 1 StPO (nur) für den Fall der Anwendung der seinem Schutz dienenden (vgl. Mayerhofer-Rieder3; Nr. 5 zur angeführten Gesetzesstelle) Vorschrift des § 250 Abs. 1 StPO gelten, derzufolge der Vorsitzende - nicht, wie das Erstgericht vermeinte, der Schöffensenat in seiner Gesamtheit - befugt ist, ausnahmsweise den Angeklagten während der Abhörung eines Zeugen oder Mitangeklagten aus dem Sitzungssaal abtreten zu lassen. Gegen die Vernehmung der Zeugin und die Verwertung ihrer Aussage hätten sogar dann keine Bedenken bestanden, wenn sie zunächst das Zeugnis verweigert, nach Eröffnung der Möglichkeit zur Aussage in Abwesenheit des Angeklagten aber diese Erklärung zulässigerweise (EvBl. 1951/413) widerrufen hätte.

Die Verfahrensrüge nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO, derzufolge dem Angeklagten nach seiner Rückkehr in den Gerichtssaal die Aussage der erwähnten Zeugin zwar bekanntgegeben, jedoch nicht die Möglichkeit einer Stellungnahme hiezu eingeräumt worden sein soll, ist nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt, weil es an einer formellen Voraussetzung ihrer Erhebung, nämlich an einem in der Hauptverhandlung vorgebrachten, auf ein Zwischenerkenntnis des Senates (§ 238 StPO) abzielenden Antrag oder Widerspruch des Beschwerdeführers, fehlt.

Dem Hauptverhandlungsprotokoll ist nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte nach Mitteilung der in seiner Abwesenheit abgelegten Aussage den Willen bekundete, zu den (ihm ohnehin im wesentlichen bereits aus dem Vorverfahren bekannten) Bezichtigungen seiner Tochter nochmals Stellung zu nehmen (S 160). Abgesehen davon, stand seinem während der gesamten Vernehmung der Zeugin anwesenden Verteidiger das Fragerecht uneingeschränkt zu.

Jene Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO), derzufolge die urteilsmäßig festgestellten Tathandlungen vom Jänner 1990 - das Festhalten der Beine der Tochter und das Abgreifen ihrer Brust - anatomisch unvereinbar wären, weil schon das Festhalten der Beine des Opfers beide Hände erfordert hätte, geht ersichtlich von der vom Erstgericht gar nicht getroffenen Annahme aus, daß die Beine des Opfers mit den Händen festgehalten worden seien. Die Urteilsfeststellungen sprechen aber eher für ein Fixieren der Beine durch Einklemmen unter dem Körper des Täters (S 170).

Der Umstand, daß die Zeugin in der Hauptverhandlung die an ihr verübten Mißbrauchshandlungen nicht neuerlich im Detail beschrieb, hindert (der weiteren Mängelrüge zuwider) nicht die Verwertung ihrer bereits früher erhobenen - in der Hauptverhandlung (S 164) verlesenen - Bezichtigungen (S 20, 76) zumal diese von ihr in der Hauptverhandlung keineswegs widerrufen wurden. Soweit der Beschwerdeführer - ohne jegliche Konkretisierung - Abweichungen der Aussagen der Belastungszeugin vor der Polizei gegenüber jenen vor Gericht behauptet, ist darauf hinzuweisen, daß das Erstgericht die Unfähigkeit der Zeugin, die drei Vorfälle zeitlich noch exakt einzuordnen, erkannt, jedoch nicht zum Anlaß grundsätzlicher Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit ihrer Vorwürfe genommen hat (S 175).

Die angeblich "aktenwidrige" (gemeint: im Widerspruch zum Akteninhalt stehende) Feststellung des Erstgerichtes, Monika W***** sei Ende Juni 1989 deshalb zum Vater gezogen, weil dieser ihr Versprechungen gemacht hätte (S 170), betrifft keine entscheidende - das heißt für die rechtliche Unterstellung der Tat oder die Anwendung eines bestimmten Strafsatzes maßgebliche - Tatsache; sie findet zudem durchaus Deckung in der Zeugenaussage des Tatopfers (S 156).

Die Angaben der Zeugen Walter W***** (S 147) und Sieglinde B***** (S 150), aus welchen, nach Ansicht des Beschwerdeführers, hervorgeht, daß er nie allein mit Monika W***** im Hause gelassen wurde, sind vom Erstgericht keineswegs übergangen worden (S 173); allerdings sind die Tatrichter dennoch mit entsprechender Begründung nicht diesen Bekundungen, sondern den Angaben der Zeugin Monika W***** gefolgt.

Die vom Erstgericht auf Grund der Angaben der letztgenannten Zeugin angenommene Berauschung des Angeklagten (S 170 Mitte, 171 unten) gab angesichts seiner eigenen - seine volle Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nicht

bestreitenden - Verantwortung (S 162) und der Zielstrebigkeit seines Tatverhaltens keinen Anlaß zur vom Beschwerdeführer nunmehr vermißten eingehenden Begründung seiner Diskretions- und Dispositionsfähigkeit.

Die Tatsachenrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 a StPO) läuft auf einen nach Art einer Schuldberufung unternommenen, daher prozeßordnungswidrigen Versuch hinaus, die Glaubwürdigkeit der Zeugin Monika W***** durch den Hinweis auf - mit der vom Erstgericht festgestellten Unfähigkeit zur exakten zeitlichen Einordnung der Vorfälle im Zusammenhang zu

bringende - Widersprüche in ihren Angaben sowie auf Vorfälle, aus denen sich lediglich ihre vom Erstgericht (S 175 f) ebenso wie vom jugendpsychiatrischen Sachverständigen (S 105 bis 109 sowie S 163) ohnehin berücksichtigte Verwahrlosung ergibt, in Zweifel zu setzen; erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachengrundlagen des Schuldspruches werden nicht zur Darstellung gebracht und ergeben sich auch nicht aus den Akten.

Der Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z 10 StPO), derzufolge der Angeklagte nur des Vergehens nach § 212 Abs. 1 StGB schuldig zu erkennen gewesen wäre, weil der Mißbrauch des Autoritätsverhältnisses seiner Meinung nach das Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB konsumiere, kommt keine Berechtigung zu: Dem Unrechtsgehalt des Mißbrauchs zur Unzucht am eigenen minderjährigen Kind wird nämlich nach ständiger Rechtsprechung (EvBl. 1979/72, zuletzt 11 Os 47/90) bei Anwendung von Gewalt (als Mittel zur Willensbeugung) nur die Unterstellung der Tat unter beide Tatbestände gerecht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Der Angeklagte wurde nach § 202 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB zu einer zwanzigmonatigen, gemäß § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Das Erstgericht wertete als erschwerend die mehrfache Tatwiederholung sowie das Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen, mildernd hingegen nichts.

Mit seiner Berufung bekämpft der Angeklagte die Strafhöhe, die Staatsanwaltschaft wendet sich mit gleichem Rechtsmittel gegen die Gewährung (gänzlicher) bedingter Strafnachsicht.

Nur die Staatsanwaltschaft ist mit ihrer Berufung teilweise im Recht.

Vorliegend handelt es sich bereits um die dritte Verurteilung des Angeklagten innerhalb von vier Jahren. Über den Sinn einer bedingten Strafnachsicht wurde er anläßlich seiner letzten, im Spruch zitierten Verurteilung vom Richter belehrt. Dennoch hat er schon zwei Monate später mit dem geschlechtlichen Mißbrauch seiner minderjährigen Tochter begonnen und ihn selbst nach Erhalt der schriftlichen Belehrung über die ihm anläßlich der Gewährung der bedingten Strafnachsicht auferlegten Verpflichtungen und die Gründe, aus denen die Nachsicht widerrufen werden kann, fortgesetzt (s. Faktum 1 c und Zustellung des Dekretes, ON 6 in 20 U 284/89 des Jugendgerichtshofes Wien).

Eine abermalige bloße Androhung der verhängten Strafe genügt daher nicht, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Bisher noch nicht verspürter Strafvollzug rechtfertigt allerdings - entgegen dem primären Berufungsbegehren, jedoch im Einklang mit dem Eventualantrag der Staatsanwaltschaft - von der verhängten Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten bloß vier Monate unmittelbar zu vollstrecken (§ 43 a Abs. 3 StGB).

Entgegen der Berufungsmeinung des Angeklagten ist das Maß der gefundenen Freiheitsstrafe durchaus zutreffend. Er kann selbst keine besonderen Milderungsgründe nennen, welche das Erstgericht übersehen hätte. Dieses hat auch nicht den besonderen Erschwerungsumstand einschlägiger Vorverurteilungen (§ 33 Z 2 StGB) angenommen und ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß die frühere Verurteilung nach § 198 Abs. 1 StGB, wenngleich dasselbe Tatopfer betreffend, nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhte (s. § 71 StGB). Allerdings kann angesichts von zwei Vorstrafen des Angeklagten nicht mehr von seinem ordentlichen Lebenswandel gesprochen werden, sodaß auch dieser besondere Milderungsgrund (§ 34 Z 2 StGB) zu Recht nicht angenommen wurde. Eine Berauschung des Angeklagten zur Tatzeit ist nicht deshalb mildernd, weil er - wie in seiner Berufung ausgeführt - im nüchternen Zustand "niemand etwas zu leid tue". Gibt er doch damit selbst zu, um seine Anfälligkeit für ein Fehlverhalten im berauschten Zustand zu wissen und ist ein solcher daher keineswegs vorwurfsfrei (s. § 35 StGB). Zu einer Strafherabsetzung bestand demnach kein Grund.

Im Recht ist allerdings weiters die Staatsanwaltschaft, soweit sie mit ihrer Beschwerde gemäß § 494 a Abs. 4 StPO das Unterbleiben eines Ausspruchs über das Absehen vom Widerruf der mit dem im Spruch genannten Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht rügt und die Verlängerung der dort bestimmten dreijährigen Probezeit auf fünf Jahre begehrt.

Der Angeklagte hat sich zwar diesem Begehren widersetzt (ON 31). Doch ist sein (einziger) Hinweis, daß auch im jetzt angefochtenen Urteil "eine längere Probezeit als drei Jahre gesetzt worden wäre, wäre dies erforderlich gewesen", allein schon deshalb kein Argument für seinen Standpunkt, weil eine urteilsmäßig gemäß § 43 (§ 43 a) StGB bestimmte Probezeit drei Jahre nie übersteigen darf.

Es erweist sich daher angesichts des gravierenden Rückfalls vielmehr - auch nach Einsicht in den Akt über die frühere Verurteilung - der Antrag des Anklägers als berechtigt und war damit nach Vorliegen der im § 494 a Abs. 3 StPO geforderten verfahrensmäßigen Voraussetzungen zwar von einem Widerruf der seinerzeitigen bedingten Strafnachsicht abzusehen, wohl aber diese Probezeit zu verlängern (§ 494 a Abs. 7 StPO).

Anmerkung

E26980

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0120OS00088.91.1003.000

Dokumentnummer

JJT_19911003_OGH0002_0120OS00088_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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