TE OGH 1992/3/11 3Ob538/92

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Veröffentlicht am 11.03.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Hiroki N*****, geboren am 27.März 1979, und Reiko N*****, geboren am 19. Juni 1983, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Takao N*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 11.Dezember 1991, GZ 47 R 873/91-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 21.Oktober 1991, GZ 2 P 74/91-10, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem ao. Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird

1.) in seinem die Abweisung des Antrages des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechtes betreffenden Teil bestätigt;

2.) teilweise dahin abgeändert, daß als vorläufige Maßnahme der Mutter die Obsorge über beide Kinder bis zur endgültigen Obsorgeentscheidung zugewiesen wird;

3.) im übrigen ebenso wie in diesem Umfang auch der erstgerichtliche Beschluß aufgehoben und die Sache zur endgültigen Entscheidung über die Obsorge nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die minderjährigen Kinder und ihre Eltern sind japanische Staatsbürger. Die beiden Kinder haben mit der Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, der Vater kehrte nach Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit für eine internationale Organisation in seine Heimat zurück. Die Eltern leben nicht nur vorübergehend getrennt. Die Mutter hat eine Scheidungsklage erhoben und beim Erstgericht die Entscheidung beantragt, daß ihr die Obsorge für die Kinder künftig allein zukomme. Der Vater beantragte, den persönlichen Verkehr mit seinen Kindern dahin zu regeln, daß er an einem Wochenende im Monat die Kinder besuchen könne.

Das Erstgericht bestimmte die Mutter als "Inhaberin der elterlichen Gewalt" und wies den Besuchsrechtsantrag des Vaters ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß im Scheidungsprozeß noch nicht entschieden werden könne, sich dort aber ergeben habe, daß der Vater seine Frau und die beiden Kinder seit langem verbal und körperlich attackiere. Er sei zornig und gegen seine Familienmitglieder tätlich geworden. Die Kinder fürchteten sich vor ihm und wollten ihn nicht sehen. Seit der Vater weggezogen sei, fühlten sich die Kinder wirklich wohl.

Das Erstgericht ging, weil es nach § 27 IPRG japanisches Recht anwenden wollte, davon aus, daß nach diesem Heimatrecht zwar erst anläßlich der Scheidung mit Richterspruch zu klären sei, welcher Elternteil künftig als Inhaber der elterlichen Gewalt anzusehen sei; doch reiche der festgestellte Mißbrauch aus, dem Vater auch schon vor der Scheidung die elterliche Gewalt zu entziehen. Da die Kinder den Vater nicht sehen wollten, sei zumindest nach dem gegenwärtigen Stand der Besuchsrechtsantrag abzuweisen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge, bestätigte den erstrichterlichen Beschluß aber mit der Maßgabe, daß die Obsorge für die beiden Kinder der Mutter zukomme, weil nicht japanisches, sondern österreichisches materielles Recht anzuwenden sei, seit der Vorbehalt zu Art 13 Abs 3 des Haager Minderjährigenschutzabkommens zurückgezogen worden sei.

Maßgebend sei das Wohl der Kinder. Der Vater nehme das Recht zur körperlichen Züchtigung der Kinder für sich in Anspruch. Dies sei aber bei Anwendung inländischen Rechts als Mißbrauch seiner elterlichen Gewalt anzusehen. Die Mutter betreue die Kinder und könne sie versorgen. Die Obsorge sei daher zutreffend ihr zugewiesen worden. Die gänzliche Versagung des Besuchsrechtes sei, abgesehen von der Befürchtung, der Vater könne die Kinder nach Japan bringen, gerechtfertigt, weil die Ausübung des Besuchsrechtes das Wohl der Kinder gefährde.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil seine Rechtsansicht der oberstgerichtlichen Rechtsprechung folge.

Der Vater bekämpft die Entscheidung mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs und macht vor allem geltend, daß der Erstrichter seine Feststellungen auf den Inhalt des nicht verlesenen Scheidungsaktes gestützt habe und die Behauptungen seiner Ehegattin unrichtig seien. Die Kinder seien nach japanischer Sitte erzogen und würden im fremden Land benachteiligt. Nach § 27 IPRG sei japanisches Recht maßgebend, das die körperliche Züchtigung der Kinder vorsehe (Art 822 des japanischen bürgerlichen Gesetzbuches). Es dürften daher dem Vater Erziehungsmaßnahmen während der Ehe nicht angelastet und nicht zum Anlaß genommen werden, das Besuchsrecht zu verweigern.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, zulässig und zum Teil berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Ansprüche aus dem Eltern-Kind-Verhältnis sind, wie das Rekursgericht zutreffend erkannte, nach Art 2 Abs 1 des Übereinkommens vom 5.Oktober 1961 BGBl 1975/446 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (= Haager MjSchA) nach dem innerstaatlichen Recht Anlaß zu Maßnahmen, weil die Minderjährigen japanischer Staatsbürgerschaft ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Der nach Art 13 Abs 3 Haager MjSchA von Österreich erklärte Vorbehalt, die Anwendung des Übereinkommens auf Minderjährige zu beschränken, die einem der Vertragsstaaten angehören (Duchek-Schwind, IPR MSA 53, Anm 11 zu Art 13 Haager MjSchA; Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts 246), wurde nämlich mit der vom Bundespräsidenten unterzeichneten und vom Bundeskanzler gegengezeichneten Erklärung auf Grund der Genehmigung durch den Nationalrat zurückgezogen. Die Wirkung des Vorbehalts erlosch nach Art 23 letzter Absatz Haager MjSchA mit dem 7.August 1990 (BGBl 1990/439). Seither ist das Abkommen unabhängig von der Staatsbürgerschaft anzuwenden.

Damit sind die österreichischen Gerichte vorbehaltlich vom Heimatstaat getroffener Maßnahmen, denen Vorrang zukäme, die aber hier bisher nicht angeordnet sind, zuständig, nach innerstaatlichem Recht Maßnahmen zum Schutz der Minderjährigen zu treffen, also Regelungen im Eltern-Kind-Verhältnis zu treffen, daher auch die Obsorge zuzuteilen und das Besuchsrecht zu regeln (Schwimann aaO 248).

In Verfahren außer Streitsachen, in denen das Wohl eines minderjährigen Kindes zu beachten ist (§ 178 a ABGB), können zwar auch Umstände, die dem Richter aus anderen Akten bekannt sind, verwertet werden. Es sind nicht die im Prozeß geltenden Vorschriften anzuwenden. Es ist daher unbedenklich, wenn als Sofortmaßnahme während des anhängigen Ehescheidungsrechtsstreites und in einer Phase emotional heftiger Spannungen zwischen den beiden Elternteilen zunächst eine den derzeitigen Verhältnissen entsprechende Regelung getroffen wird; so kann nach der nicht nur vorübergehenden Trennung der Eltern die Obsorge vorerst der Mutter allein zuerkannt werden, weil dies das Wohl der Kinder erfordert und diese bei der Mutter nach den erstrichterlichen Annahmen gut aufgehoben sind, und wegen der Streitigkeiten der Eltern bis zu einer endgültigen Obsorgeentscheidung auch die Ausübung des Besuchsrechtes untersagt werden. Ob aber als endgültige Maßnahme über die fremden Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland die Obsorge der Mutter allein zukommen soll, wird nicht nur vom Fortgang des Scheidungsprozesses abhängen, sondern eine sorgfältige Abwägung aller im wohlverstandenen Interesse der Mindrejährigen beachtnswerten Umstände erfordern. Die Entscheidung bedeutet ja nicht nur, daß Vater oder Mutter den Lebensweg der Kinder bestimmen, sondern auch, in welchem Kulturkreis die Minderjährigen heranwachsen. Dem Vater ist beizupflichten, daß eine solche Entscheidung nicht allein auf Grund eines kursorischen Verfahrens und nach den Ergebnissen von Bescheinigungen im Unterhaltsprovisorialverfahren getroffen werden darf. Der gebotenen Raschheit zur Vermeidung von Nachteilen für die Kinder kann durch eine bis zur endgültigen Entscheidung wirksame vorläufige Anordnung entsprochen werden. Diese die Obsorge der Mutter festlegende Maßnahme ist nach den Umständen zweckmäßig.

Daß der Vater derzeit und bis zu einer Klärung der familiären Verhältnisse monatlich aus Japan zureist, um für ein Wochenende den persönlichen Verkehr zu seinen Kindern, die sich dagegen sträuben und die in einer Altersstufe sind, in der ihre eigene Einstellung nicht mehr ganz zu vernachlässigen ist, auszuüben, bedeutet eine das Wohl der Kinder beeinträchtigende Inanspruchnahme des Besuchsrechtes. Daß daher vorerst eine Regelung dieses Rechtes abgelehnt wurde, bis die aufgetretenen Schwierigkeiten bewältigt sind, ist unter dem Gesichtspunkt, daß das Anliegen des Vaters hinter dem Wohl seiner Kinder zurückzutreten hat, gerechtfertigt.

Eine endgültige Obsorgeregelung hingegen wird erst nach Anhörung der Eltern und der Kinder, allenfalls auch der genaueren Erhebung der Unterbringungsverhältnisse und einer Beiziehung des Jugendwohlfahrtsträgers (vgl § 178 b ABGB idF nach Art I Z 22 KindRÄG und § 215 Abs 2 ABGB idF nach Art I Z 30 KindRÄG) unter Bedachtnahme auf alle maßgebenden Umstände getroffen werden können. Nur in diesem Umfang sind deshalb die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und es ist dem Erstgericht diese endgültige neue Entscheidung aufzutragen.

Anmerkung

E29199

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0030OB00538.92.0311.000

Dokumentnummer

JJT_19920311_OGH0002_0030OB00538_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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