TE OGH 1992/1/29 9ObS17/91

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Veröffentlicht am 29.01.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Heinrich Dürr in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J***** G*****, vertreten durch *****, Sekretär *****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Arbeitsamt W*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 64.469,40 sA Insolvenzausfallsgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.Juli 1991, GZ 12 Rs 70/91-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 29.Jänner 1991, GZ 26 Cgs 144/90-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Dienstverhältnis des Klägers mit der Firma O***** bzw später D*****, über die am 5.8.1988 das Ausgleichsverfahren eröffnet worden war, wurde mit gerichtlicher Ermächtigung gemäß § 20 b und c AO am 23.9.1988 zum 23.1.1989 gekündigt. Auf Grund des Dienstvertrages hätte das Arbeitsverhältnis frühestens mit 31.3.1991 aufgelöst werden können. Mit 24.1.1989 nahm der Kläger eine andere Arbeit auf und erzielte aus diesem neuen Dienstverhältnis ein höheres Entgelt, als er auf Grund der vertraglichen Situation bei der Ausgleichsschuldnerin verdient hätte.

Gestützt auf ein zuletzt erzieltes monatliches Bruttoeinkommen von S 66.500 meldete der Kläger im Ausgleich ua einen Nettoanspruch von S 107.769 als Kündigungsentschädigung gemäß § 20 d AO für die Zeit vom 24.1. bis 23.4.1989 an. Dieser Anspruch wurde vom Ausgleichsverwalter und der Ausgleichsschuldnerin anerkannt.

Mit Bescheid vom 17.10.1990 lehnte das Arbeitsamt den Antrag des Klägers auf Insolvenzausfallsgeld für den geltend gemachten Zeitraum vom 24.1. bis 23.4.1989 mit der Begründung ab, er habe keinen Schaden erlitten, weil er aus dem neuen Dienstverhältnis einen den geforderten Schadenersatz übersteigenden Betrag verdient habe.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger unter Anrechnung der auf seinen Anspruch bereits gezahlten 40 %igen Ausgleichsquote die Zahlung eines Betrages von S 64.469,40 aus den Mitteln des Insolvenzausfallsgeldfonds mit der Begründung, auf seinen Schadenersatzanspruch gemäß § 20 d AO seien anderweitig erzielte Einkünfte in den ersten drei Monaten nicht anzurechnen.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und behauptet die Anrechnungspflicht bezüglich des vom Kläger ab 24.1.1989 erzielten Einkommens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es davon ausging, daß das Anerkenntnis des Ausgleichsverwalters in dem ihm übermittelten Forderungsverzeichnis und die Feststellung der Ansprüche im Ausgleich keine Bindung des Arbeitsamtes bewirkt hätten. Zur Schadensberechnung vertrat es die Auffassung, § 1162 b ABGB und § 29 AngG seien nicht analog anwendbar; aus den allgemeinen Bestimmungen des Schadenersatzrechtes - insbesondere aus § 1304 ABGB - ergebe sich die uneingeschränkte Anrechnungspflicht anderweitig erzielten Verdienstes.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im Sinn des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Auffassung, die Anwendung der allgemeinen Schadenersatzregeln sei für den Schadenersatzanspruch nach § 20 d AO verfehlt. Der dort normierte Schadenersatzanspruch sei eine Kündigungsentschädigung im technischen Sinn. Es seien daher die Sondernormen für die Kündigungsentschädigung einschließlich der Anrechnungsfreiheit für die ersten drei Monate heranzuziehen. Zum selben Ergebnis gelange man auch aus der Sicht des IESG. Nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung sei das Arbeitsamt bei der Beurteilung der Ansprüche an die rechtswirksamen Feststellungen im Ausgleichsverfahren gebunden. Es könne bei Prüfung der Frage, ob ein gesicherter Anspruch vorliege, nur die Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüsse nach dem IESG wahrnehmen. Mache der Kläger Ansprüche aus dem der Kündigungsentschädigung nach § 29 AngG entsprechenden Titel des Gehaltes nur für die ersten drei Monate nach Beendigung des Dienstverhältnisses geltend, komme auch bei analoger Anwendung der Anspruchsbegrenzung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG eine Anrechnung des anderweitig Erworbenen nicht in Betracht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils (Klagsabweisung) abzuändern.

Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die behauptete Aktenwidrigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Der Kläger hat sich auf den Inhalt des Insolvenzaktes berufen. Die beklagte Partei selbst hat den IESG-Akt vorgelegt, in dem der Auszug aus dem Anmeldungsverzeichnis und das Anerkenntnis des Ausgleichsverwalters und der Ausgleichsschuldnerin enthalten ist (Beilage ./1 S. 9). Sie hat somit selbst dargetan, daß die hier strittige Forderung im Insolvenzverfahren anerkannt wurde und bestreitet diese - vom Erstgericht festgestellte - Tatsache auch im Revisionsverfahren nicht. Es ist daher in der Folge bei der rechtlichen Beurteilung davon auszugehen, daß die Forderung des Klägers im Ausgleich anerkannt wurde.

Der Oberste Gerichtshof vertritt in Abweichung von der früheren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Auffassung, daß das Arbeitsamt an die Feststellungswirkung der Forderung im Insolvenzverfahren grundsätzlich gebunden ist (SZ 62/16 uva; für das Ausgleichsverfahren zB 9 Ob S 8/89; vgl auch 9 Ob 901/90).

§ 7 Abs 1 IESG enthält ausdrücklich die Bindung des Arbeitsamtes hinsichtlich der Frage, ob und welche Ansprüche dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber zustehen, wenn hierüber eine gerichtliche Entscheidung oder insolvenzrechtliche Feststellung vorliegt. Daß gegen diese Bindung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, hat der Oberste Gerichtshof auch bereits unter Bedachtnahme auf die sich allenfalls aus der Aufhebung des § 268 ZPO durch den VfGH sich ergebenden Konsequenzen ausführlich dargelegt (9 Ob S 4/90, EvBl 1990/126 = WBl 1990, 271 = RdW 1990, 353 = ZAS 1991, 65).Von dieser Ansicht abzugehen, sieht sich der Oberste Gerichtshof durch die von der Revisionswerberin zitierten Kritiken an dieser Entscheidung von Liebig in WBl 1990, 261 ff und Fink in ZAS 1991, 67 ff nicht veranlaßt; ihre Argumente überzeugen nicht. Aus der sukzessiven Kompetenz der Gerichte ist für die Frage der Bindungswirkung nichts zu gewinnen. Das Gericht hat zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer ein Anspruch nach dem IESG zusteht. Eine Forderung, zu deren Hereinbringung auf Grund der Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis Exekution geführt werden kann - und um eine solche handelt es sich hier-, ist gemäß § 54 Abs 4 AO gegenüber den Gerichten und, sofern besondere Gesetze nichts anderes bestimmen, auch gegenüber den Verwaltungsbehörden als bindend festgestellt anzusehen. Im § 7 Abs 1 IESG wird nur ausdrücklich klargestellt, daß es sich im gegebenen Zusammenhang mit dem Anspruch auf Insolvenzentgelt um solch bindende Vorfragen handelt.

Für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt, ist also die Entscheidung des Gerichtes bzw die Feststellung im Insolvenzverfahren der Entscheidung des Arbeitsamtes ohne weitere Prüfung zugrunde zu legen. Ob dieser arbeitsrechtliche Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die Verwaltungsbehörde zu entscheiden. Sie muß sie hiebei aber wiederum zugrundelegen, ob nach den anspruchsbegründenden Feststellungen des Urteils bzw der anerkannten Anmeldung ein Anspruch vorliegt, der seiner Art nach (§ 1 Abs 1 IESG) zu den gesicherten Ansprüchen gehört. Im Hinblick auf die Bindung an die im Ausgleichsverfahren erfolgte Feststellung ist daher vom Gericht nicht mehr zu überprüfen, ob der geltend gemachte Ersatzanspruch nach § 20 d AO tatsächlich den Ansprüchen nach § 29 AngG und § 1162 b ABGB entspricht und daher für die ersten drei Monate nach Beendigung des Dienstverhältnisses auf anderweitigen Erwerb nicht Bedacht zu nehmen ist. Lediglich in der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen bleibt das Arbeitsamt in allen Fragen, die in gerichtlichen Verfahren (als dort nicht anspruchsbegründend) von vornherein nicht zu prüfen waren oder (mangels Einwendung) nicht geprüft wurden, frei. Dies gilt insbesondere für die Anspruchsbegrenzung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG (9 Ob S 8/89). Da der Kläger keine über diese Anspruchsbegrenzung übersteigenden Ansprüche geltend macht, kommt eine Kürzung nach dieser Bestimmung nicht in Betracht.

Anmerkung

E28137

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBS00017.91.0129.000

Dokumentnummer

JJT_19920129_OGH0002_009OBS00017_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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