TE OGH 1992/3/24 10ObS285/91

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Veröffentlicht am 24.03.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinz Paul und Dr.Sylvia Krieger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann L*****, vertreten durch Waltraud L*****, als Sachwalterin, diese vertreten durch Dr.Alfred Haslinger, DDr.Heinz Mück, Dr.Peter Wagner und Dr.Walter Müller, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern (Landesstelle Oberösterreich), 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderzuschusses zur Versehrtenrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Juli 1991, GZ 12 Rs 25/91-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.Jänner 1991, GZ 4 Cgs 180/90-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger den Kinderzuschuß zur Versehrtenrente für Dominik-Peter vom 1.9.1990 an weiterzugewähren, wird abgewiesen".

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die einschließlich 301,92 S Umsatzsteuer mit 1.811,52 S bestimmten halben Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger befindet sich wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 10.8.1987 seit 14.1.1988 ständig im Pflegeheim S*****.

Mit Bescheid vom 3.9.1990 setzte die beklagte Partei die für die Folgen des Arbeitsunfalles gewährte Versehrtenrente des Klägers vom 1.9.1990 an nach § 97 Abs 3 ASVG iVm den §§ 207 und 252 Abs 1 leg cit wegen Entziehung des Kinderzuschusses für das Stiefkind Dominik-Peter herab, weil wegen des langen Aufenthaltes des Versicherten im Pflegeheim die ständige Hausgemeinschaft mit dem Stiefkind aufgelöst sei.

Die auf Weitergewährung des Kinderzuschusses gerichtete Klage stützt sich darauf, daß die wegen der Unfallsfolgen erforderliche Behandlung und Pflege in einem Pflegeheim die Hausgemeinschaft mit dem Stiefkind nicht unterbrochen habe, wenngleich die Chancen auf eine Besserung des Klägers eher unwahrscheinlich seien.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, nach Ansicht der Ärzte sei eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes des Klägers nicht zu erwarten. Deshalb sei die ständige Hausgemeinschaft mit dem Stiefkind seit 14.1.1988 nicht mehr durch Heilbehandlung zeitweilig unterbrochen, sondern aufgelöst.

Das Erstgericht gab der Klage statt.

Nach seinen Feststellungen befindet sich der Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 10.8.1987 seit 14.1.1988 ständig im Pflegeheim S*****. Er muß künstlich ernährt und ständig durch Fachpersonal beobachtet und betreut werden. Seine Frau könnte ihn daheim nicht fachmännisch betreuen. Eine Besserung seines Gesundheitszustandes ist unwahrscheinlich. Das Pflegeheim S***** wird von der Gemeinde S***** betrieben. Das Land Oberösterreich übt die Aufsicht aus. Der Kläger begleicht die Pflegeheimkosten aus seiner Unfallrente. Die darüber hinaus auflaufenden monatlichen Arztkosten von etwa 1.000 S zahlt seine Ehegattin. Diese hat den Kläger am 21.1.1986 geheiratet. Durch die Eheschließung wurde die am 3.2.1985 geborene Carena legitimiert. Während der Ehe wurde am 26.8.1986 Martina geboren. Die Ehegattin brachte ihren am 23.10.1979 geborenen Sohn Dominik-Peter, dessen Vater derzeit einen monatlichen Unterhalt von 2.000 S zahlt, in die Ehe mit. Mit der Eheschließung zog die Ehegattin mit den Kindern in den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers in R*****, um dort gemeinsam zu wohnen. Nach dem Arbeitsunfall des Klägers wohnte sie mit den drei Kindern bis Dezember 1990 in einer Mietwohnung in A*****, seither wohnen sie gemeinsam in E*****. Seit der Kläger im Pflegeheim lebt, bezieht seine Ehegattin die Familienbeihilfe für die Kinder.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsmeinung, daß die ständige Hausgemeinschaft des Klägers mit dem unehelichen Kind seiner Ehegattin trotz seines Pflegeaufenthaltes weiterbestehe. Es komme nämlich ausschließlich auf wirtschaftliche und finanzielle Umstände, nicht jedoch auf eine örtliche Komponente iS eines Zusammenlebens im räumlichen Naheverhältnis an. Es könne nicht sein, daß einem Versicherten, der infolge seiner schweren Verletzungen zu einem langen Pflegeaufenthalt gezwungen sei, die Hausgemeinschaft mit dem Stiefkind und damit der Anspruch auf Kinderzuschuß verlorengehe, während ein Versicherter, der seine geringeren Verletzungen daheim im örtlichen Naheverhältnis zum Stiefkind auskurieren könne, den genannten Anspruch behalte. Die Ehegattin des Klägers sei bestrebt, mit den ihr zufließenden finanziellen Mitteln die lebensnotwendigen Bedürfnisse des Klägers und der drei Kinder möglichst effizient zu decken. Weil Dominik-Peter in diese wirtschaftliche und finanzielle Interessengemeinschaft der Familie des Klägers voll integriert sei, lebe er mit ihm weiter in Hausgemeinschaft.

In der inhaltlich nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung gestand die beklagte Partei zu, daß für den Bestand der Hausgemeinschaft die wirtschaftliche und finanzielle Interessengemeinschaft der Familie mit dem Stiefkind maßgeblich sei, meinte aber, daß von einer solchen Gemeinschaft nicht gesprochen werden könne, weil die monatlichen Aufwendungen für die Betreuung und Pflege des Klägers seinen gesamten Renten- und Pensionsbezug überstiegen. Weil der Kläger daher die Lebenshaltungskosten seiner Familie nicht decken könne, liegt keine Hausgemeinschaft vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und schloß sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes unter Hinweis auf die nunmehr auch zu SSV-NF 4/53 veröffentlichte Entscheidung des erkennenden Senates vom 27.3.1990 10 Ob S 69,75,76/90 an.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtig.

Nach § 148 BSVG gelten hinsichtlich der Leistungen der Unfallversicherung ua die Bestimmungen des (die Unfallversicherung regelnden) Dritten Teiles des ASVG. Nach § 207 Abs 1 Satz 1 wird Schwerversehrten für jedes Kind (§ 252) ein Kinderzuschuß im Ausmaß von 10 vH der Versehrtenrente ohne Hilflosenzuschuß gewährt. Nach dem bezogenen § 252 Abs 1 Satz 1 Z 4 gelten als Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr die Stiefkinder, jedoch nach Satz 2 nur dann, wenn sie mit dem Versicherten ständig in Hausgemeinschaft leben. Nach Satz 3 besteht die ständige Hausgemeinschaft weiter, wenn sich das Kind nur vorübergehend oder wegen schulmäßiger (beruflicher) Ausbildung oder zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Gemäß Satz 4 gilt das gleiche, wenn sich das Kind auf Veranlassung des Versicherten und überwiegend auf dessen Kosten oder auf Anordnung der Jugendfürsorge oder des Vormundschafts(Pflegschafts)gerichtes in Pflege eines Dritten befindet.

In der Entscheidung SSV-NF 4/53 legte der erkennende Senat unter Berufung auf Schrammel in Tomandl, SV-System 4. - nunmehr

5. - ErgLfg 126 f dar, daß für eine Hausgemeinschaft nicht die Wohnungsgemeinschaft, sondern das Bestehen einer wirtschaftlichen und finanziellen Interessengemeinschaft wesentlich sei, wobei es keine Rolle spiele, ob die Mittel nur von einem oder von allen Gemeinschaftern getragen würden. Es komme nur auf die Zielsetzung an, die Kosten der Lebenshaltung durch Zusammenwirtschaften zu vermindern. Daß der Wohnungsgemeinschaft allein keine überragende Bedeutung zukomme, ergebe sich auch aus jenen gesetzlichen Bestimmungen, die ein Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft vorsehen, obwohl eindeutig keine Wohnungsgemeinschaft mehr vorliege, zB aus den §§ 123 Abs 2 letzter Satz, 252 Abs 1 letzter Satz ASVG.

Die letzten beiden Sätze des § 252 Abs 1 ASVG, nach denen die ständige Hausgemeinschaft weiter besteht, wenn sich das Kind nur vorübergehend oder wegen schulmäßiger (beruflicher) Ausbildung oder zeitweiliger Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält oder sich auf Veranlassung des Versicherten und überwiegend auf dessen Kosten oder auf Anordnung der Jugendfürsorge oder des Vormundschafts(Pflegschafts)gerichtes in Pflege eines Dritten befindet, beziehen sich nur auf vorübergehende oder - in bestimmten Fällen - dauernde Aufenthalte des Kindes außerhalb der Hausgemeinschaft des Versicherten, fingieren also in den Fällen des nicht nur vorübergehenden anderweitigen Aufenthaltes das Weiterbestehen des Tatbestandsmerkmales der ständigen Hausgemeinschaft.

Die Normierung dieser Ausnahmebestimmung läßt den Standpunkt des Gesetzgebers erkennen, daß die in den zitierten beiden Sätzen genannten Umstände - jedenfalls bei nicht nur vorübergehendem anderweitigem Aufenthalt des Kindes - an sich das Bestehen einer ständigen Hausgemeinschaft ausschließen würden (ähnlich SSV-NF 1/47).

Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die nur für anderweitige Aufenthalte des Kindes normierten Ausnahmebestimmungen der letzten beiden Sätze des § 252 Abs 1 ASVG auf solche anderweitigen Aufenthalte des Versicherten selbst anwenden lassen. Auch wenn man dies für zulässig erachtete, dürfte dabei nicht über die Ausnahmebestimmung der sinngemäß angewendeten Norm hinausgegangen werden.

Da die ständige Hausgemeinschaft nicht aufgehoben wird, wenn sich das Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält, dürfte es sich bei einer sinngemäßen Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes auf den Versicherten ebenfalls nur um dessen vorübergehenden oder zeitweiligen anderweitigen Aufenthalt wegen Heilbehandlung handeln, wovon jedoch bei dem seit 14.1.1988 ständigen Aufenthalt des Klägers im Pflegeheim keine Rede sein kann.

Daraus folgt, daß die für die Kindeseigenschaft eines Stiefkindes erforderliche ständige Hausgemeinschaft Dominik-Peters mit dem Kläger jedenfalls seit 1.9.1990 nicht mehr besteht.

Die in der Revisionsbeantwortung erhobenen Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit des § 252 Abs 1 ASVG werden vom erkennenden Senat nicht geteilt.

Deshalb war der Revision Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen waren im klageabweisenden Sinn abzuändern.

Wegen der rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens war dem Kläger nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG der Ersatz der halben Kosten der Revisionsbeantwortung zuzubilligen (SSV-NF 1/66 ua).

Anmerkung

E28816

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00285.91.0324.000

Dokumentnummer

JJT_19920324_OGH0002_010OBS00285_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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