TE OGH 1992/1/14 10ObS348/91

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Veröffentlicht am 14.01.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (Arbeitgeber) und Walter Bacher (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Radoslav M*****, Maurer, ***** vertreten durch Dr. Gerd Hartung, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. August 1991, GZ 34 Rs 96/91-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28. Jänner 1991, GZ 17 Cgs 78/89-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger mündlicher Berufungsverhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 15. Februar 1989 wurde der Antrag des Klägers vom 6. September 1988 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension abgelehnt, da er nicht invalid sei.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Begehren auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. Oktober 1988 ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der am 11. Juni 1940 geborene Kläger erlernte in Jugoslawien drei Jahre lang den Beruf des Maurers und Fassaders. Er beendete diese Ausbildung 1970/1971. Der in Jugoslawien durchlaufene Ausbildungsweg entspricht inhaltlich der Berufsausbildung eines Maurers in Österreich. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag war der Kläger in 123 Beitragsmonaten in seinem Beruf als Maurer tätig und dabei anderen gelernten Maurern gleichgestellt; seine Kenntnisse und Fähigkeiten entsprachen denen von gelernten Maurern in Österreich.

Auf Grund gesundheitsbedingter Einschränkungen kann der Kläger nur mehr mittelschwere Arbeiten unter Ausschluß von ständigem besonderem Zeitdruck und Fabriksmilieu durchführen. Eine Arbeitsweise, bei der dem Kläger durch eine Maschine ein gewisses Arbeitstempo vorgeschrieben wird, so daß insofern ein ständiger besonderer Zeitdruck gegeben ist, ist dem Kläger nicht mehr zumutbar. Der Zeitdruck, der durch Maschinenerfordernisse entsteht, unterscheidet sich von dem Zeitdruck, der im Beruf des Fassaders durch Partiekollegen hervorgerufen wird dadurch, daß die Maschine einen starken Leistungsdruck hervorruft, während bei der Akkordarbeit auf einer Baustelle die Partiekollegen zur Nachsicht bereit sind, so daß besondere Leistungsbedrängnisse abgefangen werden. Im Akkord gibt es das Merkmal der Ständigkeit des Zeitdruckes nicht. Bei Fließbandarbeiten liegt hingegen ständiger besonderer Zeitdruck vor, während es bei Akkordarbeiten, wie jenen des Fassaders nur zu besonderem Zeitdruck kommt. Maurertätigkeiten sind durchwegs mittelschwere bis schwere Arbeiten. Die einzige ausschließlich mittelschwere Maurerarbeit ist die des Fassaders. Diese Tätigkeiten werden nur im Akkord vergeben und unterliegen einem besonderen Zeitdruck. Der Kläger kann die Tätigkeit eines Fassaders noch verrichten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Kläger Berufsschutz als Maurer erworben habe und für ihn nur mehr die Verweisungstätigkeit eines Fassaders in der Berufsgruppe der Maurer in Frage käme. Die Möglichkeit der Verrichtung einer einzigen Verweisungstätigkeit stehe bereits der Gewährung einer Invaliditätspension entgegen. Ob der Versicherte im Verweisungsberuf auch tatsächlich einen Dienstposten finden werde, sei nicht zu berücksichtigen. Es sei offenkundig, daß in der hier in Frage kommenden Verweisungstätigkeit das Durchschnittseinkommen gleichartig Beschäftigter einen Betrag des doppelten Kollektivvertragslohnes nicht übersteige, so daß der Kläger jedenfalls die Lohnhälfte erzielen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen (mit Ausnahme jener, daß die Partiekollegen bei der Akkordarbeit zur Nachsicht bereit seien) als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und unbedenklicher Beweiswürdigung. Die Maurertätigkeit sei nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur mehr mit einer mittelschweren körperlichen Belastung verbunden. Der Kläger könne auf die Tätigkeiten eines Baumaschinisten, Planierers, Vorrichters, Maurerarbeiters bei der Fertigteilherstellung sowie eines Kontrollarbeiters (Retoucheurs) oder Spritzgipsputzers verwiesen werden. Da gerichtsbekannt sei, daß die genannten Arbeiten nicht nur im Akkord verrichtet würden, könne dahingestellt bleiben, ob bei deren Durchführung Partiekollegen allenfalls zur Nachsicht bereit seien, so daß die diesbezügliche, vom Berufungsgericht nicht übernommene Feststellung unerheblich sei. Der Kläger sei nur von Akkordarbeiten in der Produktion ausgeschlossen, Arbeiten unter gelegentlichem Zeitdruck seien ihm zumutbar. Das Erstgericht habe daher eine Invalidität des Klägers zutreffend verneint.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Kläger ist berechtigt.

Zunächst ist klarzustellen, daß die körperlichen Anforderungen, die mit bestimmten Berufen verbunden sind, den Tatsachenbereich betreffen, so daß die Frage, ob und welche Maurertätigkeiten nur mittelschwere oder auch schwere Arbeiten erfordern, nicht der rechtlichen Beurteilung unterliegt. Auch Offenkundigkeit kann diesbezüglich nicht angenommen werden. Der Hinweis des Berufungsgerichtes auf die (eigene) ständige Rechtsprechung, wonach Maurertätigkeit grundsätzlich nur mit einer mittelschweren körperlichen Belastung verbunden sei, kann daher nicht zielführend sein. Das Erstgericht hat diesbezüglich auf Grund eines Sachverständigengutachtens festgestellt, daß die einzige ausschließlich mittelschwere Maurerarbeit die des Fassaders ist. Es ging in diesem Zusammenhang davon aus, daß der Zeitdruck, der mit Fassaderarbeiten im Akkord verbunden ist, dem Kläger durchaus zugemutet werden kann, da er nur ständigem besonderen Zeitdruck nicht mehr gewachsen ist, wie er etwa vorkommt, wenn das Arbeitstempo durch eine Maschine bestimmt wird. Der neurologische Sachverständige führte nämlich aus, daß dem Kläger in der Produktion ein Akkord nicht mehr zumutbar sei. Im Akkord bestehe der Zeitdruck nur im Bemühen, mehr zu verdienen, dies sei jedoch dem Kläger noch zumutbar; er könnte daher noch Fassader sein (Protokoll ON 17). Der berufskundliche Sachverständige führte aus, der Zeitdruck, der durch Maschinenerfordernis entstehe, unterscheide sich von dem, der im Beruf des Fassaders durch Partiekollegen hervorgerufen werde, dadurch, daß die Maschine stark einen Leistungsdruck hervorrufe, während bei der Akkordarbeit auf einer Baustelle die Partiekollegen zur Nachsicht bereit seien, so daß besondere Leistungsbedrängnisse abgefangen würden (Protokoll ON 18). Dazu ergänzte der neurologische Sachverständige, daß die Maschine keinen Leistungsabfall verzeihe, hingegen Partiekollegen schon, weshalb dem Kläger besonderer Zeitdruck bei Akkordarbeiten noch zumutbar sei (Protokoll ON 20). Wie oben dargestellt, hat das Berufungsgericht aber - ohne Beweiswiederholung - die zuletzt wiedergegebene Feststellung daß Partiekollegen zur Nachsicht bereit seien, nicht übernommen, sondern seinerseits entgegen der erstgerichtlichen Feststellung, die einzige ausschließlich mittelschwere Maurertätigkeit sei die eines Fassaders, weitere Verweisungstätigkeiten herangezogen. Dazu hätte es aber diese Feststellung, die zwar der Kläger ausdrücklich bekämpfte (er hält auch die Tätigkeit eines Fassaders für eine schwere), nicht aber die beklagte Partei zunächst als Beweiswiederholung ausschalten müssen. Während also das Berufungsgericht zu der vom Erstgericht bejahten Frage, ob der Kläger auf die Tätigkeit eines Fassaders verwiesen werden könne, überhaupt nicht Stellung nahm, verwies es den Kläger ohne ausreichende Tatsachengrundlagen auf andere Tätigkeiten im Rahmen des Maurerberufes, dabei die von der beklagten Partei unbekämpft gebliebene erstgerichtliche Feststellung außer Acht lassend, daß alle anderen Maurertätigkeiten mit schwerer körperlicher Belastung verbunden seien. Andererseits wurde durch die Nichtübernahme der erstgerichtlichen Feststellung, daß bei der Tätigkeit des Fassaders Partiekollegen zur Nachsicht bereit seien, der auf den Sachverständigengutachten beruhenden Annahme des Erstgerichtes, die Tätigkeit als Fassader sei dem Kläger noch zumutbar, die Grundlage entzogen. Das Urteil des Berufungsgerichtes leidet daher an Feststellungsmängeln, die im Rahmen des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache (§ 503 Z 4 ZPO) wahrgenommen werden müssen. Der darin zu erblickende sekundäre Verfahrensmangel, zurückgehend auf eine nicht gesetzmäßige Erledigung der vom Kläger in seiner Berufung geltend gemachten Mängel-, Beweis- und Tatsachenrügen zwingt zu einer Aufhebung des Urteiles des Berufungsgerichtes und Zurückverweisung an dieses zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger mündlicher Berufungsverhandlung (10 Ob S 414/90 = SSV-NF 5/22 - in Druck; 10 Ob S 31/91). Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, daß der Verweisungsberuf eines Fassaders mit dem medizinischen Leistungskalkül nicht in Einklang zu bringen ist, werden allfällige weitere Verweisungsberufe mit Rücksicht auf den zu erhaltenden Berufsschutz (vgl SSV-NF 3/122) inhaltlich näher zu beschreiben sein. Sollte das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichtes abweichen wollen, wird es wegen der dann nach § 488 ZPO notwendigen Beweisaufnahme gemäß § 492 Abs 2 letzter Satz ZPO eine mündliche Verhandlung anzuordnen haben (Fasching, ZPR2 Rz 1806 ff;

10 Ob S 95/91 = SSV-NF 5/47 - in Druck; 10 Ob S 300/91).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E28203

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00348.91.0114.000

Dokumentnummer

JJT_19920114_OGH0002_010OBS00348_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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