TE OGH 1991/12/11 2Ob42/91

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Veröffentlicht am 11.12.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****KRANKENKASSE, ***** vertreten durch Dr. Robert Amhof, Dr. Heinz Damian, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Annemarie R*****, vertreten durch Dr. Helmut Hoppel, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 90.266,33 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12. Dezember 1990, GZ 16 R 205/90-37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 6. Juli 1990, GZ 33 Cg 12/89-34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.094 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 849 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrte von der Beklagten als Bürgin und Zahlerin S 90.266,33 sA an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen der S***** Gesellschaft mbH für die Zeit vom Jänner bis März 1986 und vom August bis September 1986. Sie brachte vor, infolge Konkurseröffnung über die Gesellschaft mbH am 27. August 1987 sei die Zahlung der Hauptschuldnerin vom 12. März 1987 angefochten und der Betrag zurückverlangt worden. Dem sei durch Rückzahlung an den Masseverwalter entsprochen worden. Daraus resultiere die Klageforderung gegen die beklagte Bürgin.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein:

Das Begehren der klagenden G*****KRANKENKASSE gegenüber der Beklagten, für künftige Beitragsschulden ihres Dienstgebers eine Bürgschaft zu übernehmen, sei sittenwidrig gewesen. Die klagende Partei könne sich daher für die nach dem 17. Juni 1986 entstandenen Beitragsschuldigkeiten nicht auf diese Bürgschaftserklärung berufen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es

traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:

Die Beklagte war bei der S***** Gesellschaft mbH angestellt und vom 22. Jänner 1986 bis 15. März 1987 als deren Angestellte bei der Klägerin zur Sozialversicherung gemeldet. Seit 6. November 1986 war Erwin R*****, der Ehemann der Beklagten, Geschäftsführer der Gesellschaft, seit 21. September 1987 ist er deren Liquidator. Mit Niederschrift vom 17. Juni 1986 erklärte die Beklagte, der Schuld der S***** Gesellschaft mbH an Sozialversicherungsbeträgen in Höhe von S 78.904,17 samt Nebengebühren sowie den auf den Beitragskonten neu auflaufenden Sozialversicherungsbeiträgen "als Bürge und Zahler vorbehaltlos und unwiderruflich" beizutreten. Die Haftung sollte erlöschen, wenn keine wie immer gearteten Rückstände an Kapital und Nebengebühren einschließlich Verzugszinsen auf sämtlichen Beitragskonten aushafteten. Auf eine Kündigung dieses Schuldverhältnisses aus welchem Grunde auch immer (insbesondere auch bei Ausscheiden aus der Firma) wurde vorbehaltlos und unwiderruflich verzichtet.

In einer weiteren Niederschrift vom gleichen Tag wurde folgende "Zahlungsvereinbarung" getroffen:

Die rückständigen Beiträge einschließlich des Monates 3/86 von S 78.904,17 zuzüglich der noch zu berechnenden Verzugszinsen und Nebengebühren sind in Monatsraten von je S 8.000, die erste am 5. Juli 1986, die folgenden je 1 Monat später bei einem Respiro von 3 Tagen, die laufenden Beiträge, Nachtragsvorschreibungen oder Beitragszuschläge ab 6/86 pünktlich zu bezahlen. Außerdem wurde Terminverlust "ohne Mahnung oder Nachfrist" festgesetzt.

Die S***** Gesellschaft mbH konnte den Rückstand an Sozialversicherungsbeiträgen zum Zeitpunkt, als die Beklagte die Bürgschaft einging, wegen schlechten Geschäftsganges nicht bezahlen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, daß die Bürgschaft den Zweck gehabt hätte, den Arbeitsplatz der Beklagten als Dienstnehmerin der Gesellschaft mbH sicherzustellen (S 4 des Berufungsurteiles). Am 27. August 1987 wurde über das Vermögen der S***** Gesellschaft mbH der Konkurs eröffnet. Der Masseverwalter verlangte die von der S***** Gesellschaft mbH am 12. März 1987 geleistete Barzahlung von S 138.046,71 von der klagenden Partei zurück. Diese entsprach dem Antrag am 1. Juni 1988 und meldete die Forderung am 8. August 1988 zum Konkurs an.

Die Richtigkeit des Klagebegehrens von S 90.226,33 steht der Höhe nach außer Streit.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der geltend gemachte Anspruch der klagenden Partei deshalb nicht zustehe, weil nach § 539 ASVG Vereinbarungen, welche die Anwendung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zum Nachteil des Versicherten im voraus ausschließen oder beschränken, ohne rechtliche Wirkung seien. Diese Generalklausel umfasse alle gegen die Normen des ASVG verstoßenden Absprachen. Die vorgenommene Bürgschaftsübernahme stelle mittelbar eine Abwälzung des Dienstgeberanteils an den Sozialversicherungsbeiträgen auf den Dienstnehmer dar und verstoße damit gegen diese zwingende Norm. Obgleich daher die Bürgschaft nach allgemeinem bürgerlichen Recht sowohl der Form als auch dem Inhalt nach möglich und zulässig wäre, sei die Übernahme einer solchen über die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge durch den Dienstnehmer des versicherungspflichtigen Betriebs doch auf Grund der speziellen Norm des § 539 ASVG ohne rechtliche Wirkung; der Bürgschaftsvertrag sei somit rückwirkend nichtig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, änderte die erstgerichtliche Entscheidung ab, sprach der klagenden Partei den geltend gemachten Betrag zu und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. § 539 ASVG sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Entscheidend für das Vorliegen einer nach § 539 ASVG unzulässigen Überwälzung des Arbeitgeberanteiles auf den Arbeitnehmer sei nur der Abzug des Arbeitgeberanteiles vom vereinbarten Arbeitsentgelt. Werde hingegen ein Entgelt vereinbart, dem eine Kalkulation der finanziellen Belastung des Arbeitgebers durch diesen in der Weise vorausgeht, daß ein dem Arbeitgeberanteil entsprechender Betrag vor der Vereinbarung des Entgeltes abgezogen wurde, verstoße ein solcher Vorgang nicht gegen die Bestimmungen der §§ 51 ff und 539 ASVG (RdW 1985, 117 = JBl 1986, 539). Von einer Überwälzung des Arbeitgeberanteils der Sozialversicherungsbeiträge an die Arbeitnehmerin könne durch die Bürgschaftsübernahme der Beklagten nicht gesprochen werden. Es liege hier keine (gesetzwidrige) Verkürzung des vereinbarten Arbeitsentgeltes vor, die Beklagte habe sich zur Zahlung einer Bürgschaftsschuld, aus welchen Einkünften auch immer, an die klagende Partei verpflichtet.

Eine Bürgschaftserklärung eines Dienstnehmers für die Sozialversicherungsbeiträge des Dienstgebers sei keine Vereinbarung, die - zum Nachteil des Versicherten - die Anwendung von Bestimmungen des ASVG im voraus gänzlich oder teilweise ausschlösse, im besonderen werde hiedurch auch nicht die in den §§ 51, 58 Abs. 2 ASVG normierte Verpflichtung des Dienstgebers, die auf ihn und den (die) Versicherten entfallenden Beiträge auf seine Gefahren und Kosten zur Gänze einzuzahlen, berührt. Beitragsschuldner bleibe der Dienstgeber. Die beklagte Dienstnehmerin sei dieser Beitragsschuld nur als Bürgin und Zahlerin beigetreten, wodurch aber keine Bestimmung des ASVG verändert wurde. So bleibe es auch bei den unterschiedlichen Verfahren zur Einbringung der Beitragsforderungen (§ 64 ASVG) gegenüber Personen, die nach den Bestimmungen des ASVG als Dienstgeber ....... zur Zahlung verpflichtet sind einerseits und dem vertraglich in eine Beitragsschuld eingetretenen Bürgen und Zahler andererseits. Selbst wenn man die übrigen Voraussetzungen des § 539 ASVG (unrichtigerweise) hier bejahte, könnte diese Verbotsnorm jedenfalls nur für zukünftige Beitragsverbindlichkeiten gelten, der Verpflichtung zur Zahlung der im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung bereits bestehenden und bekannten Beitragsschuld fehlte schon das Moment der "Voraus"-Beschränkung im Sinne der zitierten Norm.

Der von der Beklagten erhobene Einwand der Sittenwidrigkeit sei nur dahin ausgeführt worden, daß das Begehren der klagenden Partei gegenüber einer Angestellten, für künftige Beitragsschulden des Dienstgebers zu bürgen, sittenwidrig sei. Eine weitere Präzisierung des Einwandes sei nicht erfolgt. Eine Behauptung dahin, daß sich die Beklagte nur auf Grund ihrer wirtschaftlichen Schwäche und Abhängigkeit von ihrem Dienstgeber zum Abschluß der beanstandeten Vereinbarung bereitgefunden hätte, sei weder aufgestellt worden, noch sei solches hervorgekommen; dies könne auch nicht im Hinblick auf die familiären Beziehungen der Beklagten zum Geschäftsführer und Gesellschafter der GmbH unterstellt werden.

Eine Nichtigkeit der Bürgschaft nach dem Kautionsschutzgesetz habe schon das Erstgericht aus zutreffenden Erwägungen verneint. Zweck der mit Nichtigkeitssanktion bewährten Verbotsnorm des § 3 KautSchG sei unter anderem, den Dienstnehmer davor zu schützen, daß er, um der Aufrechterhaltung des Dienstvertrages willen, dem Dienstgeber ein Darlehen gewährt und damit der Gefahr der Insolvenz des Dienstgebers ausgesetzt wird. Befindet sich der Dienstgeber in einer äußerst bedrängten finanziellen Situation, ist ein Dritter zu einer weiteren Kreditgewährung an ihn nur gegen deren Besicherung durch eine Bürgschaft bereit, macht der Dienstgeber, um einen benötigten Kredit zu erlangen, die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses mit seinem Dienstnehmer davon abhängig, daß dieser eine Bürgschaft übernimmt, und entschließt sich der Dienstnehmer, der auf die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses angewiesen ist, deshalb zur Bürgschaftsübernahme und sind schließlich diese Umstände dem Dritten bei der Annahme der Bürgschaftserklärung des Dienstnehmers bekannt, sei in dieser Vorgangsweise der Beteiligten eine zwar nicht die Buchstaben des KautSchG verletzende, aber dessen Zweck vereitelnde Umgehung zu erblicken, welche unter Nichtigkeitssanktion stehe (EvBl. 1989/83 = SZ 61/228). Hier könne aber nach den Verfahrensergebnissen weder davon ausgegangen werden, daß die Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes der Beklagten von der Bürgschaftsübernahme abhängig gemacht wurde, noch daß sie auf diesen Arbeitsplatz überhaupt angewiesen war und sich deshalb zur Bürgschaftsübernahme entschlossen hat, noch daß der klagenden Partei solche Umstände bei Annahme der Bürgschaftserklärung der beklagten Partei bekannt gewesen sind. Dazu fehlte es im übrigen an jeglichem Vorbringen der Beklagten in erster Instanz.

In der Entscheidung RdA 1971, 19 = SZ 42/36 habe der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall eines sich für die Bezahlung von Beitragsrückständen sowie der laufenden Zahlungsverpflichtungen seines Dienstgebers verbürgenden Angestellten die Rechtswirksamkeit einer solchen Bürgschaftsverpflichtung (unter Verneinung der Anwendbarkeit des KautSchG) ausgesprochen. Das Berufungsgericht sehe keinen Anlaß, von dieser Rechtsmeinung abzugehen - mag sich auch die Kritik Dirschmieds, dem das Erstgericht folgte, gegen diese Entscheidung gerichtet haben. Eine Nichtigkeit oder Sittenwidrigkeit der Bürgschaft der beklagten Partei werde demnach verneint.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte stützt sich auf die Rechtsansicht des Erstgerichtes und verweist darauf, daß dieses im Gegensatz zum Berufungsgericht zu Recht der Auffassung Dirschmieds in RdA 1971, 20 gefolgt und eine Nichtigkeit der Bürgschaft wegen Verstoßes gegen § 539 ASVG angenommen habe.

Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend in der Bürgschaftsübernahme der Beklagten, die nicht nur eine Angestellte der Gesellschaft, sondern auch die Ehefrau des Geschäftsführers derselben war, keinen Verstoß gegen § 539 ASVG erblickt. Nach dieser Bestimmung sind - was zunächst klarzustellen ist - nur Vereinbarungen, die die Anwendung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zum Nachteil des Versicherten im voraus ausschließen oder beschränken, ohne rechtliche Wirkung. Die Beklagte, die nach den Feststellungen der Vorinstanzen selbst am 17. Juni 1986 die Verhandlungen mit der Angestellten der klagenden Partei führte, um für die Gesellschaft eine Ratenzahlung zu erreichen, konnte sich daher fraglos dafür verbürgen, daß die bereits aufgelaufenen Beitragsrückstände für die Monate Jänner bis März 1986 entsprechend der Ratenvereinbarung bezahlt würden.

Aber auch die Bürgschaftsübernahme für die später und zwar in den Monaten August und September 1986 angelaufenen Beitragsrückstände verstößt nicht gegen § 539 ASVG. Wie der Oberste Gerichtshof in der mehrfach veröffentlichten Entscheidung SZ 42/36

= EvBl 1969/257 = Soz I A/e, 785 = Arb. 8606 = QuHGZ 1970/64

= RdA 1971, 19 erkannte, ist die Bürgschaft eines Dienstnehmers

für Sozialversicherungsbeiträge des Dienstgebers grundsätzlich zulässig. Die kritische Stellungnahme Dirschmieds in der schon vom Berufungsgericht zitierten Veröffentlichungsstelle übersieht, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer, sondern um die Übernahme einer Bürgschaft durch den Dienstnehmer gegenüber einem Dritten handelt, durch welche die Bestimmungen des ASVG in keiner Weise ausgeschlossen oder beschränkt, ja überhaupt in keinem Punkt verändert werden. Nach wie vor trifft die Verpflichtung zur Zahlung der Dienstgeberanteile den Dienstgeber selbst, zu deren Durchsetzung dem Sozialversicherungsträger gemäß § 64 Abs 2 ASVG weiterhin die Ausfertigung eines Rückstandsausweises zur Verfügung steht. Hingegen müssen Beitragsforderungen gegenüber anderen Personen wie Bürgen udgl. vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden (Manz'sche Große Gesetzesausgabe zum ASVG, Punkt A 3. zu § 64). Die Beklagte, die sich selbst darum bemüht hatte, die Bürgschaft gegenüber der klagenden Partei zu übernehmen, vermag keine Argumente gegen diese bereits vom Berufungsgericht eingehend dargestellten Grundsätze vorzubringen.

Auf Erwägungen zum Kautionsschutzgesetz und allgemein zu Fragen der Sittenwidrigkeit kommt die Revision nicht mehr zurück. Es genügt daher, diesbezüglich gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf die ebenfalls zutreffende Begründung des Berufungsgerichtes zu verweisen.

Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E27690

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0020OB00042.91.1211.000

Dokumentnummer

JJT_19911211_OGH0002_0020OB00042_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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