TE OGH 1992/6/26 8Ob525/92

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Veröffentlicht am 26.06.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am ***** geborenen mj. E***** R*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Gmunden, Jugendwohlfahrtaußenstelle Bad Ischl als gesetzlicher Vertreter, wegen Ersetzung der Zustimmung zur Inkognitoadoption infolge Revisionsrekurses der leiblichen Mutter J***** R*****, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 14.November 1991, GZ R 1000/91-25, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 16.September 1991, P 151/88-22, abgeändert wurde, den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die 1946 geborene leibliche Mutter der nun 7jährigen E***** entstammt bäuerlichen Verhältnissen und lebt auf dem Bauernhof ihres Bruders. Zwischen 1977 und 1985 gebar sie vier außereheliche Kinder. Der älteste Sohn blieb in ihrer Pflege und Erziehung; allerdings benötigt sie hiezu die Hilfe ihrer Mutter und ihrer Schwägerin. Die beiden nachfolgend geborenen Söhne wurden im Rahmen von Erziehungsmaßnahmen nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz nach der Geburt auf Pflegeplätzen untergebracht. Auch die am ***** geborenen E***** wurde auf Veranlassung der Jugendwohlfahrtsbehörde wenige Tage nach der Geburt bei einer Pflegefamilie untergebracht; Name und Anschrift der Pflegefamilie wurden der Mutter jedoch nicht bekanntgegeben, weil sie dem Gericht als äußerst schwierig und aggressiv bekannt war. Trotz beharrlicher Bemühungen gelang es der Mutter nur einmal, ihre damals 3 Monate alte Tochter beim Jugendamt zu sehen; 1986 erlangte sie Fotos von ihrer Tochter. In der Folge sprach sie in unregelmäßigen Abständen bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vor und erklärte, daß ihr die Kinder gestohlen worden seien.

Seit 1974 befand sich die Mutter immer wieder in stationärer psychiatrischer Behandlung. Vorerst wurde Schizophrenie diagnostiziert, aber nach einer Selbstmorddrohung anläßlich der Abnahme ihrer Tochter wurde diese Diagnose revidiert: es liege lediglich eine Grenzbegabung, eine gewisse affektive Labilität und unter Zeitdruck eine Leistungsschwäche vor. In der Folge kam die Mutter auch wegen Aggressivität gegenüber ihren Familienangehörigen in stationäre Behandlung. Wegen ihres gesundheitlichen Zustandes ist sie offensichtlich nicht in der Lage, einer Beschäftigung nachzugehen und die notwendigen Hausarbeiten zu verrichten; sie verläßt das Haus nur mehr in Begleitung ihrer Schwägerin und bezieht nun eine Pension.

E***** wohnt sei der Geburt bei ihren Pflegeeltern. Sie hat sich zu einem netten, fröhlichen und freundlichen Kind entwickelt und fühlt sich in ihrer Umgebung sehr wohl. Die Pflegeeltern sind um eine gute Erziehung bemüht, möchten aber Konfrontationen mit der leiblichen Mutter ausweichen. Sie möchten das Kind inkognito adoptieren.

Die leibliche Mutter sprach sich gegen eine Adoption aus, weil sie das Kind nur in Pflege gegeben habe. Sie berief sich auf ihre natürlichen Bindungen zu ihrem Kind; zwar könne sie ihre Tochter nicht selbst pflegen und werde sie auch in Zukunft nicht pflegen, doch stimme sie einer Adoption nicht zu, weil sie ihre Tochter einmal sehen möchte. Ein eingeleitetes Sachwalterverfahren ergab, daß die Mutter in der Lage ist, die Bedeutung der Zustimmung zur Adoption einzusehen und ihre Meinung zu dieser Frage auch verständlich zu äußern; das Sachverwalterverfahren wurde eingestellt.

Das Erstgericht wies den Antrag, die von der leiblichen Mutter verweigerte Zustimmung zur Inkognitoadoption ihrer Tochter und die Verzichtserklärung auf die Mitteilung des Namens und des Wohnortes der Annehmenden zu ersetzen, ab. Die Adoption würde zwar dem Wohl des Kindes entsprechen; denn die Mutter sei nicht in der Lage, ihr Kind zu pflegen und es sei undenkbar, daß dieses zu ihr zurückkäme. Für die Ersetzung der Zustimmung eines Elternteiles zur Adoption könne jedoch nicht das Wohl des Kindes zum alleinigen Maßstab gemacht werden; grundsätzlich sei das Bekenntnis einer Mutter zu ihrem Kind als schutzwürdig anzusehen, es sei denn, ihre Weigerung wäre sittlich nicht gerechtfertigt; dies treffe aber hier nicht zu.

Das Rekursgericht änderte infolge des Rekurses des gesetzlichen Vertreters der Minderjährigen den Beschluß durch Ersetzung der Zustimmung zur Inkognitoadoption ab und führte zur Begründung an:

Der vorliegende Fall unterscheide sich von den in der Rechtsprechung (im Sinne einer Ersetzung der Zustimmung) behandelten Fällen insofern, als der Mutter eine schuldhafte Verletzung ihrer Elternpflichten nicht vorgeworfen werden könne; sie habe sich gegen die Abnahme des Kindes ausgesprochen und sei zumindest vorerst noch um die Aufrechterhaltung der Kontakte zum Kind bemüht. Dies ändere allerdings nichts daran, daß ihre Mutterschaft nur mehr als Recht ohne das notwendige Korrelat ihrer tatsächlichen mütterlichen Verantwortung erscheine. Unter diesen Voraussetzungen entspreche nicht nur die in Aussicht genommene Adoption eindeutig dem Wohl des Kindes, sondern sei auch die Beziehung der Mutter zu ihrem Kind nicht mehr schutzwürdig, da es durch den gänzlichen Mangel jedes Kontaktes seit der Geburt zu einer völligen Entfremdung gekommen sein müsse und eine Rückführung des Kindes zur Mutter auszuschließen sei. Im Hinblick auf das Persönlichkeitsbild der Mutter, vor allem auf die bei ihr festgestellte Aggressivität gegenüber Familienangehörigen, erscheine auch die Ersetzung der Zustimmung zu einer Inkognitoadoption (und damit auch der Verzichtserklärung nach § 259 AußStrG) gerechtfertigt, weil damit eine beträchtlich psychologische Belastung der Wahlfamilie vermieden werde. Der Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die nicht als Verschulden anzurechnende Nichtausübung der Elternrechte und -pflichten bei gleichzeitiger jahrelanger Integration des Kindes in eine andere Familie die Ersetzung der Zustimmung rechtfertigten.

Rechtliche Beurteilung

Der zu Protokoll gegebene Revisionsrekurs der leiblichen Mutter ist zwar zulässig, aber sachlich nicht gerechtfertigt.

Die leibliche Mutter macht geltend, ihr sei keine schuldhafte Verletzung ihrer Mutterpflichten vorzuwerfen. Nach der vom Rekursgericht vertretenen Ansicht könnte jedes Kind ohne Verschulden einer kranken Mutter entfremdet und so früher oder später von den Pflegeeltern gegen den Willen der Mutter adoptiert werden. Die Adoption sei auch nicht notwendig, um dem Kind ein liebevolles Elternhaus und eine Integration in den Familienverband zu sichern. Es sei seit Jahren bei dieser Familie und sie, die Mutter, habe nie etwas unternommen, um die dortige Familiensituation negativ zu beeinflussen; sie habe sich lediglich stets, wenn auch vergeblich, um Kontakte zu ihrem Kind bemüht.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Gemäß § 181 Abs 1 ABGB darf eine Adoption grundsätzlich nur dann bewilligt werden, wenn die Eltern des minderjährigen Wahlkindes zustimmen. Gemäß Abs 3 dieser Bestimmung hat aber das Gericht die verweigerte Zustimmung auf Antrag eines Vertragsteiles zu ersetzen, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Weigerung vorliegen. Diese Regelung des § 181 Abs 3 ABGB gilt nach herrschender Lehre (Steininger, JBl 1963, 453 f; Ostheim, JBl 1966, 113 f; im Ergebnis auch Schwimann, FamRZ 1973, 345 f; aA Edlbacher, ÖJZ 1964, 226 f) und Rechtsprechung (SZ 39/104; 47/112 ua) auch für die sogenannte Inkognitoadoption nach § 259 AußStrG, bei der im Interesse einer homogenen und ungestörten Erziehung (Koziol-Welser II9, 268) auf Antrag der Beteiligten die Adoption davon abhängig gemacht wird, daß die Zustimmungs- und Anhörungsberechtigten auf die Mitteilung des Namens und des Wohnorts des Annehmenden verzichten. Da diese Form der Adoption als zulässig anerkannt wurde, ist § 181 Abs 3 ABGB, der eine Einschränkung auf eine bestimmte Adoptionsform nicht enthält, auch auf eine solche Inkognitoadoption anzuwenden, sodaß auch die verweigerte Zustimmungserklärung gemäß § 259 AußStrG durch Gerichtsbeschluß ersetzbar ist (SZ 47/112 mit ausführlicher Begründung).

Unter welchen Voraussetzungen die von einem Zustimmungsberechtigten verweigerte Zustimmung vom Gericht ersetzt werden kann, führt das Gesetz nicht näher aus. Es normiert lediglich, daß die verweigerte Zustimmung zu ersetzen ist, wenn keine gerechtfertigten Gründe vorliegen. Die Ersetzung der Zustimmung ist eine außerordentliche Maßnahme, die nur in ganz speziell gelagerten Fällen zulässig ist (EvBl 1973/154; JBl 1981, 208 ua; Bydlinski, JBl 1965, 221; Ostheim, JBl 1966, 113 und 184; Schwimann, FamRZ 1973, 350 f). Dies soll sicherstellen, daß keine Adoption gegen die wohlbegründete Meinung einer Person zustandekommt, die durch diesen Rechtsakt in ihren Rechten tiefgreifend betroffen wird. Angesichts der einschneidenden Wirkung der Adoption, die das Kind der Familiengemeinschaft seiner Eltern grundsätzlich dauernd und unwiderruflich entzieht, kann bei der Frage der Ersetzung der Zustimmung das Wohl des nicht eigenberechtigten Kindes gegenüber den - berechtigten - Interessen der Zustimmungsberechtigten nicht zum ausschließlichen oder auch nur überwiegenden Maßstab gemacht werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Weigerung gerechtfertigt, wenn sie sittlich einwandfrei ist (JBl 1981, 208 uva). Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie auf dem (glaubhaften) Bekenntnis des Elternteils zur menschlichen Verbundenheit mit dem Kind beruht (JBl 1981, 208; SZ 59/184 ua). So wurde die Weigerung als gerechtfertigt angesehen, wenn eine unbescholtene Prostituierte noch Kontakte zu ihrem Kind hat und die Förderung des Kindeswohles durch die Adoption nicht erwiesen ist (EFSlg 51.363), oder wann die Ersetzung bloß mit dem Hinweis beantragt wird, daß die geplante Adoption das Kindeswohl, etwa durch eine materielle Besserstellung, fördern werde (JBl 1981, 208 ua).

Die Zustimmung ist jedoch zu ersetzen, wenn die Weigerung sittlich nicht gerechtfertigt ist. Das ist der Fall, wenn sich der zustimmungsberechtigte Elternteil gegenüber dem Kind beharrlich eines im höchsten Maße familienwidrigen Verhaltens schuldig gemacht (JBl 1981, 208 uva) und dadurch die körperliche, geistige, seelische oder sittliche Entwicklung des Kindes ernsthaft gefährdet hat (EvBl 1983/125); dies wurde zB bei Drogenabhängigkeit und der daraus resultierenden Straffälligkeit des zustimmungsberechtigten Elternteils angenommen (EFSlg 45.910).

Im vorliegenden Fall kann der zur Erziehung ihres Kindes unfähigen grenzdebilien und psychisch kranken Mutter eine schuldhafte Verletzung ihrer Mutterpflichten nicht vorgeworfen werden; es ist ihr zuzugestehen, daß sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten - wenn auch vergeblich - um Kontakt zu ihrer Tochter bemüht hat. Der glaubhafte Wunsch der leiblichen Mutter um Kontakt zu ihrem Kind ist jedoch kein jedenfalls und absolut gerechtfertigter Weigerungsgrund; ein absolutes "Vetorecht" gibt es nicht (SZ 47/112; vgl EFSlg 40.941 - Weigerung aus nur eigensüchtigen Motiven). Auch wenn einem Elternteil kein schuldhaftes Fehlverhalten vorzuwerfen ist, bedarf es der nach pflichtgemäßem Ermessen (JBl 1981, 208 uva) vorzunehmenden Abwägung der Interessen des leiblichen Elternteiles mit denen des Kindes. Das Gericht hat in einem solchen Fall die Zustimmung zur Adoption aber nur dann zu ersetzen, wenn die wohlverstandenen Interessen des minderjährigen Kindes, adoptiert zu werden, gegenüber den Interessen des leiblichen Elternteils an Kontakt zu ihrem Kind eindeutig dominieren, also nur dann, wenn das Kindeswohl eine Adoption geradezu notwendig erscheinen läßt.

Die leibliche Mutter und ihr Kind sind einander mangels jeglichen Kontaktes völlig fremd; das Kind mußte der Mutter, weil sie außerstande war, sich angemessen um seine Pflege und Erziehung zu kümmern, gleich nach der Geburt ebenso wie ihre zweit- und drittgeborenen Kinder abgenommen werden. Eine Rückführung des Kindes zu seiner Mutter ist im Hinblick auf deren Grenzdebilität und im Zusammenhang mit ihrer fortschreitenden psychischen Erkrankung derzeit ausgeschlossen und erscheint wegen deren schlechten medizinischen Prognose auch in Zukunft nicht denkbar. Demgegenüber hat sich zwischen dem Kind und seinen Pflegeeltern ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis entwickelt. Stellt man den Interessen der Mutter die Vorteile einer Adoption für das Kind durch seine Pflegeeltern, bei denen es sich seit seiner Geburt befindet und bestens eingewöhnt hat, gegenüber, fällt diese Abwägung eindeutig zugunsten der beantragten Adoption aus: Das Kind wird damit voll in seine Pflegefamilie integriert; daran besteht ein eminentes Interesse, auch wenn es zwischenzeitig bereits zur Schule geht und deshalb weiß, daß seine Pflegeeltern nicht seine leiblichen Eltern sind.

Für die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung auch zu einer Inkognitoadoption sprechen die Gründe, die schon bisher dafür maßgeblich waren, der leiblichen Mutter den Aufenthaltsort ihrer Tochter nicht bekanntzugeben. Wegen der zunehmenden Aggressivität der Mutter gegenüber Familienangehörigen wäre jedenfalls derzeit eine Kontaktaufnahme mit dem Kind auch bei Unterbleiben der Inkognitoadoption auszuschließen, sodaß der Wunsch der leiblichen Mutter, ihre Tochter zu sehen, den sie als Grund für die Zustimmungsverweigerung angibt, nicht erfüllt werden kann. Im Interesse einer homogenen und ungestörten Erziehung muß das Kind völlig dem Einfluß seiner leiblichen Mutter entzogen werden; es ist daher auch die verweigerte Zustimmungserklärung nach § 259 AußStrG durch das Gericht zu ersetzen.

Anmerkung

E29369

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00525.92.0626.000

Dokumentnummer

JJT_19920626_OGH0002_0080OB00525_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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