TE OGH 1992/2/20 7Ob528/92

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Veröffentlicht am 20.02.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 11. Juni 1985 geborenen Daniel S*****, infolge Revisionsrekurses der Mutter Astrid Maria S*****, vertreten durch Dr. Margot Tonitz, Rechtsanwältin in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 4. November 1991, GZ 1 R 552/91-37, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 7. Oktober 1991, GZ 3 P 192/90-31, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht eine nach Verfahrensergänzung zu treffende neue Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit rechtskräftigem Beschluß vom 10. Dezember 1990 (ON 5) übertrug das Erstgericht die vorläufige, das heißt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die wechselseitig gestellten Anträge, Obsorge über den minderjährigen Daniel seiner Mutter.

Die Ehe der Eltern wurde am 21. Jänner 1991 aus dem beiderseitigen Verschulden geschieden. Im Scheidungsvergleich wurde die Obsorgeregelung der gerichtlichen Entscheidung vorbehalten. Die Mutter verpflichtete sich dort, die von ihr bewohnte, im Eigentum ihres (geschiedenen) Gatten stehende Ehewohnung bis zum 31. Dezember 1991 unter Verzicht auf jedweden Räumungsaufschub zu räumen. Der minderjährige Daniel lebt mit Ausnahme einer 1 1/2-monatigen Unterbrechung seit seiner Geburt mit der Mutter in dieser Wohnung. Er besucht derzeit die erste Klasse Volksschule. Die Mutter war vor der Scheidung berufstätig. Sie bezog im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz eine Arbeitslosenunterstützung und beabsichtigte nach deren Ablauf einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen, ohne jedoch zum damaligen Zeitpunkt ein konkretes Angebot in Aussicht zu haben. Sie hatte damals auch für die Zeit nach dem 1. Jänner 1992 keine Wohnmöglichkeit in Aussicht. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes stellt die Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche der Mutter eine negativ auf das Kind einwirkende Belastung dar. Der Vater ist Angestellter der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter. Er zog nach der Überlassung der Ehewohnung an die Mutter und den minderjährigen Daniel in die geräumige Wohnung seiner Eltern. Seine Mutter ist nicht berufstätig. Sie wäre bereit, für den minderjährigen Daniel zu sorgen. Zu ihr und zu seinem Vater hat der Minderjährige eine starke Bindung. In der derzeitigen Entwicklungsphase ist ein vertrautes Umfeld für den minderjährigen Daniel von großer Bedeutung, ein Umfeldwechsel bzw. eine andere Örtlichkeit könnten seine Entwicklung gefährden.

Das Erstgericht übertrug in seiner Entscheidung über die wechselseitig gestellten Anträge die Obsorge des Minderjährigen seinem Vater, weil dessen persönlichen Verhältnisse im Vergleich zu jenen der Mutter erheblich günstigere Voraussetzungen für das Wohl des Minderjährigen erwarten ließen. Insbesondere sei es der Mutter bis zum Verfahrensabschluß nicht gelungen, eine Wohnmöglichkeit für sich und das Kind zu finden.

Im Rekurs gegen diese Entscheidung brachte die Mutter als Neuerung vor, am 22. Oktober 1991 eine Wohnung in K***** angemietet zu haben, über ein Bausparguthaben von fast S 48.000 verfügen und einen Bargeldeingang aus dem Verkauf eines Grundstückes in der Höhe von S 180.000 zu erwarten. Ferner brachte sie vor, am 22. November 1991 im Hotel am A***** in P***** gegen ein monatliches Entgelt von S 13.000 beschäftigt zu sein.

Das Rekursgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Es erklärte den Revisionsrekurs für unzulässig. Bei der ersten Obsorgeentscheidung sei grundsätzlich von einer Gleichberechtigung der Eltern auszugehen. Das maßgebliche Wohl des Kindes sei im vorliegenden Einzelfall beim Vater bzw bei der väterlichen Großmutter besser gewährleistet als bei der Mutter. Wiewohl dieser die Erziehungsbefähigung nicht abgesprochen werden könne, verfüge sie über keine geordneten Wohnverhältnisse und keinen Arbeitsplatz. Selbst bei einer Berücksichtigung der (bescheinigten) Neuerungen im Rekurs ergebe sich keine andere Gewichtung der Lebensverhältnisse. Beide Elternteile wären demnach gezwungen, während ihrer Berufstätigkeit die Betreuung und Erziehung des mj. Daniel dritten Personen zu überlassen. Während der Mutter nur die Möglichkeit offenstehe, das Kind ihrer Schwester bzw ihrer Schwägerin zu überlassen, was jeweils mit einem Ortswechsel verbunden wäre, oder es in einem Hort unterzubringen, verfüge der Vater über eine rüstige und erziehungsfähige Mutter, zu der das Kind eine starke Bindung aufweise. Zudem könne bei einer Übertragung der Obsorge an den Vater das Kind in seiner gewohnten Umgebung bleiben. Eine Erziehung durch die Großmutter sei einer Unterbringung im Hort vorzuziehen.

Der gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg zu erwähnen ist, daß die Bekämpfung der Tatfrage sowie das Vorbringen von Neuerungen in einem außerordentlichen Revisionsrekurs unzulässig ist (vgl MGA AußStrG2 § 10/8 uva, zuletzt EFSlg 58.249). Aus den Rechtsmittelausführungen ist aber sinngemäß auch der Vorwurf schwerer Verfahrensmängeln zu entnehmen, der berechtigt ist.

Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind. Das Sachverständigengutachten Dris K***** (ON 25 und ON 30), auf dem die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhen, erfaßt nur einen momentanen, und zwar den im September 1991 beiden Elternteilen vorliegenden Zustand. Das sich damals bei der Mutter des minderjährigen Daniel bietende Bild entspricht aber einer der typischen Situationen einer Frau, unmittelbar nach dem Scheitern der Ehe. Die Begründung neuer Wohnverhältnisse und einer neuen Existenz ist im Regelfall für eine geschiedene Frau mit Kind mit größeren Umstellungen verbunden, die meist einen längeren Prüf- und Entscheidungsprozeß in Anspruch nimmt. Der Umstand, daß die Mutter dem Vater freiwillig die Ehewohnung überlassen hat, kann keinesfalls dazu führen, daß die wieder entstandene Notwendigkeit, eine neue Wohnung zu suchen, sofort einen Verlust des Sorgerechtes der Mutter bewirkt. Nicht zuletzt wegen der durch die ausstehende Obsorgeentscheidung über das Kind ausgelösten Unsicherheit kann der wieder ins Berufsleben eintreten wollenden Mutter kein Vorwurf daraus gemacht werden, die endgültigen Dispositionen über Wohnung und Arbeitsplatz acht Monate nach der Entscheidung noch nicht getroffen zu haben. Nicht ausreichend erhoben vom Erstgericht wurde, was mit dem Minderjährigen im Falle der Obsorgeübertragung auf die Mutter geschehen sollte, falls diese wieder ganztägig arbeitet. Bei einer für das Kind so weit gehenden Entscheidung wie die der Übertragung der Obsorge von der Mutter auf den Vater ist das Umfeld der Eltern von Amts wegen genauer zu prüfen. Nach dem bisherigen Feststellungsstand kann auch der Vater zufolge seiner Berufstätigkeit während seiner Arbeitszeit und sohin zeitlich beurteilt, überwiegend die Obsorge nur durch seine Mutter gewährleisten. Bei der Prüfung, unter welchen Umständen das Wohl des Kindes am besten gewährleistet ist, hätte daher das Erstgericht den Hinweis in der Beilage 1 auch ohne entsprechende Antragstellung der Mutter aufzugreifen gehabt und hätte die Bereitschaft, Fähigkeit und Möglichkeit der mütterlichen Großeltern, die Mutter samt dem Kind in ihrem Haushalt vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit aufzunehmen und während der berufsbedingten Abwesenheit der Mutter das Kind zu betreuen, von Amts wegen zu überprüfen gehabt, um der besonderen Bedeutung der Entscheidung für das Kind gerecht zu werden. Behauptungen, die Nachmittagsbetreuung durch eine Großmutter sei auf jeden Fall für das Kind besser, als die Unterbringung in einem Hort (es handelt sich schließlich nicht um eine internatsmäßige Unterbringung) ist eine willkürliche Annahme ohne gesicherte Grundlage. Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinne aufzutragen. Dabei wird auf die im Revisionsrekurs vorgetragenen Neuerungen als allfälliges weitere Vorbringen der Mutter einzugehen sein.

Anmerkung

E28731

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00528.92.0220.000

Dokumentnummer

JJT_19920220_OGH0002_0070OB00528_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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