TE OGH 1991/12/17 5Ob54/91

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Veröffentlicht am 17.12.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Floßmann als weitere Richter in der Mietrechtssache der Antragstellerin Manuela P*****, vertreten durch Walter Jaros, Funktionär der Mieter-Interessens-Gemeinschaft-Österreichs, Antonsplatz 23/3, 1100 Wien, wider die Antragsgegnerin Maria M*****, Hauseigentümerin, ***** vertreten durch Dr. Thomas Mondl, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs. 1 Z 8 MRG infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 24. Jänner 1991, GZ 48 R 624/90-19, womit der Sachbeschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 11. Juli 1990, GZ 5 Msch 57/89-15, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Sachbeschluß wird dahin abgeändert, daß der erstgerichtliche Sachbeschluß wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Vorauszuschicken ist, daß der antragsabweisende erstgerichtliche Sachbeschluß bezüglich einer weiteren Antragstellerin infolge Zurückziehung ihres Rekurses rechtskräftig wurde, sodaß sich sowohl die Entscheidung des Rekursgerichtes als auch diejenige des Obersten Gerichtshofes nur noch auf die im Kopf genannte Antragstellerin Manuela P***** bezieht.

Zwischen den Parteien ist strittig, ob die Vermieterin nur den nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG für eine Wohnung der Ausstattungskategorie C zulässigen Hauptmietzins begehren darf oder ob eine Mietzinsvereinbarung iS des § 16 Abs 1 Z 2 MRG zulässig war, weil das durch Kriegseinwirkung zerstörte Haus ohne Zuhilfenahme von öffentlichen Mitteln durch die Antragsgegnerin wiederhergestellt worden war. Unstrittig ist für den Fall der Zulässigkeit einer solchen Zinsvereinbarung die Angemessenheit des von den Parteien vereinbarten Mietzinses.

Das Erstgericht wies - nach vorausgegangenem Verfahren vor der Schlichtungsstelle - den Antrag der Antragstellerin auf Feststellung, daß die Antragsgegnerin ihr gegenüber in der Zeit von September 1987 bis Juni 1989 das gesetzliche Zinsausmaß dadurch überschritten hätte, daß sie ihr statt des nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG für eine Wohnung der Ausstattungskategorie C zulässigen Hauptmietzinses den im Mietvertrag vom 12. August 1987 vereinbarten Hauptmietzins vorschrieb, ab.

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Antragstellerin mietete die 53,13 m2 große Wohnung mit Mietvertrag vom 12. August 1987 zu einem monatlichen Hauptmietzins von S 1.075. Wasser und WC waren zum Zeitpunkt der Anmietung in die Wohnung integriert. Im Zuge eines Mietzins- und Räumungsverfahrens bezahlte die Antragstellerin nach einer pfandweisen Beschreibung den ihr bekanntgegebenen Mietzinsrückstand. Eine ausdrückliche Erklärung, daß dieser Mietzins gesetzlich zulässig sei oder daß sie den Antrag auf Überprüfung des Mietzinses zurückziehe, gab die Antragstellerin nicht ab.

Das Haus Wien *****, B*****gasse ***** wurde durch Kriegseinwirkungen (zwei Bombentreffer) stark beschädigt. Eine Bombe riß das vordere Hauseck weg, eine zweite Bombe fiel hofseitig in das Haus und beschädigte den gesamten WC-Trakt, darunter auch das nunmehr in die Wohnung der Antragstellerin integrierte WC. Damals gehörte es allerdings noch nicht in den Wohnungsverband der jetzt zusammengelegten Wohnung. Das Dach des Hauses war stark beschädigt, sodaß es in das Haus hineinregnete. Zum Teil fehlte das Dach völlig. Der hintere Hoftrakt des Hauses war demoliert und das Stiegenhaus unbrauchbar geworden; es fehlten auch sämtliche Fenster.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 22. Dezember 1945 wurde die Räumung der damals noch bewohnten Wohnungen, darunter nicht die der (offenbar schon unbewohnten) derzeitigen Wohnung der Antragstellerin, verfügt und die Wiedererrichtung des zerstörten Gebäudes bewilligt. Die Räumung war deshalb veranlaßt worden, weil einige Wohnräume zur Gänze weggerissen waren und auch die Umfassungs- bzw. Mittelmauern sowie die Stiegenhausmauern großen Schaden erlitten hatten. Das Treppenhaus war einsturzgefährdet. Wegen dieser Beschädigungen bestand Lebensgefahr beim Betreten des Hauses. Es fehlten auch die notwendigen Versorgungseinrichtungen wie Wasser und Strom.

Rechtlich führte das Erstgericht im wesentlichen folgendes aus:

Nach § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG sei eine Mietzinsvereinbarung im Rahmen des Angemessenen dann zulässig, wenn ein Mietgegenstand durch einen Zu- oder Umbau neu geschaffen wurde. Es könne für die Neuschaffung von Wohnraum nicht darauf ankommen, ob Wohnungen nach physikalischen Grundsätzen gerade noch vorhanden wären, sondern nur darauf, ob sie ihre Funktion als Wohnraum noch erfüllen könnten. Seien von Wohnungen nur mehr beschädigte Außenmauern vorhanden, gebe es aber kein Dach des Wohnhauses mehr und sei der Zugang zu den Wohnungen wegen der einsturzgefährdeten Stiege nicht möglich und sei daher die Benützung der Wohnung durch die Behörde untersagt worden, so seien solche Wohnungen rechtlich untergegangen und daher keine Bestandobjekte, die bloß adaptiert wurden. Es handle sich daher um eine echte Neuerrichtung. Es sei daher die Vereinbarung eines angemessenen Hauptmietzinses zulässig gewesen.

Auf die Rückforderung zu viel bezahlten Mietzinses habe aber die Antragstellerin weder ausdrücklich noch konkludent verzichtet.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Sachbeschluß dahin ab, daß es dem Antrag der Antragstellerin stattgab. Es sprach die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses aus.

Rechtlich führte das Rekursgericht im wesentlichen folgendes aus:

Bei Beurteilung der Frage, ob es sich bei den baulichen Maßnahmen noch um Adaptierungsarbeiten im weiteren Sinne oder bereits um die Neuschaffung von Wohnraum handle, sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Eine Neuschaffung liege nur vor, wenn durch bauliche Maßnahmen Mietgegenstände gewonnen würden, die vorher überhaupt nicht zur Verfügung standen oder zur Verwendung als Wohn- oder Geschäftsräume nicht geeignet gewesen wären. Eine Neuschaffung von Wohnraum liege nach der Rechtsprechung auch dann vor, wenn das Gebäude oder Teile hievon niedergerissen würden. Dabei müsse es sich aber um eine völlige Umgestaltung des Inneren des Gebäudes, verbunden mit einem Niederreißen und der Neuherstellung von Baulichkeiten oder Teilen des Bauwerkes handeln. Von einer Neuschaffung könne auch dann gesprochen werden, wenn die Teile des Gebäudes, in dem sich die Mietobjekte befinden, nur noch mit ihren tragenden Außenmauern und Stützmauern bestehen blieben, wogegen die Decken und Fußböden weggerissen worden seien. Keine Neuschaffung liege jedoch vor, wenn die Wände, Fußböden und Decken nicht zerstört wurden und daher auch nicht neu errichtet werden mußten.

Nach den Feststellungen sei die Wohnung der Antragstellerin nicht zerstört worden, sondern nur das nunmehr zur Wohnung gehörende, damals noch außerhalb dieser gelegene WC. Da es sich dabei um einen Nebenraum handle, falle es bei der Beurteilung nicht entscheidend ins Gewicht. Für eine Zerstörung von Decken, Wänden und Fußböden gibt es aber keine Anhaltspunkte. Dies bedeute, daß die Bausubstanz dieses Mietobjektes nicht zerstört, sondern nur für ein Bewohnen vorübergehend im großen Ausmaß unbrauchbar war und umfangreiche Adaptierungsarbeiten zur Beseitigung der Unbrauchbarkeit erforderlich gewesen wären. Von einer Neuschaffung des Mietobjektes im Sinne des § 16 Abs 1 Z 2 MRG könne daher nicht gesprochen werden.

Auf Grund der unbekämpften Feststellungen über die Nutzfläche und Ausgestaltung der Wohnung der Antragstellerin sowie über die Höhe des vereinbarten und der Antragstellerin vorgeschriebenen Mietzinses habe daher sogleich eine Feststellung der Mietzinsüberschreitung (gegenüber dem für die Ausstattungskategorie C nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG zulässigen Mietzins) getroffen werden können.

Da eine Erörterung einer allfälligen Rückzahlungsverpflichtung der Antragsgegnerin in erster Instanz nicht stattgefunden habe, könne ein Ausspruch nach § 37 Abs 4 MRG nicht erfolgen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur erheblichen Rechtsfrage, inwieweit von einer Neuerrichtung eines Mietobjektes im Sinne des § 16 Abs 1 Z 2 MRG auch dann gesprochen werden könne, wenn ein Mietobjekt adaptiert wurde, das in seinen Abgrenzungen zwar erhalten geblieben, seine Funktion als Wohnraum jedoch infolge Zerstörung des umliegenden Gebäudes, der Energie- und Wasserversorgungsleitungen und infolge Entzuges der Benützungsbewilligung verloren habe, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen den rekursgerichtlichen Sachbeschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Sachbeschluß wiederherzustellen; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Ohne Beschränkung durch die in § 16 Abs 2 MRG für Wohnungen bestimmter Ausstattungskategorien festgesetzten Mietzinsobergrenzen ist gemäß § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG die Vereinbarung eines der Größe, Art, Beschaffenheit und Lage sowie dem Ausstattungs- und Erhaltungszustand des Mietobjektes angemessenen Hauptmietzinses zulässig, wenn der Mietgegenstand auf Grund einer nach dem 8. Mai 1945 erteilten Baubewilligung - wie in dem hier zu beurteilenden Fall - durch Um-, Auf-, Ein- oder Zubau neu geschaffen worden ist. Wegen der Übereinstimmung des Wortlautes und des Zweckes dieser Ausnahmebestimmung mit den Vorschriften des § 1 Abs 2 Z 1 und Abs 3 Z 1 MG kann zur Auslegung des § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG die Rechtsprechung zu den genannten Bestimmungen des MG herangezogen werden (MietSlg 37.305/5 mwN). Danach liegt eine Neuschaffung von Räumen (jetzt: Mietgegenständen) vor, wenn durch bauliche Maßnahmen Räume (jetzt: Mietgegenstände) gewonnen werden, die entweder bisher überhaupt nicht zur Verfügung standen oder zur Verwendung als Wohn- oder Geschäftsräume nicht geeignet waren; die bloße Umgestaltung vorhandener, wenn auch schlecht ausgestatteter Wohn- oder Geschäftsräume in gut ausgestattete stellt hingegen keine Neuschaffung dar, mag sie auch neben einer baubehördlichen Bewilligung aufwendige Instandsetzungsarbeiten erfordert haben (MietSlg 37.305/5 unter Hinweis auf MietSlg 34.378). "Neuschaffung" in diesem Sinne setzt aber nicht voraus, daß ein konkretes Bestandobjekt physisch untergegangen ist; es genügt, daß es für den bestimmungsgemäßen Zweck unbrauchbar geworden ist (MietSlg 5017 ua, jüngst 2 Ob 618/90). Die Grenzen einer nach § 1 Abs 2 Z 1 MG (jetzt: § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG) zu beurteilenden Neuschaffung (gegenüber einer bloßen Instandsetzung) sind fließend (MietSlg 5017).

Die Rechtsprechung verneint eine Neuschaffung von Mietgegenständen, wenn die für die betreffenden Räume wichtigen Teile eines Hauses im wesentlichen unbeschädigt geblieben sind oder nur leicht beschädigt wurden (MietSlg 3752, 5019). Daraus folgt umgekehrt, daß bei schwerer Beschädigung solcher allgemeiner Teile des Hauses, die für den betreffenden Mietgegenstand wichtig sind, die Neuschaffung dieser allgemeinen Teile des Hauses einer Neuschaffung des Bestandgegenstandes gleichkommt. So erachtete es schon die Rechtsprechung zu den oben genannten Bestimmungen des MG als wesentlich, ob die Wohnung durch Bombenschaden ihrem bestimmungsgemäßen Zweck entzogen worden und erst durch Wiederherstellungsarbeiten als Wohnung benützbar geworden ist (= Neuschaffung), oder ob sie auch nach dem Bombenschaden noch bewohnbar blieb, so daß der Mieter zum Auszug aus seiner Wohnung nicht genötigt war (MietSlg 5635/38).

Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden allgemeine Teile des Hauses durch Bombentreffer derart beschädigt (Mittelmauer, Stiegenhaus war einsturzgefährdet), daß auch die Wohnung der Antragstellerin nicht weiter benützt werden konnte. Die Baubehörde hatte bezüglich der noch bewohnten Wohnungen dieses Hauses deswegen einen Räumungsauftrag erteilt. Erst durch die Beseitigung der Bombenschäden durch den Hauseigentümer ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel wurde auch die jetzt von der Antragstellerin gemietete Wohnung wieder benützbar und somit im oben dargelegten Sinn neu geschaffen.

Es war daher der erstgerichtliche Sachbeschluß wieder herzustellen.

Anmerkung

E27755

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0050OB00054.91.1217.000

Dokumentnummer

JJT_19911217_OGH0002_0050OB00054_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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