TE OGH 1991/11/26 10ObS85/91

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Veröffentlicht am 26.11.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Hans Voigt und Dr. Franz Schulz (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. P***** N*****, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei SOZIALVERSICHERUNGSANSTALT DER BAUERN, Ghegastraße 1, 1031 Wien, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Gewährung eines Kostenzuschusses (Streitwert im Revisionsverfahren 3.880 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. November 1990, GZ 12 Rs 141/90-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Juni 1990, GZ 14 Cgs 109/89-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger einen Kostenzuschuß zur Anstaltspflege im Betrag von 7.000 S zu zahlen, wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens im Betrag von 906,24 S (darin enthalten 151,04 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 3.12.1983 geborene Tochter des Klägers war wegen eines chronischen Tubenmittelohrkatarrhs mit entsprechender Hörbeeinträchtigung und einer chronischen Tonsillitis und Adenoidhyperplasie in laufender fachärztlicher Behandlung bei Prim. Dr. B*****. Über dessen Ratschlag wurde sie im Juni 1989 in der Krankenanstalt für Tageschirurgie Dr. P***** operiert. Es wurden ihr die Mandeln und Polypen entfernt und beidseitig eine Paukendrainage mit einer Röhrchenimplantation vorgenommen. Eine Gaumen- und Rachenmandelhyperplasie mit rezidivierenden Infekten und dauernder Behinderung der Nasenatmung sowie Tubenfunktionsstörung mit Flüssigkeitsansammlung in den Mittelohren und der daraus resultierenden Schwerhörigkeit sind bei Kindern dieses Alters eine häufige Erkrankung. Um bleibende Folgen dieser Erkrankung wie eine Sprachentwicklungsstörung, eine chronische Ohrenerkrankung und anderes zu vermeiden, war auch im gegenständlichen Fall die durchgeführte Operation notwendig und auch nicht länger aufschiebbar, da es bei dieser Erkrankung immer wieder zu akuten Infekten kommt und die Operation während eines akuten Infektes wegen des erhöhten Risikos nicht durchgeführt werden kann. Ein Zuwarten auf einen Termin in einem öffentlichen Krankenhaus wäre nicht möglich gewesen, weil in der Zwischenzeit Infekte bzw auch eine Ohreiterung oder auch andere Komplikationen hätten auftreten können. Dies wäre im gegenständlichen Fall anzunehmen gewesen, weil das Kind vorher bereits operiert worden war und die neuerliche Operation nach Vorbehandlung angesetzt wurde. Bei dieser Art des Eingriffes wäre im öffentlichen Krankenhaus auf einen Termin ca zwei bis drei Monate zu warten gewesen. Hätte das Kind in einem öffentlichen Krankenhaus einen Termin wahrgenommen, hätte der stationäre Aufenthalt fünf Tage betragen.

In öffentlichen Krankenhäusern gibt es keine Tageskliniken. Eine ambulante Chirurgie ist in den öffentlichen Krankenhäusern aber schon möglich und wird auch durchgeführt, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß eine postoperative Überwachung des Patienten nicht erforderlich ist. Wenn eine postoperative Überwachung erforderlich ist, wie im gegenständlichen Fall, kann der Eingriff nicht ambulant durchgeführt werden, da die postoperativen Aufwachräume im Zentral-OP liegen und nur über eine Schleuse passiert werden können. Da es sich im gegenständlichen Fall um ein kleines Kind handelte, hätten die Mutter und das Kind stationär aufgenommen werden müssen. Das Kind hätte auf der Station die Vorbereitung für die Narkose bekommen, wäre erst dann durch die Schleuse in den Operationsraum gebracht worden und anschließend in den Überwachungsraum gekommen, in dem die Mutter das Kind hätte besuchen können. Ambulante Patienten von der Straße sollen nicht in die Sterilbereiche der Zentral-OPs und entsprechender Überwachungsstationen eingeschleust werden; in den Ambulanzen ist eine ausreichende postoperative Überwachung nicht vorgesehen. Im konkreten Fall bestand noch das spezielle Problem, daß die Mutter schwanger war und man ihr den Aufenthalt im Krankenhaus als Begleitperson oder im Aufwachraum nicht zumuten konnte. Im Vergleich dazu sind die Tageskliniken speziell für Tageschirurgie eingerichtet. Die Mutter hat dort das Kind im Operationsraum selbst auf dem Schoß bis es eingeschlafen ist, dann verläßt sie den Operationsraum und der Operateur führt den Eingriff in Narkose durch. Nach dem Eingriff kommt das Kind kurzfristig in einen Überwachungsraum, wo die Mutter daneben sitzen kann. Wenn das Kind nach der Narkose ausreichend wach ist, können Mutter und Kind die Tagesklinik verlassen. Eine medizinische Indikation für eine stationäre Aufnahme der Tochter des Klägers bestand nicht. Für den Eingriff in der Tagesklinik hatte der Kläger 11.000 S (inklusive 10 % Umsatzsteuer) zu zahlen. Die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern hat mit dieser privaten Klinik keine vertragliche Beziehung. Der Kläger übermittelte die Rechnung der Tagesklinik der beklagten Partei mit dem Antrag auf Ersatz der Kosten.

Mit Bescheid vom 10.8.1989 lehnte die beklagte Partei die Gewährung eines Kostenzuschusses unter Berufung auf die §§ 89 und 93 BSVG ab, weil keine unaufschiebbare Behandlung vorgelegen habe und der Kläger gehalten gewesen wäre, seine Tochter in einem öffentlichen Krankenhaus bzw einer nichtöffentlichen Vertragskrankenanstalt unterzubringen.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei zum Ersatz von Heilbehandlungskosten sowie zu einem Kostenzuschuß für die Anstaltspflege von 7.000 S zu verurteilen. Die beiderseitige Ohroperation sowie die gleichzeitige Entfernung der Rachenmandeln und Polypen sei erforderlich gewesen. Da seine Tochter sehr sensibel sei und Angst vor der Operation in einem öffentlichen Krankenhaus gehabt habe und auch aus familiären Gründen kein Angehöriger das Kind in ein öffentliches Spital hätte begleiten können, habe man sich für die praktischeste Lösung, nämlich die Operation in der Tagesklinik entschieden. Die beklagte Partei sei daher gemäß §§ 93 iVm 83 BSVG zu einem Kostenzuschuß verpflichtet.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Da für eine ausreichende vertragsärztliche Behandlung der Versicherten durch niedergelassene Ärzte sowie bei notwendiger und unaufschiebbarer Anstaltspflege für die Unterbringung in der allgemeinen Gebührenklasse einer öffentlichen Anstalt vorgesorgt sei, bestehe kein Anspruch auf die Gewährung des begehrten Kostenzuschusses.

Das Erstgericht wies das Begehren auf Ersatz von Heilbehandlungskosten (unangefochten) gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG zurück, gab dem Begehren auf Gewährung eines Kostenzuschusses für Anstaltspflege mit 3.880 S statt und wies das Mehrbegehren ab. Nach § 93 BSVG habe der Versicherte dann einen Anspruch auf Kostenzuschuß, wenn die in einer nichtöffentlichen Krankenanstalt, die mit der beklagten Partei auch kein Vertragsverhältnis habe, erbrachte Anstaltspflege notwendig und unaufschiebbar gewesen sei. Dies sei nach dem festgestellten Sachverhalt zu bejahen, weshalb die beklagte Partei jedenfalls einen Kostenzuschuß zur Anstaltspflege zu leisten habe, und zwar in der Höhe von 80 % jener Kosten, die ihr bei Inanspruchnahme der in Betracht kommenden Vertragspartner durch die Tochter des Klägers entstanden wären. Wäre ein öffentliches Krankenhaus in Linz in Anspruch genommen worden, so wäre ein stationärer Aufenthalt von fünf Tagen erforderlich geworden. Auf der Basis des für 1989 geltenden Pflegesatzes von 970 S hätte die beklagte Partei 4.850 S aufwenden müssen; der Kläger habe Anspruch auf Kostenzuschuß in der Höhe von 80 % dieses Betrages. Heilbehandlungskosten seien im Vorverfahren nicht beantragt worden und es sei auch hierüber bescheidmäßig nicht abgesprochen worden, so daß die in § 67 Abs 1 Z 1 ASGG normierten Voraussetzungen für die klageweise Geltendmachung dieses Anspruches fehlten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Nach § 75 Z 2 BSVG seien als Leistungen der Krankenversicherung aus dem Versicherungsfall der Krankheit die Krankenbehandlung (§§ 83 bis 87 BSVG), die Hauskrankenpflege (§ 94 BSVG) und erforderlichenfalls eine Anstaltspflege (§§ 89 bis 93 BSVG) zu erbringen. Gemäß § 80 Abs 1 BSVG würden diese Leistungen entweder als Sachleistungen oder als Geldleistungen (sei es durch Kostenerstattung oder durch Kostenzuschüsse) erbracht. Kostenerstattungen kämen dabei dort in Betracht, wo mit Vertragspartnern sogenannte Tarifverträge bestehen, während Kostenzuschüsse beim Fehlen vertraglicher Regelungen, so insbesondere beim Fehlen von Vereinbarungen zwischen der Sozialversicherungsanstalt und dem behandelnden Arzt zu gewähren seien. Die ärztliche Hilfe werde als Sachleistung in Form von ambulanten Behandlungen in eigenen oder unter Vertrag genommenen Einrichtungen (§ 85 Abs 1 BSVG), durch Vertragsärzte im Wege der Kostenerstattung (§ 80 Abs 2 BSVG und § 22 a der Satzung) oder durch Wahlärzte im Weg des Kostenzuschusses (§ 88 Abs 1 BSVG und § 23 der Satzung) erbracht. Als Wahlarzt werde jener Arzt bezeichnet, der weder unmittelbar bzw mittelbar zum Krankenversicherungsträger in einem Vertragsverhältnis stehe. Die Kosten der wahlärztlichen Hilfe seien zunächst vom Versicherten zu begleichen, er habe aber einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Krankenversicherungsträger. Dieser Kostenzuschuß gebühre in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines entsprechenden Vertragspartners aufzuwenden gewesen wäre. Anstaltspflege gewähre der Versicherungsträger in erster Linie als Sachleistung. Dabei ersetze der Versicherungsträger die den öffentlichen Krankenanstalten gebührenden Pflegegebührensätze, mit welchen sämtliche Leistungen der Krankenanstalt abgegolten seien. Nehme der Versicherte ohne Einweisung durch die Versicherungsanstalt eine private (also nicht eine öffentliche), in keinem Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsträger stehende Krankenanstalt in Anspruch, müsse er, wie bei einem Wahlarzt, zunächst für die Kosten aus eigenem aufkommen, habe jedoch gemäß § 93 Abs 1 BSVG Anspruch auf einen Kostenzuschuß, der gemäß Abs 2 jene Kosten nicht übersteigen dürfe, die dem Versicherungsträger in der nach Art und Umfang der Einrichtungen und Leistungen in Betracht kommenden nächstgelegenen öffentlichen Krankenanstalt erwachsen wären, wenn die Anstaltspflege notwendig und unaufschiebbar gewesen sei. Nach dieser Bestimmung käme als Ersatz für die in einer privaten Tagesklinik aufgelaufenen Kosten als Kostenzuschuß nur jener Betrag in Betracht, den der Versicherungsträger in einer gleichartigen Tagesklinikeinrichtung in einer öffentlichen Krankenanstalt zu leisten gehabt hätte. Einer Abrechnung nach diesem Grundsatz stehe jedoch entgegen, daß Tagesklinikeinrichtungen in öffentlichen Krankenanstalten noch nicht bestehen. Insbesondere erschwere der Umstand einen Vergleich, daß der Aufenthalt in der Tagesklinik schon nach den Bestimmungen des Krankenanstaltenrechtes in der Regel nicht länger als 24 Stunden dauern dürfe, während bei Erbringung einer entsprechenden Leistung in einer öffentlichen Krankenanstalt in aller Regel ein mehrtägiger Anstaltsaufenthalt erforderlich sei. Es stelle sich daher die Frage, ob der Kostenzuschuß für Anstaltspflege nach der Anzahl der Tage zu leisten sei, die der Versicherte oder sein Angehöriger in einer privaten Anstalt verbracht hätten oder aber danach, welche Leistungen der Versicherungsträger zu erbringen gehabt hätte, wenn die Leistungen in einem öffentlichen Krankenhaus oder in einer eigenen Einrichtung bzw einer Vertragsanstalt erbracht worden wären. Letztlich könnte auch in Erwägung gezogen werden, die in der Tagesklinik erbrachte Leistung als ambulante Heilbehandlung anzusehen, was eine Abrechnung nicht nach § 93 BSVG, sondern gemäß § 88 BSVG indizieren würde. Jedem Versuch einer differenzierten Betrachtungsweise stehe jedoch § 23 der Satzung der beklagten Partei iVm § 15 Abs 4 der Krankenordnung entgegen:

Dadurch, daß sich § 23 der Satzung ausdrücklich auf "Leistungen im Sinne des § 74 Abs 1 BSVG" und auch in seiner Überschrift auf "Nichtvertragspartner" beziehe, werde deutlich, daß in dieser Bestimmung die Kostenzuschußregelungen der §§ 88 und 93 BSVG zusammengefaßt würden und damit der im Vergleich zu § 88 BSVG einschränkenden Bestimmung des § 93 BSVG der Boden entzogen werde. Nehme also der Versicherte einen Nichtvertragspartner in Anspruch, so gebühre ihm in allen Fällen, für die § 74 Abs 1 BSVG Vorsorge treffe (mit Ausnahme der Gesundenuntersuchung), ein Kostenzuschuß in der Höhe des Betrages, den die Anstalt bei Inanspruchnahme der in Betracht kommenden (also nicht unbedingt einer vergleichbaren vertraglichen oder öffentlichen Einrichtung) Vertragspartner oder Vertragseinrichtungen für die Erbringung dieser Leistung mit Bedachtnahme auf § 80 BSVG hätte aufwenden müssen. Auch nach § 15 Abs 4 der Krankenordnung sei Maßstab nicht jener Aufwand, der in einer gleichartigen öffentlichen Anstalt aufgelaufen wäre, sondern jener, der bei Inanspruchnahme der nächstgelegenen geeigneten öffentlichen Krankenanstalt erwachsen wäre. Es erscheine daher zulässig, die Kosten der Leistung in der privaten Tagesklinik einerseits mit den Kosten für die Erbringung der vergleichbaren Leistung bei einem Anstaltsaufenthalt in einem öffentlichen Krankenhaus gegenüberzustellen. Der Kostenaufwand für die entsprechende Leistung im öffentlichen Krankenhaus und nicht die Verweildauer in der privaten Tagesklinik seien für die Höhe des Kostenzuschusses maßgebend. Der Argumentation der beklagten Partei sei somit der Boden entzogen. Auch die Rechtsansicht der beklagten Partei, daß ein Anspruch auf Kostenzuschuß nicht gebühre, weil ohnedies durch eine ausreichende vertragsärztliche Behandlung oder die Unterbringung in der allgemeinen Gebührenklasse einer öffentlichen Anstalt ausreichend vorgesorgt sei, sei nicht vertretbar. Dabei werde nämlich vollkommen negiert, daß die Versicherten auch die Wahl haben, Nichtvertragspartner in Anspruch zu nehmen. Habe also die beklagte Partei Ersatz zu leisten, dann in jenem Umfang, wie sie ihn auch zu leisten gehabt hätte, wenn die Tochter des Klägers von Vertragspartnern behandelt worden wäre. Daß die gegenständliche Operation als ambulante ärztliche Behandlung erbracht hätte werden können, sei von der beklagten Partei nicht behauptet worden und sei auch im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Tochter des Klägers sei auch nicht in der Ordination, sondern in einer Krankenanstalt operiert worden. Eine Abrechnung im Sinn des § 88 BSVG sei daher nicht indiziert. Es könne nur ein Vergleich mit einer Operation im nächstgelegenen öffentlichen Krankenhaus gezogen werden. Hätte der Kläger seine Tochter im allgemeinen Krankenhaus in Linz operieren lassen, dann wäre der Aufwand entstanden, von dem das Erstgericht ausgegangen sei. Da der Pflegegebührenersatz alle Leistungen der Anstaltspflege decke, seien mit diesem Kostenzuschuß auch alle Leistungen, die die Tagesklinik gegenüber der Tochter des Klägers erbracht und mit 11.000 S verrechnet habe, abgegolten, so daß der derzeit ohnedies aktuell nicht zu behandelnde Antrag des Klägers auf "Heilbehandlungskosten" auch von dem zugesprochenen Betrag mitumfaßt sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der Entscheidung SSV-NF 4/8 = ZAS 1990, 198 sprach der Oberste Gerichtshof aus, daß dann, wenn ein Versicherter in einer privaten, in keinem Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsträger stehenden Krankenanstalt ohne Einweisung durch den Versicherungsträger untergebracht werde, der Versicherungsträger dem Versicherten einen Kostenzuschuß zur Anstaltspflege nur dann zu gewähren habe, wenn die Anstaltspflege notwendig und unaufschiebbar gewesen sei. Diese Voraussetzungen seien dann gegeben, wenn Anstaltsbedürftigkeit im Sinn des § 22 Abs 3 KAG und Unabweisbarkeit im Sinn des § 22 Abs 4 KAG vorliege. Als unabweisbar seien danach Personen zu betrachten, deren geistiger und körperlicher Zustand wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung sofortige Anstaltsbehandlung erfordere. Sei eine notwendige stationäre Behandlung nicht unaufschiebbar, so müsse sich ein Versicherter, wenn er eine Behandlung in einer privaten Krankenanstalt ohne Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsträger in Anspruch nehmen wolle, um dessen Einweisung (Ausstellung eines Kostenverpflichtungsscheines) bemühen, wolle er nicht des Kostenzuschusses verlustig gehen.

Bemerkt sei, daß der Anspruch auf Kostenzuschuß in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall von der klagenden Partei ausschließlich aus § 93 BSVG abgeleitet wurde; Bestimmungen der Satzung oder Krankenordnung wurden als Anspruchsgrundlage nicht herangezogen.

Diesem Ergebnis trat Radner (ZAS 1990, 199) entgegen. Selbst wenn man dem von manchem vertretenen Standpunkt folge, daß Krankenbehandlung und Anstaltspflege zwei unterschiedliche Leistungsbereiche im Sozialversicherungsrecht seien, ergebe der Verweis auf § 74 Abs 1 BSVG in § 23 der Satzung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, daß diese Kostenerstattung auch die Pflege in einer privaten Krankenanstalt umfasse, da im § 74 Abs 1 BSVG die Leistungen unter anderem aus dem Versicherungsfall der Krankheit - und dazu gehöre Anstaltspflege jedenfalls - geregelt seien. Die Satzungen der Sozialversicherungsträger stünden auf der Rechtsstufe einer Rechtsverordnung und seien daher zu berücksichtigen. § 15 Abs 4 der Krankenordnung der beklagten Partei lege den Anspruch auf Kostenzuschuß in der Höhe jenes Betrages fest, der der Anstalt bei der Inanspruchnahme der nächstgelegenen geeigneten öffentlichen Krankenanstalt erwachsen wäre, ohne dabei auf einschränkende Normierungen des § 93 BSVG Rücksicht zu nehmen. Somit werde bei Inanspruchnahme einer notwendigen Anstaltspflege die "Unaufschiebbarkeit" im § 15 der Krankenordnung nicht verlangt und dadurch der Anspruch auf Kostenerstattung begründet.

Das Berufungsgericht folgte im vorliegenden Fall im wesentlichen der Ansicht Radners. Die beklagte Partei bekämpft diese Rechtsansicht in der Revision und hält dem entgegen, daß sich die Regelung des § 23 der Satzung nur auf die Krankenbehandlung im engeren Sinn (§§ 83 bis 87 BSVG) erstrecke. Die Anstaltspflege sei in den Bestimmungen der §§ 89 bis 93 BSVG geregelt und diese Normen enthielten keine Satzungsermächtigung. Für die Beurteilung der hier strittigen Frage sei ausschließlich § 93 Abs 1 ASVG heranzuziehen. Ausgehend von dieser Bestimmung seien die Voraussetzungen für den Anspruch auf Gewährung eines Kostenzuschusses nicht erfüllt, weil die Anstaltspflege nicht unaufschiebbar gewesen sei. Aus § 15 Abs 4 der Krankenordnung könne für den Standpunkt der klagenden Partei nichts abgeleitet werden, weil durch diese Bestimmung § 93 Abs 1 weder abgeändert noch eliminiert worden sei, sondern hiedurch lediglich eine Regelung der Zahlungsmodalitäten für den Fall einer Unterbringung in einer nichtöffentlichen Krankenanstalt, mit der eine vertragliche Regelung nicht bestehe, unter Aufrechterhaltung der Bedingungen des § 93 Abs 1 BSVG getroffen worden sei.

Ob nun § 93 Abs 1 BSVG die alleinige Grundlage für den Anspruch auf Kostenzuschuß bei Unterbringung in einer Nichtvertragsanstalt bildet oder ob durch § 23 der Satzung bzw § 15 Abs 4 der Krankenordnung die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen in wirksamer Weise erweitert wurden, kann im vorliegenden Fall unerörtert bleiben, weil dies nicht entscheidungswesentlich ist.

§ 93 BSVG legt im ersten Absatz die Bedingungen für die Gewährung des Kostenzuschusses bei Unterbringung in einer Nichtvertragsanstalt fest und normiert im Abs 2, daß dieser Zuschuß die Kosten nicht übersteigen darf, die dem Versicherungsträger in der nach Art und Umfang der Einrichtungen und Leistungen in Betracht kommenden nächstgelegenen öffentlichen Krankenanstalt erwachsen wären. Gemäß § 23 der Satzung der beklagten Partei gebührt dem Versicherten, wenn er nicht die Vertragspartner bzw Vertragseinrichtungen der Anstalt für Leistungen im Sinn des § 74 Abs 1 BSVG in Anspruch nimmt, ausgenommen bei Gesundenuntersuchungen, ein Kostenzuschuß in der Höhe des Betrages, den die Anstalt bei Inanspruchnahme der in Betracht kommenden Vertragspartner bzw Vertragseinrichtungen unter Bedachtnahme auf § 80 BSVG hätte aufwenden müssen. Gemäß § 15 Abs 4 der Krankenordnung der beklagten Partei wird bei Inanspruchnahme der Anstaltspflege in einer nicht in Vertrag stehenden Krankenanstalt ein Kostenzuschuß in der Höhe des Betrages gewährt, der bei Inanspruchnahme der nächstgelegenen geeigneten öffentlichen Krankenanstalt der Anstalt erwachsen wäre. Der Anspruchsberechtigte hat die Kosten zunächst selbst zu tragen. Nach all diesen Bestimmungen ist sohin ein zu gewährender Kostenzuschuß in der Höhe des Aufwandes zu erbringen, der dem Sozialversicherungsträger bei Inanspruchnahme einer Vertragsanstalt erwachsen wäre. Dabei ist aber nur darauf abzustellen, welche Kosten dem Versicherungsträger erwachsen wären, wenn die Leistungen, die dem Versicherten in der privaten Krankenanstalt im konkreten Fall tatsächlich gewährt wurden, in einer öffentlichen Krankenanstalt erbracht worden wären. Es würde über die Regelung der bezogenen Bestimmungen hinausgehen, wollte man jeweils bei Inanspruchnahme von Einrichtungen, deren Träger nicht in einem Vertragsverhältnis mit dem Sozialversicherungsträger stehen, für die Frage des Kostenersatzes nicht von den Kosten der dabei tatsächlich erbrachten Leistungen ausgehen, sondern die Kosten von Leistungen heranzuziehen, die tatsächlich nicht erbracht wurden, bei Inanspruchnahme einer Vertragseinrichtung jedoch theoretisch erbracht worden wären. Grundvoraussetzung für den Anspruch auf Kostenzuschuß zur Anstaltspflege in einer privaten Krankenanstalt ist daher, daß in der privaten Krankenanstalt Anstaltspflege tatsächlich geleistet wurde. Eine Legaldefinition der Anstaltspflege fehlt. Aus der Konzeption des Gesetzgebers (insbesondere § 148 ASVG - für den vorliegenden Fall die korrespondierende Bestimmung des § 91 BSVG - iVm § 27 KAG) ist zu entnehmen, daß darunter eine einheitliche und unteilbare Gesamtleistung zu verstehen ist. Es werden mit den vom Versicherungsträger gezahlten Pflegegebühren grundsätzlich alle Leistungen der Krankenanstalt abgegolten (Binder in Tomandl System 3.ErgLfg 218 f). Die Teilleistungen, die von dieser Abgeltung umfaßt sind, sind die Kosten der Unterkunft, der ärztlichen Untersuchung und Behandlung, Beistellung von allen erforderlichen Heilmitteln, Arzneien usw, Pflege und Verköstigung (Teschner in Rechtslexikon 49.ErgLfg zum Begriff der Anstaltspflege). Dieser Katalog umschreibt den Begriff der Anstaltspflege. Dieser ist dementsprechend als Aufnahme in eine Krankenanstalt nicht bloß zur Gewährung ärztlicher Hilfe, sondern auch zur Erbringung von Pflegeleistungen zu definieren. Als Anstaltspflege ist ausschließlich die stationäre Pflege (nicht dagegen die ärztliche Hilfeleistung in der Anstaltsambulanz) anzusehen (Binder aaO 3.ErgLfg 219).

Im vorliegenden Fall steht fest, daß an der Tochter des Klägers in der Tagesklinik ein operativer Eingriff vorgenommen wurde; im Anschluß daran wurde in einem dafür bestimmten Raum in Anwesenheit der Mutter kurzfristig das Aufwachen aus der Narkose abgewartet und danach hat das Kind die Tagesklinik wieder verlassen. Eine Indikation für eine stationäre Aufnahme bestand nicht. Die Leistungen der Tagesklinik beschränkten sich daher darauf, daß dort ein ärztlicher Eingriff vorgenommen wurde. Der Fall unterscheidet sich somit nicht von der Durchführung eines operativen Eingriffes in einer hiezu besonders ausgestatteten Ordination eines Facharztes in Fällen, in denen neben einer kurzfristigen Überwachung des postoperativen Zustandes einen weitere Beobachtung nicht erforderlich ist. Anstaltspflege wurde in der Tagesklinik nicht geleistet, so daß ein Anspruch auf einen Kostenzuschuß für diese Leistung schon aus diesem Grund nicht bestehen kann.

In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Klageabweisung abzuändern. Da das Begehren des Klägers auf Ersatz von Heilbehandlungskosten unangefochten zurückgewiesen wurde, ist auf die Frage des Ersatzes der vom Kläger für die geleistete ärztliche Hilfe aufgewendeten Kosten im Revisionsverfahren nicht mehr einzugehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG abhing, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger die Hälfte der Kosten seines Vertreters zuzusprechen (SSV-NF 4/19 mwN).

Anmerkung

E26918

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00085.91.1126.000

Dokumentnummer

JJT_19911126_OGH0002_010OBS00085_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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