TE OGH 1991/11/20 9ObA190/91

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Veröffentlicht am 20.11.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Müller und Mag.Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** D*****, Angestellte, ***** vertreten durch *****, Sekretär *****, dieser vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei F***** GmbH & Co, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwälte *****, wegen S 79.188,88 brutto sA (im Revisionsverfahren S 62.609,99 brutto sA), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Mai 1991, GZ 13 Ra 31/91-19, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 21.November 1990, GZ 15 Cga 95/90-10, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß es einschließlich des bereits rechtskräftig gewordenen und des unangefochtenen Teils als Teilurteil zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 36.859,54 brutto samt 4 % Zinsen seit 1.November 1989 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von S 16.578,89 brutto samt 4 % Zinsen seit 1.November 1989 zu zahlen, wird abgewiesen. Hingegen wird das angefochtene Urteil im übrigen Teil der Abweisung eines Mehrbegehrens von S 25.750,45 samt 4 % Zinsen seit 1.November 1989 und im Kostenpunkt aufgehoben und die Arbeitsrechtssache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin absolvierte von Juli bis September 1968 und vom 24. September 1968 bis 31.Juli 1971 eine kaufmännische Lehre. Sie besuchte zwar drei Jahre lang die Berufsschule, legte aber keine Lehrabschlußprüfung ab. Im Anschluß an die Lehrzeit arbeitete sie vom 1.August 1971 bis 31.August 1978 und vom 3.Mai 1982 bis 31. Dezember 1986 als Lebensmittel- und Feinkostverkäuferin. Vom 19. Jänner 1987 bis 31.Oktober 1989 war sie im F*****-Markt der Beklagten in Traun beschäftigt. Sie erhielt im Jahr 1987 bei einer Teilzeitbeschäftigung von 30 Stunden einen Stundenlohn von S 55 brutto, welcher einer Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 2/9 oder 3/5 entsprach. Im Kalenderjahr 1988 bezog sie einen Stundenlohn von S 56,10 brutto und im Jahr 1989 einen solchen von S 70 brutto. Mit Schreiben vom 19.Jänner 1990 machte sie erstmals Unrichtigkeit der Einstufung und eine dementsprechende unterkollektivvertragliche Entlohnung geltend.

Mit der vorliegenden Klage begehrt sie die Zahlung von

S 79.188,88 brutto sA. Bei Beginn ihrer Tätigkeit für die Beklagte habe sie bereits eine kaufmännische Lehre absolviert und insgesamt 11 Jahre und 9 Monate praktische Angestelltentätigkeit zurückgelegt, so daß sie die Beklagte mit 19.Jänner 1987 in das

12. Berufsjahr und ab 1.Mai 1989 in das 15.Berufsjahr hätte einstufen müssen. Die Beklagte hätte sie ferner nicht erst ab Jänner 1989 in die Beschäftigungsgruppe 3 einstufen dürfen, sondern bereits seit Juli 1988, da sie schon seit dieser Zeit Substitutentätigkeit verrichtet habe. Sie habe daher Anspruch auf die sich daraus ergebenden Differenzbeträge an Gehalt, Mehrarbeitsabgeltung, Sonderzahlungen und Urlaubsabfindung sowie darüber hinaus auf Entlohnung der Mehrarbeitsstunden, der vorenthaltenen Arbeitszeitverkürzung und auf einen bisher nicht abgegoltenen Zuschlag von 100 % für zehn Überstunden.

Sie habe nämlich während ihrer gesamten Tätigkeit bei der Beklagten nicht nur bis Geschäftsschluß um 18.00 Uhr, sondern bis 18.30 Uhr gearbeitet. Die Beklagte habe ihr verboten, die halbstündigen Abschlußarbeiten etwa an der Kasse in die Arbeitsaufzeichnungen einzutragen. Trotz ständiger Zusicherungen, daß schon etwas gemacht werde, habe die Beklagte bisher nichts dafür gezahlt. Die ab 1.Jänner 1989 zustehende Arbeitszeitverkürzung sei nur bis Juni 1989 durch Zeitausgleich abgegolten worden. Für die Arbeit an den beiden Einkaufssamstagen am 12.Dezember und 19.Dezember 1987 habe ihr die Beklagte für die jeweils fünfstündige Arbeitszeit nur einen Zeitausgleich von 1 :

1 gewährt. Die Klägerin hätte aber nach den Bestimmungen des Kollektivvertrags einen Überstundenzuschlag in Höhe von 100 % erhalten müssen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin sei richtig eingestuft worden. Da sie ihre Lehre als Einzelhandelskaufmann nicht mit einer erfolgreichen Lehrabschlußprüfung beendet habe, seien bei der Eisntufung drei Berufsjahre abzuziehen gewesen, so daß sie ihre Tätigkeit im

8. Berufsjahr begonnen habe. Bei einer Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 2/8 sehe der Kollektivvertrag einen Mindeststundensatz von S 50,92 brutto vor, und für 2/9 einen solchen von S 54,45 brutto. Da die Klägerin von Jänner bis Mai 1987 einen Bruttostundensatz von S 53,20, von Juni bis Dezember 1987 einen solchen von S 55, im Jahre 1988 einen solchen von S 56,10 und ab Jänner 1989 einen solchen von S 70 erhalten habe, sei sie nicht unterkollektivvertraglich entlohntworden.

Die Klägerin habe die Tätigkeit einer Substitutin nur fallweise ausgeübt. Daher könne sie daraus keinen Anspruch auf Einreihung in die Beschäftigungsgruppe 3 vor dem 1.Jänner 1989 ableiten. Mehrarbeiten seien regelmäßig ausgeglichen worden.

Überschreitungen der täglichen oder wöchentlichen Normalarbeitszeit, die weder ausdrücklich angeordnet noch schriftlich genehmigt worden seien, hätten als "Verbringen der Freizeit in der Firma" gegolten. Im übrigen seien die aus dem Titel Überstunden geltend gemachten Ansprüche ebenso verjährt wie die aus der angeblich unrichtigen Einstufung resultierenden Gehaltsansprüche.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 56.272,91 sA statt und wies das Mehrbegehren von S 22.915,96 sA ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin, die bis 31.Dezember 1986 bei einer "Firma B*****" gearabeitet hatte, wurde von der Beklagten per 19.Jänner 1987 mit allen Rechten und Pflichten übernommen. Bei ihrer Einstellung erhielt sie keinen ihrer Einstufung enthaltenden Dienstzettel. Die Einstufung wurde vielmehr im nachhinein von der Zentrale der Beklagten in D***** vorgenommen, der Klägerin aber nie mitgeteilt. Sie arbeitete 30 Stunden pro Woche. Nach dem Einstellungsvermerk wäre ihr Aufgabengebiet die Kassa und die Regalbetreuung gewesen; tatsächlich war sie aber mit der Frischwarenbestellung, Warenübernahme und dem Wegräumen betraut. Kassierertätigkeit übte sie nur als Springerin aus.

Schon ab dem Beginn ihrer Tätigkeit für die Beklagte bis Ende des Jahres 1987 war die Klägerin Substitutin; sie vertrat vorerst den Marktleiter bei dessen Abwesenheit und in der Folge die jeweiligen Filialleiterinnen. Als die dann später tätige Substitutin etwa Anfang Juli 1988 selbst zur Marktleiterin bestellt wurde, wurde die Klägerin deren Substitutin. Sie übte ihre Vertreterfunktion nicht nur während des Urlaubs oder Krankenstandes der Marktleiterin aus, sondern immer dann, wenn diese auch aus anderen Gründen nicht anwesend war. Sie vertrat sohin die Marktleiterin nicht nur vorübergehend, sondern seit Juli 1988 ständig. Mit 1.Jänner 1989 wurde die Klägerin auch vertraglich zur Substitutin bestellt und ihr Stundensatz von S 56,10 brutto auf S 70 brutto erhöht.

Die Klägerin arbeitete an mindestens 70 % der Arbeitstage bis mindestens 18.30 Uhr. Nach dem von ihr unterfertigten aber nicht gelesenen Vordruck auf der Rückseite des Einstellungsvermerks behielt sich die Beklagte vor, Überstunden nur nach vorheriger ausdrücklicher Anordnung oder mit besonderer schriftlicher Berechtigung des zuständigen Prokuristen oder Bereichsleiters zu vergüten. Überschreitungen der täglichen und wöchentlichen Normalarbeitszeit, die nicht ausdrücklich angeordnet oder schriftlich genehmigt worden wären, seien wie ein "Verbringen der Freizeit in der Firma" anzusehen. Diese Einschränkungen waren auch aus einem kleingedruckten Text auf den Stundenaufzeichnungen ersichtlich. In diesem war auch angeordnet, daß Überstundenleistungen ausnahmslos nur auf den Stundennachweisen einzutragen und durch die Vorgesetzten gegenzuzeichnen seien. Hinsichtlich der auf den Stundennachweisen nicht angeführten Mehrarbeiten (Überstunden, Zeitausgleich) werde ein Verzicht auf die geforderte Abgeltung angenommen. Der Arbeitnehmer verpflichte sich, keine weiteren Ansprüche (Überstunden, Zeitausgleich) geltend zu machen und erkläre sich mit der einvernehmlichen Freizeitausgleichsregelung im Verhältnis 1 : 1 (jegliche Zuschläge seien durch den überkollektivvertraglichen Bezug abgegolten) einverstanden.

Die von der Klägerin nach 18.00 Uhr geleisteten Überstunden waren in den Stundenverzeichnissen nicht angeführt, da eine entsprechende Aufnahme in die Verzeichnisse von der Beklagten verboten worden war. Die Klägerin erbrachte diese Überstunden in Kenntnis der Markt- und Gebietsverkaufsleitung. Über Drängen der Klägerin und anderer Angestellter kam es zu Zusagen sämtlicher Gebietsverkaufsleiter, daß diese halben Stunden einer gesonderten Regelung (etwa durch Zeitausgleich) zugeführt würden. Eine Abgeltungsvereinbarung wurde jedoch letztlich nicht getroffen.

Anfang des Jahres 1989 vereinbarte die Klägerin mit dem zuständigen Gebietsverkaufsleiter eine Abgeltung der kollektivvertraglichen Arbeitszeitverkürzung. Sie arbeitete danach inoffiziell in der Woche um eine Stunde und zehn Minuten weniger. Am 1.Juni 1989 mußte sie wiederum 30 Stunden pro Woche arbeiten, ohne daß sie dafür eine finanzielle Abgeltung der Arbeitszeitverkürzung erhielt. An den sogenannten langen Einkauffsamstagen am 12.Dezember und 19.Dezember 1987 leistete die Klägerin jeweils fünf Überstunden, die ihr durch Zeitausgleich im Verhältnis von 1 : 1, nicht aber mit dem 100 %ige Zuschlag abgegolten wurden. Die der Klägerin während ihres Arbeitsverhältnisses gewährten Sonderzahlungen, die Urlaubsabfindung und die bezahlte Mehrarbeit wurden jeweils auf der Basis der im einzelnen festgestellten Stundensätze ermittelt.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß ein Angestellter bei der Einstufung nach dem Kollektivvertrag der Handelsangestellten (kurz Kollektivvertrag) nicht noch drei Berufsjahre verliere, wenn er die vorgesehene Lehrzeit ohne Lehrabschlußprüfung beendet habe. Die Klägerin hätte daher bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten in das

12. Berufsjahr und mit 1.Mai 1989 in das 15.Berufsjahr eingestuft werden müssen. Ab Juli 1988 sei die Klägerin ständige Vertreterin des Marktleiters geworden und habe daher ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Entlohnung nach der Beschäftigungsgruppe 3 des Beschäftigungsgruppenschemas gehabt. Ihre berechtigten Ansprüche aus der unrichtigen Einstufung seien bis einschließlich Dezember 1987 gemäß Punkt A Z 4 der Gehaltsordnung des Kollektivvertrags verjährt. Für den Lauf der zweijährigen Fallfrist sei allein der Zeitpunkt der objektiv möglichen Geltendmachung des Anspruches entscheidend. Eine formelle Einreihung durch den Arbeitgeber sei nicht erforderlich; auch die subjektive Unkenntnis der gebührenden Ansprüche stehe dem Beginn der Frist nicht entgegen. Im übrigen sei es der Klägerin anhand des Kollektivvertrags möglich gewesen, ihre unrichtige Einstufung zu erkennen.

Die Klägerin habe daher Anspruch auf die Gehaltsdifferenz gegenüber den gezahlten Stundenlöhnen von S 56,10 bzw S 70 gemäß dem gebührenden Stundensatz nach der Beschäftigungsgruppe 2/12 bzw Beschäftigungsgruppe 3/12 ab Juli 1988 und Beschäftigungsgruppe 3/15 ab Mai 1989 von insgesamt S 31.803,45. Bezüglich der abgegoltenen Mehrarbeitsstunden in den Monaten Februar 1988 (42,8), September 1088 (74,7) sowie Juli 1988 (201,4) ergebe sich eine offene Differenz von S 4.140,88 und bezüglich der Sonderzahlungen eine solche von S 5.779,20. Überdies hätte die Klägerin einen um S 1.052,55 höheren Betrag an Urlaubsabfindung erhalten müssen.

Da die Klägerin von Februar 1987 bis September 1989 an 70 % der Arbeitstage eine halbe Stunde länger gearbeitet habe, steht ihr unter Berücksichtigung der dreijährigen Verjährungsfrist gemäß § 1486 ABGB für die Zeit ab Juli 1987 noch ein Betrag von S 11.206,73 zu. Für den Zeitraum ab 1.Juni 1989 bis 30.Oktober 1989 gebühre ihr zufolge der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich noch ein restliches Entgelt von S 1.650. Schließlich habe die Klägerin auch noch Anspruch auf den Zuschlag für die an den Einkaufssamstagen erbrachten zehn Stunden in Höhe von S 640. Da sie unterkollektivvertraglich entlohnt worden sei, seien diese Zuschläge in ihrem Gehalt nicht enthalten gewesen.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, daß es dem Klagebegehren mit S 36.859,54 brutto sA stattgab und das Mehrbegehren von S 42.329,34 brutto sA abwies. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß bei der Einstufung der Klägerin nach Berufsjahren im Sinne der Gehaltsordnung des Kollektivvertrags nicht nur die Lehrzeit außer Betracht zu bleiben habe, sondern auch noch drei Angestelltendienstjahre abzuziehen seien. Die bloße Lehrzeit ohne Abschluß durch die entsprechende Prüfung sei weder als Ersatz für eine abgeschlossene Lehre noch als Angestelltendienstzeit anzusehen. Die Klägerin sei daher am 19. Jänner 1987 im 9.Berufsjahr einzustufen gewesen. Daraus resultierten auf der Grundlage der vom Erstgericht festgestellten Arbeitsstunden in den einzelnen Monaten für die Zeiträume, in denen das Erstgericht zutreffend keinen Verfall angenommen habe, Entgeltsdifferenzen an Gehalt von S 20.159,85, Mehrarbeitsstunden von S 2.639,66, Sonderzahlungen von S 3.712,20 und an Urlaubsabfindung von S 621,05.

Da im Berufungsverfahren außer Streit gestellt worden sei, daß die Klägerin an 50 % ihrer Arbeitstage bis 18.30 Uhr gearbeitet habe, habe sie noch Anspruch auf das Entgelt für die nicht abgegoltenen Mehrarbeitsstunden von S 7.577,08. Aus der nicht abgegoltenen Arbeitszeitverkürzung gebühre ihr noch ein Betrag von S 2.149,70.

Gegen dieses Urteil richten sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Revisionen beider Parteien. Die Klägerin begehrt einen weiteren Zuspruch von S 25.750,45 brutto sA und die Beklagte beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Beide Parteien stellen hilfsweise Aufhebungsanträge und beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Lediglich die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Ansicht der Beklagten und des Berufungsgerichtes, nur eine durch die Lehrabschlußprüfung "abgeschlossene" Lehrzeit könne als "Lehrzeit" im Sinne des Punktes A Z 6 der Gehaltsordnung des Kollektivvertrags (Punkt F II des Beschäftigungsgruppenschemas) gelten, wird nicht beigepflichtet. Gemäß § 14 BAG endet das Lehrverhältnis unter anderem entweder mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit oder vor dieser Zeit, wenn der Lehrling die Lehrabschlußprüfung erfolgreich ablegt. Der Lehrberechtigte hat dem Lehrling nach Endigung des Lehrverhältnisses ein Lehrzeugnis auszustellen, das Angaben über den Lehrberuf und kalendermäßige Angaben über die Dauer des Lehrverhältnisses enthalten muß; darüber hinaus können darin auch Angaben über die erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse aufgenommen werden. Angaben, die dem Lehrling das Fortkommen erschweren könnten, sind nicht zulässig (§ 16 Abs 1 BAG). Eine gesetzliche Verpflichtung, die Lehrbaschlußprüfung abzulegen, besteht für den Lehrling nicht (vgl Berger-Fida-Gruber, BAG § 21 Erl 7). Schon daraus folgt, daß eine "abgeschlossene" Lehrzeit bereits dann vorliegt, wenn ein Lehrling die für seine Berufssparte vorgesehene Lehrzeit zur Gänze absolviert hat.

Auch dem einschlägigen Kollektivvertrag kann diesbezüglich kein anderes Verständnis unterstellt werden. Nach dem Beschäftigungsgruppenschema wird die "abgeschlossene Lehrzeit" in einem kaufmännischen Beruf unter anderem durch eine erfolgreich abgelegte Lehrabschlußprüfung im Sinne des § 23 Abs 5 BAG oder durch eine dreijährige praktische Angestelltentätigkeit ersetzt. Daraus folgt, daß der Kollektivvertrag wohl zwischen einer abgeschlossenen Lehrzeit und einer Lehrabschlußprüfung unterscheidet und andererseits auch Zeiten einer Berufstätigkeit schlechthin ohne spezifische Ausbildung und Prüfung wie eine "abgeschlossene Lehrzeit" wertet. Auch wenn daher Lehrzeiten nach Punkt A Z 6 der Gehaltsordnung nicht als für die Einstufung in die Gehaltstafeln zu berücksichtigende Berufsjahre gelten, ändert dies nichts daran, daß die Klägerin als Angestellte mit unbestritten vollendeter und somit abgeschlossener Lehrzeit gemäß Punkt F II des Beschäftigungsgruppenschemas schon bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses in die ihrer Tätigkeit entsprechende Beschäftigungsgruppe einzustufen gewesen wäre. Da die Klägerin bereits eine Angestelltenvordienstzeit von 11 Jahren und 9 Monaten aufgewiesen hat, hätte ihre Einstufung gemäß Punkt A Z 10 der Gehaltsordnung in das 12.Berufsjahr erfolgen müssen.

Es trifft zwar zu, daß der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, daß für den Beginn der Verjährungsfrist nach Punkt A Z 4 der Gehaltsordnung allein der Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit zur Erhebung des Anspruches entscheidend sei (Arb 10.062); in dieser Entscheidung blieb aber die Wirkung der Nichtausfolgung eines die Einstufung enthaltenden Dienstzettels als unzulässige Neuerung ungeprüft. Im vorliegenden Fall ist es unbestritten, daß die Beklagte ihrer kollektivvertraglichen Verpflichtung, der Klägerin ihre Einstufung mittels Dienstzettels gemäß § 6 AngG mitzuteilen, nicht nachgekommen ist. Sie hat es entgegen der Bestimmung des Art III Z 3 des Kollektivvertrags unterlassen, ihr die Einreihung in die zutreffende Gehaltstafel und Beschäftigungsgruppe sowie das Berufsjahr und Gehaltsgebiet der Gehaltsordnung bekanntzugeben (vgl RdW 1987, 97). Damit hat sie aber selbst die Voraussetzung, welche die Verkürzung der Verjährungsfrist zu Lasten des Arbeitnehmers rechtfertigt, nicht erfüllt. Andererseits ist es zwischen den Parteien während des aufrechten Arbeitsverhältnisses auch nicht zu den im Kollektivvertrag genannten "Unstimmigkeiten hinsichtlich der Einstufung" gekommen. Zufolge der nach Ansicht der Beklagten ohnehin überkollektivvertraglichen und daher nicht den jeweiligen Stundensätzen entsprechenden Entlohnung wäre es der Klägerin nicht möglich gewesen, die einseitig verfügte und nie bekanntgegebene Einstufung genau nachzuvollziehen. Soweit die Beklagte demnach selbst ihre Pflicht zur Bekanntgabe der Einstufung verletzt hat, kann der Klägerin nicht wider Treu und Glauben angelastet werden, sie hätte ihre Ansprüche bereits binne zwei Jahren außergerichtlich geltend machen müssen. Es ist daher im vorliegenden Fall lediglich auf die besondere Verjährungszeit des § 1486 Z 5 ABGB Bedacht zu nehmen.

Der Beklagten ist entgegenzuhalten, daß sie mit ihren Revisionsausführungen zum Teil nicht von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen ausgeht. Soweit sie bemängelt, daß die Klägerin nicht schon ab 1.Juli 1988 ständige Substitutentätigkeit verrichtet habe, macht sie keinen sekundären Feststellungsmangel geltend, sondern bekämpft lediglich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Ein kollektivvertraglicher Verfall von Überstundenansprüchen wurde nicht eingewendet. Der Verjährungseinwand allein umfaßt noch keine Bezugnahme auf kollektivvertragliche Verfallsbestimmungen. Soweit die Klägerin ihr ausständiges Entgelt fordert, verstößt sie damit nicht wider Treu und Glauben. Von einem Entgeltverzicht kann, abgesehen davon, daß ein Verzicht auf unabdingbare Ansprüche während der Dauer des Arbeitsverhältnisses ohnehin unwirksam wäre (vgl Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 277 f mwH), nach den Feststellungen keine Rede sein.

Da sich sohin die Notwendigkeit ergibt, bisher nicht einbezogene Anspruchsgrundlagen einer näheren Prüfung zu unterziehen und zufolge der Erweiterung des Abrechnungszeitraums sowie der jeweils zu berichtigenden Einstufung eine eingehende Berechnung durchzuführen, war die angefochtene Entscheidung im aufgezeigten Rahmen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 510 Abs 1 letzter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

Anmerkung

E27605

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00190.91.1120.000

Dokumentnummer

JJT_19911120_OGH0002_009OBA00190_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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