TE OGH 1991/12/5 15Os143/91

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Veröffentlicht am 05.12.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.Dezember 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Prokisch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Harald SCHE***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach § 75 sowie § 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 13. September 1991, GZ 20 r Vr 2835/91-51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Harald SCHE***** wurde aufgrund des Wahrspruches der Geschworenen (A) des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach "§§ 15, 75 StGB" (gemeint: § 75 sowie § 15 StGB), (B) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB und (C) des Vergehens nach § 36 Abs. 1 Z 1 WaffenG schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien

(zu A) am 16.März 1991

I. den Polizeibeamten Ferdinand SCHR***** durch Abgabe eines Schusses aus einer Pistole gegen dessen Oberkörper vorsätzlich getötet;

II. den Polizeibeamten Klaus G***** durch den Versuch, auf ihn aus der bereits genannten Pistole mehrere Schüsse abzugeben, vorsätzlich zu töten versucht, wobei die Tat nur durch Zufall, nämlich durch eine Ladehemmung der Pistole, unterblieb;

(zu B) mit Gewalt gegen Personen und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe, nämlich der bereits genannten Pistole, anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

I. am 17.September 1990 der Kassierin der in Wien 21., Floridsdorfer Hauptstraße 10, etablierten Konsumfiliale Johanna T***** ca 17.000 S, indem er ihr die Pistole an die Schläfe ansetzte und Geld forderte;

II. am 16.März 1991 den Kassierinnen des in Wien 19., Franz-Klein-Gasse 5, etablierten Billa-Marktes Anneliese K***** und Monika A***** etwa 85.000 S, indem er der Anneliese K***** einen Schlag mit der Pistole auf den Kopf versetzte, auf beide Kassierinnen mit der scharf geladenen Pistole abwechselnd zielte und die Herausgabe von Bargeld forderte;

(zu C) von Sommer 1990 bis 16.März 1991 unbefugt eine Faustfeuerwaffe, nämlich die bereits mehrfach genannte Pistole, besessen und geführt (unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß nach der Aktenlage entgegen dem Urteilsspruch die Waffe nicht nur in Wien, sondern auch an anderen Orten besessen und geführt wurde).

Rechtliche Beurteilung

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs. 1 Z 5 und 10 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, und zwar nach dem Rechtsmittelantrag, in dem uneingeschränkt die Aufhebung des Wahrspruches der Geschworenen und des darauf beruhenden Urteils beantragt wird, in sämtlichen Punkten.

Indes läßt die Nichtigkeitsbeschwerde jegliche Ausführungen zum Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB und wegen des Vergehens nach § 36 Abs. 1 Z 1 WaffenG vermissen. Insofern mangelt es daher an einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen. In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher schon deshalb zurückzuweisen (§§ 285 d Abs. 1 Z 1, 344 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO); im verbleibenden Umfang ist sie offenbar unbegründet.

In seiner Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Zwischenerkenntnis des Schwurgerichtshofes (S 59/II), mit dem sein Antrag auf Vernehmung der Zeugen R***** und B***** an Ort und Stelle (am Tatort des Mordes und des Mordversuchs) abgewiesen wurde, den er zum Beweis dafür gestellt hatte, daß er die Waffe aus seiner Sporttasche und nicht aus der Jacke gezogen habe und sie nicht gegen Kopf oder Brust des Polizeibeamten SCHR***** gerichtet habe (S 58/II).

Durch die Abweisung dieses Beweisantrages wurden jedoch Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt:

Die Zeugen R***** und B***** hatten - ebenso wie der Zeuge G***** - sowohl im Vorverfahren als auch - nachdrücklich und wiederholt - in der Hauptverhandlung stets übereinstimmend berichtet, daß der Angeklagte die Waffe aus dem Inneren seiner Jacke gezogen hatte (S 27, 67, 71, 348, 354, 402/I; 35 f, 39, 41 ff, 44, 48 f, 56/II). Daß die Jacke keine Innentasche aufweist (S 23/II), ist in diesem Zusammenhang unerheblich, kann doch die Waffe - wie der Schwurgerichtshof in seinem Zwischenerkenntnis durchaus zutreffend ausführt - auch im Hosenbund gesteckt sein. Anhaltspunkte dafür, daß die Zeugen R***** und B***** sowie der Zeuge G***** zu jenem Zeitpunkt, als der Angeklagte die Waffe zog und sogleich gegen den Polizeibeamten SCHR***** feuerte, in ihrer Sicht auf den Standort des Beschwerdeführers beeinträchtigt gewesen sein könnten (und daher allenfalls bloße Mitteilungen als eigene Wahrnehmungen darstellen könnten), sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgebracht. Es hätte somit im Beweisantrag dargetan werden müssen, aus welchen besonderen Gründen von den Zeugen R***** und B***** an Ort und Stelle eine zu ihren bisherigen Aussagen geradezu konträre Aussage zu erwarten gewesen wäre (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 73, 90 zu § 281 Abs. 1 Z 4); das ist indes nicht geschehen.

Auch zum Beweisthema, daß die Waffe "nicht gegen den Kopf oder die Brust" des durch den Schuß getöteten Polizeibeamten SCHR***** gerichtet gewesen wäre, bedurfte es nicht der Vernehmung der beiden genannten Zeugen an Ort und Stelle.

Abgesehen davon, daß das Opfer - in einer augenscheinlich nach vor geneigten Position - knapp unter dem Schlüsselbein mitten in die Brust getroffen wurde und keinerlei Verfahrensergebnisse - auch nicht die Verantwortung des Angeklagten - Anhaltspunkte dafür bieten, daß SCHR***** durch eine außergewöhnliche Körperbewegung in die Schußbahn geraten sein könnte, sind entgegen der Meinung des Beschwerdeführers die Aussagen der Zeugen R*****, B***** und G***** keineswegs "widersprüchlich". Die Demonstrationen dieser Zeugen über die Haltung der Schußhand des Angeklagten differieren nämlich lediglich um maximal 22 cm (S 38, 42, 50/II) - und dies bei unterschiedlichen, teilweise etwa 60 m vom Tatort entfernten Beobachtungspositionen (S 34/II) -, was angesichts der Unmöglichkeit zentimetergenauer Rekonstruktion eine bloß unwesentliche Divergenz darstellt, und zeigen, daß der 175 cm große Angeklagte (S 12/I) in Höhe des Oberleibes oder Kopfes eines ihm auf kurze Entfernung gegenüberstehenden, offenbar etwas vorgeneigten - 178 cm großen (S 293/I) Menschen geschossen hat.

Auch der Umstand, daß der Zeuge B***** zum Zeitpunkt der Abgabe des Schusses auf den Polizeibeamten SCHR***** diesen nicht mehr wahrnahm, weil er durch eine Hausecke abgedeckt war (S 36 f/II), während die Zeugin R***** den Beamten zu diesem Zeitpunkt sah (S 42 f/II), begründet keinen "gravierenden Widerspruch", wie dies der Beschwerdeführer vermeint; denn dieser Umstand ist durch unterschiedliche Standorte in der unbenannten, zur Stadtbahnstation Nußdorferstraße führenden Straße erklärbar, die für B***** ersichtlich eine (knappe) Sichtbeeinträchtigung durch das Gebäude des Betriebsbahnhofes Gürtel mit sich gebracht hatte (siehe Lageplan S 241/I, Maßstabskizze S 243/I und Lichtbilder S 135 ff, 249 ff/I). Daß die Zeugen R***** und B***** "in der Nähe" zueinander gewesen waren, schließt die unterschiedliche Sichtmöglichkeit nicht aus, zumal die beiden genannten Zeugen nur durch nachträgliche Rückschlüsse zur Annahme gelangten, sie müßten nahe zueinander gestanden sein (S 45/II), und auch in diesem Zusammenhang nicht zum Ausdruck brachten, daß sie bei Abgabe des den Polizeibeamten SCHR***** tötenden Schusses geradezu unmittelbar nebeneinander standen.

Soweit der Beschwerdeführer in der Tatsachenrüge (Z 10 a) an seine Ausführungen in der Verfahrensrüge anknüpft und erneut davon ausgeht, die Zeugen B***** und R***** hätten Beobachtungen "aus einer annähernd gleichen Position" gemacht, die unterschiedlichen Angaben über die Höhe der Schußhand des Angeklagten betont und hervorkehrt, daß seine Jacke keine Innentasche hatte, kann auf das Vorgesagte verwiesen werden.

Die Beschwerdebehauptung, die Zeugen R***** und B***** hätten bei ihrer Vernehmung vor der Sicherheitsbehörde und dem Untersuchungsrichter "mit keinem Wort" erwähnt, daß der Angeklagte die Waffe gegen den Oberkörper des Polizeibeamten SCHR***** gerichtet habe, ist insoferne unzutreffend, als beide Zeugen in ihren polizeilichen Vernehmungen jedenfalls zum Ausdruck brachten, daß der Angeklagte "auf" SCHR***** schoß (S 67, 71/I). Diese Angaben wurden vor dem Untersuchungsrichter aufrecht erhalten (S 347, 353/I). Die (noch) mangelnde Präzisierung dieser Angaben vermag keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Gleiches gilt für den Umstand, daß die Zeugen R***** und G***** verschiedene Angaben darüber machten, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Abgabe des Schusses auf SCHR***** seine Sporttasche noch bei sich hatte oder sie ihm bereits abgenommen war - der Zeuge B***** hat nach seiner Aussage insoweit keine präsize Erinnerung (S 34 ff/II), sondern nur eine Vermutung (S 55/II) -, bezogen darauf, ob der Angeklagte bei dem Schuß auf SCHR***** die Pistole mit beiden Händen (S 145/I) oder nur mit einer Hand hielt (S 53/II) und ob SCHR***** aufrecht stand, als er getroffen wurde (S 54 f/II), oder - wie nach dem abfallenden Schußkanal in seinem Körper anzunehmen ist (S 64, 68/II) - nach vor geneigt war. Denn diese Divergenzen bei der Wiedergabe eines rasch ablaufenden Geschehens sind im Zusammenhang damit zu sehen, daß die Zeugen R*****, B***** und G***** durch die Bluttat geschockt waren (S 69/I, 38, 44, 53/II), womit aber der Beweiswert ihrer Bekundungen insgesamt nicht in Frage gestellt wird.

So gesehen wird aber mit dem resümierenden Vorbringen, daß Aussagen, die auf Schock oder Aufregung zurückzuführende Widersprüche aufweisen, nicht Grundlage für eine Tatsachenfeststellung sein könnten, letztlich nur die Glaubwürdigkeit der drei genannten Zeugen in Zweifel gezogen und damit nicht der angerufene Nichtigkeitsgrund dargetan (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 4 zu § 281 Abs. 1 Z 5 a).

Auch die gegen den Schuldspruch wegen des Mordversuches am Zeugen G***** gerichtete Tatsachenrüge versagt.

Sowohl die Zeugin R***** (S 45/II) als auch der Zeuge G***** (S 403/I, 51, 54/II) berichteten, daß der Angeklagte, nachdem er SCHR***** niedergestreckt hatte, die Waffe auf den Polizeibeamten G***** richtete. Daß sich kein Schuß löste, ist auf die mit der Abgabe des Schusses auf SCHR***** durch ein Klemmen der Patronenhülse im Lauf eingetretenen Ladehemmung (S 459 f/I) zurückzuführen. Daß die Zeugen R***** und G***** kein wegen dieses Versagens zur Schußabgabe ohnedies untaugliches Abdrücken des Hahnes - eine bloß kurzzeitige Fingerbewegung - wahrnahmen, läßt ebensowenig erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufkommen wie der Umstand, daß G***** bei einer 10 bis 20 Minuten nach der Tat vorgenommenen Rekonstruktion (S 53, 56/II iVm S 135 ff/I) die Position des Täters als noch stehend darstellen ließ (S 147/I), denn er war zu diesem Zeitpunkt noch geschockt (S 53/II) und brachte in seiner auch noch am Tag der Tat abgefaßten schriftlichen Meldung (S 27/I) ohnedies zum Ausdruck, daß der Angeklagte zusammensackte und danach weiter die Waffe gegen ihn richtete.

Aus den angeführten Gründen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§§ 285 d Abs. 1 Z 1 und 2, 344 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO).

Die Entscheidung über die vom Angeklagten erhobene Berufung fällt demnach in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Wien (§§ 285 i, 344 StPO).

Anmerkung

E27055

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0150OS00143.91.1205.000

Dokumentnummer

JJT_19911205_OGH0002_0150OS00143_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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