TE OGH 1992/6/29 7Ns1203/93

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Veröffentlicht am 29.06.1992
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Norm

StPO §410 Abs1
SGG §23a Abs2

Kopf

Beschluß.

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat am 29.6.1993 in der Strafsache gegen P wegen Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG und Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG, AZ 20 Vr 333/91 = Hv 32/91 des Landesgerichtes Feldkirch, über den Antrag dieses Gerichtshofes vom 13.1.1993 auf nachträgliche Strafmilderung nach Anhörung der Oberstaatsanwaltschaft in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Antrag wird Folge gegeben.

Die mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 14.5.1991, GZ. 20 Vr 333/91-14, über P verhängte Freiheitsstrafe von 15 Monaten wird gemäß § 410 Abs 1 StPO nachträglich in der Weise gemildert, daß sie unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Text

Begründung:

Bei der Bemessung der unbedingten Freiheitsstrafe mit 15 Monaten hatte das Schöffengericht die jeweils mehrfache Begehung zweier Delikte, nämlich des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG und des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG, und die vier einschlägigen Vorstrafen als erschwerend, das Geständnis und die Suchtgiftergebenheit des damaligen Angeklagten P als mildernd berücksichtigt. Die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht wurde offenbar - ohne daß dies freilich aus der Urteilsbegründung ersichtlich ist - wegen des erheblich, zum Teil auch einschlägig getrübten Vorlebens des Rechtsbrechers abgelehnt.

In der Folge kam P teils beschlußmäßig - insofern mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft - teils faktisch in den Genuß eines bis heute fortdauernden Strafaufschubes nach § 23a Abs 1 SGG. Aufgrund des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen H vom 9.6.1992 (ON 32) wurde die dem Verurteilten am 15.10.1991 erteilte Weisung, sich einer zumindest einjährigen Entziehungsbehandlung in einer Drogenlangzeiteinrichtung zu unterziehen, mit Beschluß vom 24.6.1992 (ON 35) aufgehoben.

Das Landesgericht Feldkirch stellte nun am 13.1.1993 den Antrag, die Freiheitsstrafe nachträglich gemäß (§ 410 Abs 1 StPO) iVm § 23a Abs 2 SGG durch Gewährung einer bedingten Strafnachsicht zu mildern, und verwies dabei unter anderem auf das erwähnte Gutachten und den zuletzt zitierten Beschluß sowie darauf, daß P "wegen neuerlicher Drogenabundanz" nicht mehr angezeigt worden sei und deshalb von seiner Drogenfreiheit ausgegangen werden müsse, zumal diese bei harten Drogen mit naturwissenschaftlichen Methoden auch durch einen Psychiater nicht zu "falsifizieren" wäre.

Die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck hat am 26.1.1993 erklärt, daß sie dem Antrag des Landesgerichtes Feldkirch zustimme. Dieser Antrag ist im Ergebnis berechtigt. In der Strafregisterauskunft über P vom 18.1.1993 (ON 38) scheinen keine weiteren Verurteilungen des Genannten auf. Nach dem Gutachten des Sachverständigen H vom 9.6.1992 (ON 32) endet ein Teil der Drogenkarrieren mit einer sogenannten "Spontanheilung", das heißt, daß einem in der Literatur unterschiedlich hoch, zum Teil mit 20 von Hundert angegebenem Prozentsatz ehemaliger Heroinisten autonom - also ohne therapeutische Hilfe - der Ausstieg aus der Suchtmittelabhängigkeit gelingt. Bereits damals war H der Ansicht, bei P, der mittlerweile sozial integriert war, könnte tatsächlich eine solche Spontanheilung vorliegen und damit wäre auch ohne stationäre Therapie und ohne Vollzug der Freiheitsstrafe deren Zweck in spezialpräventiver Hinsicht er reicht. In seinem weiteren Gutachten vom 21.6.1993 (ON 39), welches das Landesgericht Feldkirch auf Anregung des Oberlandesgerichtes eingeholt hat, gelangte der Sachverständige H nach neuerlicher nervenfachärztlicher Untersuchung des P und der Abnahme einer Harnprobe auf Drogen zum Ergebnis, daß die Beurteilung gegenüber der Untersuchung vom 9.6.1992 unverändert bleibe: anamnestisch ist eine schwere Polytoxikomanie einschließlich des Herointyps faßbar, die seit Herbst 1990 unterbrochen ist, wobei sich P weder einer spontanen Therapie noch einer amlulanten Nachbetreuung unterzogen, somit den Abstinenzerfolg ohne fremde Hilfe erreicht hat (sog Spontanheilung). Es gibt keinerlei Hinweise für ein Drogenrezidiv: Im klinischen Untersuchungsbefund lassen sich aktuell weder Drogeneinwirkungen noch Entzugssymptome fassen, die Harnanalysen auf alle einschlägigen Substanzen brachten ein negatives Ergebnis, anamnestische Hinweise auf einen Rückfall gibt es nicht, drogentypische psychopathologische Veränderungen sind aktuell nicht zu fassen, frische oder halbfrische Einstichstellen oder sonstige äußerliche Applikationsmerkmale waren nicht vorhanden. Auch sozial ist P nach wie vor in der schon im Gutachten vom 9.6.1992 beschriebenen Form integriert.

Rechtliche Beurteilung

Zufolge dieser Gegebenheiten ist anzunehmen, daß die bloße Androhung der Vollziehung der Freiheitsstrafe genügen werde, um P von weiteren strafbaren Handlungen, vor allem Zuwiderhandlungen gegen das Suchtgiftgesetz, abzuhalten. Hätten diese nachträglich entstandenen Tatsachen schon im Zeitpunkt der Urteilsfällung vorgelegen, so hätte das Landesgericht Feldkirch, wie aus seiner Antragstellung hervorgeht, über P offenbar insofern eine mildere Strafe verhängt, als es diese gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehen hätte, zumal es ihrer Vollstreckung auch nicht bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Gemäß § 410 Abs 1 StPO in Verbindung mit dem analog angewendeten § 23a Abs 2 SGG wurde deshalb dem Antrag des Gerichtshofes erster Instanz auf nachträgliche Milderung der Freiheitsstrafe durch deren bedingte Nachsicht stattgegeben. Wegen des beträchlich einschlägig belasteten Vorlebens des Verurteilten und des Ausmaßes seiner bisherigen Heroinsucht wurde die Probezeit nach § 43 Abs 1 StGB mit drei Jahren bestimmt.

Anmerkung

EI00010

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0819:1992:0070NS01203.93.0629.000

Dokumentnummer

JJT_19920629_OLG0819_0070NS01203_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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