TE OGH 1992/6/11 7Ob8/92

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Veröffentlicht am 11.06.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas L*****, vertreten durch Dr. Peter Freiberger, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Paul Hörner, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Feststellung (Streitwert S 200.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26. November 1991, GZ 1 R 158/91-41, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 19. April 1991, GZ 8 Cg 46/91-35, bestätigt wurde in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei der klagenden Partei bis zur Höhe der im Versicherungsvertrag festgelegten Haftungssumme für jeden Schaden haftet, für welchen die klagende Partei aus Anlaß des Unfalls, der sich am 5. 3. 1988 gegen 14,30 Uhr *****, zwischen Wolfgang R***** und Franz S***** ereignet hat, in Zukunft herangezogen wird bzw. für den gesamten Schadenersatz, den die klagende Partei daraus bezahlen muß, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 97.250,60 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 20.771,- Barauslagen und S 12.746,60 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger betreibt auf der L*****alm in L***** den S*****berglift, für den zwei Schiabfahrten eingerichtet sind. Auf einer dieser Schipisten werden auch Schirennen veranstaltet. Diese Piste wird von einem mit dem Verbotszeichen "Allgemeines Fahrverbot" samt der Zusatztafel "Ausgenommen Anrainerverkehr" versehenen, zu einem Bauernhof führenden Weg gekreuzt. Anläßlich der Betriebsbewilligung für die Schleppliftanlage war dem Kläger mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft M***** vom 5. 12. 1978 die Auflage erteilt worden, bei der Betreibung des Schiliftes und der Durchführung allfälliger Schirennen im Bereich der Kreuzungsstelle der Abfahrtspiste mit dieser Privatstraße Warntafeln anzubringen mit der Aufschrift "Achtung

Straße - Anhalten" und "Achtung Schiabfahrt" sowie bei Schirennen an dieser Kreuzungsstelle Posten aufzustellen.

Am 5. 3. 1988 veranstaltete Roswitha S***** mit Zustimmung des Klägers ein Schirennen, wofür der Kläger ein Entgelt erhielt. Bei diesem Rennen wurde ein Teilnehmer schwer verletzt , als er beim Überqueren der Straße gegen einen die Straße bergauf fahrenden PKW stieß. Die am Unfall Beteiligten machen gegen den Kläger Schadenersatzansprüche geltend.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei Versicherungsschutz aufgrund einer mit ihr abgeschlossenen Haftpflichtversicherung. Unstrittig ist, daß dem Versicherungsverhältnis jene Fassung der EHVB zugrunde liegt (EHVB 1978), dessen Punkt 3 (Abschnitt A) folgenden Wortlaut hat:

"Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer, seine gesetzlichen Vertreter oder jene Personen, die er zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat, das die Schadenersatzpflicht auslösende Ereignis durch bewußtes Zuwiderhandeln gegen die für seinen Betrieb oder Beruf geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften herbeigeführt hat."

Die beklagte Partei erblickt einen Verstoß gegen diese Bestimmung unter anderem darin, daß bei dem Schirennen am 5. 3. 1988 keine Posten an der Kreuzung der Piste mit der Straße aufgestellt waren.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen veranstaltete Roswitha S***** bereits im Jahre 1987 mit Zustimmung des Klägers auf dessen Piste ein Schirennen. Das Aufstellen der Tore, die Zeitnehmung etc. oblagen der Roswitha S*****. Ihr wurde auch vom Kläger gesagt, daß sie auf den Bereich, wo die Piste die Straße kreuzt, "ein Auge haben müsse". Ein Mitveranstalter dieses Rennens übernahm die Absicherung der Piste mit der Kreuzung und errichtete eine Absperrung. Bei der Vorsprache der Roswitha S***** im Jahre 1988 über die Abhaltung des Schirennens sagte ihr der Kläger, daß das unter den gleichen Voraussetzungen wie im Jahre 1987 stattfinden könne. Der Roswitha S***** war bekannt, daß die Piste von einer Straße gekreuzt wird. Unabhängig von den Vereinbarungen des Klägers mit Roswitha S***** beauftragte der Kläger für die Schirennen im Jahre 1987 und 1988 seinen Sohn damit, für die Absicherung der Piste in dem Bereich, in dem sie die Straße kreuzt, Vorsorge zu treffen. Immer, wenn der Kläger nicht anwesend ist, ist sein Sohn für allfällige Pistenabsicherungen verantwortlich. Am 5. 3. 1988 war der Kläger auf einer Messe in Tulln. Es war am Unfallstag rechts des Weges eine Warntafel mit der Aufschrift "Achtung Schiabfahrt" aufgestellt, jedoch zuvor vom Schneepflugfahrer umgefahren worden. Johann D*****, ein Schwager der Roswitha S*****, war als Streckenposten eingesetzt, seine Position war aber oberhalb der Unfallsstelle. An der Kreuzung stand niemand. Sie war auch nicht durch ein Band abgesperrt. Johann D***** konnte von seiner Position auch die Kreuzung nicht einsehen. Aufgabe des Streckenpostens ist es auch nur, die umgefallenen Torstangen wieder aufzustellen und darauf zu achten, daß niemand die Piste betritt.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes könne dem Kläger keine Obliegenheitsverletzung angelastet werden. Es falle ihm kein grob fahrlässiges Verhalten zur Last, weil er mit der Veranstalterin des Rennens vereinbart habe, daß entsprechende Absicherungen vorzunehmen sind und tatsächlich an der Kreuzung rechts des Weges auch eine Warntafel aufgestellt war.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig ist. Das Berufungsgericht teilte im wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Punkt 3 des Abschnittes A der EHVB 1978 beinhaltet, entgegen der Meinung der Vorinstanzen, keine Obliegenheit, sondern eine Risikobeschränkung. Es werden Verhaltensweisen aus dem Versicherungsschutz ausgenommen, die unmittelbar zum Versicherungsfall zu führen geeignet sind und die gegenüber der allgemeinen Risikoumschreibung ein qualitativ abweichendes Risiko darstellen. Dies ist auch die herrschende Ansicht in Deutschland zu vergleichbaren Bestimmungen in der Haftpflichtversicherung (VersR 1987, 174; VersR 1959, 691; Prölss-Martin24 1001). Ein Risikoausschluß macht aber den Versicherer, wie das Berufungsgericht richtig dargelegt hat, jedenfalls leistungsfrei (vgl. Schauer, Einführung2 188). Der Risikoausschluß umfaßt nicht nur das Verhalten des Versicherungsnehmers, sondern auch das seiner gesetzlichen Vertreter oder jener Personen, die er zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat. Nach dem Zweck der Klausel, ein qualifiziertes Verhalten aus dem Versicherungsschutz überhaupt auszunehmen, kann es auch nicht darauf ankommen, ob mit jenen Personen, deren Verhalten gleichfalls beachtlich ist, ein Angestelltenverhältnis begründet wurde. Es genügt, daß ihnen ein Teil des Betriebes zur selbständigen Beaufsichtigung übertragen wurde. Liegt ein bewußter Pflichtverstoß solcher Personen vor, tritt Leistungsfreiheit nicht nur gegenüber diesen Personen, sondern generell ein. Eine behördliche Vorschrift im Sinne des Abschnittes A Punkt 3 EHVB 1987 liegt auch dann vor, wenn es sich um eine individuelle Anordnung der Behörde durch Bescheid handelt (vgl. VersR 1985, 99; Achatz ua, AHVB 1978, 136). Die im Bescheid über die Betriebsbewilligung der Schleppliftanlage enthaltene Auflage der Bezirkshauptmannschaft, bei Schirennen an der Kreuzung der Piste mit der Straße Posten aufzustellen, ist demnach eine behördliche Vorschrift im Sinne der obgenannten Klausel. Ein bewußtes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften setzt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht voraus, daß der Handelnde die Verbotsvorschrift in ihrem Wortlaut und in ihrem gesamten Umfang kennt. Das Bestehen einer solchen Norm ist nur objektive Voraussetzung der Haftungsbefreiung. Es genügt das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit der Handlungsweise (VersR 1984, 346; VersR 1961, 526 ua). Der Betrieb des Klägers umfaßte auch die Abhaltung von Schirennen. Im Jahre 1987 und auch am 5. 3. 1988 übertrug der Kläger die Veranstaltung eines Schirennens einschließlich der Aufstellung der Tore, der Zeitnehmung und der Sicherung etc., somit zur Gänze an Roswitha S*****. Schon aufgrund ihrer Stellung als Veranstalterin des Schirennens kam Roswitha S***** die Stellung einer Person zu, der der Versicherungsnehmer einen Teil seines Betriebes zur selbständigen Beaufsichtigung übertragen hatte. Aus den Feststellungen ergibt sich aber auch, daß der Roswitha S***** bewußt war, daß die Piste an der Kreuzung eine besondere Absicherung erfordert. Eine solche wurde auch im Jahre 1987 vorgenommen. Die Unterlassung der Aufstellung eines Postens an der Kreuzung oder eine Absperrung derselben am 5. 3. 1988 ist daher nach den obigen Darlegungen als bewußter Verstoß gegen behördliche Vorschriften anzusehen. Unerörtert bleiben kann, ob und inwieweit nicht auch dem Sohn des Klägers ein solcher Verstoß zur Last fällt. Grundsätzlich kann auch mehreren Personen die Beaufsichtigung des Betriebes oder eines Teiles desselben zukommen.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E28943

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00008.92.0611.000

Dokumentnummer

JJT_19920611_OGH0002_0070OB00008_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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