TE OGH 1991/10/29 11Os122/91

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Veröffentlicht am 29.10.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Oktober 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl W***** wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.März 1990, GZ 1 d E Vr 2279/90-20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Hauptmann, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 1 d E Vr 2279/90 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 5 Z 4, 23 Z 2 lit b, 33 Abs. 1, 38 Abs. 2 und Abs. 3, 39 Abs. 1 Z 1 JGG 1988 verletzt.

Gemäß den §§ 292, letzter Satz, 288 Abs. 2 StPO wird das in diesem Verfahren ergangene Urteil GZ 1 d E Vr 2279/90-20 aufgehoben und die Strafsache an den Jugendgerichtshof Wien zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Strafantrag vom 3.November 1989 (bei Gericht eingelangt am 13. November 1989), 39 St 81642/89, legte die Staatsanwaltschaft Wien dem am 31.Juli 1971 geborenen Karl W***** das am 8.Juli 1989 begangene Verbrechen des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB zur Last.

Der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ordnete mit Verfügung vom 16.November 1989 (ON 4) die Hauptverhandlung für den 6.Dezember 1989 an und verfügte die Vorladung des Beschuldigten (unter Zustellung des Strafantrages) sowie die Verständigung seines Bewährungshelfers. Nach Vertagung der Hauptverhandlung, zu welcher der Beschuldigte nicht erschienen war, Abbrechung des Verfahrens und Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung wurde am 26. Februar 1990 - nunmehr unter AZ 1 d E Vr 2279/90 - die Hauptverhandlung auf den 30.März 1990 anberaumt (ON 16). Dazu wurden der Beschuldigte (neuerlich unter Anschluß des Strafantrages), sein Bewährungshelfer und eine Tatzeugin, nicht aber die gesetzliche Vertreterin des Jugendlichen geladen. Der Einzelrichter erkannte den Beschuldigten, dem auch kein Verteidiger beigegeben worden war, des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB schuldig und verurteilte ihn nach § 129 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Unter einem ergingen Beschlüsse auf Absehen von dem (vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragten) Widerruf der bedingten Entlassung, die Karl W***** mit Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 21.Februar 1989, GZ 23 b E Vr 2155/88-9, in Ansehung eines Strafrestes von fünf Monaten und zehn Tagen gewährt worden war, sowie auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre und auf Bestellung eines Bewährungshelfers (ON 20).

Der Beschuldigte verzichtete auf Rechtsmittel gegen das Urteil und den Beschluß auf Verlängerung der Probezeit (sowie auf Bestellung eines Bewährungshelfers). Der öffentliche Ankläger verzichtete in der Hauptverhandlung nur auf Beschwerde gegen die erwähnten Beschlüsse, ließ aber in der Folge auch das Urteil vom 30. März 1990 unbekämpft. Dementsprechend ging der Einzelrichter in der am 3.April 1990 erlassenen Endverfügung davon aus, daß das Urteil am 2.April 1990 in Rechtskraft erwachsen sei (ON 22).

Rechtliche Beurteilung

Im gesamten Strafverfahren trug der Einzelrichter - von einer Erwähnung in den Strafzumessungsgründen abgesehen (AS 73) - dem Umstand nicht Rechnung, daß Karl W***** das 19.Lebensjahr selbst zum Zeitpunkt seiner Verurteilung am 30.März 1990 noch nicht vollendet hatte, damit Jugendlicher iS des § 1 Z 2 des am 1. Jänner 1989 in Kraft getretenen Jugendgerichtsgesetzes 1988 war und seine strafbare Handlung demnach eine Jugendstraftat (§ 1 Z 3 JGG 1988) und das ihretwegen geführte Strafverfahren eine Jugendstrafsache (§ 1 Z 4 JGG 1988) darstellen. Infolge dieses Versehens verletzte er nicht nur die Vorschrift des § 23 Z 2 lit b JGG 1988, wonach der Jugendgerichtshof Wien für den Sprengel des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien zur Ausübung der den Gerichtshöfen erster Instanz zustehenden Gerichtsbarkeit in Jugendstrafsachen berufen ist, er unterließ auch die in § 33 Abs. 1 JGG zwingend vorgesehene Verständigung des Jugendwohlfahrtsträgers von der Einleitung des Verfahrens und verstieß in formeller Hinsicht weiters gegen die (auf das jugendliche Alter des Beschuldigten zum Zeitpunkt der jeweiligen Prozeßhandlung abstellenden) Bestimmungen des § 38 JGG 1988 über die Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters und des § 39 JGG 1988 über die (gemäß Abs. 1 Z 1 leg.cit. für das gesamte Verfahren vor den Gerichtshöfen vorgesehene) notwendige Verteidigung.

Da überdies die gesetzliche Vertreterin Helga K***** - nach der Aktenlage mangels Benachrichtigung von der Anordnung der Hauptverhandlung - dem Angeklagten im Verfahren vor dem Einzelrichter nicht beistehen konnte und ihr bisher auch keine Urteilsausfertigung zugestellt wurde (§ 38 Abs. 2 JGG 1988), hat für sie der Lauf der Rechtsmittelfrist (§ 38 Abs. 3 JGG 1988) gegen das - mangels Anwesenheit eines Verteidigers des Jugendlichen während der Hauptverhandlung nichtige (§ 39 Abs. 3 JGG 1988) - Urteil noch nicht begonnen.

Da schon durch die Nichtanwendung der Bestimmungen des § 5 Z 4 JGG 1988 unabhängig davon, ob die verhängte Strafe die Grenzen der gesetzlichen Strafbefugnis tangiert, der Strafausspruch mit Nichtigkeit nach den §§ 489 Abs. 1, 468 Abs. 1 Z 4, 281 Abs. 1 Z 11 StPO behaftet ist (ua EvBl 1976/189, 1977/63, zuletzt 13 Os 35/89 nv), war in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gemäß dem § 292 letzter Satz StPO das - wie dargelegt - prozeßordnungswidrig zustandegekommene und auch materiellrechtlich fehlerhafte Urteil aufzuheben (wodurch auch die darauf beruhenden Beschlüsse obsolet werden) und die Verfahrenserneuerung in erster Instanz (vor dem hier zuständigen Gerichtshof Wien) anzuordnen.

Anmerkung

E26956

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0110OS00122.91.1029.000

Dokumentnummer

JJT_19911029_OGH0002_0110OS00122_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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