TE OGH 1992/9/2 9ObA154/92

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Veröffentlicht am 02.09.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Erich Deutsch und Mag.Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** J***** H*****, Maler, ***** vertreten durch Mag.J***** W*****, Sekretär der Kammer *****, dieser vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei W. H***** Ges.m.b.H. & Co KG, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wegen 6.516 S brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.April 1992, GZ 13 Ra 24/92-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 5.Dezember 1991, GZ 15 Cga 118/91-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, an die klagende Partei einen Betrag von 6.516 S brutto samt 4 % Zinsen ab 22.Juni 1991 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 200 S (Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 24 S (Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.175,36 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 362,56 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 2.Jänner 1990 bis 21.Juni 1991 als Maler mit einem Stundenlohn von 90,05 S beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war vom 15.Dezember 1990 bis 22.Jänner 1991 ausgesetzt. Es endete durch eine vom Kläger ausgesprochene Kündigung. Die aliquote Weihnachtsremuneration von 6.516 S wurde dem Kläger nicht ausgezahlt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für das Maler-, Anstreicher-, Lackierer-, Schilderhersteller-, Vergolder- und Staffierer- und Industriemalergewerbe (im folgenden: KV) anzuwenden.

Dieser Kollektivvertrag enthält unter anderem folgende Regelungen:

".........VI.Weihnachtsremuneration

a) Am ersten Freitag im Dezember erhalten alle Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Auszahlung eine Betriebszugehörigkeit von zwei Monaten aufzuweisen haben, eine Weihnachtsremuneration. Die Anwartschaft von zwei Monaten für die Gewährung einer Weihnachtsremuneration ist nicht erforderlich für alle Arbeitnehmer, die ab 1.September des laufenden Jahres neu in den Betrieb eintreten. Bei Berechnung dieser Anwartschaft sind alle Dienstzeiten im gleichen Betrieb zusammenzurechnen, die keine längere Unterbrechung als 60 Tage aufweisen.

b) Die Höhe der Weihnachtsremuneration beträgt in Wien, Steiermark, Oberösterreich, Kärnten, Salzburg und Vorarlberg 3,35 Stundenlöhne; in Niederösterreich 3,15 Stundenlöhne; in Tirol 3,35 kollektivvertragliche Stundenlöhne; im Burgenland 2,90 Stundenlöhne pro Woche der Betriebszugehörigkeit des laufenden Kalenderjahres.

c) Wird das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber gelöst (ausgenommen Fälle der Entlassung nach § 82 GewO) oder tritt der Arbeitnehmer aus einem wichtigen Grund (§ 82 a GewO) vorzeitig aus dem Betrieb aus, hat er Anspruch auf Bezahlung des aliquoten Teiles der nach obigen Grundsätzen errechneten Weihnachtsremuneration.

Der aliquote Teil der Weihnachtsremuneration gebührt auch bei Entlassungen aus Gründen des § 82 lit h der GewO.

d) Wird das Arbeitsverhältnis nach mindestens fünfmonatiger Dauer vom Arbeitnehmer nach dem 1.Oktober des laufenden Jahres durch Kündigung gelöst, so gebührt diesem der aliquote Teil der nach den vorhergehenden Grundsätzen errechneten Weihnachtsremuneration.

Arbeitnehmer, die zur Geltendmachung ihres Anspruches auf Alterspension bzw vorzeitige Alterspension oder wegen nicht selbstverschuldeter Berufsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis durch Kündigung lösen, haben bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Bezahlung des aliquoten Teiles der Weihnachtsremuneration.

e) Wird das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers aufgelöst, so gebührt der aliquote Teil der Weihnachtsremuneration den gesetzlichen Erben, zu deren Erhaltung der Erblasser gesetzlich verpflichtet war. ....

XVII.Kündigung

Bei einer Betriebszugehörigkeit bis zu 20 Jahren kann das Dienstverhältnis jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gelöst werden.

Nach einer 20-jährigen Betriebszugehörigkeit gilt eine Kündigungsfrist von drei Arbeitstagen.

Auf die fünftägige Verständigungsfrist gemäß § 105 ArbVG ist zu achten.

Bei Lösung des Arbeitsverhältnisses sind dem Arbeiter die Papiere und der Lohn sofort auszufolgen. Für Schäden, die dem Arbeiter durch die Nichtausfolgung der Papiere entstehen, haftet der Arbeitgeber.

Kündigungen sollen tunlichst zum Wochenende erfolgen. Bei Verringerungen des Arbeiterstandes sind in erster Linie berufsfremde Arbeitskräfte heranzuziehen. ..."

Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Betrages von 6.516 S brutto sA an aliquoter Weihnachtsremuneration. Er habe durch seine Tätigkeit die Anwartschaft für die Weihnachtsremuneration erworben. Mit dem im KV vorgesehenen Verlust dieser Anwartschaft im Falle der Selbstkündigung werde das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers unzulässig erschwert; diese KV-Bestimmung sei wegen Verstoßes gegen § 1154 Abs 3 ABGB sowie - durch die Besserstellung der Angestellten mit § 16 AngG - auch wegen Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes nichtig.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe eine der beiden Bedingungen für den Anspruch auf Weihnachtsremuneration nicht erfüllt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Anspruch auf Weihnachtsremuneration erst mit der Erfüllung der im Kollektivvertrag genannten Bedingungen erworben werde; die Kündigung werde daher nicht durch den Verlust bereits erworbener Anwartschaften oder Ansprüche erschwert. Auch die Kündigungsgleichgewichtslage werde durch die Verknüpfung des Remunerationsanspruches mit einer Suspensivbedingung nicht verschoben.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß nicht das in den §§ 1158 und 1159 iVm 1164 ABGB zwingend geregelte Kündigungsrecht, sondern die GewO anzuwenden sei. Deren die Kündigungsfrist regelnder § 77 sei aber dispositiv. Die Bestimmung des Punktes VI lit d KV verstoße daher nicht gegen ein zugunsten des Arbeitnehmers relativ zwingendes Gesetzesrecht. Das Nichtentstehen eines Anspruches auf Weihnachtsremuneration für den Fall der Kündigung durch den Arbeitnehmer vor dem 1.Oktober des laufenden Jahres sei überdies nicht so bedeutsam, daß darin eine unzumutbare Erschwerung des Kündigungsrechtes zu erblicken wäre. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Hinblick auf § 16 AngG liege nicht vor, weil die Unterschiede in der Tätigkeit von Angestellten und Arbeitern unterschiedliche gesetzliche Regelungen rechtfertigten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der Entscheidung vom 7.11.1990, 9 Ob A 275/90 (DRdA 1991/45, 366 [Binder] = RdW 1991, 103 [Grillberger]) hat der Oberste Gerichtshof die Bestimmung des § 13 Z 5 des KV für Blumenbinder und Blumenhändler, wonach der Anspruch auf Weihnachtsgeld unter anderem entfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Zeit vom 15.Oktober bis 15. Dezember selbst kündigt, als unzulässige Erschwerung des Kündigungsrechtes nach den §§ 1158, 1159 ABGB beurteilt. Da dieses Recht nach § 1164 Abs 1 ABGB zwingend sei und durch Vereinbarungen nicht beschränkt werden dürfe, sei diese Kollektivvertragsnorm rechtsunwirksam. Die Bestimmung verstoße außerdem gegen die zwingende (§ 1164 Abs 1 ABGB) Vorschrift des § 1154 Abs 3 ABGB, wonach bereits verdientes Entgelt mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werde. Diese Entscheidung wurde von Binder (aaO 367) ablehnend besprochen. Grillberger (aaO) merkt dazu an, daß die betroffene Arbeitnehmerin eine gewerbliche Hilfsarbeiterin gewesen sei, für die die dispositive Kündigungsfrist des § 77 GewO 1859 und nicht das ABGB gelte.

Dieser Einwand ist auch im vorliegenden Fall von Bedeutung, da der Kläger als Maler gewerblicher Hilfsarbeiter im Sinn der §§ 72 ff GewO 1859 ist. Auf sein Arbeitsverhältnis zur beklagten Partei wäre daher, wenn über die Kündigungsfrist nichts anderes vereinbart worden wäre, die dispositive 14-tägige Kündigungsfrist des § 77 GewO 1859 anzuwenden. Diese dispositive Vorschrift wurde allerdings im vorliegenden Fall durch den KV verdrängt, in dessen Punkt XVII. "Kündigung" bestimmt wird, daß bei einer Betriebszugehörigkeit bis zu 20 Jahren das Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gelöst werden kann (vgl dazu Rabovsky, ABGB und Arbeitsvertragsrecht4, 251).

Die §§ 1158, 1159 ABGB sind daher im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Auf die Dauer der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers als solche kommt es aber bei der Beurteilung der Frage, ob eine unzulässige Erschwerung des Kündigungsrechtes vereinbart wurde, nicht an. Entscheidend für diese Frage ist das Gebot der Fristengleichheit sowie das Gebot, diese Kündigungsfreiheit auch nicht durch andere Abreden zu erschweren, wie zB den Verfall von Kautionen, die Vereinbarung von Vertragsstrafen, den Wegfall von Efolgsbeteiligungen oder durch die Abrede, daß der Arbeitnehmer im Falle der Kündigung bereits empfangene Leistungen wieder zurückerstatten muß (Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I3 266; Schaub Arbeitsrecht-Handbuch6, 847).

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 8.7.1992, 9 Ob A 142/92 ausgesprochen hat, läßt sich aus der Arbeitsrechtsordnung der allgemeine Rechtssatz gewinnen, daß der Arbeitnehmer in seiner Kündigungsfreiheit nicht stärker als der Arbeitgeber beschränkt werden darf. Dies folgt insbesondere aus § 1159 c ABGB, aber auch aus den sondergesetzlichen Bestimmungen des § 30 Abs 1 SchSpG und § 13 Abs 3 HGHAngG. In anderen Arbeitsrechtsbereichen (zB § 20 AngG; § 18 HBG) wird diese Tendenz noch dadurch verstärkt, daß allein die Arbeitgeber-Kündigungsfristen einseitig erweitert werden, die vom Arbeitnehmer einzuhaltenden Fristen jedoch ein gewisses Ausmaß nicht überschreiten dürfen (Binder aaO 368). Dieses Verschlechterungsverbot darf auch nicht dadurch umgangen werden, daß dem kündigenden Arbeitnehmer für den Fall der Ausübung seines Kündigungsrechts ein finanzielles Opfer in einem Ausmaß auferlegt wird, das die Kündigungsfreiheit wirtschaftlich in erheblichem Umfang beeinträchtigt.

Dieser allgemeine Grundsatz gilt auch für gewerbliche Hilfsarbeiter im Sinne der §§ 72 ff GewO 1859. Schon in der Entscheidung SZ 9/171 = JB 30 neu wurde ausgesprochen, daß die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, auf das die Gewerbeordnung Anwendung findet, nach Maßgabe der Vereinbarung zu geschehen hat, deren Inhalt aber durch § 1159 c ABGB beschränkt ist. Mit dieser Bestimmung wurde das Fristengleichheitsgebot für die im ABGB (subsidiär) geregelten Dienstverhältnisse zwingend (Krejci in Rummel ABGB2 § 1164 Rz 2) festgesetzt. Der Ansicht Binders, daß der Oberste Gerichtshof das Verhältnis zwischen den Anwendungsbereichen des ABGB und der arbeitsrechtlichen Sondergesetze in der dem erwähnten Judikat nachfolgenden Rechtsprechung so ausgelegt hat, daß die Anwendung des § 1159 c ABGB auf gewerbliche Hilfsarbeiter zweifelhaft sei (für die Anwendung zutreffend auch Rabovsky aaO 251), ist nicht zu folgen.

Gemäß § 153 III TN "bleiben die für bestimmte Dienstverhältnisse bestehenden besonderen gesetzlichen Vorschriften unberührt .......... Insoweit in den für bestimmte Dienstverhältnisse bestehenden besonderen gesetzlichen Vorschriften Bestimmungen über den Dienstvertrag nicht enthalten sind, kommt die Bestimmung des § 150" (= 26.Hauptstück des ABGB, also die §§ 1151 ff) zur Anwendung. Damit korrespondierend wird in § 72 Abs 2 GewO 1859 bestimmt, daß "in Ermangelung einer Übereinkunft zuerst die dafür erlassenen besonderen Vorschriften und dann das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch" entscheiden. Für das Verhältns zwischen dem Sondergesetz und dem ABGB ist entscheidend, ob die Regelung im Sondergesetz als abschließend zu betrachten oder nach der Teleologie des Gesetzes als lückenhaft anzusehen ist. Da § 77 GewO 1859 nur die Kündigungsfrist dispositiv regelt, fehlen für alle sonstigen Fragen des Kündigungsrechts entsprechende Vorschriften. Würde man § 77 GewO 1859 als vollständige Regelung des Kündigungsrechts begreifen, wären die Parteien auch bei der Vereinbarung ungleicher Kündigungsfristen (in jedem beliebigen Ausmaß) zu Lasten des Arbeitnehmers vollkommen frei. Eine solche Auslegung des Verhältnisses zwischen ABGB und Spezialgesetz wäre wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot verfassungswidrig. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 77 GewO 1859 und des § 151 III TN führt daher zum Ergebnis, daß die (Kollektiv-)Vertragsparteien zwar in der Festsetzung der Länge der beiderseitigen Kündigungsfrist frei sind, das einseitig zwingende Fristengleichheitsgebot des § 1159 c ABGB aber zu beachten ist und zum Nachteil gewerblicher Hilfsarbeiter auch nicht mittelbar durch eine erhebliche Erschwerung des Kündigungsrechts wiederum beeinträchtigt werden darf.

Der Hinweis Binders, daß diese Ansicht mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß KV-Bestimmungen, die aliquote Rückzahlung einer bereits empfangenen und verbrauchten Urlaubsbeihilfe für den Fall des frühzeitigen Ausscheidens anordnen, zulässig seien (ZAS 1980, 55 [Steindl] = DRdA 1979, 131 [Firlei]) in Widerspruch stehe, ist zu entgegnen, daß sich die Parteien in diesem Fall nicht auf die Unwirksamkeit des Kollektivvertrages berufen haben (vgl zu dieser Problematik Krejci in Rummel ABGB2 § 879 Rz 249). In der Entscheidung DRdA 1982/6, 112 (Wachter) = ZAS 1982, 23 (Runggaldier) ging es nur um die Frage, ob einer Kollektivvertragsbestimmung, die die aliquote Rückzahlung eines (für das ganze Jahr) bereits ausgezahlten Urlaubszuschusses im Fall eines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Kalenderjahres vorsah, gutgläubiger Verbrauch entgegengehalten werden konnte. Fragen einer Beschränkung der Kündigungsfreiheit wurden - vermutlich, weil nur eine Aliquotierungsregelung anzuwenden war - weder im Verfahren noch in den Rezensionen aufgeworfen. Die Entscheidung ZAS 1985, 97 (Hainz) steht mit dem Grundsatz der Wahrung der Kündigungsfreiheit nicht in Widerspruch.

Dem weiteren Einwand Binders, der Oberste Gerichtshof habe auch keine Bedenken gegen die Erschwerung des Kündigungsrechts durch Vereinbarungen, die den Rückersatz des Ausbildungsaufwandes vorsehen, ist entgegenzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung Arb 9065 = EvBl 1973/105 = ZAS 1975/23 sehr wohl ausgesprochen hat, daß die wirtschftliche Freiheit des Angestellten nicht übermäßig beschränkt werden dürfe. Es dürfe nicht zu einer starken und einseitigen Benachteiligung des Angestellten für den Fall kommen, daß er vor Ablauf einer bestimmten Zeit kündigt. Im übrigen ist aber die Interessenlage bei derartigen Vereinbarungen über die Rückerstattung von Ausbildungskosten eine andere als bei Vereinbarungen, wonach Sonderzahlungen zur Gänze entfallen, wenn der Arbeitnehmer sein Kündigungsrecht zu einer bestimmten Zeit ausübt. Mit der Übernahme von Ausbildungskosten, die über bloße Einschulungskosten hinausgehen und in der Regel in einem zusätzlichen, vom Arbeitgeber zu tragenden Aufwand bestehen (zB Übernahme der Kosten eines Fortbildungskurses oder der Kosten des Erwerbes des Führerscheines unter gleichzeitiger Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht für die mit der Ausbildung verbrachte Zeit) erhält der Arbeitnehmer ein zusätzliches Äquivalent, durch das er im Falle seines Ausscheidens bessere Verdienstmöglichkeiten in anderen Unternehmen hat. Dieses Äquivalent rechtfertigt es, den Arbeitnehmer in einem gewissen Rahmen mit Ausbildungskosten zu belasten, wenn er schon kurze Zeit nach Abschluß der Ausbildung kündigt und damit die auf Kosten des Arbeitgebers erworbenen zusätzlichen Fähigkeiten diesem nicht mehr zur Verfügung stellt. Die vorliegende Regelung, die auch unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses den Entfall des Anspruches auf Weihnachtsremuneration vorsieht, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor dem 1.Oktober des laufenden Jahres kündigt, kann jedenfalls nicht mit dem Interesse des Arbeitgebers gerechtfertigt werden, sich für die aufgewendeten Einschulungs- und Ausbildungskosten eine gewisse Mindestdauer des Arbeitsverhältnisses zu sichern.

Der Fall einer freiwilligen Zuwendung, bei der der Arbeitgeber den Anspruch an die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einem bestimmten Stichtag knüpfen kann, liegt nicht vor. Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob die durch Punkt VI lit d KV mittelbar bewirkte Einschränkung der Kündigungsfreiheit ein solches Ausmaß erreicht hat, daß der Verlust dieses Betrages durchschnittliche Arbeitnehmer von der beabsichtigten Kündigung (vor allem zum Zweck des Antrittes eines anderen bevorzugten Arbeitsplatzes) abhalten kann. Nach Binder (aaO 369) trifft dies erst zu, wenn eine im Vergleich zum Entgelt "hohe" Leistung verlorengeht oder zu viele Kündigungsmöglichkeiten, die sonst zustünden, ausgelassen werden müßten.

Die Schwelle einer erheblichen Beeinträchtigung wurde aber im vorliegenden Fall überschritten, da nach den bestehenden Kündigungsvorschriften für beide Arbeitsvertragspartner ein sehr hohes Maß an Kündigungsfreiheit besteht. Diese Freiheit wird auf der Seite des Arbeitnehmers durch den Entfall der Weihnachtsremuneration in den in Punkt VI lit d KV geregelten Fällen der Kündigung einseitig erheblich erschwert, gehen doch dem Arbeitnehmer, der knapp vor dem 1. Oktober des laufenden Jahres kündigt, rund 3/4 eines Monatslohnes verloren. Für Arbeitnehmer in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen bedeutet dies eine starke Motivation, von einer beabsichtigten Kündigung (vorläufig) Abstand zu nehmen. Die Beeinträchtigung der Kündigungsfreiheit durch Punkt VI lit d KV ist daher beträchtlich, so daß diese Bestimmung unwirksam ist.

Der Revision ist daher Folge zu geben und im Sinne des Klagebegehrens zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E32218

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00154.92.0902.000

Dokumentnummer

JJT_19920902_OGH0002_009OBA00154_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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