TE OGH 1991/10/18 8Ob620/91

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Veröffentlicht am 18.10.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes

Hon.-Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann Günther R*****, vertreten durch Dr. Werner Leimer und Dr. Manfred Leimer, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, DDr. Heinz Mück, Dr. Peter Wagner und Dr. Walter Müller, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 105.800,-- s.A., infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 18. April 1991, GZ 6 R 273/90-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 17. August 1990, GZ 3 Cg 263/87-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das in seinem klageabweisenden Teil als unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist, wird hinsichtlich des Zuspruches von S 95.800,-- samt 4 % Zinsen seit 15.11.1986 und von S 36.818,-- an Kosten aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neue Entscheidung aufgetragen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagte ist Rechtsträger des Allgemeinen Öffentlichen Krankenhauses ***** in L*****. Am 9.9.1986 unterzog sich der Kläger in diesem Spital einer Bronchoskopie. Der Eingriff wurde von Prim. Dr. Rudolf S*****, Facharzt für Lungenerkrankungen und Leiter der Lungenfachabteilung des Krankenhauses, gemeinsam mit Dr. Josef W*****, Facharzt für Lungenerkrankungen und Assistent in der Lungenfachabteilung des Krankenhauses, durchgeführt.

Der Kläger brachte vor, im Zuge der Bronchoskopie sei es zur Lockerung von zwei Schneidezähnen, zu einer Zahnschmelzabsprengung beim Zahn 6 sowie zur Verletzung der Schleimhaut im Mund- und Rachenbereich gekommen. Diese Schäden wären bei fachgerechter Durchführung des Eingriffes vermeidbar gewesen. Das Verschulden der behandelnden Ärzte liege aber auch darin, daß er über mögliche nachteilige Folgen nicht aufgeklärt worden sei. Der Kläger begehrte S 85.800 als Ersatz der Kosten der Sanierung der gelockerten Zähne sowie Schmerzengeld von S 20.000.

Die Beklagte bestritt und wendete ein, der Kläger sei über Art und Zweck der Untersuchung sowie darüber, daß es zu Komplikationen kommen könne, aufgeklärt worden. Der Kläger habe sein vorbehaltsloses Einverständnis zur Vornahme des Eingriffes erklärt und dieser sei auch fachgerecht durchgeführt worden. Beim Kläger seien gingivitische, die Festigkeit der Zähne im allgemeinen vermindernde, Veränderungen vorgelegen. Sollte es zu einer Zahnlockerung bzw. einer Verstärkung einer bestehenden Zahnlockerung gekommen sein, so sei dies eine unvermeidliche Behandlungsfolge; dies gelte auch für die vom Kläger behauptete Schleimhautverletzung. Die vom Kläger begehrten Kosten der Zahnregulierung seien überhöht und für die Höhe des begehrten Schmerzengeldes fehle eine sachliche Begründung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab. Es traf über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch folgende wesentliche Feststellungen:

Der Kläger kam aufgrund bereits länger andauernder Hustenbeschwerden in die Ordination Dris. S*****. Da der Kläger Dentist ist und somit die Gefahr der Ansteckung von Patienten bestand sowie im Hinblick darauf, daß er Raucher ist und eine Krebserkrankung nicht von der Hand zu weisen war, legte ihm Prim. Dr. S***** eine endoskopische Untersuchung nahe. Damit war der Kläger einverstanden. Zur Durchführung der Endoskopie begab sich der Kläger in das Krankenhaus der Beklagten; dort wurden die notwendigen Voruntersuchungen durchgeführt. Prim. Dr. S***** erklärte dem Kläger, daß die Bronchoskopie durch Einführung eines starren Rohres durch den Hals erfolge. Ob dabei auch über den Zustand der Zähne des Klägers gesprochen wurde, konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger wurde nicht darüber aufgeklärt, daß bei der Bronchoskopie das Rohr auf den vorderen Zähnen aufliegt.

Das größte Risiko bei Druchführung einer Bronchoskopie besteht darin, daß der Patient durch die Materialentnahme verbluten kann oder daß durch die Narkose ein Herz- und Kreislaufstillstand eintritt. Die Bronchoskopie stellt aber eine Routineuntersuchung bei allen Verdachtsfällen im Bronchialdarm und in der Lunge dar. Es ist nicht üblich, die Patienten darüber aufzuklären, daß es zu einer Verletzung der Zähne kommen kann.

Bei der Untersuchung wird ein starres Rohr mit einem Durchmesser von 8 bis 10 mm durch die Luftröhre durchgeführt. Hiezu ist es notwendig, daß der Hals des Patienten überstreckt wird, sodaß Mund mit Lufröhre und Rohr eine Gerade bilden. Da das Rohr auf den Vorderzähnen aufliegt, wirkt ein erheblicher Druck auf diese ein.

Bei Durchführung der Bronchoskopie wurde von Prim. Dr. S***** das Bronchioskopierrohr dem Assistenten Dr. W***** übergeben, der es einführte. Dadurch, daß der Daumen zwischen Rohr und Zähne gegeben wurde, wurde versucht, die Last von den Zähnen zu nehmen und den Druck abzufangen. Dr. W***** stellte eine entzündliche Veränderung des Zahnfleisches des Klägers fest. Nach den Erfahrungen Dris. W***** kommt es ab und zu, wenn auch sehr selten, vor, daß Zähne bei Bronchoskopien beschädigt werden.

Durch die Bronchoskopie wurden die beiden Vorderzähne im Oberkiefer des Klägers stark gelockert. Bei einem weiteren Zahn erfolgte eine Schmelzabsprengung im Zahnkronenbereich. An der Innenfläche des Unterkiefers erlitt der Kläger eine Rißquetschwunde.

Grundsätzlich besteht bei Durchführung einer Bronchoskopie die Möglichkeit, einen Zahnschutz zu verwenden. Durch die Verwendung dieses Behelfes wird aber die Herstellung einer Geraden zwischen Mund und Luftröhre erschwert und der Druck auf die Zähne noch größer. Die Verwendung des Daumens als Schutzinstrument ist daher besser geeignet, da dieser etwas nachgeben kann.

Die Hauptursache für die Beschädigung der Zähne des Klägers liegt darin, daß zur Herstellung der Geraden zwischen Mund und Luftröhre eine Überstreckung des Kopfes erforderlich war. Durch diese Stellung wurde der Druck auf die vorderen Zähne stärker. Zur Durchführung einer Bronchoskopie kann auch ein flexibles Rohr verwendet werden. Falls es zu Komplikationen kommt, muß aber das flexible Rohr gegen ein starres ausgetauscht werden.

Der vom Erstgericht bestellte Sachverständige

Univ.Doz. Dr. Herbert S***** hat ewta 20.000 Bronchoskopien durchgeführt, dabei kam es lediglich 5 oder 6mal zu einer Beschädigung von durchwegs vorgeschädigten Zähnen.

Selbst bei vorsichtiger Durchführung einer Bronchoskopie kann es zu einer gewissen Reizung der Schleimhaut kommen.

Zum Zeitpunkt der Durchführung der Bronchoskopie bestand beim Kläger ein paradontaler Knochenabbau der Frontzähne im Oberkiefer, der mit der Zeit noch weiter fortschritt. Dieser Knochenabbau ist mit freiem Auge nicht erkennbar, weil der Knochen durch das Zahnfleisch bedeckt ist. Zähne, deren Knochen abgebaut sind, werden dann locker, wenn die Wurzel zumindest zu 2/3 vom Knochen nicht mehr erfaßt wird. Eine Paradontitis, die einen entzündlichen Prozeß darstellt und auch eine Entzündung des Zahnfleisches beinhaltet, kann durch Blickdiagnose erkannt werden. Ob beim Kläger zum Zeitpunkt der Bronchoskopie eine Paradontitis vorlag, konnte nicht festgestellt werden. Nach Durchführung der Bronchoskopie verspürte der Kläger etwa eine Woche hindurch wechselnd stärkere oder leichtere Schmerzen im Bereich des vorderen Zahnes. Da sich das Kiefer immer mehr zurückbildete, mußte der Kläger einen Zahnersatz anbringen lassen. Zur Sanierung der gelockerten Zähne ist ein Betrag von 78.000 S (ohne USt) erforderlich.

Das Erstgericht kam zu dem Schluß, daß die Bronchoskopie sachgemäß durchgeführt worden sei. Der Beklagten sei durch Nachweis der Vorschädigung der beeinträchtigten Zähne der Beweis gelungen, daß nicht unsachgemäßes Verhalten der Ärzte zur Beschädigung geführt habe. Aber auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht liege nicht vor. Da der Kläger Dentist sei, habe angenommen werden können, daß ihm nach einer generellen Schilderung, wie die Bronchoskopie durchgeführt werde, klar geworden sei, daß es zu Beeinträchtigungen im Mund- und Halsbereich kommen könne. Das eigentliche Risiko bei Durchführung der Bronchoskopie sei nicht eine Zahnverletzung, sondern eine Blutung durch Gewebsentnahmen und eine Narkosefolge. Im Hinblick auf die vor Durchführung der Bronchoskopie befürchtete Erkrankung des Klägers sowie unter Berücksichtigung der gravierenden anderen möglichen Folgen sei eine Lockerung eines bereits vorgeschädigten Zahnes eine eher unwesentliche Folge für den Kläger.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und sprach ihm einen Betrag von S 95.800 samt Zinsen zu. Das Mehrbegehren auf Zahlung von S 10.000 samt Anhang wurde abgewiesen. Die ordentliche Revision wurde im Hinblick auf die gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für nicht zulässig erklärt.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Meinung, der mit dem Arzt bzw. mit dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag umfasse auch die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen der Behandlung zu unterrichten. Unterlasse der Arzt die gebotene Aufklärung, dann sei die Heilbehandlung fehlerhaft vorgenommen. Die Zustimmung zur Heilbehandlung sei also nur dann wirksam, wenn ihr eine ausreichende Aufklärung vorangegangen sei. In welchem Umfang eine Aufklärungspflicht bestehe, sei eine Rechtsfrage.

Eine Aufklärung sei nur dann nicht erforderlich, wenn Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen sei, daß sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluß, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen. Auf die typischen Risken einer Operation sei aber unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit hinzuweisen. Bei Vorliegen einer typischen Gefahr sei die Aufklärungspflicht verschärft. Die Typizität ergebe sich daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhafte und auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht sicher zu vermeiden sei und den nicht informierten Patienten überrasche. Aber auch das typische Risiko müsse stets von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Besonders strenge Anforderungen an das Ausmaß der Aufklärungspflicht seien dann zu stellen, wenn der Eingriff nicht unmittelbar der Heilung oder Rettung des Patienten, sondern der Diagnose diene. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht habe der Arzt bzw. der Krankenhausträger zu beweisen, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte. Den Arzt bzw. Krankenhausträger treffe auch die Beweislast dafür, daß die Aufklärung mit Rücksicht auf das Wohl des Patienten unterblieben sei.

Da es sich bei einer Bronchoskopie um eine Diagnosemaßnahme handle, seien besonders strenge Anforderungen an das Ausmaß der Aufklärung zu stellen. Der Sachverständige Univ. Doz. Dr. S***** habe in seinem Gutachten dargelegt, daß bei Patienten im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, die zudem auch starke Raucher seien, Vorschädigungen der Zähne nicht selten vorkämen und daß es bei vorgeschädigten Zähnen durch die Bronchoskopie zu weiteren Schädigungen kommen könne. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Durchführung der Bronchoskopie 53 Jahre alt gewesen, der Eingriff sei im besonderen auch unter Bedachtnahme darauf durchgeführt worden, daß der Kläger Raucher sei. Der Kläger gehöre daher genau in jene Risikogruppe, für die die Beschädigung von Zähnen bei Durchführung einer Bronchoskopie typisch sei. Die einzige Aufklärung, die der Kläger erhalten habe, habe in dem Hinweis bestanden, daß die Einführung eines starren Rohres durch den Hals notwendig sei. Da eine Aufklärung über die mögliche, typische und nicht ganz unerhebliche Schädigung der Zähne nicht erfolgte, sei die Zustimmung des Klägers zur Durchführung der Bronchoskopie wirkungslos gewesen. Den Nachweis, daß der Kläger im Falle einer ausreichenden Aufklärung seine Einwilligung gegeben hätte, habe die Beklagte nicht angetreten. Der Eingriff durch die Ärzte der Beklagten sei daher rechtswidrig gewesen, die Beklagte hafte für die aus dem Eingriff hervorgegangene Schädigung.

Dem Kläger stünden die Kosten der Sanierung der Zähne in der Höhe von S 85.800 sowie ein Schmerzengeld in der Höhe von 10.000 S zu. Das vom Erstgericht mit 20.000 S ausgemittelte Schmerzengeld entspreche nicht den festgestellten Schmerzperioden und Intensitäten.

Gegen den klagestattgebenden Teil dieses Urteils richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten Partei mit dem Antrag, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Klagebegehren vollinhaltlich abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger begehrte in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes ohne Beweiswiederholung bzw. ohne Verlesung der Protokolle (§ 281 a ZPO) ergänzt hat. Darin liegt eine erhebliche Verletzung einer Verfahrensvorschrift, die der Wahrung der Rechtssicherheit dient (SZ 57/142; 2 Ob 39/91).

Die Beklagte macht in ihrem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht gehe einerseits entgegen den Feststellungen des Erstgerichtes davon aus, daß es sich bei der Schädigung der Zähne des Klägers um eine typische Gefahr einer Bronchoskopie handle; anderseits bejahe es die Aufklärungspflicht auch bei vorgeschädigten Zähnen, obwohl dieses Risiko keinesfalls als "von einiger Erheblichkeit" eingestuft werden könne. Überdies sei der Kläger selbst immer davon ausgegangen, gesunde Zähne zu haben; bei nicht vorgeschädigten Zähnen komme es aber niemals zu einer Beschädigung. Weiters betrage der Häufigkeitsgrad der gegenständlichen Verletzung 0,025 bis 0,03 % und sei daher zu vernachlässigen. Das Berufungsgericht habe auch nicht beachtet, daß der Geschädigte die Unterlassung der Aufklärung zu beweisen habe. Es habe im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden können, ob über den Zustand der Zähne des Klägers im Hinblick auf die Bronchoskopie gesprochen wurde.

Dazu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung umfaßt der mit dem Arzt oder dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten. In welchem Umfang der Arzt im jeweils gegebenen Einzelfall den Patienten aufzuklären hat, stellt eine Rechtsfrage dar. Fehlt es an der erforderlichen Aufklärung, so liegt keine wirksame Einwilligung zur Vornahme der Heilbehandlung vor und es ist der mit nachteiligen Folgen verbundene Eingriff als eigenmächtige Heilbehandlung im Sinne des § 110 Abs. 1 StGB rechtswidrig, sodaß der Träger des Krankenhauses wegen Verletzung dieser Schutznorm für die aus dem Eingriff hervorgegangene Schädigung haftet (JBl. 1990, 459; JBl. 1991, 455). Eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen ist dann nicht erforderlich, wenn Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, daß sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluß, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen. Auf die typischen Risken einer Operation ist aber unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes, hinzuweisen. Bei Vorliegen einer typischen Gefahr ist die Aufklärungspflicht verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet, auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechnet (JBl. 1990, 451). Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung ist umso umfassender, je weniger der Eingriff dringlich erscheint. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig (JBl. 1990, 459; JBl. 1991, 455). Strengste Aufklärungsanforderungen sind bei Eingriffen zu fordern, die ohne therapeutischen Wert für den Patienten nur zu diagnostischen Zwecken bestimmt sind (Giesen, Arzthaftungsrecht, 150 f). Allerdings muß auch dann, wenn der Eingriff - wie im vorliegenden Fall - nur diagnostischen Zwecken dient, auch das typische Risiko von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (JBl. 1991, 459). Die Aufklärungsanforderungen dürfen aber auch nicht überspannt werden; im allgemeinen ist der Arzt nicht verpflichtet, den Kranken auf alle nur erdenklichen nachteiligen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung hinzuweisen, sofern mit solchen Folgen bei Würdigung des Anlaßfalles nach dem Stand der ärztlichen Erfahrungen gerechnet werden muß (JBl. 1991, 316). Die Seltenheit des Risikos bleibt ein mitbestimmendes Kriterium im Hinblick auf das, was ein vernünftiger Patient noch akzeptieren wird (Ehlers, Die ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen 84).

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht eine Typizität des Risikos der Zahnbeschädigung, im besonderen bei vorgeschädigten Zähnen, angenommen und ausgeführt, der Sachverständige Univ.Doz. Dr. S***** habe in seinem Gutachten dargelegt, daß bei Patienten im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, die zudem auch starke Raucher sind, Vorschädigungen der Zähne nicht selten vorkämen und daß es bei vorgeschädigten Zähnen bei Durchführung einer Bronchoskopie zu weiteren Beschädigungen kommen könne. Das Berufungsgericht hat sohin aus dem Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz. Dr. S***** Feststellungen getroffen, die über jene des Erstgerichtes hinausgehen. Will das Rechtsmittelgericht aber von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes abgehen, muß es alle zur Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen erforderlichen Beweise, die das Erstgericht unmittelbar aufgenommen hat, selbst wiederholen (SZ 53/117; EvBl. 1978/194; EvBl. 1975/72 uva) oder das Protokoll über die Beweisaufnahme in erster Instanz unter den Voraussetzungen des § 281 a ZPO verlesen (2 Ob 134/88). Auch ergänzende Feststellungen sind nur nach Beweiswiederholung zulässig (SZ 25/46; EvBl. 1952/444; JBl. 1968, 368; 2 Ob 39/91).

Die vom Berufungsgericht ergänzend getroffenen Feststellungen sind auch für die Entscheidung relevant, da, wie schon oben ausgeführt, die Typizität und die Häufigkeit (bzw. Seltenheit) eines Risikos wesentliche Kriterien für die Beurteilung des Umfanges der Aufklärungspflicht sind. Die Feststellungen des Erstgerichtes lassen auch eine verläßliche Beurteilung der Seltenheit des Risikos nicht zu. Aus dem Umstand, daß der Sachverständige Univ.Doz. Dr. S***** bisher etwa 20.000 Bronchoskopien durchführte und es lediglich 5 bis 6mal zu einer Beschädigung von Zähnen kam, kann nicht zwingend geschlossen werden, daß das Risiko tatsächlich ganz allgemein so gering wäre. Die Seltenheit der Schädigungen bei Eingriffen durch den Sachverständigen kann auch darin begründet sein, daß er sie mit besonderer Geschicklichkeit durchzuführen vermag oder daß ihm ausgewählte Patienten (sog. "Patientengut") zur Verfügung standen.

Läßt man sohin die vom Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung getroffenen Feststellungen außer Betracht, so liegt ein Feststellungsmangel vor, den das Berufungsgericht zu beheben haben wird (§ 496 Abs. 3 ZPO).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs. 1 ZPO.

Anmerkung

E27569

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00620.91.1018.000

Dokumentnummer

JJT_19911018_OGH0002_0080OB00620_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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