TE OGH 1992/4/7 10ObS22/92

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Veröffentlicht am 07.04.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Roman Merth (Arbeitgeber) und Henrike Blatterer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Heinrich H*****, Arbeitnehmer, ***** vertreten durch Dr.Ingrid Hochstaffl-Salcher, Rechtsanwalt in Wörgl, wider die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2, vertreten durch Dr.Hans-Peter Ullmann und Dr.Stefan Geiler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 3.377,83 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.November 1991, GZ 5 Rs 116/91-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2. Juli 1991, GZ 47 Cgs 144/90-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.812,48 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 302,08 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Tiroler Gebietskrankenkasse sprach mit Bescheid vom 19.9.1990 aus, daß dem Kläger für die am 13.7.1990 durch die Fachärztin für Innere Medizin Dr.M***** M***** durchgeführte Dialysebehandlung mit einer Honorarhöhe von S 2.900 zuzüglich S 580 Mehrwertsteuer ein Kostenersatz in der Höhe von S 102,13 inklusive Mehrwertsteuer gebühre und daß das darüber hinaus gestellte Mehrbegehren abgewiesen werde.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger von der beklagten Partei die Zahlung eines restlichen Betrages von S 3.377,83 samt 4 % Zinsen seit 20.9.1990.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die Fachärztin Dr.M***** betreibe eine Ordination als Wahlärztin; unter derselben Adresse betreibe die Firma M*****-Dialysezentrum Gesellschaft mbH eine private Krankenanstalt in der Rechtsform eines selbständigen Ambulatoriums zur Behandlung nierenkranker Patienten mit der sogenannten künstlichen Niere. Dr.M***** sei mit 25 % des Stammkapitales Gesellschafterin dieser Gesellschaft und alleinvertretungsbefugte Geschäftsführerin. Die Tiroler Landesregierung habe den gerätemäßigen Umfang des Dialysezentrums mit höchstens 8 Dialyseplätzen begrenzt und die Behandlung der Patienten mit ordentlichem Wohnsitz im Bundesland Tirol nicht genehmigt. Auch die dem Bescheid zugrundeliegende Behandlung sei im M*****-Dialysezentrum erfolgt. Der Kläger habe bisher die Rechnung gar nicht bezahlt. Dialysebehandlungen seien ausdrücklich den Krankenanstalten vorbehalten, so daß für freiberuflich tätige Ärzte keine Honorarposition für diese Leistung vorgesehen sei: Von Vertragsfachärzten durchgeführte Dialysebehandlungen seien unter den allgemeinen Begriff der "Ordination" zu subsumieren. Die Kosten für eine Ordination seien dem Kläger bereits angewiesen worden, so daß sein Leistungsanspruch erschöpft sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf folgende Feststellungen:

Die Fachärztin für Innere Medizin Dr.M***** M***** betreibt seit April 1990 im 1.Stock des Hauses R*****, L*****straße 31, eine Ordination. Im Parterre desselben Hauses befinden sich die Räumlichkeiten der Firma M*****-Dialysezentrum Gesellschaft mbH. Diese Gesellschaft vermietete der Klägerin Räumlichkeiten für Ordination, Therapie, Anmeldung, Warteraum, Vorzimmer und Patiententoiletten im Ausmaß von 76,57 m2. Die Gesellschaft gestattete der Klägerin Räume, Geräte und Personal zu benutzen, um im Zuge ihrer Ordination die Patienten dialysieren zu können. Diese Dialysen werden nur unter ärztlicher Aufsicht und Anleitung von Dr.M***** durchgeführt. Jede Dialyse wird separat abgerechnet. Dr.M***** ist gemeinsam mit einer Diplomkrankenschwester Geschäftsführerin der Gesellschaft, deren Unternehmensgegenstand der Betrieb einer privaten Krankenanstalt nach dem Tiroler Krankenanstaltengesetz und der Betrieb aller weiteren Geschäfte ist, die für die Entwicklung und Wirtschaftlichkeit der Gesellschaft förderlich sind und deren Betrieb nach den einschlägigen Gesetzen gestattet ist.

Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 22.1.1990 wurde dem Antrag der M*****-Dialysezentrum Gesellschaft mbH, vertreten durch Dr.M***** M***** auf Erteilung der Errichtungsbewilligung für eine private Krankenanstalt in der Rechtsform eines selbständigen Ambulatoriums zur Behandlung nierenkranker Patienten mit der sogenannten künstlichen Niere unter der Bezeichnung M*****-Dialysezentrum mit dem Standort R*****, L*****straße 31, nach Maßgabe des mit einem diesbezüglichen Genehmigungsvermerk versehenen Bauplanes gemäß §§ 3 und 3 a des Tiroler Krankenanstaltengesetzes Folge gegeben. Der gerätemäßige Umfang wurde mit höchstens 8 Dialyseplätzen begrenzt, die Genehmigung umfaßt nicht die Behandlung von Patienten mit dem ordentlichen Wohnsitz im Bundesland Tirol.

Der Kläger ließ die notwendigen Dialysebehandlungen zunächst im Bezirkskrankenhaus R***** durchführen, war dort aber nicht zufrieden und ließ am 13.7.1990 eine weitere Dialysebehandlung von Dr.M***** durchführen, bei der er schon vorher in Behandlung stand. Am selben Tag stellte sie den Kläger für diese Behandlung einen Betrag von S 3.480 inklusive Umsatzsteuer in Rechnung; der Kläger bezahlte diesen Betrag.

Die beklagte Partei bezahlt für eine vom Bezirkskrankenhaus R***** durchgeführte Dialysebehandlung den Betrag von S 2.900 zuzüglich Umsatzsteuer, sohin S 3.480. Mit den Vertragspartnern Internisten hat die beklagte Partei in ihrer Honorarordnung für Dialysebehandlungen keine entsprechenden Honorarsätze vorgesehen. Der von der beklagten Partei bezahlte Betrag von S 102,13 inklusive Umsatzsteuer entspricht der Abgeltung jener Leistungen, für die nicht ausdrücklich eine Einzelleistungsposition in der Honorarordnung vorgesehen ist.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht von § 131 Abs 1 ASVG aus, wonach ein Versicherter sich auch von niedergelassenen Ärzten behandeln lassen könne, die in keinem Vertragsverhältnis stehen. Die hier strittige Behandlung sei in der Ordination der Wahlärztin Dr.M***** durchgeführt worden. Nach § 135 ASVG habe der Versicherte die Wahl, die Behandlung in einer eigenen Einrichtung des Versicherungsträgers, einer Vertragseinrichtung wie dem Bezirkskrankenhaus oder von einem Vertragsarzt (Wahlarzt) unter den gleichen Bedingungen durchführen zu lassen. Unter diesen gleichen Bedingungen sei auch die Leistungshöhe zu verstehen. Demnach sei für die wahlärztliche Behandlung die gleiche Vergütung zu leisten wie für die Behandlung in einer Vertragseinrichtung. Dem Kläger stehe daher die gleiche Vergütung zu wie bei einer Behandlung im Bezirkskrankenhaus, so daß voller Kostenersatz zu leisten sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Zwischen den Parteien sei unstrittig, daß Dr.M***** keine Vertrags-, sondern eine Wahlärztin sei. Weiters sei nicht strittig, daß die Dialyse in den Räumlichkeiten der M*****-Dialysezentrum Gesellschaft mbH durchgeführt worden sei, welche Räumlichkeiten im Rahmen des Mietvertrages auch der Geschäftsführerin Dr.M***** außerhalb der Gesellschaft zur Verfügung stünden. In tatsächlicher Hinischt bestünden keine Bedenken daran, daß Dr.M***** den genannten Betrag tatsächlich in Rechnung gestellt und auch kassiert habe. Nehme der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch, so gebühre ihm nach § 131 Abs 1 ASVG der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Werde die Vergütung für diese Tätigkeit nicht nach den erbrachten Einzelleistungen bestimmt, habe die Satzung Pauschbeträge für die Kostenerstattung selbst zu setzen. Im § 338 ASVG seien die Vertragspartner näher umschrieben und ausdrücklich auch die Krankenanstalten angeführt. Im § 131 Abs 1 ASVG unterscheide der Gesetzgeber also zwischen Vertragspartnern und den eigenen Einrichtungen des Versicherungsträgers, wobei unter den Vertragspartnern nicht nur natürliche Personen, sondern auch Krankenanstalten zu verstehen seien. Nehme der Anspruchsberechtigte keinen Vertragspartner zur Erbringung der Krankenbehandlung in Anspruch, sondern einen Wahlarzt, so habe er Anspruch auf Ersatz jenes Betrages, der bei Inanspruchnahme des entsprechenden Vertragspartners aufzuwenden gewesen wäre. Im vorliegenden Fall sei unstrittig, daß es sich bei der Hämodialyse um eine notwendige Krankenbehandlung gehandelt habe, die auch beim Vertragspartner, nämlich im Bezirkskrankenhaus R***** ambulant durchgeführt werde. Die ärztliche Berechtigung der Dr.M***** zur Durchführung derartiger Behandlungen sei ebenfalls unstrittig, so daß die Berechtigung zu dieser Krankenbehandlung anzunehmen sei. Diese Behandlung entspreche der Behandlung, die dem Kläger auch in der Vertragseinrichtung gewährt würde. Der Kläger habe daher Anspruch auf Vergütung des Betrages, den die beklagte Partei bei Inanspruchnahme der Vertragseinrichtung zu entrichten gehabt hätte. Dies entspreche dem Satz, den sie dem Bezirkskrankenhaus vergüte. Die Tatsache, daß für die Vertragsärzte keine Honorarposition bestehe, hindere den Vergütungsanspruch nicht, wenn die Krankenbehandlung von einem dazu befugten (entsprechenden) Wahlarzt durchgeführt werde.

Das Berufungsgericht sprach weiters aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Sie beantragt die Abänderung des Ersturteils im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei führt im wesentlichen aus, die in der Honorarordnung mit der Tiroler Ärztekammer vereinbarten Beträge hätten keine Gültigkeit für die Leistungen, die die Krankenanstalten erbringen. Diesbezüglich lägen gesonderte Verträge zwischen der beklagten Partei und den Krankenanstalten vor. Das Berufungsgericht meine zu Unrecht, daß Krankenanstalten "entsprechende" Vertragspartner der beklagten Partei im Sinn des § 131 Abs 1 ASVG seien. Unter "entsprechend" sei vielmehr gemeint, daß es sich um die aus dem Gesamtvertrag, den Einzelverträgen und der Honorarordnung ergebenden Leistungen handle. Nach dem Gesetz bestehe das sogenannte Sachleistungsprinzip und nicht das Barleistungsprinzip. Die beklagte Partei sei nicht verpflichtet, den Versicherten Barleistungen zu erbringen, sondern müsse dafür Sorge tragen, daß der Versicherte ohne Bezahlung eines Entgeltes ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen könne. Dieser Verpflichtung komme die beklagte Partei dadurch nach, daß sie mit freiberuflichen Ärzten Verträge abschließe, um dadurch dem Versicherten die Möglichkeit gebe, ohne Vorfinanzierung die ärztliche Leistung in Anspruch zu nehmen. Der Versicherte könne den subsidiären Barleistungsanspruch für Kosten, die ihm bei der Krankenbehandlung oder ärztlichen Hilfe enstehen, nur dann in Anspruch nehmen, wenn er tatsächlich Leistungen in Anspruch genommen habe, die er auch ohne Vorfinanzierung bei einem Vertragsarzt in Anspruch nehmen hätte können. Da aber in der Honorarordnung der beklagten Partei keine Position "Dialysebehandlung" vorgesehen sei, habe der Kläger keinen Anspruch auf Ersatz dieser Barleistung. Vielmehr stehe ihm nur der Ersatz der Position "Ordination" zu, weil auch ein Vertragsarzt gegenüber der beklagten Partei kein höheres Entgelt für eine derartige Leistung beanspruchen könne. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen würde zu einer Diskriminierung und Schlechterstellung der Vertragsärzte führen: Sie würden für dieselbe Leistung schlechter entlohnt als die Wahlärzte. Auch sei die wirtschaftliche Tatsache unberücksichtigt gelassen, daß gegebenenfalls nur bestimmte Ärzte in der Lage seien, sich teure Geräte anzuschaffen. Aufgrund der Tatsache, daß sie durch die entsprechenden öffentlichen Stellen finanziell unterstützt würden und nicht allein nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführt würden, seien nur Krankenanstalten in der Lage, medizinisch teure Geräte, deren Auslastung so gering sei, daß deren wirtschaftliche Anschaffung untragbar wäre, anzuschaffen und damit ärztliche Behandlungen durchzuführen. Deshalb würden die Sozialversicherungsträger derartige Leistungen auch ausschließlich diesen Krankenanstalten vergüten. Nur bei Einhaltung dieses Systemes sei es möglich, die umfassende ärztliche Versorgung zu gewährleisten.

Das Verfahren sei auch in mehreren Punkten mangelhaft geblieben. Hätte das Erstgericht die Parteienvernehmung des Klägers durchgeführt, häte sich herausgestellt, daß der Kläger tatsächlich bisher keinerlei Zahlung an Dr.M***** geleistet habe. Das Klagebegehren wäre dann schon aus diesem Grund abzuweisen. Das Erstgericht hätte aber auch den beantragten Lokalaugenschein durchführen müssen, aus dem sich nachweisen hätte lassen, daß Dr.M***** tatsächlich die Behandlung nicht durchgeführt und die Honorarnote daher zu Unrecht erstellt habe. Schließlich habe das Erstgericht keine Feststellungen darüber getroffen, ob Dr.M***** eine Vertragsärztin der beklagten Partei sei oder nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerberin macht mit diesen Ausführungen Mängel des Verfahrens erster Instanz geltend, die bereits vom Berufungsgericht als nicht gegeben erachtet wurden und die daher nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens sein können (SSV-NF 1/32 uva). Die Vorinstanzen haben festgestellt, daß die behandelnde Ärztin als Wahlärztin in Anspruch genommen wurde und keine Vertragsärztin der beklagten Partei ist, daß sie die Dialysebehandlung beim Kläger tatsächlich durchführte und der Kläger ihr das Honorar hiefür zahlte. Die Revisionsausführungen stellen sich daher in Wahrheit als unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar. Da die beklagte Partei bereits in der "Klagebeantwortung" ON 2 ausführte, daß Dr.M***** eine Ordination als Wahlärztin betreibe, sind die dies wieder in Frage stellenden Rechtsmittelausführungen völlig unverständlich. Es wurde nie vorgebracht, daß die genannte Ärztin eine Vertragsärztin der beklagten Partei sei, vielmehr - wie auch schon in der Begründung des angefochtenen Bescheides - ausdrücklich die Wahlarzteigenschaft zugestanden (§ 266 ZPO). Näherer Feststellungen dazu bedurfte es nicht; die Frage, ob ein niedergelassener Arzt einen Kassenvertrag besitzt, gehört dem Feststellungsbereich zu. Der in Anspruch genommene Nichtvertragsarzt wird in § 135 Abs 1 ASVG als Wahlarzt bezeichnet (Teschner ASVG MGA 50.ErgLfg 765 Anm 4 zu § 131). Als Wahlarzt ist also ein Arzt anzusehen, der zur Kasse in keinem Vertragsverhältnis steht (so ausdrücklich § 27 Abs 2 der Satzung). Wird eine rechtliche Qualifikation (hier die Wahlarzteigenschaft) ausdrücklich zugestanden, so liegt darin jedenfalls das Geständnis eines Komplexes von Tatsachen, die dem Recht oder Rechtsverhältnis zugrundeliegen, wenn die erklärende Partei versteht, welche Tatsachen das betreffende Recht oder Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat, was bei der beklagten Partei wohl unzweifelhaft ist (vgl Fasching ZPR2 Rz 840; MGA-ZPO14 § 266/32, 33). Der Widerruf eines Geständnisses ist wegen des Neuerungsverbotes nur in erster Instanz und nur bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zulässig (Fasching aaO Rz 848; MGA-ZPO14 § 266/41; SSV-NF 3/104). Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor.

Geht man vom festgestellten Sachverhalt aus, muß auch die Rechtsrüge versagen.

Der Kläger hat zur Durchführung der aus medizinischer Sicht unbedingt notwendigen Dialysebehandlung (Hämodialyse), bei der es sich um eine Krankenbehandlung iS des § 133 Abs 1 Z 1 ASVG - ärztliche Hilfe - handelt, nicht eine Vertragseinrichtung der beklagten Partei (nämlich das bereits genannte Bezirkskrankenhaus), sondern einen Wahlarzt in Anspruch genommen. Nach § 135 Abs 1 ASVG wird die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, durch Wahlärzte und durch Ärzte, in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen und in Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers gewährt. Unter allen diesen Möglichkeiten besteht für den Anspruchsberechtigten völlig freie Wahl. Das bedeutet, daß praktisch alle Gesundheitseinrichtungen, die es in Österreich gibt, den Versicherten zur Verfügung stehen (Teschner aaO 785 in Anm 4 zu § 135). Die beklagte Partei hat nicht behauptet, daß es auch nur einen einzigen niedergelassenen freiberuflichen Vertragsarzt gibt, der Hämodialysebehandlungen vornimmt, weshalb ihr Argument, in der Honorarordnung sei für eine solche Behandlung keine eigene Position vorgesehen, ins Leere geht. Es wäre aber auch kaum anzunehmen, ein Vertragsarzt würde eine solche Behandlung, die in der Ambulanz einer Vertragskrankenanstalt S 3.480 kostet, um nur S 102,13 (inkl.USt) vornehmen. Ebensowenig existiert eine eigene, zur Durchführung von Dialysen ausgestattete Einrichtung der beklagten Partei, so daß sie den Versicherten Sachleistungen lediglich durch ihre Vertragseinrichtungen erbringen kann.

Wird ärztliche Hilfe durch eigene oder durch Vertragseinrichtungen gewährt, muß nach § 135 Abs 2 Satz 2 ASVG die Wahl der Behandlung zwischen einer dieser Einrichtungen und einem oder mehreren Vertragsärzten bzw Wahlärzten unter gleichen Bedingungen freigestellt sein. Schon daraus ergibt sich, daß der Kläger die Wahl hatte, die Dialyse im genannten Bezirkskrankenhaus oder bei einem freiberuflichen und mit entsprechenden medizinischen Geräten ausgestatteten Facharzt als Wahlarzt durchführen zu lassen (vgl Binder in Tomandl, SV-System, 5.ErgLfg 208). Das Vertrauen des Patienten in den Arzt ist eines der Fundamente der Heilbehandlung; dem muß auch im Rahmen der Sachleistungsvorsorge Rechnung getragen werden. Der Versicherte soll nicht einer einzigen Einrichtung des Krankenversicherungsträgers oder einem einzigen Vertragsarzt gegenüberstehen, sondern zumindest einen weiteren freiberuflich tätigen Arzt zur Auswahl haben, der nicht Vertragsarzt ist. Daß er damit auf den Kostenersatz verwiesen wird, ist der Preis für die erweiterte Wahl (zutreffend Selb in Tomandl, SV-System, 6.ErgLfg 574). Daß der Versicherte nur dann einen Wahlarzt aufsuchen dürfte, wenn ihm kein Vertragsarzt oder keine entsprechende Vertragseinrichtung zur Verfügung steht oder das Aufsuchen solcher Stellen beschwerlicher wäre oder dgl, wird vom Gesetz nicht verlangt. Der Bemühungspflicht der Sozialversicherungsträger, dem Sachleistungsprinzip möglichst zum Durchbruch zu verhelfen, steht keine Verpflichtung der Versicherten gegenüber, in erster Linie vom System der Vertragsärzte (Vertragseinrichtungen) Gebrauch zu machen (vgl Krejci, Erstattung von Wahlarztkosten, SozSi 1988, 302 (306)).

Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, daß der Kläger grundsätzlich Anspruch auf Kostenerstattung hat; strittig ist lediglich die Höhe des Kostenersatzes. Gemäß § 131 Abs 1 ASVG gebührt ihm der Ersatz der Kosten der anderweitigen Krankenbehandlung (Hämodialyse durch einen Wahlarzt) in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Der Zweck dieser Regelung ist offensichtlich, daß der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt oder eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte (vgl SSV-NF 4/156; ähnlich 10 Ob S 327/91 = SSV-NF 5/133 - in Druck). Der Auffassung der beklagten Partei, "entsprechende Vertragspartner" im Sinne dieser Gesetzesstelle seien ausschließlich Vertragsärzte, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil einerseits, wie festgestellt wurde und auch in der Revision betont wird, in der Honorarodnung der beklagten Partei gar keine Position "Dialysebehandlung" vorgesehen ist, andererseits (wie bereits oben erörtert wurde) Vertragsärzte der beklagten Partei solche Behandlungen tatsächlich gar nicht vornehmen. Daß sie Hämodialysen um nur S 102,13 (inkl USt) vornehmen könnten, ist eine rein hypothetische Vorstellung, weshalb auch die Überlegung, Vertragsärzte würden für dieselbe Leistung wesentlich schlechter entlohnt als Wahlärzte (und Wahleinrichtungen wie das Bezirkskrankenhaus), bloße Spekulation darstellt. Bei Richtigkeit des Standpunktes der beklagten Partei wäre vielmehr das Prinzip der freien Arztwahl ad absurdum geführt: Dem Versicherten bliebe schon aus finanziellen Gründen gar keine andere Wahl, als die Vertragseinrichtung der beklagten Partei in Anspruch zu nehmen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum ein gegenteiliger Standpunkt zum "Zusammenbruch" der medizinischen Versorgung führen müßte.

Nun unterscheidet der Wortlaut des § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG zwar zunächst zwischen Vertragspartnern (§ 338) und eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers, nennt aber dann bei Bestimmung der Höhe des Betrages nur jenen, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre, ohne auch hier entsprechende eigene Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen aufzuzählen. Nach § 338 Abs 1 ASVG werden die Beziehungen der Sozialversicherungsträger zu den freiberuflich tätigen Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern "und anderen Vertragspartnern" durch privatrechtliche Verträge geregelt. Daß der Gesetzgeber Krankenanstalten offenbar zunächst nicht zu den "anderen Vertragspartnern" zählt, ergibt sich aus § 338 Abs 3 ASVG, wonach die Abs 1 und 2 dieses Paragraphen für die Regelung der Beziehungen zu den Krankenanstalten entsprechend gelten. Daraus darf aber nicht geschlossen werden (und die Revision argumentiert auch gar nicht in dieser Richtung), daß Krankenanstalten, insbesondere Ambulatorien, in denen Krankenbehandlung in Form ärztlicher Hilfe geleistet wird, nicht als Vertragspartner iS des § 131 Abs 1 ASVG anzusehen seien. Auch Krankenanstalten können "Vertragspartner" in weiterem Sinne sein (vgl Schrammel in Tomandl, SV-System, 5.ErgLfg 135; Selb aaO 571, 630, 643; Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 226, 228; Grillberger, Österreichisches Sozialrecht 36; Radner, Kostenersatz bei Unterbringung in einer privaten Krankenanstalt, SozSi 1990, 131). Dies ergibt sich auch aus der Überschrift des 6.Teiles des ASVG ("Beziehungen...zu den Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern, Krankenanstalten und anderen Vertragspartnern").

Dem Berufungsgericht ist daher darin beizupflichten, daß auch Krankenanstalten als Vertragspartner iS des § 131 Abs 1 ASVG anzusehen sind und daß die Behandlung des Klägers durch die dazu befugte Wahlärztin jener Behandlung entspricht, die ihm in der Vertragseinrichtung der beklagten Partei, nämlich im Bezirkskrankenhaus gewährt worden wäre (ähnlich OLG Wien, SSV 7/44). Der Kläger hat also Anspruch auf Vergütung des der Höhe nach unbestrittenen Betrages, den die beklagte Partei bei Inanspruchnahme der Vertragseinrichtung (Bezirkskrankenhaus) zu entrichten gehabt hätte. Dies haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.

Gegen die Richtigkeit dieser Auffassung könnte auch nicht der Wortlaut des § 27 der Satzung der beklagten Partei ins Treffen geführt werden. Nach § 27 Abs 3 Satz 2 ersetzt die Kasse bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes jenen Betrag, den sie bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes (Vertragsfacharztes) für dieselbe Leistung hätte aufwenden müssen. Wird vom Versicherten eine Wahleinrichtung in Anspruch genommen, werden nach § 27 Abs 5 Kosten bis zu jener Höhe erstattet, in welcher sie in einer entsprechenden Vertragseinrichtung entstanden wären; ist eine entsprechende Vertragseinrichtung nicht vorhanden, sind zur Bemessung der Kostenerstattung die Bestimmungen der Abs 3 und 4 sinngemäß anzuwenden. Für den - hier vorliegenden - Fall, daß ein Vertragsarzt, der dieselbe Leistung wie der Wahlarzt erbringt, nicht vorhanden ist, sieht die Satzung nichts vor. Diese Regelungslücke ist dadurch zu schließen, daß in einem solchen Fall Abs 5 sinngemäß anzuwenden ist und die Kosten der Inanspruchnahme des Wahlarztes bis zu jener Höhe erstattet werden, in welcher sie in einer Vertragseinrichtung, die solche Behandlungen vornimmt, entstanden wären.

Schließlich ist für die vorliegende Entscheidung auch der Umstand ohne Bedeutung, daß durch den Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 22.1.1990 die Genehmigung der Dialysebehandlung auf Personen beschränkt wurde, die ihren Wohnsitz nicht im Bundesland Tirol haben, der Kläger aber (offenbar) nicht zu diesem Personenkreis zählt. Denn im Verfahren ist unbestritten, daß die behandelnde Ärztin zu Dialysebehandlungen befugt war. Welcher Geräte sie sich dazu bediente, ist für den Anspruch des Klägers auf Ersatz der Behandlungskosten unerheblich. Es muß daher weder geprüft werden, ob die in dem genannten Bescheid vorgenommene Einschränkung zulässig war (zumal der Bescheid offenbar in Rechtskraft erwachsen ist), noch ob durch die Vermietung von Geräten und Räumen an die Ärztin die Auflagen dieses Bescheides umgangen werden sollten. All dies ist dem Versicherten, der sich einer ärztlichen Behandlung unterzieht, auch nicht erkennbar.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 lit a ASGG.

Anmerkung

E29414

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00022.92.0407.000

Dokumentnummer

JJT_19920407_OGH0002_010OBS00022_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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