TE OGH 1991/12/12 7Ob632/91

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Veröffentlicht am 12.12.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Nikola N*****, Yvonne N*****, und Philipp N*****, infolge Revisionsrekurses der Mutter Eveline N*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 28. August 1991, GZ 43 R 405, 514/91-105, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 20. Juni 1991, GZ 7 P 182/88-100, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß, der in seinem Punkt 1) als unbekämpft unberührt bleibt, wird in seinem Punkt 2) aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang der Aufhebung zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Eltern der Minderjährigen leben seit 1982 getrennt, die Obsorge über die Kinder stand bisher der Mutter zu. Die Ehe der Eltern wurde inzwischen geschieden. Am 29.Jänner 1991 wurde über die Mutter die Untersuchungshaft verhängt. Der Vater stellte daraufhin den Antrag, ihm die Obsorge über die Kinder zu übertragen.

Das Erstgericht entschied im Sinne des Antrages des Vaters. Nach seinen Feststellungen führte der Vater ab dem 11. Februar 1991 den Haushalt für die Kinder in der ehemaligen Ehewohnung in Wien. Am 1. März 1991 wurde die Mutter aus der Untersuchungshaft entlassen. Ende März 1991 zogen die Kinder in das Haus des Vaters nach Baden. Der Vater ist seit Feber 1991 wieder verheiratet. Bei diesem Haus handelt es sich um ein Einfamilienhaus, jedes Kind verfügt über ein eigenes Zimmer. Die Kinder besuchen nach wie vor das Realgymnasium am Wiedner Gürtel. Sie sind ihrem Alter entsprechend gut entwickelt und fühlen sich in ihrer derzeitigen Umgebung wohl. Sie erklärten, beim Vater bleiben zu wollen. Ein regelmäßiger Besuchskontakt zur Mutter findet statt.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes ist der Wunsch bereits mündiger Kinder bei der Obsorgeentscheidung zu beachten, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen. Letzteres sei hier nicht der Fall. Entsprechend der Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Baden seien die materiellen Voraussetzungen für die beim Vater untergebrachten Kinder sehr gut, wogegen die Mutter nach ihren eigenen Angaben seit ihrer Haftentlassung Sozialhilfe beziehe. Der Einwand, daß die Kinder vom Vater nachmittags nicht betreut werden könnten, sei nicht schwerwiegend. Zum einen seien Kinder in diesem Alter sehr häufig nachmittags in der Schule, zum anderen müsse der Elternteil, dem die Rechte und Pflichten nach § 144 ABGB zugeteilt würden, die Pflege und Erziehung nicht selbst besorgen.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes aus dessen Gründen und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und berechtigt, weil der rechtlichen Beurteilung des Rekursgerichtes ein in wesentlichen Punkten unvollständiger Sachverhalt zugrundeliegt, der zur Wahrung der Rechtssicherheit und Rechtseinheit eine Ergänzung geboten erscheinen läßt (6 Ob 533/85).

Beizupflichten ist den Vorinstanzen grundsätzlich darin, daß einem mündigen Kind möglichst nicht gegen seinen Willen die Obsorge durch einen Elternteil aufgezwungen werden soll, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen und der Wunsch nicht gegen die offenbar erkennbaren Interessen des Kindes gerichtet ist (EFSlg. 59.815 f, 45.890 f; Pichler in Rummel2 Rz 1 b zu § 177). Der Wunsch des Kindes ist zwar in diesem Sinn beachtlich, aber nicht allein entscheidend (EFSlg. 56.834). Richtig hat auch bereits das Erstgericht dargelegt, daß Maßstab für die Entscheidung über die Obsorge zuvörderst das Kindeswohl ist (EFSlg. 56.812 uva) und daß alle bei beiden Elternteilen bestehenden Umstände gegenüberzustellen und abzuwägen sind (EFSlg. 56.814 ua). Hiezu gehören neben den wirtschaftlichen Verhältnissen insbesondere auch die Erwartungen hinsichtlich der Erziehung und Beaufsichtigung und einer günstigen geistigen und seelischen Entwicklung (Pichler aaO Rz 2 a mwN). Demgegenüber wurden jedoch die derzeitigen Verhältnisse bei der Mutter, die die Kinder immerhin jahrelang erzogen und betreut hat, überhaupt nicht erhoben. Es blieb auch ungeprüft, welche Auswirkungen die Tatsache hat, daß die Kinder in Wien die Schule besuchen und ob eine entsprechende Beaufsichtigung nach Schulschluß gewährleistet ist (vgl. AS 255 ON 99). Auch die Anhörung der Kinder erfolgte nur oberflächlich. Es ist nicht erkennbar, inwieweit ihr Wunsch etwa nur dem Umstand entspricht, daß ihnen der Vater mehr Freiheit bietet, oder auf emotionaler Bindung beruht. Die bisher nur sehr dürftigen Feststellungen werden daher aufgrund eingehenderer Erhebungen zu ergänzen und dann wird neuerlich über den Antrag des Vaters zu entscheiden sein.

Demnach ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

Anmerkung

E27941

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0070OB00632.91.1212.000

Dokumentnummer

JJT_19911212_OGH0002_0070OB00632_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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