TE Vfgh Erkenntnis 2001/11/27 B1564/00

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Veröffentlicht am 27.11.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG §116 Abs3

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch das Bundesvergabeamt in einem Verfahren zur Nachprüfung der Auftragsvergabe hinsichtlich des Aufbaus und Betriebs eines Hubschrauberrettungsdienstes durch den Bund; rechtsschutzfreundliche Gesetzesauslegung bei Annahme der Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes; keine verfassungswidrige Interessenabwägung

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In Vereinbarungen mit den Bundesländern Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol (für Osttirol), Vorarlberg und Wien gemäß Art15a B-VG hat sich der Bund zum Aufbau und Betrieb eines Rettungshubschrauberdienstes verpflichtet. Diese Verpflichtung beabsichtigt er durch eine unentgeltliche Übertragung an einen Flugrettungsverein wahrzunehmen.

Nach dem Vertragsentwurf sollen die Erlöse aus der Durchführung von Flügen im Zusammenhang mit dem Rettungshubschrauberdienst dem durchführenden Verein zustehen. Weiters finden sich darin nähere Bestimmungen hinsichtlich der Vertragsdauer.

2. Mit Schreiben vom 12. Juli 2000 richtete die beschwerdeführende Gesellschaft, die von der beabsichtigten Vorgangsweise aus den Medien erfahren hatte, ein Schlichtungsersuchen an die Bundes-Vergabekontrollkommission. Diese stellte jedoch ihre Unzuständigkeit mangels Vorliegens eines entgeltlichen Vertrages fest.

Am 3. August 2000 (verbessert mit Schreiben vom 11. August 2000) beantragte die antragstellende Gesellschaft beim Bundesvergabeamt (in der Folge: BVA) die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens mit dem Begehren, die Entscheidung, Rettungshubschrauber-Flugleistungen ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens zu vergeben, für nichtig zu erklären, und stellte einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, durch die dem Auftraggeber "bis zur Beendigung des Nachprüfungsverfahrens vor dem Bundesvergabeamt auf Grundlage des Bundesvergabegesetzes zumindest für die Dauer von 2 Monaten, auf Grundlage der EU-Vergabegesetze für die Dauer des gesamten Verfahrens" untersagt werde, einen Vertrag abzuschließen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. August 2000, Z N-45/00-12, wies das BVA den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wegen des Überwiegens nachteiliger Folgen ab: Es scheine zwar für den Fall, daß im Zuge des Nachprüfungsverfahrens eine Anwendbarkeit des Bundesvergabegesetzes (BVergG) auf den beabsichtigten Vertragsabschluß zutage trete, nicht denkunmöglich, daß die Entscheidung des Auftraggebers, von der Durchführung eines Vergabeverfahrens gänzlich abzusehen, rechtswidrig sei (worüber im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht abschließend abgesprochen werden könne), doch sei im konkreten Fall "aufgrund der gegenwärtigen Budgetkonstellation vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Fortführung des 'Vergabeverfahrens' auszugehen". Für ein Absehen von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung spräche zudem die in Anbetracht der (- den im Zuge des Schlichtungsverfahrens vorgelegten Unterlagen zu entnehmenden -) Veralterung der Gerätschaft bestehende Gefahr allfälliger weiterer Budgetbelastungen. Der seitens der Antragstellerin geltend gemachte jährliche Umsatzverlust von 92 Mio S sei hingegen weitestgehend außer Acht zu lassen, zumal sich angesichts des vorliegenden Vertragsentwurfes sowie der sonstigen Unterlagen feststellen lasse, daß die von Dritten für tatsächlich erbrachte Flugleistungen zu erzielenden Erlöse nur schwerlich das Ausmaß einer Kostendeckung erreichen dürften. Der der Antragstellerin tatsächlich drohende Schaden sei somit vor allem in den angeführten bereits getätigten, frustrierten Aufwendungen zu erblicken. Die beantragte Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei daher wegen Überwiegens der nachteiligen Folgen abzuweisen gewesen.

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Behebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

Die mitbeteiligte Partei Bund hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zuständigkeit des BVA zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht bestritten hat, diese allerdings als inhaltlich rechtmäßig verteidigt hat. Sie begehrt die Zurück- bzw. Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. In ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachtet sich die beschwerdeführende Gesellschaft dadurch verletzt, daß das BVA eine "ihr kompetenzrechtlich nicht zustehende sachliche Zuständigkeit in Anspruch genommen" habe, da das Vergaberecht dem verfassungsrechtlichen Kompetenztatbestand Zivilrechtswesen (Art10 Abs1 Z6 B-VG) zuzuordnen sei.

Als Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, rügt die beschwerdeführende Gesellschaft ein von ihr vermeintlich konstatiertes "willkürliches Verhalten der Behörde":

"Die bescheiderlassende Behörde hat einerseits ausgesprochen, 'über das vom Auftraggeber geltend gemachte Vorliegen eines unentgeltlichen Vertrages kann auf Grund der vorliegenden Unterlagen im Verfahren betreffend die Erlassung einer einstweiligen Verfügung noch nicht abgesprochen werden'. Andererseits hat sie jedoch ohne Prüfung der Sachlage ausgesprochen, daß der jährliche Umsatzverlust der Beschwerdeführerin zu vernachlässigen sei und es bei der 'gegenwärtigen Budgetkonstellation' vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Fortführung des - selbst von der erkennenden Behörde - 'gesetzten' Vergabeverfahrens auszugehen ist. Aus den bewußten Sätzen der 'bei Vergabeverfahren' ist klar erkennbar, daß auch die bescheiderlassende Behörde davon ausgeht, daß die vom Auftraggeber gewählte Vorgangsweise rechtlich bedenklich ist.

Die vom Auftraggeber behaupteten Budgetbelastungen wurden weder bescheinigt noch liegen sie tatsächlich vor. Der bescheiderlassenden Behörde liegen sämtliche Artikel 15 a B-VG Gliedstaatenverträge zwischen den oben angeführten Bundesländern und dem Bund, vertreten durch den Bundesminister für Inneres, vor. Die einzelnen Gliedstaatenverträge weisen einen nahezu identen Inhalt auf. In diesen Artikel 15 a B-VG-Verträgen verpflichtet sich der Bund, eine Flugeinsatzstelle des Bundesministeriums für Inneres bereitzustellen und zu betreiben, einen für Rettungsflüge geeigneten Hubschrauber bereitzustellen und den Flugbetrieb durchzuführen und hiezu Beamte des Bundesministeriums für Inneres bzw. der Bundesgendarmerie beizustellen.

Eine Kündigung der Artikel 15 a B-VG-Vereinbarung ist nur unter Einhaltung einer 6-monatigen Kündigungsfrist möglich. Da eine Weitergabe der Verpflichtungen des Bundes an einen Privaten ohne Aufkündigung der Artikel 15 a B-VG-Verträge einen groben Verstoß gegen die Vereinbarungen darstellen würde, kann ein Vertragsabschluß erst nach einvernehmlicher Abänderung der Artikel 15 a B-VG-Verträge erfolgen. Dies bedeutet, daß laut eigenem Vorbringen der Auftraggeberseite eine Übernahme der Verpflichtungen des Bundes durch die (namentlich genannte) Flugrettung im Jahre 2001 ohnehin nicht möglich ist.

Die Behauptung der bescheiderlassenden Behörde 'der seitens der Antragstellerin geltend gemachte jährliche Umsatzverlust von 92 Mio. war hingegen weitgehend außer Acht zu lassen, zumal sich angesichts des vorliegenden Vertragsentwurfes sowie der sonstigen Unterlagen festhalten läßt, daß die von Dritten für tatsächlich erbrachte Flugleistungen zu erzielenden Erlöse nur schwerlich selbst das Ausmaß einer Kostendeckung erzielen dürfte', stellt eine willkürliche Mutmaßung, die durch keine Fakten gedeckt ist, dar.

Das Bundesvergabeamt hat wiederholt in vergleichbaren Vergabeverfahren zu Gunsten der Antragsteller einstweilige Verfügungen erlassen (vgl. N-8/95, HDM Flugservice/Ökopunkte u.a.). Auch bei den angeführten Verfahren bestand ein Interesse der Allgemeinheit am Abschluß der Verträge. Seit der einstweiligen Verfügung in der Rechtssache HDM besteht im Bereich der Flugrettung mit Hubschraubern ein vertragsfreier Zustand in Österreich. Dies bedeutet, daß vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger mit keinem Anbieter ein Vertrag abgeschlossen wurde. Zur Zeit kann in Österreich jedes für Rettungsflüge zugelassene Unternehmen, so es die behördlichen Auflagen erfüllt, Rettungsflüge durchführen und diese sodann abrechnen. Die Vorgangsweise der belangten Behörde, den Antrag auf einstweilige Verfügung abzuweisen, kann daher nur als willkürlich betrachtet werden.

Vollkommen außer Acht gelassen wurde von der bescheiderlassenden Behörde der Umstand, daß für den Fall, daß nunmehr doch widerrechtlich der Auftraggeber mit der (namentlich genannten) Flugrettung einen Vertrag abschließen sollte, auf Jahre hin ein rechtswidriger Zustand geschaffen würde und die Republik Österreich schadenersatzpflichtig würde (vgl. EuGH, Dillenkoffer u. a., Slg. 1996, I-4845; Brasserie du Pecheur; EuGH, Slg. 1996/I-1029; British Telecommunication, EuGH, Slg. I-1631).

Hätte die bescheiderlassende Behörde sich mit den Gründen und Gegengründen tatsächlich auseinandergesetzt und nicht willkürlich entschieden, wäre sie jedenfalls zum Ergebnis gelangt, daß eine einstweilige Verfügung zu erlassen ist, da ansonsten für den Fall eines Vertragsabschlusses ein weiteres Verfahren nur 'von akademischem Interesse' ist und eine gesetzeskonforme Auftragsvergabe durch die Schaffung einer faktischen Situation nicht mehr erfolgen kann."

2. Die mitbeteiligte Partei Bund ist diesem Beschwerdevorbringen entgegengetreten und behauptet im Ergebnis, daß das BVergG auf den in Frage stehenden Vorgang überhaupt nicht anwendbar sei.

3. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

4. Was auch immer die beschwerdeführende Gesellschaft für die Zuständigkeit des BVA daraus ableiten will: der Verfassungsgerichtshof kann sich zum Vorwurf, das BVA habe eine ihm nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen, da - wie die beschwerdeführende Gesellschaft offenbar meint - Vergaberecht eine im Rahmen des Kompetenztatbestandes Zivilrechtswesen (Art10 Abs1 Z6 B-VG) zu regelnde Materie sei, mit einem Verweis auf seine Ausführungen im Erkenntnis VfSlg. 15.286/1998 begnügen.

Im übrigen ist im Hinblick auf den Vorwurf der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter der Annahme des BVA, zur Entscheidung über den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zuständig zu sein, nicht entgegenzutreten:

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist nicht nur selbst in ihrem gleichzeitig mit dem Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gestellten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung von einer entsprechenden Sachzuständigkeit des BVA ausgegangen, sondern das BVA hat in Anbetracht des Erfordernisses der vorläufigen Sicherstellung eines effektiven Vergaberechtsschutzes mittels rechtsschutzfreundlicher Interpretation seiner Zuständigkeitsbestimmungen zurecht angenommen, daß das gegenständliche Vorhaben des Bundes vergaberechtlich relevant sein kann. Die Zuständigkeitsfrage sollte eben erst im Nachprüfungsverfahren endgültig geklärt werden.

Auch der vom BVA vorgenommenen Interessenabwägung gemäß §116 Abs3 BVergG und dem daraus geschlossenen Ergebnis kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden: Mit den diesbezüglich in der Beschwerde - zur Begründung der behaupteten Verletzung des Gleichheitsrechtes - erhobenen Vorwürfen, die bloß Fragen der Richtigkeit der vom BVA vorgenommenen Abwägung involvierter Interessen betreffen, werden keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler geltend gemacht. Mag auch der Hinweis auf - stets behauptbare - budgetäre Notwendigkeiten des Bundes im Regelfall keine Interessenabwägung zulasten eines Bewerbers gestatten, der große finanzielle Nachteile bei Nichtberücksichtigung seines Anbotes zu gewärtigen hat, so kann gleichwohl dem BVA keinesfalls eine verfassungswidrige Gesetzesanwendung vorgeworfen werden. Jedenfalls hat das BVA seine Entscheidung nachvollziehbar begründet und diese weder leichtfertig getroffen noch sonst Willkür geübt. Ob das Verfahren und sein Ergebnis in jeder Hinsicht rechtmäßig sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen; und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen einen Bescheid des BVA - einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG - richtet, der beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.565/1985, 10.659/1985, 12.697/1991).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Der mitbeteiligten Partei Bund war ein Kostenersatz nicht zuzusprechen, da zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich war (vgl. VfSlg. 11.298/1987).

6. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B1564.2000

Dokumentnummer

JFT_09988873_00B01564_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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