TE OGH 1992/7/1 2Ob27/92

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Veröffentlicht am 01.07.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna B*****, vertreten durch Dr.Josef Lentschig und Dr.Heinrich Nagl, Rechtsanwälte in Horn, wider die beklagte Partei Firma F***** AG, *****, vertreten durch Dr.Engelbert Reis, Rechtsanwalt in Horn, wegen S 45.000,-- s.A. und Feststellung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems/Donau als Berufungsgerichtes vom 26.März 1992, GZ 2 R 145/91-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Horn vom 19.April 1991, GZ 2 C 307/90-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 16.211,52 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 2.701,92 USt.) sowie die mit S 6.623,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.000,-- Barauslagen und S 603,84 USt.) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei verlegte im November 1989 im Auftrag der EVN unter anderem zu dem Haus, das im Miteigentum der Klägerin und ihres Ehegatten steht, eine Gasleitung und führte vor diesem Haus Grabungsarbeiten durch. Danach wurde die Künette wegen fehlenden Schüttmaterials nur teilweise zugeschüttet. Am Freitag, dem 1. 12. 1989, wurde daher die restliche Künette mit einer 30 kg schweren Schaltafel im Ausmaß von 2,5 x 1 m abgedeckt, um das Begehen des Gehsteiges zu ermöglichen. In der Nacht vom 2. zum 3.Dezember 1989 sank die Temperatur weit unter den Gefrierpunkt. Am Morgen des 3. 12. 1989 waren die Fenster der auf der Straße stehenden PKW vereist, nicht aber die Gehsteige; auf der Schaltafel befand sich aber eine Eisschicht. Die beklagte Partei hatte keine Hinweis- und Warntafeln aufgestellt und auch die glatte Oberfläche der Platte nicht bestreut. Die Klägerin rutschte auf dem Brett aus, stürzte und zog sich einen Bruch des rechten Oberarmes zu.

Die Klägerin begehrt ein Schmerzengeld von S 45.000 sowie die Feststellung, daß ihr die beklagte Partei für zukünftige Schäden aus dem Vorfall hafte. Sie führte aus, die beklagte Partei wäre verpflichtet gewesen, die Baustelle durch Absperrungen abzusichern und die Schaltafeln zu bestreuen, bei dieser Tafel handle es sich um ein Bauwerk und nicht um einen Teil des Gehsteiges.

Die beklagte Partei wendete ein, die Klägerin wäre als Liegenschaftseigentümerin gemäß § 93 StVO selbst zur Bestreuung verpflichtet gewesen, die beklagte Partei habe die erforderlichen Sorgfaltspflichten eingehalten, die Abdeckung einer Künette mit einer Schaltafel stelle eine durchaus übliche Art der Abdeckung dar, § 1319 ABGB sei nicht anzuwenden.

Das Erstgericht gab dem Leistungs- und dem Feststellungsbegehren statt. Es vertrat die Ansicht, eine Haftung der beklagten Partei gemäß den §§ 1319 und 1319 a ABGB bestehe nicht. Die Klägerin habe keine Streupflicht getroffen, weil es im Bereich der Schaltafel am rechtlichen Charakter eines Gehsteiges mangle. Die beklagte Partei treffe aber eine Verkehrssicherungspflicht, aufgrund derer sie verpflichtet gewesen wäre, die Gefahrenquelle, die sie geschaffen habe, so abzusichern, daß niemand geschädigt werde. Es sei an der beklagten Partei gelegen, geeignete Schutzmaßnahmen, so, daß sie Warnungsschilder mit entsprechenden Hinweisen auf die glatte Oberfläche des Schalbrettes aufstelle, oder allenfalls auch bei entsprechender Glätte eine Streuung vorgenommen hätte, zu treffen. Eine Haftung aus dem Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sei durchaus denkbar. Die beklagte Partei habe für das sorgfaltswidrige Verhalten ihres Vorarbeiters einzutreten.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß Leistungs- und Feststellungsbegehren abgewiesen wurden. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz traf zusätzlich zu den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, deren wesentlicher Inhalt zu Beginn dieser Entscheidung wiedergegeben wurde, folgende weitere Feststellungen:

Seitens der beklagten Partei wurde auch ein Hausanschluß bis zur Grundstücksgrenze der Liegenschaft der Klägerin errichtet. Die von der beklagten Partei vorgenommene Abdeckung der nicht gänzlich zugeschütteten Künette mittels einer Schaltafel stellt eine durchaus übliche Maßnahme dar, um das Begehen des entsprechenden Bereiches, im gegenständlichen Fall des Gehsteiges, zu ermöglichen. Sie erfolgte fachgerecht, die Schaltafel lag gut am Untergrund auf. Aufgrund des Eigengewichtes der Tafel war ein Verrutschen daher unwahrscheinlich und eine zusätzliche Befestigung nicht erforderlich. Bei der von der klagenden Partei zur Abdeckung verwendeten Schaltafel handelt es sich um ein Holzelement, welches aus drei Holzschichten zusammengeleimt und ca. 27 mm dick ist. Aufgrund ihres normalen Verwendungszweckes weisen solche Schaltafeln eine sehr glatte (gehobelte) Oberfläche auf. Derartige Schaltafeln werden häufig für die Herstellung von Fußgängerübergängen über Künetten verwendet. In früheren Zeiten wurden Fußgängerübergänge über Künetten üblicherweise mit Holzpfosten hergestellt. Diese Holzpfosten haben jedoch den Nachteil, daß sie eine geringe Breite, nämlich üblicherweise zwischen 12 und 25 cm aufweisen. Dadurch bedingt müßten mehrere Pfosten nebeneinandergelegt werden, was zusätzliche Gefahrenelemente in sich birgt, nämlich ein Verrutschen der Pfosten untereinander sowie eine Höhendifferenz bei Belastung. Dies ist der Grund, warum Baufirmen immer häufiger Schaltafeln zur Herstellung derartiger Übergänge verwenden. In seltenen Fällen werden auch Kanaldielen, welche Eisenelemente sind, zur Herstellung von Grabenübergängen verwendet, jedoch normalerweise nur im Bereich der Fahrbahnen, da sie infolge ihrer Steifigkeit auch mit PKW befahren werden können. Dabei werden mehrere Kanaldielen (je nach Breite) nebeneinandergelegt und wird mit schottrigem Aushubmaterial auf dieser Unterkonstruktion ein Fahrbahnbelag hergestellt, dies deswegen, da Kanaldielen keine glatte Oberfläche aufweisen, sondern Höhenunterschiede von einigen cm haben. Weitere Überbrückungsmöglichkeiten über Gräben wären vorgefertigte Platten aus Beton, Stahlbeton oder Stahl. Diese werden jedoch für Fußgängerübergänge nur sehr selten verwendet, sondern aufgrund ihrer Belastung, wenn überhaupt, für Überfahrten. Die Gefahr des Aneisens besteht grundsätzlich bei sämtlichen Arten von Abdeckungen, dies deshalb, da diese Bauteile allseits von Luft umgeben sind und Bauteile, die zwar mit dem Boden verbunden sind, jedoch über eine schlechte Wärmeleitfähigkeit verfügen, wie z.B. Holz, Bodenwärme schlecht weiterleiten und bei extremen Witterungsbedingungen zum Vereisen neigen. Lediglich Kanaldielen mit aufgebrachtem Schotterbelag stellen aufgrund der rauhen Oberfläche den wirksamsten Schutz gegen Rutschgefahr dar. Bei sämtlichen anderen Konstruktionen bestehen bezüglich Vereisung und Rutschgefahr nur geringfügige Unterschiede. Insbesondere bestehen im Fall der Vereisung keine wesentlichen Unterschiede bei der Verwendung von Schaltafeln oder Pfosten. Die Gefahr der Vereisung ist allgemein bekannt. In der allgemeinen Praxis im Tiefbau werden bei der Verwendung von Schaltafeln bzw. sonstigen Abdeckungsarten über Künetten keine Vorkehrungen gegen Vereisung getroffen. Die einzige Möglichkeit wäre, die Schaltafeln mit Sand zu bestreuen. Dies bedingt jedoch eine höhere Rutschgefahr bei normalem Begehen vor einer Vereisung bzw. nach Abklingen der Vereisung. Weiters wäre es theoretisch möglich, Querschwellen, nämlich quer zur Gehrichtung aufgenagelte Dreikantleisten, anzubringen. Doch besteht auch hier im Zuge einer normalen Benützung, wenn die Schaltafeln nicht vereist sind, eine erhöhte Stolpergefahr. Im gegenständlichen Fall hatte die Glätte der Schaltafel als Ursache, daß sich Rauhreif auf der Schaltafel befand. Gehsteig und Straßen außerhalb des Bereiches der Schaltafeln wiesen zum Unfallszeitpunkt weder Rauhreif noch Glätte, noch Vereisung auf. Lediglich die Glasscheiben von PKW wiesen ebenfalls eine Vereisung durch Rauhreif auf. Es kann nicht festgestellt werden, ob es für die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalles erkennbar gewesen wäre, daß die Schaltafel infolge des Rauhreifs eisglatt war.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, zwischen der beklagten Partei und der EVN sei ein Werkvertrag vorgelegen. Zu prüfen sei, inwieweit das Institut des Vertrages mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter auf den konkreten Fall anzuwenden sei. In diesem Falle stünde der Klägerin jedenfalls gemäß § 1313 a ABGB ein direktes Klagerecht gegen die beklagte Partei zu und hafte diese ihrerseits wiederum für ein allfälliges Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen. Im Wege objektiver Vertragsauslegung sei für den regelmäßig nicht vorbesprochenen Fall von Störungen aus Anlaß von Erfüllungshandlungen anzunehmen, daß die Parteien eines Werkvertrages einander zum Schutz und zur Sorgfalt auch gegenüber jenen dritten Personen und Sachen verpflichtet seien, deren räumlicher Kontakt mit der vertraglich zu erbringenden Hauptleistung beim Vertragsabschluß voraussehbar gewesen sei, die also der vertraglichen Leistung nahestünden und an denen der Vertragspartner (beim Werkvertrag der Besteller) ein sichtbares eigenes Interesse habe oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensichtlich eine Fürsorgepflicht zukomme. Bei der Verletzung solcher Schutz- und Sorgfaltspflichten entstünden Schadenersatzpflichten und eine Haftung für das Verschulden eines Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313 a ABGB (SZ 47/72, SZ 48/23, SZ 50/34, SZ 59/89, je mit zahlreichen Judikatur- und Literaturhinweisen). Da seitens der beklagten Partei auch ein Anschluß von der unter der Fahrbahn errichteten Gasleitung zum Haus der Klägerin hergestellt bzw. vorbereitet worden sei, liege ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, nämlich der Klägerin vor. Es habe den Leuten der beklagten Partei bewußt sein müssen, daß einerseits die Herstellung der Leitungsverbindung dazu diene, daß ihr Werkbesteller, die EVN, den Bewohnern des anzuschließenden Hauses Erdgas liefern könne, sohin, daß zwischen EVN und der Klägerin entweder ein Vertragsverhältnis bestehe oder ein solches im Entstehen begriffen sei, und weiters, daß die Bewohner dieses Hauses, sohin auch die Klägerin, den Gehsteig und damit auch die Abdeckung mittels Schaltafel notwendigerweise benutzen mußten, wollten sie nicht auf der Fahrbahn gehen. Was die Verkehrssicherungspflicht anlange, sei davon auszugehen, daß dann, wenn Arbeiten auf oder neben der Straße durchgeführt werden, aufgrund der Bestimmungen der §§ 90 und 32 Abs. 6 StVO den Bauführer, der derartige Arbeiten ausführe, eine streng auszulegende Verkehrssicherheitspflicht treffe (ZVR 1979/154). Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z 10 StVO sei Gehsteig ein für den Fußgängerverkehr bestimmter, von der Fahrbahn durch Randsteine, Bodenmarkierung oder dgl. abgegrenzter Teil der Straße. Es sei daher auch der Gehsteig unter den Begriff der Straße im Sinn des § 90 Abs. 1 StVO zu subsumieren. Sohin treffe die beklagte Partei grundsätzlich sowohl eine Sorgfaltspflicht aufgrund des Vorliegens eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten der Klägerin, als auch aufgrund der Verkehrssicherungspflichten als Bauführer, wobei weiters auszuführen sei, daß ja seitens der beklagten Partei durch das Abdecken der nur teilweise zugeschütteten Künette der Fußgängerverkehr eröffnet und ermöglicht worden sei. Die Klägerin habe ihren Anspruch auch auf eine Verletzung derartiger Schutzpflichten, sei es aufgrund Verkehrssicherungspflichten, sei es aufgrund des Vertrages zugunsten Dritter, gestützt. Aber auch bei behaupteter Verletzung von Schutzpflichten sei eine Sorgfaltsverletzung zu beweisen (Reischauer in Rummel, Rz 13 zu § 1298 ABGB). Eine Haftung der beklagten Partei wäre dann anzunehmen, wenn es ihr möglich und auch zumutbar gewesen wäre, weitere Vorkehrungen zu treffen, um eine Gefahrenerhöhung für die Klägerin bzw. für sonstige Fußgänger im Bereiche des Gehsteiges zu vermeiden (Reischauer aaO, Rz 4 zu § 1294 ABGB). Demnach sei die Frage nach einem möglichen und zumutbaren Alternativverhalten zu stellen. Insoweit die Klägerin ihr Begehren darauf gründe, daß die beklagte Partei verpflichtet gewesen wäre, allfällige Absperrungen anzubringen, sei ihr zu entgegnen, daß Sinn und Zweck der Abdeckung der noch vorhandenen Künette ja der sei, den Fußgängern das durchgehende Begehen des vorhandenen Gehsteiges zu ermöglichen. Es scheide daher eine Absperrung als Sicherungsmaßnahme aus. Aufgrund der im Berufungsverfahren getroffenen ergänzenden Feststellungen sei weiters zu berücksichtigen, daß die von der beklagten Partei vorgenommene Maßnahme der Abdeckung der Künette mittels einer Schaltafel branchenüblich sei. Eine mögliche und früher gehandhabte Abdeckung mittels Pfosten bringe für den konkreten Fall keine Verbesserung der Rutschfestigkeit, da auch ein Pfosten, wenn er mit Rauhreif, welcher aneise, bedeckt sei, genauso glatt werde wie die Schaltafel. Eine bessere Rutschfestigkeit würde nur vorliegen, wenn keine derartige Rauhreifglätte auftrete, sei aber wiederum mit dem Nachteil leichteren Verrutschens bzw. der Unebenheit, die sich daraus ergebe, daß mehrere Pfosten nebeneinandergelegt werden müßten, verbunden. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes seien die weiteren Möglichkeiten, eine Künette im Bereich des Gehsteiges abzudecken, nämlich mittels vorgefertigter Platten aus Beton, Stahlbeton oder Stahl nicht mehr zumutbar und würden eine Überspannung der Sorgfaltspflichten bedeuten. Im übrigen wäre die Rutschgefahr durch die Gefahr des Aneisens, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt habe, ja nur dann vermeidbar, wenn Kanaldielen mit Schottermaterial bedeckt werden. Bedenke man den dafür nötigen Aufwand für eine Abdeckung, die lediglich über ein Wochenende verbleibe, so liege nach Ansicht des Berufungsgerichtes im Verwenden der Schaltafel keine Sorgfaltsverletzung. Allein aus dem Umstand, daß es bereits am Vortag Temperaturen unter 0 Grad gegeben habe, sei eine Haftung der klagenden Partei nicht zu begründen, da nicht davon ausgegangen werden könne, daß eine Baufirma verpflichtet wäre, derartige Abdeckungen täglich dahingehend zu überprüfen, ob infolge Rauhreif bzw. sonstiger Vereisung Glätte auftrete. Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß die Streupflicht nach § 93 Abs. 1 StVO grundsätzlich den Eigentümer der Liegenschaft, entlang derer der Gehweg verlaufe, treffe. Auch durch den Umstand, daß auf einem kleinen Teil dieses Gehsteiges eine Schaltafel erst das Begehen ermögliche, werde seine Qualität als Gehsteig nicht verändert. Durch die Vornahme von Bauarbeiten erscheine eine Verlagerung der Streupflicht an den Bauführer nicht gerechtfertigt.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Es ist in Rechtsprechung und Lehre allgemein anerkannt, daß Schutz- und Sorgfaltspflichten als vertragliche Nebenpflichten des Schuldners nicht nur seinem Vertragspartner, sondern auch dritten Personen gegenüber bestehen können. In diesem Fall erwirbt der Dritte direkte vertragliche Ansprüche gegen den Schuldner, der dann auch gemäß § 1313 a ABGB wie für sein eigenes auch für das Verschulden der Personen haftet, deren er sich zur Erfüllung bediente (SZ 58/4 mwN ua). Der Kreis der begünstigten Personen wird dabei auf Dritte beschränkt, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluß voraussehbar war und die der Vertragspartner entweder erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte oder an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist (JBl. 1987, 250; 1 Ob 603/90 ua; Ehrenzweig-Mayerhofer, Das Recht der Schuldverhältnisse 190 mwN in FN 4 f). Da die Arbeiten, zu denen sich die beklagte Partei vertraglich verpflichtet hatte, der Herstellung einer Gasleitung zu dem im Eigentum der Klägerin und ihres Ehegatten stehenden Haus diente, war die Klägerin erkennbar Begünstigte aus der Hauptleistung, es bestanden daher ihr gegenüber Schutz- und Sorgfaltspflichten aus dem Vertrag, so auch die Pflicht, ihr ein gefahrloses Benützen des vor ihrem Haus befindlichen Gehsteiges zu ermöglichen. Die Klägerin hat somit einen auf einem Vertrag beruhenden Anspruch, sodaß, obwohl es sich nur um vertragliche Nebenpflichten handelte, im Sinne herrschender Ansicht die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB gilt (JBl. 1991, 453 mit ausführlicher Stellungnahme zu vereinzelt gebliebenen gegenteiligen Meinungen).

Der beklagten Partei ist ein Beweis der Schuldlosigkeit nicht gelungen. Der Unfall ereignete sich bei schönem Wetter, die Gehsteige waren nicht vereist. Lediglich auf der Schaltafel, die die beklagte Partei zur Abdeckung der Künette verwendete, befand sich Eis. Die Schaltafel bildete somit eine Gefahrenquelle, die aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen der beklagten Partei gegenüber der Klägerin nicht hätte bestehen dürfen. Daraus, daß es sich bei der Abdeckung der Künette mit einer Schaltafel um eine übliche Maßnahme handelte, und auch bei den anderen zumutbaren Möglichkeiten kein wesentlicher Unterschied bezüglich der Vereisung bestanden hätte, ergibt sich noch nicht die Schuldlosigkeit der beklagten Partei. Richtig ist, daß gemäß § 93 StVO Anrainer - im vorliegenden Fall also die Klägerin und ihr Ehegatte - zum Bestreuen der Gehsteige verpflichtet sind. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes ging durch die Abdeckung mit der Schaltafel der Charakter als Gehsteig nicht verloren. Da bei der damals herrschenden Witterung die Gehsteige aber nicht vereisten, sondern nur die Schaltafel, hätte die beklagte Partei die Anrainer auf die Gefahr einer Vereisung der Platte bei Kältegraden hinweisen müssen. Dazu kommt, daß sie die Gefahrenquelle überhaupt hätte vermeiden müssen, was durch ein Zuschütten der Künette auf Gehsteigniveau hätte erfolgen können. Es wäre Sache der beklagten Partei gewesen, zu behaupten und zu beweisen, daß sie am Fehlen einer entsprechenden Menge von Schüttmaterial kein Verschulden trifft. Die beklagte Partei hat darüber jedoch nichts vorgebracht, ebensowenig, warum trotz der niedrigen Temperaturen, die die Ursache der Vereisung waren, nichts zur Vermeidung des Sturzes eines Gehsteigbenützers unternommen wurde oder warum nicht zumindest Warntafeln aufgestellt wurden. Von einem Nachweis der Schuldlosigkeit im Sinne des § 1298 ABGB kann daher keine Rede sein.

Der Klägerin kann hingegen kein Verschulden am Unfall angelastet werden. Es steht nicht fest, daß sie die Vereisung hätte erkennen können. Auch eine Verletzung der Streupflicht kann ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil eine Witterung herrschte, die zu keiner Vereisung der Gehsteige führte, sie nicht aufmerksam gemacht wurde, daß die Schaltafel bei tiefen Temperaturen trotzdem vereisen werde und sie dies auch nicht wissen mußte.

Die beklagte Partei haftet somit wegen Verletzung ihrer vertraglichen Verpflichtungen für den Schaden der Klägerin. Auf die weiteren Revisionsausführungen muß daher nicht mehr eingegangen werden.

Da die Höhe des mit S 45.000 geltend gemachten Schmerzengeldes und ein Feststellungsinteresse der Klägerin nicht bestritten wurden, war in Stattgebung der Revision das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E30132

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00027.92.0701.000

Dokumentnummer

JJT_19920701_OGH0002_0020OB00027_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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