TE OGH 1992/3/24 10ObS13/92

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Veröffentlicht am 24.03.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz Paul (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Siegfried Pratscher (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J***** R*****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm und Dr. Erika Furgler, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstr. 15-19, 1101 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Wochengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Oktober 1991, GZ 31 Rs 135/91-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. April 1991, GZ 6 Cgs 196/90-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der voraussichtliche Entbindungstag war für die Klägerin mit 12.6.1990 festgelegt. Am 12.12.1989 wurde in einem ärztlichen Zeugnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten festgestellt, daß bei Fortdauer jeder Beschäftigung bis zum Beginn der gesetzlichen Schutzfrist Leben und Gesundheit der Klägerin und des Kindes gefährdet wäre. Die Klägerin erhielt ab 12.12.1989 Wochengeld. Am 22.5.1990 wurde sie von einem Knaben entbunden. Das Kind hatte ein Geburtsgewicht von 3060 g und eine Länge von 50 cm; es war reif. Die beklagte Partei gewährte der Klägerin bis zum 17.7.1990 Wochengeld.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 5.12.1990 wurde der Antrag der Klägerin, ihr über den 17.7.1990 hinaus Wochengeld zu gewähren, abgewiesen.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung von Wochengeld in der gesetzlichen Höhe über den 17.7.1990 hinaus gerichtete Begehren der Klägerin ab. § 5 Abs 2 zweiter Satz MSchG bestimme, daß sich im Fall einer Verkürzung der Achtwochenfrist vor der Entbindung durch die Niederkunft zu einem früheren als dem berechneten Geburtstermin, die achtwöchige Schutzfrist nach der Entbindung im Ausmaß dieser Verkürzung, höchstens jedoch auf 12 Wochen verlängere. Auf Grund des Beschäftigungsverbotes gemäß § 3 Abs 3 MschG habe bei der Klägerin die Schutzfrist vor der Entbindung einschließlich der Zeit des (individuellen) Beschäftigungsverbotes mehr als acht Wochen betragen. Eine Verlängerung der Schutzfrist nach der Geburt sei daher nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wobei es im wesentlichen der Begründung des Erstgerichtes beitrat und auf die Entscheidung SSV-NF 3/85 verwies.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin stützt ihre Ausführungen im wesentlichen auf die Kritik von Knöfler (DRdA 1990, 220 ff) zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SSV-NF 3/85 = DRdA 1990, 218 ff. Diese Ausführungen bieten jedoch keine Grundlage zu einem Abgehen von der Rechtsprechung.

Knöfler führt gegen die Entscheidung vorerst ins Treffen, bei dem individuellen Beschäftigungsverbot des § 3 Abs 3 MSchG handle es sich um etwas vom generellen Beschäftigungsverbot grundsätzlich verschiedenes. Aus der Interpretation des § 3 Abs 3 MSchG kann dieses Ergebnis entgegen der Ansicht Knöflers nicht abgeleitet werden. Die Wortfolge "über die Achtwochenfrist" (Abs 1) hinaus spricht vielmehr dafür, daß nur eine Unterscheidung in der zeitlichen Dauer vorgenommen wird. Auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum Mutterschutzgesetz (197 BlgNR 8. GP, 11) führen aus, die in den §§ 3 und 4 enthaltenen Beschäftigungsverbote seien zum Teil allgemeiner Natur, sie gelten für alle Mütter, zum Teil individueller Natur. Daß zwischen diesen beiden Arten von Beschäftigungsverboten, soweit sie die §§ 3 und 5 betreffen ein prinzipieller Unterschied bestünde, läßt sich weder dem Gesetz noch den Materialien entnehmen. Auch für die in der zitierten Kritik vertretene strenge Unterscheidung zwischen Beschäftigungsverbot einerseits und Schutzfrist andererseits läßt sich aus dem Gesetz nichts entnehmen; § 5 Abs 1 letzter Satz spricht vielmehr dafür, daß die Begriffe "achtwöchiges Beschäftigungsverbot" und "achtwöchige Schutzfrist" weitgehend synonym verwendet werden.

Das Beschäftigungsverbot der Mutter vor der Geburt hat den Zweck, eine Schädigung des Gesundheitszustandes der Mutter und dem noch nicht geborenen Leben durch Überbeanspruchung des Organismus zu vermeiden (1033 BlgNR 13. GP, 5). Bei der Erweiterung der Schutzfrist auf nunmehr 8 Wochen durch die Novelle zum MSchG, BGBl 1974/178 ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß in den letzten 8 Wochen vor der Entbindung die Schädigung der Mutter und/oder des Kindes bei weiterer Arbeitstätigkeit in jedem Fall zu befürchten ist; ohne daß es eines Nachweises für das Bestehen dieser Gefahr bedürfte, ist die Beschäftigung der Mutter in dieser Zeit in jedem Fall verboten. § 3 Abs 3 MSchG normiert, daß eine werdende Mutter über die Achtwochenfrist hinaus auch dann nicht beschäftigt werden darf wenn nach einem von ihr vorgelegten Zeugnis ...... Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre. Für die Zeit bis zum Erreichen des Zeitpunktes, ab dem das allgemeine Beschäftigungsverbot einsetzt, hat der Gesetzgeber daher das Beschäftigungsverbot an den individuellen Nachweis geknüpft, daß mit der weiteren Beschäftigung eine Gefahr verbunden ist. Es ist aber auch dieses individuelle Beschäftigungsverbot von demselben Gedanken getragen, wie das allgemeine, nämlich eine Gefahr für Mutter und Kind hintanzuhalten. Es handelt sich nicht um eine im Grundsatz verschiedene Regelung, sondern nur um ein Einsetzen des sonst erst acht Wochen vor Geburt bestehenden Beschäftigungsverbotes bereits ab einem früheren Zeitpunkt.

Im weiteren wird argumentiert, Art 5 Z 3 ILO-Übereinkommen über den Mutterschutz, der die innerstaatliche Gesetzgebung verhalte im Falle einer Krankheit, die laut ärztlicher Bestätigung eine Folge der Schwangerschaft ist einen zusätzlichen Urlaub vorzusehen, spreche gegen die Entscheidung des OGH; es bedeute eine völlige Verkennung der Absichten des Übereinkommens, das ja den Schutz von Müttern und Kindern bezwecke, wenn man ein Gebot zur Schaffung zusätzlicher Freistellungen bei Gefahr für Mütter und Kind in eine Erlaubnis zur Kürzung von gesetzlichen Freistellungsansprüchen umdeute.

Auch dem kann nicht gefolgt werden.

In Frage steht hier nicht eine Freistellung wegen Krankheit. Die Regelung dieses Komplexes ist generell (und damit auch für Fälle, in denen eine Krankheit als Folge einer Schwangerschaft auftritt) Gegenstand der Krankenversicherung nach dem ASVG. Durch diese Bestimmungen bzw die Bestimmungen des EFZG und des AngG ist auch für die finanzielle Sicherung im Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft Vorsorge getroffen; durch arbeitsrechtliche Bestimmungen sind die entsprechenden Freistellungsansprüche gewährleistet. Es trifft auch nicht zu, daß nur eine Krankheit als Grund für den Freistellungsanspruch nach § 3 Abs 3 MSchG gilt. Durch eine Krankheit, die die Versicherte außer Stande setzt, ihrer Tätigkeit nachzugehen, werden vielmehr zunächst der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit nach § 120 Abs 1 Z 2 ASVG bzw Ansprüche nach dem EFZG oder dem AngG ausgelöst. Nach den ErlBem zur RV der Nov zum MSchG 1974 (1033 BlgNR 13. GP, 5) war die Tatsache, daß nach dem Ergebnis von Erhebungen dem Bezug von Wochengeld vor der Entbindung in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen ein schwangerschaftsbedingter Krankenstand voranging, mit ein Grund für die Verlängerung der allgemeinen Schutzfrist auf acht Wochen. Grund für das vorgezogene Beschäftigungsverbot kann aber nicht nur das Vorliegen einer Krankheit sein, sondern es handelt sich dabei vor allem um eine rein prophylaktische Maßnahme, durch die in besonderen Fällen derselbe Schutz, der allgemein in den letzten 8 Wochen vor der Geburt gewährt wird, bereits zu einem früheren Zeitpunkt einsetzt. Welche Folgen es hätte, wenn eine Krankheit der Klägerin der Grund für das vorgezogene Wochengeld gewesen wäre, muß nicht untersucht werden, da hiefür keinerlei Anhaltspunkte im Verfahren hervorgekommen sind. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der vorgezogenen Schutzfrist in Fällen des § 5 Abs 1 letzter Satz MSchG sind daher jedenfalls dann gegeben, wenn das dadurch begründete Beschäftigungsverbot durchgehend bis zur Entbindung besteht. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, was zu geschehen hätte, wenn ein vor Beginn der allgemeinen Schutzfrist bestandenes Beschäftigungsverbot vor Beginn der Achtwochenfrist vor der Entbindung endet und vor Beginn der allgemeinen Schutzfrist noch eine Zeit der Beschäftigung liegt, ist entbehrlich, weil dieser Fall hier nicht vorliegt; auch in der von Knöfler kritisierten Entscheidung bestand ein durchgehendes Beschäftigungsverbot.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich aus diesen Gründen auch der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes in der Entscheidung DRdA 1991,288 (mit zustimmender Besprechung von Martinek) nicht anzuschließen. Wie oben dargestellt, handelt es sich bei dem generellen Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 1 und dem individuellen Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 MSchG um Maßnahmen, die dem identen Schutzzweck dienen und auch in ihren Auswirkungen gleich zu behandeln sind. Daß die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur Novelle zum Mutterschutzgesetz BGBl 1968/281 dies nicht besonders zum Ausdruck bringen, ändert daran nichts.

§ 5 Abs 1 Satz 3 MSchG bestimmt, daß sich dann, wenn eine Verkürzung der Achtwochenfrist vor der Entbindung eingetreten ist, die achtwöchige Schutzfrist nach der Entbindung um das Ausmaß dieser Verkürzung, höchstens jedoch auf 12 Wochen verlängert. Es besteht kein Hinweis dafür, daß bei Berechnung einer allfälligen Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung auch dann von dem Tag auszugehen ist, von dem nach dem ärztlichen Zeugnis das allgemeine Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 1 MSchG einzusetzen hat, wenn zuvor bereits ein durchgehendes individuelles Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 MSchG bestand. Zu diesem Ergebnis gelangte man nur, wenn der Begriff Achtwochenfrist in § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG ausschließlich auf § 3 Abs 1 MSchG bezogen wird. Dies würde auf eine reine Wortauslegung hinauslaufen, die den Zusammenhang und den Zweck der Regelungen außer Betracht ließe. Durch § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG soll nicht eine wegen eines besonderen Schonungsbedürfnisses der Frau nach der Geburt erforderliche zusätzliche Schutzfrist eingeräumt werden (wie in den Fällen des § 5 Abs 1 Satz 2 MSchG), sondern für die Frau nur eine Schutzfrist von insgesamt 16 Wochen gewährleistet werden. Der Oberste Gerichtshof vermag sich der Argumentation des Verwaltungsgerichtshofes, daß beim Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 3 MSchG besondere Gründe eine Verlängerung der Schutzfrist über acht Wochen nach der Geburt des Kindes hinaus sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen, nicht anzuschließen, weil jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, daß medizinische Gründe dies erfordern könnten. Eine Schutzfrist in der Dauer von 16 Wochen ist aber bei Konsumation der nur achtwöchigen Schutzfrist des § 5 Abs 1 Satz 1 MSchG dann gewährleistet, wenn die Frau zumindest 8 Wochen vor der Geburt - wenn auch zum Teil zufolge eines individuellen Beschäftigungsverbotes gemäß § 3 Abs 3 MSchG nicht beschäftigt wurde. Dies entspricht auch den EB zur Novelle zum MSchG BGBl 1968/281 (821 BlgNR 11. GP), wo unter Bezugnahme auf das auf der 35. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz angenommene Übereinkommen (Nr 103) ausgeführt wird, daß es Ziel der Reform sei, sicherzustellen, daß der Dienstnehmerin in allen Fällen vor und nach der Niederkunft eine Schutzfrist von insgesamt (nach der damaligen Rechtslage) 12 Wochen gewährt wird. Eine darüber hinausgehende Regelung, wie sie von der Revisionswerberin vertreten wird, läßt sich hieraus nicht ableiten.

Es trifft auch nicht zu, daß diese Auslegung auch Fälle des Krankenstandes ober Urlaubes vor der Achtwochenfrist erfassen würde, weil als Beschäftigungsverbot im hier entscheidungswesentlichen Sinne nur das Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz zu verstehen ist; nur ein Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 MSchG vor Beginn der Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG kann im Falle des § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG von Einfluß sein.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

Anmerkung

E29444

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00013.92.0324.000

Dokumentnummer

JJT_19920324_OGH0002_010OBS00013_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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