TE OGH 1992/1/28 10ObS2/92

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Veröffentlicht am 28.01.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger (AG) und Walter Darmstädter (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedrich Sch*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, 1061 Wien, Linke Wienzeile 48-52, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorläufiger Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.September 1991, GZ 31 Rs 103/91-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 28.Juni 1989, GZ 33 Cgs 99/88-18,

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger erlitt am 26.1.1987 bei einem Verkehrsunfall, der sich in Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignete, einen offenen Trümmerbruch des rechten Schienbeinkopfes mit Bruch unterhalb des rechten Wadenbeines, eine Milzruptur und einen Schleimhaut- und Muskelriß im Bereich des Dick- und Dünndarms.

Die beklagte Partei anerkannte mit Bescheid vom 18.3.1988 den Unfall als Arbeitsunfall und gewährte dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls ab 1.10.1987 eine vorläufige Versehrtenrente von 30 vH der Vollrente.

Der Kläger begehrte in seiner Klage, ihm eine Versehrtenrente von 50 vH der Vollrente zuzüglich der Zusatzrente und des Kinderzuschusses zuzuerkennen.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1.10.1987 eine vorläufige Versehrtenrente von 55 vH der Vollrente zu gewähren. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Beim Kläger bestehen "derzeit" eine hochgradige Veränderung im Röntgen bei wohl knöchern durchgebauter Fraktur des Schienbeinkopfes, jedoch völliger Verwerfung der Gelenksflächen und Ausbildung einer Arthrose, ferner eine Kniegelenksinstabilität im Sinn einer Insuffizienz des medialen Seitenbandappartes und des vorderen Kreuzbandes, eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk, eine Schwellung des Unterschenkels, eine Muskelatrophie am Oberschenkel, eine Längendifferenz von 1,5 cm sowie "aus chirurgischer Sicht" ein Platzbauch, ein Absterben eines Dünndarmanteils, eine Entzündung der Gallenblase und eine sanduhrförmige Einziehung des Magens sowie "subjektive" Beschwerden. Aus chirurgischer Sicht ist die Minderung der Erwerbsfhähigkeit mit 30 %, aus unfallchirurgischer Sicht ist sie mit 25 % einzuschätzen. Überschneidungen bestehen nicht.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers 55 % betrage und ihm in diesem Ausmaß die vorläufige Versehrtenrente zuzuerkennen sei.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes infolge Berufung der beklagten Partei dahin ab, daß es diese unter Abweisung des Mehrbegehrens von 5 vH schuldig erkannte, dem Kläger ab 1.10.1987 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 45 vH der Vollrente zu gewähren. Die Rechtsrüge der beklagten Partei sei teilweise berechtigt, weil das Erstgericht zu Unrecht die Minderung der Erwerbsfähigkeit, die aus der Sicht der einzelnen medizinischen Fachgebiete bestehe, einfach zusammengerechnet habe. Richtig sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen; dies könne auch dann nicht durch bloße Zusammenrechnung der wegen einzelner Körperschäden bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit geschehen, wenn sich die Unfallsfolgen nicht überschneiden. Der Sachverständige für Unfallchirurgie habe aber die Unfallsfolgen in ihrer Gesamtheit beurteilt. Nach seinem überzeugenden Gutachten ergebe sich eine "Gesamteinschätzung" von 45 vH. Diesem "Einschätzungsvorschlag" des Sachverständigen sei zu folgen. Die Versehrtenrente sei daher in diesem Ausmaß festzusetzen.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers unter Bezeichnung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn der Zuerkennung einer vorläufigen Versehrtenrente von 55 vH der Vollrente abzuändern.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Berufungsgericht ist zwar darin beizupflichten, daß bei Lösung der Frage, in welchem Ausmaß die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalls gemindert ist, die Unfallsfolgen stets in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen. Es muß daher auf der Grundlage der medizinischen Einschätzung (vgl SSV-NF 1/64) festgestellt werden, welche Minderung der Erwerbsfähigkeit mit den Unfallsfolgen insgesamt verbunden ist. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn bei Unfallsfolgen, die in verschiedene medizinische Fachgebiete fallen, bloß die aus der Sicht der einzelnen Fachgebiete anzunehmende Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt wird, zumal die verschiedenen Größen nicht einfach zusammengerechnet werden dürfen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung

56. Nachtrag 570 b und c; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter Lfg 3/90 500, 13; Mollowitz, Unfallmann10 40;

Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit3 105; OLG Wien SVSlg 32.913; s für den vergleichbaren Fall mehrerer Arbeitsunfälle auch SSV-NF2/114). Die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes waren daher nicht ausreichend, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit nur aus der Sicht der einzelnen medizinischen Fachgebiete festgestellt wurde.

Das Berufungsgericht hat diesen Mangel des Ersturteils allerdings dadurch behoben, daß es jene Minderung der Erwerbsfähigkeit feststellte, die sich aus medizinischer Sicht aus den Folgen des Arbeitsunfalls in ihrer Gesamtheit ergibt. Es hat diese Feststellung aber bloß auf Grund des im Verfahren erster Instanz erstatteten Gutachtens des Sachverständigen für Unfallchirurgie in nichtöffentlicher Sitzung getroffen, also ohne die Beweisaufnahme zu wiederholen oder zu ergänzen oder das Gutachten gemäß § 281a ZPO zu verlesen. Dies bildet einen Mangel des Berufungsverfahrens (SZ 57/142; SZ 59/6 ua). Der Kläger hat in der Revision den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) zwar nicht ausdrücklich benannt, seinen Revisionsausführungen ist aber mit gerade noch ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß er auch geltend macht, die vom Berufungsgericht getroffene ergänzende Feststellung sei in einer nicht den Verfahrensvorschriften entsprechenden Weise zustande gekommen. Er hat damit inhaltich den angeführten Revisionsgrund ausgeführt; daß dies unter einer unrichtigen Bezeichnung geschah, schadet gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 85 Abs 2 letzter Satz ZPO nicht.

Da der Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO vorliegt und der Mangel geeignet war, eine unrichtige Entscheidung durch das Berufungsgericht herbeizuführen, mußte dessen Urteil gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 510 Abs 1 ZPO aufgehoben werden und die Rechtssache zur Vornahme der von ihm mit Recht als notwendig erkannten Tatsachenfeststellung, die es zu treffen haben wird, nachdem es das Verfahren in der aufgezeigten Richtung ergänzt hat, und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E28180

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00002.92.0128.000

Dokumentnummer

JJT_19920128_OGH0002_010OBS00002_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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