TE OGH 1992/4/1 1Ob9/92

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Veröffentlicht am 01.04.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz M*****, vertreten durch Dr. Gottfried Eisenberger und Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, Nebenintervenient auf Seiten der klagenden Partei V*****, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei REPUBLIK ÖSTERREICH, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 287.400,--, Rente und Feststellung (Gesamtstreitwert S 564.000,--) infolge Revisionen der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 5. November 1991, GZ 5 R 114/91-25, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und des auf ihrer Seite dem Verfahren beigetretenen Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 21. Februar 1991, GZ 13 Cg 262/89-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben, die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Am 12.10.1986 gegen 15,15 Uhr fuhr der griechische Staatsbürger Alekos S***** mit einem PKW Marke Ford Taunus 1,6 l auf der A 2 von Graz Richtung Wien. Infolge eines Reifenplatzers geriet das Fahrzeug im Ortsgebiet von N***** über die doppelte Sperrlinie und stieß mit dem vom Kläger gelenkten PKW VW 132 mit dem amtlichen Kennzeichen ***** zusammen. Durch diesen Unfall wurde die Gattin des Klägers, Aloisia M*****, getötet. Gegen den Kläger wurde ein Strafverfahren nicht eingeleitet, das gegen Alekos S***** eingeleitete wurde nach § 90 Abs 1 StPO eingestellt. Der PKW Ford Taunus wurde jedenfalls nach dem 3.10.1985 nach Österreich eingebracht. Am Tag des Unfalles war an diesem Fahrzeug das Kennzeichen „*****“ angebracht. Es fehlte aber die TÜV-Plakette und das Stadtsiegel.

Der Kläger begehrt aus dem Titel der Amtshaftung für Fahrzeugschäden und Mehrauslagen für Haushaltshilfe den Zuspruch des Betrages von S 287.400, ab 1.10.1990 bis auf weiteres eine monatliche Rente von S 6.000 und die Feststellung, dass die beklagte Republik dem Kläger für alle Schäden, die dieser in Hinkunft aufgrund des Unfalles vom 12.10.1986 auf der A 2 im Gemeindegebiet von N***** erleiden wird, ersatzpflichtig sei. Er brachte, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, vor, das von Alekos S***** gelenkte Fahrzeug sei zum Unfallszeitpunkt mit keinem gültigen Kennzeichen versehen gewesen. Alekos S***** habe auch keine gültige grüne Versicherungskarte besessen, er habe darüber hinaus auch keine österreichische Grenzversicherung abgeschlossen. Alekos S***** sei an einem der offiziellen Grenzübergänge mit seinem Fahrzeug nach Österreich eingereist. Den Dienst versehenden Organen der Bundeszollwache und der Bundesgendarmerie sei nicht aufgefallen, dass das Kennzeichen, das am Fahrzeug des Alekos S***** befestigt gewesen sei, kein gültiges deutsches Kennzeichen gewesen sei. Diesem Kennzeichen hätten sowohl das TÜV-Siegel als auch das Ortssiegel gefehlt. Das Fahrzeug habe im Jahr 1985 einen schweren Schaden erlitten, es sei damals nicht fahrbereit gewesen. Der damalige Zulassungsbesitzer, die G***** Gesellschaft mbH, Mannheim habe das Fahrzeug am 5.6.1985 abgemeldet und es am 3.10.1985 um DM 500 mit der am Auto verbliebenen privaten Nummerntafel verkauft. Die Tafel selbst sei im Sinn der bundesdeutschen Rechtslage dem letzten Zulassungsbesitzer belassen worden. Den an der österreichischen Grenze anlässlich der Anreise des Alekos S***** Dienst leistenden Zoll- und/oder Gendarmerieorganen hätte bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit und einer auch nur durchschnittlich genauen Beobachtung des Fahrzeuges auffallen müssen, dass die beiden Siegel fehlten. Die Organe der beklagten Partei könnten sich auch nicht auf den Reiseverkehr und ihre starke Beanspruchung durch zahlreiche einreisende Fahrzeuge berufen, weil nicht feststehe, dass Alekos S***** überhaupt zu einer Zeit starker Verkehrsfrequenz nach Österreich eingereist sei. Vor allem aber habe den österreichischen Gendarmerie- und Zollorganen bewusst sein müssen, dass an abgemeldeten, in Deutschland zugelassen gewesenen Fahrzeugen, weiterhin die Kennzeichen, ohne gültig zu sein, montiert sein konnten, weil anlässlich der Abmeldung des Fahrzeuges zwar die Kennzeichen belassen, die die Gültigkeit derselben dokumentierenden beiden Siegel jedoch üblicherweise abgenommen werden. Die beklagte Partei hafte für das Verschulden ihrer Organe, die die Einreise des nicht versicherten, nicht zum Verkehr zugelassenen Fahrzeuges nach Österreich ermöglicht hätten. Das bloße Vorhandensein einer Nummerntafel für sich allein bedeute keinesfalls den Nachweis des aufrechten Bestandes von Versicherungsschutz. Es mag dahingestellt sein, ob der Lenker des deutschen Fahrzeuges die mangelhafte Beschaffenheit des rechten Hinterradreifens habe erkennen können; jedenfalls bestünde eine Haftung zumindest nach Maßgabe der Haftungsbeschränkungen des EKHG. Ein Mitverschulden liege nicht vor, der Kläger sei durchaus berechtigt gewesen, auch den der Fahrbahnmitte näher gelegenen Fahrstreifen zu befahren. Ein grundsätzliches Verbot der Benützung desselben habe keinesfalls bestanden. Dazu komme, dass der Schleudervorgang des ausländischen Fahrzeuges ja nicht etwa auf den Fahrstreifen, den der Kläger tatsächlich befahren habe, beschränkt geblieben wäre, sondern die gesamte linke Fahrbahnhälfte in Anspruch genommen hätte.

Die beklagte Partei bestritt die geltend gemachten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach und wendete unter anderem ein, unter der einem Führerscheinbesitzer wohl bekannten Voraussetzung, dass die Benützung eines amtlich nicht zugelassenen und keinen Versicherungsschutz genießenden Fahrzeuges auf öffentlichen Straßen untersagt sei, müsse das Verhalten des unfallverursachenden PKW-Lenkers jedenfalls als Verwirklichung des Tatbestandes einer vorsätzlichen Täuschung der österreichischen Grenzorgane im Sinn des § 108 StGB gewertet werden. Eine allenfalls von einem Fahrzeuglenker widerrechtlich durch ein strafbares Verhalten herbeigeführte Einreise nach Österreich schließe jedoch eine schuldhafte Schadenszufügung österreichischer Grenzorgane im Sinn des § 62 Abs 2 KFG aus. Da insbesondere nach den österreichischen Vorschriften die Führung einer amtlichen Kennzeichentafel die gesetzliche Vermutung eines aufrechten Versicherungsschutzes indiziere, könne ein allfälliges Übersehen der schlecht erkennbaren TÜV- bzw. des jeweiligen Stadtsiegels auf der Kennzeichentafel nicht einer rechtswidrigen schuldhaften Unterlassung zugerechnet werden, zumal der Auffälligkeitswert der Plaketten wegen der überwiegenden Buchstaben-Zahlenkombination und sonstiger Beeinträchtigungen (Verschmutzung usw) nur sehr gering sei. Außerdem müsse nicht von vornherein mit einem rechtswidrigen Verhalten der Einreisenden gerechnet werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der PKW Ford Taunus 1,6 l sei jedenfalls nach dem 3.10.1985 in das Gebiet der Republik Österreich eingebracht worden. Es könne nicht festgestellt werden, an welchem Grenzübergang dies geschah, wer das Fahrzeug damals lenkte und welche Kennzeichentafel damals angebracht gewesen sei. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Geschädigte zu beweisen habe, wann und wo eine Pflichtverletzung von Organen des beklagten Rechtsträgers stattgefunden habe. Würde nämlich die globale Behauptung, dass Grenzorgane ihre Pflichten verletzt hätten, ausreichen, so wäre der Beweis des Gegenteils, dass ein schuldhaftes, rechtswidriges Verhalten der Grenzorgane nicht vorliege, von vornherein aussichtslos.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers und des auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten nicht Folge. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig. Die vom Nebenintervenienten in seiner Tatsachenrüge geforderten weiteren Feststellungen seien teils Rechtsbeurteilung, teils entscheidungsunwesentlich oder bereits Urteilsbestandteil. Wie bloß aus Urkunden hätte festgestellt werden sollen, dass anlässlich der Einbringung des Fahrzeuges in das Bundesgebiet „offenbar keine Haftpflichtversicherung für dieses bestanden und insbesondere kein Nachweis dafür erbracht wurde“ wo doch andererseits feststehe, dass weder der Zeitpunkt noch der Ort und der Lenker der Fahrzeugeinbringung bekannt sei, sei nicht nachvollziehbar. Allerdings fänden sich keine Prozessbehauptungen und Entscheidungsgrundlagen für einen Kennzeichentafelwechsel zwischen Grenzübertritt und Unfallszeitpunkt und werde daher die vom Kläger allein bekämpfte Feststellung der Ungeklärtheit, ob das Fahrzeug mit der Kennzeichentafel ***** oder einer anderen in das Bundesgebiet eingebracht worden sei, dahingestellt gelassen. Mit dieser Einschränkung übernehme das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Feststellungen und lege sie seiner Entscheidung zugrunde. In Amtshaftungssachen sei die Beweislast grundsätzlich nach den §§ 1295 ff ABGB zu beurteilen. Demnach habe der Kläger den rechtswidrigen haftungsbegründenden Sachverhalt zu behaupten und zu beweisen, also zumindest darzutun, dass ein bestimmtes schadensverursachendes rechtswidriges Verhalten in Vollziehung der Gesetze vorliege, das von einem Organ des beklagten Rechtsträgers gesetzt worden sei. Diesem Erfordernis entsprächen die Klagsbehauptungen bereits deshalb nicht, da nicht einmal habe vorgebracht werden können, wann und wo Alekos S***** in das Bundesgebiet eingereist sei. Unbekämpft stehe fest, dass unbekannt sei, wann nach dem 3.10.1985 und an welchem Grenzübergang das Fahrzeug und von wem es nach Österreich gebracht worden sei. Die Beweiserleichterung des § 2 Abs 1 AHG ermögliche dem Kläger nur, das schuldtragende Organ nicht benennen zu müssen, entbinde ihn jedoch nicht seiner Verpflichtung, ein nach Zeit und Ort individualisiertes bestimmtes schadenverursachendes rechtswidriges Organverhalten in Vollziehung der Gesetze zu behaupten und zu beweisen. Allein wegen des Nichtvorhandenseins eines amtlichen deutschen Kennzeichens mit TÜV- und Stadtsiegel am Fahrzeug im Unfallszeitpunkt im Bundesgebiet könne nicht davon ausgegangen werden, dass für das Fahrzeug kein Versicherungsschutz bestanden habe und ein rechtswidriges Verhalten eines Zollorganes gesetzt worden sei. Die Erleichterung durch einen Anscheinsbeweis komme dem Kläger damit nicht zugute. Eine Haftung der beklagten Partei im Zusammenhang mit dem Grenzübertritt des Fahrzeuges sei nicht gegeben. Weitere Beweisaufnahmen und Feststellungen etwa über einen behördlichen Zulassungsvorgang und die Fahrzeugabmeldung in der Bundesrepublik Deutschland seien nicht erforderlich.

Die Revisionen des Klägers und des auf seiner Seite dem Verfahren beigetretenen Nebenintervenienten sind berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 62 Abs 1 KFG in der für die Beurteilung des Sachverhaltes maßgeblichen Fassung hatte für Kraftfahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, wenn sie im Inland auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet wurden, Haftung eines zum Betrieb der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung oder eines Verbandes solcher Versicherungen vorzuliegen. Der Versicherungsnachweis war in erster Linie beim Eintritt in das Bundesgebiet beim Zollamt zu erbringen. Wird beim Zollamt weder dieser Nachweis erbracht noch eine Versicherung abgeschlossen, so ist die Einbringung des Fahrzeuges in das Bundesgebiet zu verhindern. Nach § 27 a Abs 1 KDV war der Nachweis des Versicherungsschutzes für Fahrzeuge der Bundesrepublik Deutschland mit hier nicht interessierenden Ausnahmen auf Grund des amtlichen Kennzeichens erbracht. Nach § 23 Abs 4 der deutschen Straßenverkehrszulassungsordnung (im folgenden StVZO) müssen amtliche Kennzeichen mit dem Dienststempel der Zulassungsstelle oder einer von ihr beauftragten Behörde versehen sein. Der Antrag auf Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens hat unter anderem den Nachweis zu enthalten, dass eine dem Pflichtversicherungsgesetz entsprechende Kraftfahrzeugpflichtversicherung besteht oder dass der Halter nicht der Versicherungspflicht unterliegt (§ 23 Abs 1 Z 4 StVZO). Zur Abstempelung ist das Fahrzeug grundsätzlich der Zulassungsstelle vorzuführen. Als Abstempelung gilt auch die Anbringung von Stempelplaketten. Fahrten zur Abstempelung des Kennzeichens und Rückfahrten nach Entfernung des Stempels dürfen mit ungestempeltem Kennzeichen ausgeführt werden (§ 23 Abs 4 StVZO). Nach Untersagung des Betriebes eines Fahrzeuges, für das ein amtliches Kennzeichen zugeteilt ist, hat der Fahrzeughalter unverzüglich das Kennzeichen von der Behörde entstempeln zu lassen (§ 17 StVZO). Ein amtliches Kennzeichen der Bundesrepublik Deutschland im Sinn des § 27 a Abs 1 KDV liegt daher nur vor, wenn das Kennzeichen von der Zulassungsbehörde abgestempelt ist. Fehlte beim Grenzübertritt die Abstempelung (Stempelplakette), lag somit der Nachweis eines amtlichen Kennzeichens und damit einer bestehenden Haftpflichtversicherung nicht vor. Das Zollamt hat in einem solchen Fall die Einbringung des Fahrzeuges in das Bundesgebiet zu verhindern. Die Bestimmungen des Kraftfahrgesetzes und damit auch die des § 62 KFG, mit der gewährleistet werden soll, dass nur Fahrzeuge mit gültiger Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung öffentliche Straßen benützen, dienen dem Schutz aller Personen, die durch einen Unfall in Mitleidenschaft gezogen werden können (SZ 38/28; SZ 28/201 ua; Schragel, AHG2 124, 273; vgl. NJW 1971, 222; Karl Schäfer in Staudinger12, Rz 513 zu § 839; Kreft in BGB-RGRK12, Rz 484 zu § 839).

Der durch die gesetzliche Regelung angestrebte Ausschluss nicht versicherter ausländischer Kraftfahrzeuge vom inländischen Straßenverkehr setzt demnach voraus, dass die Zollbehörden die Einhaltung dieser Vorschrift streng überwachen. Der Kläger hat die negative Feststellung des Erstgerichtes, es sei unbekannt, ob das von Alekos S***** gelenkte Fahrzeug schon beim Grenzübertritt nicht mit einem amtlichen deutschen Kennzeichen versehen war, ausdrücklich bekämpft. Das Berufungsgericht hat diese Feststellung ausgehend davon, dass das gestellte Begehren schon aus anderen Gründen abzuweisen sei, ohne Beweiswiederholung nicht übernommen. Wie die weiteren Ausführungen aber zeigen werden, kommt der Beurteilung, ob Organen der beklagten Partei anlässlich der Einbringung des Fahrzeuges in Österreich eine Rechtswidrigkeit unterlaufen sei, entscheidungswesentliche Bedeutung zu. War schon zum Zeitpunkt des Grenzübertrittes am Unfallsfahrzeug kein amtliches Kennzeichen der Bundesrepublik Deutschland angebracht, war die Einbringung des Fahrzeuges nach Österreich durch die Organe der beklagten Partei zu verhindern. Auch die Unterlassung einer gesetzlich vorgeschriebenen Amtshandlung kann nach ständiger Rechtsprechung und Lehre Amtshaftungsansprüche begründen (EvBl. 1991/73; SZ 62/98; SZ 62/73 je mwN; Schragel aaO 129 f; Apathy in Aicher, Die Haftung für staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsleben 213). Rechtsträger haften nicht nur für grobes, sondern auch für leichtes, am Maßstab des § 1299 ABGB zu messendem Verschulden ihrer Organe (SZ 63/106 mwN). Da Organe ausnahmslos verpflichtet sind, sich rechtmäßig zu verhalten, trifft die Behauptungs- und Beweislast für mangelndes Verschulden bei Nichterfüllung von Rechtspflichten stets den Rechtsträger (SZ 62/98; SZ 62/72 je mwN). Der Kläger behauptete schon in der Klage, dass der PKW Ford Taunus 1,6 l an einem offiziellen Grenzübergang nach Österreich eingebracht wurde. Dass der Grenzübertritt nicht an einem solchen Grenzübergang erfolgt sei, stellte das Erstgericht nicht fest. Es sei nur unbekannt geblieben, an welchem Grenzübergang der Grenzübertritt erfolgte. Soweit die beklagte Partei in ihren Rechtsmittelgegenschriften vorbringt, der Grenzübertritt könnte entgegen § 2 Grenzkontrollgesetz rechtswidrig nicht über einen Grenzübergang, sondern über die sogenannte grüne Grenze erfolgt sein, handelt es sich um im Rechtsmittelverfahren unbeachtliche Neuerungen.

In erster Instanz brachte die beklagte Partei nur vor, ihre Organe hätten nicht schuldhaft gehandelt. Sollte das Unfallsfahrzeug schon beim Grenzübertritt nicht mit einem amtlichen deutschen Kennzeichen versehen gewesen sein, könnte dem nicht gefolgt werden. Wohl darf der anzulegende Verschuldensmaßstab nicht überspannt werden (ZVR 1989/94; sodass in einer kritischen oder schwer überschaubaren Situation zu fassende rasche Entschlüsse, stellt sich deren Unrichtigkeit im Nachhinein heraus, noch nicht schuldhaft sein müssen (JBl. 1991, 647; SZ 59/83; Schragel aaO 143). Die beklagte Partei könnte sich aber nicht darauf berufen, dass bei starkem Reiseverkehr eine lückenlose Überprüfung der eingebrachten Fahrzeuge unter Einhaltung der Vorschriften der §§ 62 f KFG nicht möglich erscheine und daher nicht erforderlich wäre. Der durch die gesetzliche Regelung angestrebte Ausschluss nicht versicherter ausländischer Kraftfahrzeuge vom inländischen Straßenverkehr lässt sich nämlich nur dann verwirklichen, wenn die Organe der beklagten Republik die Einhaltung der Kontrollvorschrift streng überwachen (vgl. OLG Koblenz-VersR 1978; 649; BGH-NJW 1971, 2222). Eine solche Überprüfung von Fahrzeugen mit deutschem Kennzeichen lässt sich selbst bei beschleunigter Abfertigung bewerkstelligen, genügt doch ein Blick auf das vordere Kennzeichen der vorbeirollenden Fahrzeuge, um feststellen zu können, ob die für die Gültigkeit des Kennzeichens unbedingt erforderliche Abstempelung (Anbringung einer Stempelplakette) fehlt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes maßgeblich aus zwei Gründen: Einerseits sei der Kläger verpflichtet gewesen, ein nach Zeit und Ort individualisiertes bestimmtes schadensverursachendes rechtswidriges Organverhalten in Vollziehung der Gesetze zu behaupten und zu beweisen, anderseits könne allein wegen des Nichtvorhandenseins eines amtlichen deutschen Kennzeichens im Unfallszeitpunkt davon ausgegangen werden, dass kein Versicherungsschutz bestanden habe. In beiden Punkten kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden.

Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung wird aus der Bestimmung des § 226 Abs 1 ZPO der Schluss gezogen, der Kläger habe die rechtserzeugenden Tatsachen (= den Klagegrund), auf die sich sein Anspruch stützt, knapp aber vollständig anzugeben (Substantiierungstheorie). Die vom Kläger behauptete Rechtsfolge muss sich aus diesem Vorbringen ableiten lassen (MietSlg. 40.722/32; SZ 61/215; SZ 60/288; ZVR 1986/9 uva; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1039 f). § 2 Abs 1 AHG normiert für Amtshaftungsansprüche ausdrücklich, dass zu den für einen Amtshaftungsanspruch rechtserzeugenden Tatsachen nicht die Benennung des konkreten schuldtragenden Organs gehört. Es genügt vielmehr die Behauptung, dass das haftungsauslösende Verhalten von einem dem beklagten Rechtsträger zuzuordnenden Organ gesetzt wurde (Schragel aaO 163 f). Das Organ muss daher weder benannt noch individualisiert werden. Es genügt, dass wer auch immer als Organ einschritt und welcher Dienststelle im Vollzugsbereich der beklagten Partei er angehört haben mag, er in einer den verkehrsnotwendigen Sorgfaltsanforderungen widersprechenden Art seine Amtspflicht ausübte (vgl. Papier in Münchener Kommentar2 Rz 247 zu § 839 BGB). Das führt zwar, wie das Erstgericht richtig erkannte, dazu, dass der beklagten Republik der ihr obliegende Entlastungsbeweis schwer möglich sein wird. Aus § 2 Abs 1 AHG folgt aber, dass sich der belangte Rechtsträger nicht darauf berufen kann, mangels Individualisierung des Organes sei es ihm unmöglich, dieses festzustellen und allenfalls gegen dieses daher Rückgriff zu nehmen (vgl. Kreft aaO Rz 144 zu § 839 unter Berufung auf RGZ 100, 102).

Dass der Kläger nicht den Ort des Grenzübertrittes bekanntgeben konnte, schadet nicht. Treffen nämlich die Klagsbehauptungen zu, so ist der Ort des Grenzübertrittes - die Zeit wurde im Urteil des Erstgerichtes insoweit konkretisiert, als feststeht, der Grenzübertritt erfolgte nach dem 3.10.1985 - zur schlüssigen Ableitung des Anspruches irrelevant. Es genügt, dass, wäre die beklagte Partei säumig geblieben, ein stattgebendes Versäumungsurteil hätte gefällt werden können. Dies ist hier aber, wie bereits dargelegt, der Fall.

Richtig ist allerdings, dass das Erstgericht nicht feststellte, schon bei Einbringung des Kraftfahrzeuges nach Österreich habe keine Haftpflichtversicherung bestanden, ließ es doch offen, das Fahrzeug könnte mit einem amtlichen deutschen Kennzeichen versehen die Grenze überschritten haben und später sei anstelle des amtlichen Kennzeichens ein ungültiges angebracht worden. Diese Feststellung wurde aber vom Berufungsgericht ausdrücklich nicht übernommen. Der Kläger und vor allem der auf seiner Seite beigetretene Nebenintervenient haben in ihren Berufungen auch ausdrücklich gerügt, das Erstgericht hätte die Feststellung treffen müssen, dass schon anlässlich der Einbringung des Kraftfahrzeuges nach Österreich keine Haftpflichtversicherung bestanden habe. Abgesehen davon, dass es dem Berufungsgericht verwehrt war, sollte es diese Feststellung für relevant gehalten haben, dieses Vorbringen in einer dazu noch mit dem Akteninhalt nicht übereinstimmenden vorweggenommenen Beweiswürdigung abzutun, folgt aus der Bestimmung des § 62 Abs 2 KFG, dass, wäre das Kennzeichen nicht abgestempelt gewesen, auch für den Amtshaftungskläger und das entscheidende Gericht kein Nachweis für das Bestehen einer aufrechten Haftpflichtversicherung vorläge. Wäre das Kraftfahrzeug ohne amtliches deutsches Kennzeichen nach Österreich eingebracht worden, träfe daher die beklagte Partei die Beweislast, dessenungeachtet habe eine aufrechte Haftpflichtversicherung bestanden.

Den Revisionen ist Folge zu geben. Das Urteil des Berufungsgerichtes ist aufzuheben und die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an die zweite Instanz zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat zwar Bedenken gegen die Feststellung des Erstgerichtes aufgezeigt, ob das Fahrzeug mit der Kennzeichentafel ***** oder einem anderen in das Bundesgebiet eingebracht worden sei, sie aber aus rechtlichen Gründen dahingestellt gelassen. Gerade diese Feststellung ist aber entscheidungswesentlich. Es wird daher wegen der von ihm selbst geäußerten Bedenken das Beweisverfahren in diesem Umfang zu wiederholen haben. Es sei darauf hingewiesen, dass der Nebenintervenient eine Reihe von Tatsachenbehauptungen über die Abmeldung des Fahrzeuges und seinen Verkauf mit der auch am Unfallstag angebrachten Nummerntafel aufstellten, bei deren Feststellung gewichtige Indizien dafür vorlägen, dass schon bei der Einbringung des Fahrzeuges nach Österreich ein amtliches deutsches Kennzeichen nicht angebracht war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 50, 52 ZPO.

Textnummer

E28663

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00009.92.0401.000

Im RIS seit

01.01.1995

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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