TE OGH 1991/11/6 9ObS19/91

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Veröffentlicht am 06.11.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Wolfgang Neumeier in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S***** A*****, Barmaid, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei ARBEITSAMT VERSICHERUNGSDIENSTE, Wien 4., Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1.,

Singerstraße 17-19, wegen 198,-- S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. April 1991, GZ 34 Rs 228/90-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. März 1990, GZ 13 Cgs 1002/89-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 727,68 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 121,28 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 15. Mai 1987 bis zum 31. Oktober 1987 bei der G***** Betriebsgesellschaft mbH als Barmaid mit einem (originären) Nettomonatsgehalt von 12.000 S beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung am 31. Oktober 1987. Über die genannte Gesellschaft wurde im Lauf des Jahres 1988 der Konkurs eröffnet. Am 12. November 1988 meldete die Klägerin beim Handelsgericht Wien eine Forderung von 15.975 S netto an. In diesem Betrag waren 5.450 S Urlaubszuschuß und Weihnachtsremuneration, 10.207 S Urlaubsabfindung, 120 S für die Vergebührung des Arbeitszeugnisses und 198 S an Kosten für die Lohnabrechnung enthalten. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 17. Februar 1989, Zl. 920/674/3/88, wurde der Klägerin Insolvenzausfallgeld von 16.239 S rechtskräftig zuerkannt, hingegen mit Bescheid vom 11. Juli 1989 der Antrag auf Ersatz der anteiligen Kosten für die Lohnabrechnung von 198 S abgewiesen. Die Gemeinschuldnerin hatte keine Lohnabrechnung für die Klägerin ausgestellt. Ein Steuerberater ermittelte im Auftrag der Dienstnehmer der Gemeinschuldnerin die Bruttobezüge aus dem jeweiligen Nettobetrag und rechnete sie wieder auf netto um. Hiefür hatte die Klägerin 198 S zu zahlen.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 198 S sA. Gemäß § 6 des Kollektivvertrages für Arbeiter im österreichischen Hotel- und Gastgewerbe sei der Arbeitgeber verpflichtet, jedem Arbeitnehmer eine Lohnabrechnung auszuhändigen. Der Masseverwalter habe ihr trotz mehrmaliger Aufforderung eine solche Abrechnung nicht ausgefolgt. Wegen diesen pflichtwidrigen Verhaltens sei sie gezwungen gewesen, zur Geltendmachung ihrer Ansprüche die Höhe der offenen Lohnforderungen durch einen Steuerberater berechnen zu lassen. Diese Kosten seien entweder aus dem Titel des Schadenersatzes gerechtfertigt oder es handle sich um sonstige Kosten gemäß § 1 Abs. 2 Z 2 und 3 IESG.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die Bruttobeträge seien der Klägerin bekannt gewesen. Dem Dienstnehmer werde nämlich aus Anlaß der Anmeldung bei der zuständigen Krankenkasse eine Kopie der Anmeldung ausgehändigt. Die Erstattung von Steuerberatungskosten aus dem Titel des Schadenersatzes komme deshalb nicht in Betracht. Auch bedeute eine kollektivvertragliche Arbeitgeberpflicht noch nicht zwangsläufig das Bestehen eines Ersatzanspruches nach dem IESG. Die geltend gemachten Kosten hätten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sein müssen; dies sei von der Klägerin nicht behauptet worden. Es handle sich vielmehr um Kosten zur Vorbereitung des Verfahrens nach dem IESG, die nicht ersatzfähig seien.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren der Klägerin statt und wies das Zinsenbegehren ab. Die Kosten für die Beiziehung des Steuerberaters seien als Schaden im Sinn des § 1 Abs. 2 Z 2 IESG ersatzfähig. Die Klägerin habe nämlich mangels einer Lohnabrechnung und trotz ihrer Anmeldung bei der Gebietskrankenkasse den ihr zustehenden Bruttolohn nicht ermitteln können. Zur Geltendmachung der richtigen Höhe ihrer im Verfahren nach dem IESG anzumeldenden Ansprüche sei diese Berechnung aber erforderlich gewesen. Da die Gemeinschuldnerin bzw. der Masseverwalter der Klägerin keine Lohnabrechnung ausgehändigt habe, seien die ihr daraus erwachsenen Kosten für die Berechnung ihrer gesicherten Ansprüche als Schadenersatzansprüche zu beurteilen. Im übrigen sei der Betrag auch unter dem Titel der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten gesichert.

Das Berufungsgericht wies über Berufung der beklagten Partei das Begehren der Klägerin ab und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Nach den Feststellungen habe die Klägerin eine originäre Nettolohnvereinbarung getroffen. Eine solche Vereinbarung sei zulässig und habe zur Folge, daß Lohnzuschläge, Urlaubsabgeltungen, Lohnerhöhungen usw. vom Nettolohn zu berechnen seien. Es sei daher nicht erforderlich gewesen, den Bruttomonatslohn zu ermitteln. Die dafür aufgewendeten Kosten seien weder durch ein rechtswidriges Verhalten des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin verursacht worden noch könnten sie als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewendet angesehen werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil die Frage der Ersatzfähigkeit von Schäden, die ein Arbeitnehmer durch die Verletzung einer ihm obliegenden Lohnabrechnungsverpflichtung erlitt, in der Judikatur des Obersten Gerichtshofes bisher nicht behandelt wurde.

Die Revision ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß Punkt 6 lit. b des maßgeblichen Kollektivvertrages für die in Gast- und Schankbetrieben und Beherbergungsbetrieben beschäftigten Arbeiter ist jedem Arbeitnehmer bei der Lohnauszahlung eine Lohnabrechnung auszuhändigen, aus der der Bruttolohn, die Lohnsteuer, die Sozialversicherungsbeträge und alle sonstigen Abzüge ersichtlich sind. Bei zuschlagspflichtiger Arbeit sind die Zuschläge gesondert ersichtlich zu machen. Es handelt sich dabei um eine Verpflichtung des Arbeitgebers aus dem Kollektivvertrag. Der daraus resultierende Anspruch der Klägerin wurde unbestrittenermaßen nicht erfüllt. Den Entlastungsbeweis gemäß § 1298 ABGB hat die beklagte Partei nicht angetreten. Die Klägerin mußte, um zu der ihr zustehenden Abrechnung zu gelangen, die ihr vom Arbeitgeber rechtswidrig vorenthalten wurde, einen Aufwand in der Höhe des strittigen Betrages vornehmen und hat damit einen positiven Schaden erlitten (Koziol-Welser8, I, 409). Für den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens ist es unerheblich, ob die Klägerin die vom Steuerberater erstellte Abrechnung zur Feststellung ihrer Ansprüche auf Insolvenzausfallgeld benötigte, da der Schade aus der Verletzung eines dem Arbeitgeber der Klägerin kollektivvertraglich obliegenden Verpflichtung erwachsen ist. Allein das Schikaneverbot des § 1295 Abs. 2 ABGB könnte dem Anspruch der Klägerin entgegenstehen. Voraussetzung für die Annahme von Schikane ist jedoch, daß die Ausübung eines Rechtes ohne eigenes Interesse des Berechtigten mit dem ausschließlichen Zweck verfolgt wird, einen anderen zu schädigen (Koziol-Welser8, I, 437 mwN).

Ein Interesse der Klägerin an der Prüfung, ob die mit ihr getroffene Nettolohnvereinbarung dem Kollektivvertrag entsprach, ist zu bejahen. Nur aufgrund einer diesem Kollektivvertrag entsprechenden Abrechnung bestand für die Klägerin die Möglichkeit zu überprüfen, ob die Mindestsätze des Kollektivvertrages eingehalten wurden. Der Umstand, daß sie allenfalls zur Anmeldung ihrer Ansprüche auf Insolvenzausfallgeld die Abrechnung nicht benötigte, macht ihr Begehren nicht schikanös. Bei dem begehrten Betrag handelt es sich nicht um Verfahrenskosten, sondern um den Ersatz eines Schadens, der durch Verletzung einer Vertragsverpflichtung des Arbeitgebers entstanden ist. Der Anspruch ist daher gemäß § 1 Abs. 2 Z 2 IESG gesichert. Eine Auseinandersetzung mit den vom Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Ersatzfähigkeit von Verfahrenskosten erörterten Fragen ist daher entbehrlich. Auch die Begründung des Berufungsgerichtes zur Unzulässigkeit der Revision trifft aus diesem Grund nicht zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E27595

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBS00019.91.1106.000

Dokumentnummer

JJT_19911106_OGH0002_009OBS00019_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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