TE OGH 1992/4/2 7Ob538/92

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Veröffentlicht am 02.04.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ali S*****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Sieglinde P*****, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier und Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Anfechtung eines Räumungsvergleiches, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 27. November 1991, GZ 2 a R 575/91-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 30. Juli 1991, GZ 11 C 143/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

Der zwischen den Parteien am 10. Jänner 1989 vor dem Bezirksgericht ***** abgeschlossene Vergleich, wonach sich der Kläger verpflichtete, den Bestandgegenstand im Parterre links des Hauses Innsbruck, ***** ***** spätestens am 31. Dezember 1990 von den nicht in Bestand gegebenen Fahrnissen zu räumen und der Beklagten geräumt zu übergeben, wobei der Kläger auf jede Art von Räumungsaufschub verzichtete, wird für unwirksam erklärt. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 20.984,56 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 3.574,-- Barauslagen und S 2.901,76 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10. September 1981 mietete der Kläger von der Beklagten in deren Haus in Innsbruck eine bestimmte Wohnung für die Dauer eines halben Jahres. Die Streitteile schlossen am 21. April 1982 einen gerichtlichen Räumungsvergleich mit Räumungstermin 31. Dezember 1984, am 9.Oktober 1984 einen weiteren Räumungsvergleich mit Räumungstermin 31. Dezember 1988 und am 10. Jänner 1989 schließlich einen weiteren Räumungsvergleich mit Räumungstermin 31. Dezember 1990. Der Kläger verzichtete jeweils auf Räumungsaufschub. Er begehrt, den letztgenannten Räumungsvergleich für unwirksam zu erklären bzw. mit Eventualbegehren die Feststellung der Unwirksamkeit dieses Vergleiches.

Das Erstgericht wies Haupt- und Eventualbegehren ab. Nach seinen Feststellungen wurde der Kläger von der Hausverwaltung ca. 3 Monate vorher schriftlich an den Räumungstermin 31. Dezember 1988 erinnert. Daraufhin wandte sich der Kläger an die Hausverwaltung, um eine Verlängerung des Mietverhältnisses auf 4 Jahre zu erreichen. Die Hausverwaltung hielt Rücksprache mit der Beklagten. Diese wollte aber einer Verlängerung auf 4 Jahre nicht zustimmen, da sie sich die Möglichkeit offen lassen wollte, das Haus zwecks finanzieller Sicherung eines Pflegeplatzes zu verkaufen. In der Folge wurde der angefochtene Räumungsvergleich unterschrieben, wobei der Text von einer Angestellten der Hausverwaltung verfaßt wurde. Der Inhalt wurde im Büro der Hausverwaltung mit dem Kläger besprochen. Der Kläger wurde weder von der Beklagten noch von der Hausverwaltung aktiv unter Druck gesetzt, den Räumungsvergleich zu unterfertigen. Die Verlängerung mittels Vergleiches wurde durchgeführt, da die Hausverwaltung zweifelte, ob eine Verlängerung mit schriftlichem Mietvertrag überhaupt zulässig ist, und sie sich mit einer gerichtlichen Räumungsvereinbarung wegen der beabsichtigten Veräußerung absichern wollte. Nicht festgestellt werden konnte, daß der Kläger aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse den Vergleich nicht verstand bzw. ganz allgemein nicht wußte, was ein Räumungsvergleich ist und was er unterschrieb.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteigt und die ordentliche Revision zulässig ist. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen läßt sich dahin zusammenfassen, daß sich der Kläger bei Abschluß des Räumungsvergleiches nicht in einer Zwangslage befunden habe und der Räumungsvergleich daher wirksam sei. Der Räumungsvergleich sei nicht vor Abschluß des Mietvertrages oder gleichzeitig mit diesem abgeschlossen worden, sondern zu einem Zeitpunkt, als ein Bedürfnis nach einem Schutz des Mieters nicht mehr bestanden habe.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist, entgegen der Meinung der Beklagten, zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Nach dem Standpunkt der Revisionsgegnerin hat das Berufungsgericht gegen die sinngemäß anzuwendenden Bewertungsvorschriften verstoßen (§ 58 Abs 2 iVm § 56 Abs 2 letzter Satz JN), sodaß der Oberste Gerichtshof an den Bewertungsausspruch nicht gebunden sei. Mangels Behauptung einer bestimmten Zinshöhe gelte ein Betrag von S 30.000 als Streitwert. Die Revision geht hiebei davon aus, daß sich aus der behaupteten Unwirksamkeit des Räumungsvergleichs das Fortbestehen des Bestandverhältnisses auf unbestimmte Zeit ergibt. Gegenstand der Entscheidung ist dann aber auch das von ihr betroffene Bestehen oder Nichtbestehen eines Mietverhältnisses, und es liegt ein Streit im Sinne der §§ 49 Abs 1 Z 5 JN und 502 Abs 3 Z 2 ZPO vor, für den § 502 Abs 2 ZPO nicht gilt. Der Zweck des § 502 Abs 3 Z 2 ZPO liegt darin, Entscheidungen, die das Dauerschuldverhältnis selbst betreffen, unabhängig von jeder Bewertung, revisibel zu machen (RZ 1991/21; vgl. auch Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 in ÖJZ 1989, 751). Zieht man, dem Berufungsgericht folgend, die Grenze der Ausnahmeregelung des § 502 Abs 3 Z 2 ZPO nicht so weit, liegt keine Verletzung der Bewertungsvorschriften durch das Berufungsgericht vor. Eine erhebliche Rechtsfrage ist gegeben, weil das Berufungsgericht bei Beurteilung von Kettenräumungsvergleichen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Die Revision ist daher jedenfalls zulässig.

Sie ist auch berechtigt.

Es lag ursprünglich ein Mietverhältnis von nur 6-monatiger Mietdauer mit durchsetzbarem Endtermin 10. März 1982 vor. Das Mietverhältnis wurde jedoch fortgesetzt und in der Folge ein grundsätzlich wirksamer Räumungsvergleich abgeschlossen. Auch davon wurde jedoch kein Gebrauch gemacht, sondern im Wege von zwei weiteren Räumungsvergleichen eine Verlängerung des Mietverhältnisses um weitere 6 Jahre herbeigeführt. Aus den Feststellungen ergibt sich, daß die Verlängerung durch Räumungsvergleiche gewählt wurde, weil die Beklagte wegen des beabsichtigten Verkaufes des Hauses eine Befristung wünschte und - durchaus berechtigte - Zweifel darüber bestanden, daß dies im Wege eines Mietvertrages zu erreichen ist. Jedenfalls durch die letzten beiden Räumungsvergleiche wurden unzulässig befristete Mietverhältnisse geschaffen und hiedurch die Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes umgangen. Solche Räumungsvergleiche sind, wie der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall bereits ausgesprochen hat, unwirksam, wobei die Klage auf Unwirksamkeit des letzten Vergleiches genügt, wenn die früheren als Titel für eine Räumungsexekution schon außer Kraft getreten sind (SZ 63/42; vgl. auch WoBl. 1989, 76). Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Kosten des Antrages auf Aufschiebung der Exekution, über die im Exekutionsverfahren zu entscheiden ist, zählen nicht zu den Prozeßkosten (3 Ob 598/89).

Anmerkung

E29340

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00538.92.0402.000

Dokumentnummer

JJT_19920402_OGH0002_0070OB00538_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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