TE OGH 1992/7/8 9ObA117/92 (9ObA118/92)

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Veröffentlicht am 08.07.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Monika Angelberger und Paul Binder in den verbundenen Arbeitsrechtssachen des Klägers Dr.J***** M*****, Angestellter, *****, vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Winterthur Versicherungs-AG, Wien 4., Mattiellistraße 2-4, vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen Feststellung und Unwirksamerklärung (Streitwert je S 31.000), infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.Jänner 1992, GZ 32 Ra 119/91-28, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28.Feber 1991, GZ 24 Cga 13/89-29, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision des Klägers wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 4.783,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 797,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 15.5.1984 Angestellter der Beklagten und Mitglied des am 19.12.1984 konstituierten Betriebsrats. Am 11.11.1988 fanden wieder Betriebsratswahlen statt. Am 17.11.1988 beschloß der alte Betriebsrat (dem der Kläger angehört hatte) gemäß § 62 Z 4 ArbVG mit drei Ja-Stimmen, einer Nein-Stimme und zwei Stimmenthaltungen seinen Rücktritt per 21.11.1988. Am 18.11.1988 konstituierte sich der neue Betriebsrat und nahm am 21.11.1988 seine Tätigkeit auf. Dies gab der (neue) Betriebsratsvorsitzende und dessen Stellvertreter dem Betriebsinhaber mit Schreiben vom 25.11.1988 (Beilage 1) bekannt; die Konstituierung wurde auch durch Anschlag kundgemacht (§ 66 Abs 8 ArbVG).

Die Beklagte, die vom Abstimmungsergebnis des Beschlusses über den Rücktritt des alten Betriebsrats keine Kenntnis hatte, kündigte das Dienstverhältnis des Klägers am 27.2.1989 zum 30.4.1989 (§ 20 Abs 3 AngG) auf, nachdem sie am 17.2.1989 den Betriebsrat von der beabsichtigen Kündigung verständigt hatte; dieser gab zur Kündigung keine Stellungnahme ab.

Der Kläger erhob daraufhin zu 24 Cga 13/89 des Erstgerichtes Klage auf Feststellung des Weiterbestehens seines Dienstverhältnisses, weil der Rücktrittsbeschluß des alten Betriebsrates vom 17.11.1988 mangels der erforderlichen Mehrheit (§ 68 Abs 3 ArbVG) unwirksam sei. Die dreimonatige Frist des § 120 Abs 3 ArbVG sei daher am 27.2.1986 noch nicht abgelaufen gewesen. Hilfsweise begehrt der Kläger, die ausgesprochene Kündigung wegen Sozialwidrigkeit für unwirksam zu erklären.

Hierauf verständigte die Beklagte den Betriebsrat am 17.3.1989 neuerlich von der beabsichtigten Kündigung des Klägers; der letzte Tag der fünftägigen Frist des § 105 Abs 1 ArbVG fiel auf Karfreitag, den 24.3.1989. Dieser Tag war bei der Beklagten ein normaler Arbeitstag. Am 28.3.1989 (Dienstag nach Ostern) sprach die Beklagte die Kündigung des Klägers zum 31.5.1989 aus.

Der Kläger bekämpft auch diese Kündigung und begehrt zuletzt die Feststellung, daß sein Dienstverhältnis über den 31.5.1989 hinaus aufrecht sei, weil die fünftägige Frist des § 105 Abs 1 ArbVG, bei der der Karfreitag nicht mitzähle, erst am Dienstag, dem 28.3.1989 abgelaufen sei. Hilfsweise begehrt der Kläger, auch diese Kündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG sowie wegen Sozialwidrigkeit für unwirksam zu erklären (24 Cga 16/89 des Erstgerichtes).

Die Beklagte beantragte die Abweisung der zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtsstreite. Sie habe auf die Mitteilung des Ergebnisses der Wahl der Betriebsratsfunktionäre durch den Vorsitzenden vertrauen dürfen; eine neuerliche Verständigung des Betriebsrates von der zweiten Kündigung wäre gar nicht erforderlich gewesen; im übrigen zähle aber der Karfreitag bei der Berechnung der fünftägigen Frist nach § 105 Abs 1 ArbVG als normaler Arbeitstag, an dem auch der Kläger gearbeitet habe, mit. Ein verpöntes Motiv für die Kündigung des Klägers habe nicht bestanden. Die Kündigung beeinträchtige wesentliche Interessen des Klägers nicht; er habe eine angebotene Weiterarbeit in der Schadensabteilung der Filialdirektion Wien ausgeschlagen und könne in Wien jederzeit einen gleichwertigen Arbeitsplatz finden.

Das Erstgericht stellte fest, daß das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen über den 30.4.1989 weiterhin aufrecht geblieben sei und wies das Mehrbegehren des Klägers, daß das Dienstverhältnis (auch) über den 31.5.1989 hinaus aufrecht sei, sowie das Eventualbegehren, daß die Kündigung zum 31.5.1989 für unwirksam erklärt werde, ab. Es traf folgende weitere wesentliche Feststellungen:

Der Kläger war bis März 1988 in der Schadenabteilung der Zentrale der Beklagten tätig und hatte dort Schadensfälle bis S 100.000 zu bearbeiten. Anfang 1988 begann die Beklagte mit Umstruktuierungen; sie übertrug den Referenten der Filialen die Behandlung von Schadensfällen bis S 100.000 und sparte dadurch in der Zentrale den Arbeitsplatz eines Referenten ein. Da der Kläger der dienstjüngste Referent war, als Betriebsratsmitglied aber nicht gekündigt werden konnte, bot ihm die Beklagte einen freiwerdenden Referentenposten in der Filiale Wien ab 1.4.1988 an. Die Schadenabteilung dieser Filiale ist im selben Gebäude untergebracht. Der Kläger war damit nicht einverstanden, weil er dies für eine verschlechternde Versetzung hielt und erklärte, daß er sich um einen neuen Arbeitsplatz umsehen wolle. Ab 1.4.1988 verrichtete der Kläger den Dienst in der Filiale Wien; er bearbeitete jedoch so wie die Schadensreferenten der Zentrale Fälle bis S 200.000 und blieb weiterhin seinem bisherigen Vorgesetzten unterstellt. Der Kläger ergriff gegen die Versetzung zur Filiale Wien keine Maßnahmen. Da er aber mit dieser Tätigkeit nicht einverstanden war und zur Beendigung seines Dienstverhältnisses nichts unternahm (für diesen Fall hatte ihm die Beklagte die einverständliche Auflösung unter Wahrung des Abfertigungsanspruches angeboten), sprach die Beklagte die Kündigung aus.

Die Kündigung steht nicht in Zusammenhang mit der Forderung des Klägers auf Weitergewährung einer sogenannten abbaufähigen Zulage, die die Beklagte dem Kläger mit der Erhöhung der kollektivvertraglichen Bezüge ab 1.4.1989 nicht mehr gewährte.

Der Kläger bezog bei der Beklagten zuletzt durchschnittlich S 20.153 monatlich brutto und ca S 14.000 an Provisionen aus Versicherungsverträgen naher Angehöriger. Seine Ehefrau war im Kündigungszeitpunkt Angestellte in einer Steuerberatungskanzlei mit einem monatlichen Bruttoverdienst von S 39.000. Seit November 1989 ist sie selbständige Steuerberaterin. Der Kläger hat für ein Kind zu sorgen. Er ist derzeit bei der Gewerkschaft der Privatangestellten mit einem Bruttoeinkommen von monatlich S 17.000 beschäftigt.

Der Kläger hatte im Kündigungszeitpunkt gute bis sehr gute Vermittlungschancen, weil Schadensreferenten mit Berufspraxis von Versicherungsgesellschaften laufend gesucht werden; hiebei liegt das zu erzielende Einkommen (nach einer vorübergehenden Arbeitslosigkeit von zwei bis vier Monaten) mit ca S 25.000 brutto monatlich höher als bei der Beklagten.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Beschluß über den Rücktritt des alten Betriebsrates nicht mit der nach § 68 Abs 3 ArbVG erforderlichen Stimmenmehrheit aller Mitglieder gefaßt worden sei; die Beklagte habe auf die Bekanntgabe des Rücktritts des alten Betriebsrates durch den neuen Betriebsrat nicht vertrauen dürfen, weil nur der bisherige Betriebsratsvorsitzende dazu verbindliche Erklärungen abgeben hätte können. Da kein gültiger Rücktrittsbeschluß vorliege, hätte die Betriebsratsperiode des alten Betriebsrates noch bis 18.12.1988 gedauert. Der Kläger sei daher am 27.2.1989 noch unter dem besonderen Kündigungsschutz des § 120 ArbVG gestanden, da dieser erst drei Monate nach Erlöschen der Mitgliedschaft ende. Dem Feststellungsbegehren zu 24 Cga 13/89 sei daher stattzugeben.

Im übrigen sei aber das Klagebegehren nicht berechtigt. Die Berechnung der fünftägigen Frist nach § 105 Abs 1 ArbVG sei nicht nach § 169 ArbVG iVm §§ 32 und 33 AVG, sondern nach Arbeitstagen vorzunehmen. Falle der letzte Tag der Frist auf einen Arbeitstag, so ende sie auch dann, wenn dieser ein Sonn- oder Feiertag oder der Karfreitag sei. Die gegenteilige Regel des § 33 AVG sei daher unanwendbar.

Der Kläger sei auch nicht in der Lage gewesen, einen Zusammenhang zwischen der Kündigung und einer offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche (§ 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG) aus seiner "Versetzung" in die Filiale Wien zu bescheinigen; Motiv für die Kündigung seien die Umstrukturierungsmaßnahmen zwischen Zentrale und Filiale gewesen, durch die ein Arbeitsplatz in der Zentrale eingespart worden sei, weshalb der Kläger als dienstjüngster Mitarbeiter der Zentrale künftig in der Filiale arbeiten sollte.

Die Kündigung des Klägers sei auch nicht sozial ungerechtfertigt, weil er im selben Berufszweig einen gleichwertigen oder sogar besser bezahlten Arbeitsplatz hätte finden können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, nicht aber der Berufung des Klägers Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteige. § 71 Abs 1 Satz 2 ArbVG sei nicht dahin zu verstehen, daß der Betriebsrat nur andere seiner Mitglieder mit der Vertretung im Einzelfall betrauen könne. Der Betriebsrat könne sich vielmehr auch von anderen Personen vertreten lassen. Das Verhalten des (früheren) Betriebsratsvorsitzenden, der gegen die Konstituierung des neuen Betriebsrates vor Ablauf der Funktionsperiode des früheren nichts unternommen habe, sei als stillschweigende Kundgabe eines Beschlusses zu deuten. Der frühere Betriebsrat habe die Konstituierung des neuen untätig hingenommen und sich auch nicht gegen die Bekanntgabe durch den neuen Betriebsrat, daß der frühere zurückgetreten sei, zur Wehr gesetzt. Dies wäre auch dem Kläger, vornehmlich dann, wenn er dem Rücktrittsbeschluß nicht zugestimmt hätte, leicht möglich gewesen. Aus der stillschweigenden Hinnahme der Konstituierung des neuen Betriebsrates unter Bekanntgabe des Rücktrittsbeschlusses des alten Betriebsrates habe somit der Arbeitgeber gutgläubig auf das Vorliegen eines wirksamen Beschlusses und einer dem neuen Betriebsratsvorsitzenden stillschweigend erteilten Vertretungsbefugnis zur Bekanntgabe dieses Beschlusses vertrauen dürfen.

Gehe man davon aus, so sei schon im Zeitpunkt der ersten Kündigung des Klägers am 27.2.1989 die Dreimonatsfrist des § 120 Abs 3 ArbVG durch Erlöschen der Mitgliedschaft des Klägers (zum früheren Betriebsrat) abgelaufen gewesen.

Die Bestimmung des § 169 ArbVG iVm den §§ 32 f AVG sei auf die Berechnung von Fristen nach § 105 Abs 1 ArbVG, die sich auf Arbeitstage beziehen, nicht anzuwenden. Da der Karfreitag im Betrieb der Beklagten ein Arbeitstag war, sei der Ausspruch der Kündigung am Dienstag nach Ostern erst nach Ablauf der Frist des § 105 Abs 1 ArbVG erfolgt. Der Begriff "Arbeitstag" sei im objektiven Sinn zu verstehen und hänge nicht davon ab, ob Angehörige eines bestimmten Religionsbekenntnisses einen Anspruch auf Dienstfreistellung an diesem Tag hätten; im übrigen sei aber eine neuerliche Verständigung des Betriebsrates gemäß § 105 Abs 1 ArbVG nicht erforderlich gewesen, da es sich bei den beiden Kündigungen (Haupt- und Eventualkündigung) im Abstand von einem Monat um einen einheitlichen Kündigungsfall handle.

Was die Anfechtbarkeit der Kündigung nach § 105 Abs 3 lit i ArbVG betreffe, habe schon das Erstgericht verneint, daß die Kündigung des Klägers (überwiegend) deshalb erfolgt sei, weil er sich gegen die Versetzung zur Wehr gesetzt habe. Die Beklagte habe den Kläger auch deshalb gekündigt, weil er sonst nach dem einschlägigen Kollektivvertrag mit 15.5.1989 das "Definitivum" mit praktischer Unkündbarkeit erreicht hätte. Im übrigen liege die vom Kläger behauptete Verschlechterung nicht vor; mit dem Entfall der Betriebsratsfunktion habe keine Notwendigkeit bestanden, dem Kläger ein Einzelzimmer zur Verfügung zu stellen. Im Zusammenhang mit der den Arbeitgeber treffenden sozialen Gestaltungspflicht sei eine geringfügige Beeinträchtigung von Arbeitnehmerinteressen im Vergleich zur andernfalls aus organisatorischen Gründen erforderlich werdenden Kündigung zu vernachlässigen.

Eine Interessenbeeinträchtigung des Klägers, die zur Sozialwidrigkeit der Kündigung führe, liege wegen seiner guten Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt nicht vor. Die vermeintliche Schwierigkeit, einen Ersatzarbeitsplatz zu finden, könne der Kläger gegenüber der Beklagten nicht geltend machen, weil sie ihm einen durchaus zumutbaren Ersatzarbeitsplatz angeboten habe.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens, und zwar allenfalls im Sinne des Eventualbegehrens, abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerber vertritt zum (ersten) Feststellungsbegehren, daß sein Arbeitsverhältnis über den 30.4.1989 hinaus aufrecht blieb, die Ansicht, die Beklagte hätte der Mitteilung des Vorsitzenden des neuen Betriebsrates, über den Rücktritt des bisherigen Betriebsrates nicht vertrauen dürfen, da es sich dabei um ein anderes Organ gehandelt habe. Ein Vertrauensschutz komme im vorliegenden Fall überhaupt nicht in Betracht, weil die Regelungen des ArbVG über das Ende der Funktionsdauer des bisherigen Betriebsrates und den Funktionsbeginn des neuen Betriebsrates nur die Aufgabe hätten, die zeitliche Abgrenzung zwischen diesen beiden Kollegialorganen zu regeln. Der Betriebsinhaber werde in kein Erklärungsverhalten einbezogen. Die Mitteilung über die Konstituierung des neuen Betriebsrates sei lediglich eine Wissenserklärung, die keinen Vertrauensschutz begründe. Der Kündigungsschutz des Betriebsratsmitglieds sei ein individuelles Recht; es sei daher unbeachtlich, ob der frühere Betriebsrat gegen den Konstituierungsbeschluß des neuen Betriebsrates etwas unternommen habe. Der Betriebsinhaber könnte sich auch nicht darauf berufen, wenn er keine Kenntnis von der Bestellung eines (nachrückenden) Betriebsratsmitgliedes gehabt hätte.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrmals ausgesprochen hat (RdW 1986, 122; 4 Ob 91/83; 9 Ob A 26/88; 9 Ob A 208/90) darf der Betriebsinhaber die Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden (insbesondere die Stellungnahmen zur beabsichtigten Kündigung nach § 105 ArbVG) in der Regel als rechtswirksame Willenserklärungen ansehen, zumal der Betriebsinhaber weder verpflichtet noch berechtigt ist, Untersuchungen über die innere Willensbildung des Betriebsrates anzustellen (WBl 1988, 90 = RdW 1988, 171). Nur ausnahmsweise ist die Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden dem Kollegium nicht zuzurechnen, nämlich dann, wenn dem Betriebsinhaber bekannt war oder aus den Umständen (zB aus der Tatsache, daß der Betriebsratsvorsitzende zu einer Mitteilung sogleich eine Stellungnahme abgibt (WBl 1988, 90 = RdW 1988, 171)) bekannt sein mußte, daß die Erklärung des Vorsitzenden nicht durch einen entsprechenden Beschluß des Betriebsrats gedeckt sein konnte (Floretta in ArbVG-Handkommentar 392; JBl 1954, 233; Arb 6623; DRdA 1968, 91 (Spielbüchler); ZAS 1972/27, 218 (Schrank); Arb 8864; WBl 1988, 90 = RdW 1988, 171).

Der vorliegende Fall betrifft allerdings nicht den Schutz des Vertrauens des Betriebsinhabers in eine Willenserklärung des Betriebsratsvorsitzenden, sondern eine (mit besonderen Rechtsfolgen verbundene) Wissenserklärung, die der Betriebsratsvorsitzende auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift auch gegenüber dem Betriebsinhaber abzugeben hat. Ein reibungsloses Zusammenwirken zwischen dem Betriebsinhaber und dem Betriebsrat als Vertreter der Belegschaft macht es erforderlich, daß dem Betriebsinhaber mitgeteilt wird, wer Belegschaftsverteter ist. Dies bezweckt - neben der Auslösung der Rechtswirkungen des § 59 Abs 2 ArbVG - auch § 57 ArbVG, wonach das Ergebnis der Wahl (vom Wahlvorstand) im Betrieb kundzumachen und dem Betriebsinhaber sowie weiteren Stellen mitzuteilen ist. In Analogie zu § 57 ArbVG ist der Betriebsratsvorsitzende auch verpflichtet, die Tatsache des Rücktrittes an der Anschlagtafel des Betriebes kundzumachen und den in § 57 ArbVG genannten Stellen (also auch dem Betriebsinhaber) mitzuteilen (Floretta in ArbVG-Handkommentar 352). Schließlich wird im § 66 Abs 8 ArbVG bestimmt, daß der Vorsitzende unmittelbar nach Beendigung der konstituierenden Sitzung das Ergebnis der Wahl der Betriebsratsfunktionäre sowie die Reihenfolge der Ersatzmitglieder dem Betriebsinhaber, der zuständigen freiwilligen Berufsvereinigung und der zuständigen gesetzlichen Interessenvertreter der Arbeitnehmer sowie dem zuständigen Arbeitsinspektorat anzuzeigen und im Betrieb durch Anschlag kundzumachen hat.

Den beiden letztgenannten Verpflichtungen ist der Betriebsratsvorsitzende dadurch nachgekommen, daß er den Betriebsinhaber am 25.11.1988 davon verständigte, daß der bisherige Betriebsrat in der Sitzung vom 17.11.1988 beschlossen hat, per 21.11.1988 zurückzutreten, ferner daß sich der neu gewählte Betriebsrat am 18.11.1988 konstituiert hat und seine Aufgaben ab 21.11.1988 wahrnimmt. Der Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Betriebsinhaber auf die Mitteilung vom Rücktritt des bisherigen Betriebsrates schon deshalb nicht vertrauen durfte, weil er davon vom Vorsitzenden des neuen Betriebsrates verständigt worden sei, ist schon deshalb nicht zu folgen, weil der Betriebsratsvorsitzende mit den erwähnten Verständigungen Pflichten der Belegschaft erfüllt; diese muß sich nach der Konstituierung des neuen Betriebsrates dessen Handeln ebenso zurechnen lassen wie bis dahin das Handeln des früheren Betriebsrates.

Auf die Richtigkeit der gesetzlich vorgesehenen Mitteilung des Betriebsratsvorsitzenden durfte der Betriebsinhaber ebenso wie auf eine Willenserklärung vertrauen. Der Vertrauensschutz erstreckt sich im Arbeitsrecht auch auf Wissenserklärungen über die Rechtsfolgen, wenn diese Erklärungen dem Erklärenden in besonderer Weise zuzurechnen sind und der Erklärungsempfänger gutgläubig war und im Vertrauen auf die Erklärung disponiert hat (vgl dazu Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff, 126 ff (insb 134); die Überlegungen, die Bydlinski dort zum Vertrauensschutz des Arbeitnehmers anstellt, sind auch auf das den gleichen Schutz erfordernde Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Belegschaft zu übertragen). Das "Minus" der Wissenserklärung gegenüber der Willenserklärung wird durch die besondere Intensität der übrigen vertrauensbegründenden Kriterien ausgeglichen (Bydlinski aaO 134). Hiebei fällt besonders ins Gewicht, daß es sich im vorliegenden Fall um Wissenserklärungen handelt, mit denen gesetzlich vorgesehenen Mitteilungspflichten entsprochen wird, die ein reibungsloses Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Belegschaft sicherstellen sollen. Der gute Glaube des Arbeitgebers verdient besonderen Schutz, weil er gar keine Möglichkeit hat, die internen Vorgänge, die zu den bekanntgegebenen Beschlüssen geführt haben, zu überprüfen. Er muß sich vielmehr in allen Fragen, die die Belegschaft betreffen, an das bekanntgegebene Gremium halten und muß bei Rechtshandlungen, an denen die Belegschaft mitwirkt, im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Bekanntgaben disponieren. Aus diesem Grund bleiben etwa auch Rechtshandlungen des Betriebsrates selbst dann gültig, wenn es zu einer erfolgreichen Anfechtung der Betriebsratswahl kommt (§ 61 Abs 3 ArbVG).

Der Beklagten kann daher nicht entgegengehalten werden, daß der Rücktrittsbeschluß des früheren Betriebsrates (§ 62 Z 4 ArbVG) wegen Fehlens der in § 68 Abs 3 ArbVG festgesetzten Mehrheit der Stimmen aller Betriebsratsmitglieder unwirksam war und der Kläger damit formell bis zum gesetzlichen Ende der Tätigkeitsdauer des alten Betriebsrates (§ 64 Abs 1 Z 1 ArbVG iVm § 61 Abs 1 ArbVG) Betriebsratsmitglied geblieben ist, obwohl bereits ein neuer Betriebsrat tätig war, dem der Kläger nicht mehr angehörte. Für den Vertrauensschutz des Betriebsinhabers ist schließlich auch von Bedeutung, daß keines der Mitglieder des alten Betriebsrates von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Rücktrittsbeschlusses zu erheben. Diese Möglichkeit wäre jedem einzelnen Betriebsratsmitglied offengestanden. Auch ein einzelnes Betriebsratsmitglied ist nämlich zur Einbringung einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses des Betriebsrats berechtigt (ArbSlg 10.821).

Da die Betriebsratsmitglieder den besonderen Kündigungsschutz des § 120 Abs 3 ArbVG nicht um ihrer selbst willen, sondern ganz überwiegend zur Sicherstellung der ihnen vom Gesetzgeber im Interesse des Betriebsrates und dessen Belegschaft übertragenen Aufgaben genießen (Kuderna, Einige Probleme des Kündigungsschutzes, DRdA 1990, 1 (16)), vermag sich der Kläger gegenüber dem Betriebsinhaber auch nicht darauf zu berufen, daß er durch die Verkürzung der in § 120 Abs 3 ArbVG normierten dreimonatigen "Abkühlungsfrist" in einem subjektiven Recht verletzt worden sei, weil schon seit dem 21.11.1988 unangefochten ein neuer Betriebsrat, dem der Kläger nicht mehr angehörte, die Betriebsratsfunktionen im Unternehmen der Beklagten ausübte. Der Kläger muß sich daher den Ablauf der Dreimonatsfrist des § 120 Abs 3 ArbVG im Zeitpunkt der ersten Kündigung (27.2.1989) infolge Bekanntgabe des Rücktritts des früheren Betriebsrates mit 21.11.1988 entgegenhalten lassen. Das Klagebegehren, daß das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen über den 30.4.1989 weiterhin aufrecht geblieben sei, wurde daher vom Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend abgewiesen.

Damit kommt es aber auf die Frage, wie die fünftägige Frist des § 105 Abs 1 ArbVG nach der Verständigung des Betriebsrates von der beabsichtigten zweiten Kündigung zu berechnen war, nicht mehr an, weil schon die erste Kündigung - die Abweisung der Anfechtungsklage vorausgesetzt (§ 105 Abs 6 ArbVG) - zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Streitteilen geführt hat. Im übrigen ist aber die Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß der Fristablauf durch den Karfreitag (als letzten Tag der fünftägigen Frist) nicht gehemmt wurde und § 169 ArbVG iVm §§ 32 und 33 AVG und das BG 1961/37 insoweit nicht anwendbar sind, weil der Gesetzgeber den Betriebsrat für seine Stellungnahme fünf Arbeitstage zur Verfügung stellt (Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I 275 f) zuzustimmen (§ 48 ASGG).

Eine rechtsunwirksame Motivkündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ("wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer") liegt nicht vor, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Umstrukturierungsmaßnahmen zwischen Zentrale und Filiale Motiv für die Kündigung des Klägers waren, der unter praktisch gleichbleibenden Arbeitsbedingungen in der Filiale Wien (im selben Haus) nicht weiterarbeiten wollte und erklärt hat, er werde sich einen neuen Arbeitsplatz suchen (für welchen Fall ihm die Beklagte sogar die Wahrung seines Abfertigungsanspruches anbot), schließlich aber doch nicht kündigte. Daß die Beklagte einen unzufriedenen Mitarbeiter noch vor Erreichen des sogenannten "Definitivums" kündigen wollte, ist kein verpöntes Kündigungsmotiv iS des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG.

Auf den Anfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, dessen Vorliegen die Vorinstanzen ebenfalls zutreffend verneinten (§ 48 ASGG), kommt die Revision nicht mehr zurück.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.

Anmerkung

E29391

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00117.92.0708.000

Dokumentnummer

JJT_19920708_OGH0002_009OBA00117_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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