TE OGH 1992/9/16 9ObA195/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.1992
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Pipin Henzl und Ferdinand Rodinger in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E*****genossenschaft ***** reg.Gen.m.b.H, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt*****, wider die beklagte Partei G***** F*****, Pensionist, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wegen 220.000 S (Streitwert im Revisionsverfahren 200.000 S), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. April 1992, GZ 34 Ra 18/92-31, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.Juli 1991, GZ 26 Cga 30/91-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hat zwar die Bilanzbuchhalterprüfung nicht abgelegt, hat sich aber entsprechende Kenntnisse in der Praxis angeeignet. Er war im Betrieb der klagenden Partei als Leiter des Rechnungswesens beschäftigt und hatte die Buchhaltung (bis 1985 mit Erstellung der Bilanzen) und die Lohnverrechnung zu führen. Außerdem oblag ihm die Preiskalkulation und er wurde auch zur Besorgung allgemeiner Büroarbeiten sowie zur Erledigung von Behördenwegen und der Korrespondenz herangezogen. Seit 1983/84 fielen die Kassagebarung sowie die Führung des Kassabuches in den Aufgabenbereich von M***** S*****, die dem Beklagten unterstellt war. In die Kasse flossen einerseits die im Verkaufsraum der Genossenschaft durch Barverkäufe erzielten Einnahmen, andererseits jene Beträge, welche die Chauffeure, die die Ware an die Mitglieder der Genossenschaft auslieferten, kassierten. M***** S***** oblag es auch, mit diesem Geld die Lieferantenrechnungen zu bezahlen. Sie begann 1984 Gelder der Kassa für persönliche Zwecke zu entnehmen, wobei sie, um dies zu verheimlichen, im Kassabuch mehr Lieferantenrechnungen als bezahlt eintrug. Belege für diese angeblichen Zahlungsvorgänge produzierte sie durch Fälschen von Quittungsvermerken (von Poststempeln). Den im Laufe der Zeit immer größer werdenden Fehlbetrag deckte sie schließlich im Jänner 1988 durch die Konstruktion eines Darlehens über einen Betrag von 590.000 S an sich selbst ab, wobei der hiefür produzierte Beleg allerdings keine Anweisung zu Auszahlung durch einen hiezu Berechtigten aufwies. Ebensowenig ergab sich daraus die Bewilligung des Darlehens durch den Vorstand. Um zu vermeiden, daß der Aufsichtsrat den hohen Betrag im Kassabuch merke, schrieb M***** S***** das gesamte Kassabuch mit allen Prüfungsvermerken neu, wobei sie das fingierte Darlehen auf einer bereits überprüften Seite eintrug. Das Kassabuch sowie der effektive Kassastand wurden vom Aufsichtsrat bei seinen in regelmäßigen Abständen stattfindenden Sitzungen überprüft. Es handelte sich dabei jedoch nicht um eine genaue Kontrolle aller fortlaufenden Eintragungen, sondern bloß um eine stichprobenartige Prüfung der größeren Posten. Zu einer bestimmten Zeile des Kassabuches ließ sich der Aufsichtsrat den dazu gehörigen Beleg vorlegen und überprüfte seine Übereinstimmung mit dem Kassabuch, nicht jedoch mit der zugrundeliegenden Rechnung. Anschließend wurde beides mit einem Prüfungsvermerk versehen. Die Verbuchung des Kassabuches gehörte zum Aufgabenbereich des Beklagten. Dieser führte die Buchungen nicht an Hand der Belege, sondern nach den Kassabucheintragungen durch. Nur in Fällen, in denen dies aus steuerlichen Gründen nötig war (Vorsteuerabzug), griff er auf die Originalrechnungen zurück. Ein Bilanzbuchhalter und Leiter des Rechnungswesens hat Buchungen nur auf Grund der Belege vorzunehmen, seien dies interne Unterlagen mit ordnungsgemäßer Billigung des zuständigen Organes oder externe Unterlagen (zB Lieferantenrechnungen). Dem Buchhalter obliegt es, Belege sowohl formell auf ihr äußeres Erscheinungsbild, als auch materiell im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Sinnhaftigkeit bzw Verständigkeit hin zu prüfen. Die Buchhaltung des Beklagten war überdies niemals tagfertig. Rückstände von zwei bis drei Monaten bei der Verbuchung des Kassabuches waren an der Tagesordnung; maximal betrug der Rückstand bis zu sechs Monate. Insbesondere in den Jahren 1983 bis 1985 traten derartige Rückstände auf. Sie waren einerseits durch krankheitsbedingte Abwesenheit des Beklagten, andererseits durch allgemeine berufliche Überlastung hervorgerufen worden. Im Jahre 1986 wurde daher ein Wirtschaftstreuhänder herangezogen, um den Beklagten bei der Aufarbeitung der Rückstände zu unterstützen. Das fingierte Darlehen M***** S*****s (Beleg vom 22.1.1988) wurde erst im Mai 1989 verbucht, wobei der Beklagte von M***** S***** die Auskunft erhielt, das Darlehen sei vom Aufsichtsrat bestätigt worden. Der zuständigen Sachbearbeiterin der Wirtschaftstreuhänderkanzlei fiel die Höhe des Darlehens bei Erstellung der Bilanz für die klagende Partei auf. Sie erhielt vom Beklagten jedoch die Auskunft, daß das Darlehen vom Aufsichtsrat genehmigt worden sei. Die Manipulationen der M***** S***** wurden erst anläßlich einer Revision durch den Genossenschaftsverband im November 1989 aufgedeckt. Den Prüfern des Revisionsverbandes fiel die Auszahlung des Darlehens ohne die zwingend vorgeschriebene Bewilligung des Vorstandes auf. Eine Rückfrage ergab, daß weder der Aufsichtsrat noch der Vorstand von der Darlehensgewährung informiert waren. Bei einem Kassasturz wurde überdies ein Fehlbetrag von 224.510,80 S festgestellt. Im Zeitpunkt dieser Prüfung war der Beklagte nicht mehr bei der klagenden Partei beschäftigt; sein Dienstverhältnis war unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist zum 30.9.1989 gekündigt worden. Der Beklagte bezieht einen Pensionsvorschuß.

Die klagende Partei begehrt die Zahlung eines Betrages von 220.000 S. Der Beklagte habe durch mangelhafte Erfüllung der ihm als Buchhalter und Leiter des Rechnungswesens obliegenden Verpflichtungen den der klagenden Partei durch die Geldentnahmen aus der Kassa entstandenen Schaden grobfahrlässig verschuldet. Besonders schwer wiege die Verbuchung des Darlehens von 590.000 S ohne Rückfrage, ob tatsächlich eine Darlehensbewilligung erfolgt sei. Die in der Folge weitererfolgten Geldentnahmen seien nur möglich gewesen, weil die klagende Partei wegen der Nichtaufdeckung der Vorgänge im Zusammenhang mit der fingierten Darlehensgewährung, die dem Beklagten zuzurechnen sei, nicht in der Lage gewesen sei, gegen M***** S***** entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Er habe keinen Grund gehabt, an der Darlehensgewährung an M***** S***** zu zweifeln, weil diese bereits dreißig Jahre im Unternehmen beschäftigt und sehr angesehen und beliebt gewesen sei. Die Buchungen seien jeweils erst nach Abschluß eines Kalendermonats durchgeführt worden, um sicherzugehen, daß die Kassa durch den Aufsichtsrat bereits geprüft sei. Die Kassaprüfung sei nämlich dem Aufsichtsrat oblegen, der die Kontrolle auch monatlich durchgeführt habe. Die Prüfung der Belege sei dem Beklagten nicht notwendig erschienen und es habe auch kein Auftrag in dieser Richtung bestanden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt, verpflichtete den Beklagten zum Ersatz eines Betrages von S 100.000 sA und wies das Mehrbegehren von S 120.000 sA ab. Der Beklagte habe dadurch, daß er einerseits ohne Belege gebucht habe und andererseits große Buchungsrückstände habe auflaufen lassen, die Malversationen M***** S*****s ermöglicht. Allerdings treffe den Vorstand und den Aufsichtsrat der klagenden Partei ein Mitverschulden. Im Hinblick auf die ungünstigen Arbeitsbedingungen des Klägers und auf seine krankheitsbedingten Abwesenheiten sei die Mäßigung des Ersatzes auf 100.000 S gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Teilen erhobenen Berufungen nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und trat dessen rechtlicher Beurteilung im wesentlichen bei.

Gegen den die Abweisung eines Teilbetrages von S 100.000 sA betreffenden Teil dieses Urteils richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren mit einem Betrag von insgesamt S 200.000 sA stattgegeben werde.

Der Beklagte beantragt mit seiner auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revision die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung.

Beide Teile beantragen, der Revision der Gegenseite jeweils nicht Folge zu geben.

Beide Revisionen sind nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorschrift des § 2 Abs 2 DHG enthält die Kriterien, die bei der Entscheidung über die Verpflichtung eines Dienstnehmers zum Ersatz eines durch ein Versehen herbeibegführten Schadens zu berücksichtigen sind. Bei Lösung der Frage, ob und in welchem Umfang Gründe der Billigkeit eine Mäßigung des Ersatzes rechtfertigen, sind danach vor allem das Ausmaß des Verschuldens sowie die in § 2 Abs 2 Z 1 - 5 DHG genannten Umstände zu berücksichtigen. Die Vorinstanzen haben auf dieser Grundlage über die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz des der klagenden Partei entstandenen Schadens richtig entschieden.

Der Schaden von 590.000 S resultiert nicht aus der Konstruktion der Darlehensgewährung durch M***** S*****. Diese hatte vielmehr zuvor bereits Jahre hindurch Geld der Kasse illegal entnommen, und der Darlehensbetrag diente nach den Feststellungen nur der Bedeckung des bis dahin dadurch entstandenen Kassenfehlbetrages; der Schaden war jedoch bereits durch die Malversationen bei der Kassaführung in den Jahren davor entstanden. Daß M***** S***** jahrelang laufend Beträge aus der Kassa für sich abzweigen konnte, wurde dadurch ermöglicht, daß der Beklagte unter Verletzung wesentlicher Grundsätze einer ordnungsgemäßen Buchführung die Buchungen nur an Hand des Kassabuches und nicht an Hand der Belege durchführte. Der Beklagte war als Bilanzbuchhalter beschäftigt. Da die Prüfung der Belege anläßlich der Buchung zum Aufgabenkreis eines Bilanzbuchhalters gehört, bedurfte es eines besonderen Auftrages in dieser Richtung nicht. Hätte der Beklagte seiner Verpflichtung zur formellen und materiellen Prüfung der Belege entsprochen, so wären die Geldentnahmen der M***** S***** schon nach kurzer Zeit aufgefallen, zumal die Fälschung von Quittungsvermerken (insbes die Nachahmung von Poststempeln) bei einer ordnungsgemäßen Belegprüfung nicht unentdeckt geblieben wäre. Daß sich die Kontrolle durch die Funktionäre der klagenden Partei auf eine stichprobenweise Überprüfung beschränkte, mußte dem Beklagten klar sein. Diese Überprüfung entband ihn nicht von der ihm als Bilanzbuchhalter obliegenden Verpflichtung zur Belegkontrolle. Es war entbehrlich zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt dem Beklagten die Unregelmäßigkeiten S*****s erstmalig hätten auffallen müssen. Es mag sein, daß die allerersten Belege S*****s nicht sofort einen Verdacht begründen mußten, doch wären ihre Umtriebe jedenfalls nach kürzester Zeit ans Tageslicht gekommen und es hätte bei ordnungsgemäßer Vorgangsweise des Beklagten der größte Teil des Schadens von 590.000 S vermieden werden können.

Dies reicht aber für die im Rahmen einer Billigkeitserwägung zu treffende Entscheidung über den Umfang der Ersatzpflicht des Beklagten hin; da der Beklagte nur zum Ersatz eines sehr geringen Teiles des Schadens verpflichtet wurde, kommt der genauen ziffernmäßigen Höhe des Schadens keine entscheidende Bedeutung zu, zumal feststeht, daß er den weitaus größten Teil des Schadens zu vertreten hat.

Bei Gewichtung des Verschuldens des Beklagten ist neben dem Umstand, daß er durch zahlreiche andere Aufgaben, die er neben seiner eigentlichen Tätigkeit zu besorgen hatte, jedenfalls bis zum Zeitpunkt der fingierten Darlehensgewährung zu berücksichtigen, daß M***** S***** jahrzehntelang bei der klagenden Partei beschäftigt war und nicht nur das volle Vertrauen des Beklagten genoß, sodaß der Umstand, daß er die Belegkontrolle unterließ, nicht so schwer wiegt, daß ein besonders grober Sorgfaltsverstoß angenommen werden müßte. Sein Verschulden liegt aber an der oberen Grenze der leichten Fahrlässigkeit. Völlig unverständlich war jedoch die Vorgangsweise des Beklagten im Zusammenhang mit der fingierten Darlehensgewährung an M***** S*****. Hätte er auch nur die elementarsten Grundsätze seiner Aufgabe als Bilanzbuchhalter beachtet, wären spätestens zu diesem Zeitpunkt die Malversationen aufgedeckt worden und dies hätte weitere Geldentnahmen aus der Kassa verhindert. Auch die Tatsache, daß der Beklagte die Buchung erst mehr als ein Jahr nach der Kassabucheintragung vornahm, wiegt schwer. Hätte er seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen laufenden Buchführung entsprochen, wäre die Darlehensgewährung unmittelbar nach der entsprechenden Eintragung im Kassabuch aufgefallen. Besonders im Hinblick auf den hohen Betrag des angeblichen Darlehens hätte sich eine Nachprüfung geradezu aufgedrängt. Die Vorgangsweise des Beklagten war diesbezüglich insgesamt grobfahrlässig. Dadurch wurde ermöglicht, daß M***** S***** in der folgenden Zeit noch weitere 224.510,80 S aus der Kassa entwenden konnte.

Aber auch den Organen der klagenden Partei ist ein erhebliches Verschulden zuzurechnen. Es war ihnen jahrelang bekannt, daß die Buchführung Mängel aufwies, daß insbesonders zufolge der Arbeitsweise des Beklagten wesentliche Verzögerungen auftraten. Da sie dagegen nicht entsprechend vorgegangen sind, mußte dies beim Beklagten geradezu den Eindruck erwecken, die klagende Partei habe sich mit seiner schlampigen Buchführung abgefunden. Auch die stichprobenweise Überprüfung der Kassaführung wurde offenbar nicht effektiv vorgenommen, weil es sonst nicht erklärlich wäre, daß die zahlreichen Fälschungen S*****s dabei jahrelang unentdeckt blieben. Zudem wurde der Beklagte neben seiner Tätigkeit als Buchhalter mit zahlreichen anderen Aufgaben betraut. Er hatte die Kalkulation vorzunehmen, Behördenwege zu erledigen und die Korrespondenz zu besorgen. Ohne daß es erforderlich wäre, die genauen zeitlichen Komponenten der Inanspruchnahme durch die verschiedenen Tätigkeiten zu erheben, kann jedenfalls davon ausgegangen werden, daß der Beklagte, der an sich als Bilanzbuchhalter beschäftigt war, durch die Erledigung der zahlreichen anderen Aufgaben über Gebühr belastet war und dies die Bedingungen, unter denen er seine Tätigkeit zu verrichten hatte (§ 2 Abs 2 Z 4 DHG), entscheidend verschlechterte.

Wiegt man diese Komponenten gegeneinander ab, so bestehen dagegen, daß die Vorinstanzen die Ersatzverpflichtung des Beklagten auf 100.000 S mäßigten und ihn zum Ersatz dieses Betrages verpflichteten, keine Bedenken.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.

Anmerkung

E32091

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00195.92.0916.000

Dokumentnummer

JJT_19920916_OGH0002_009OBA00195_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten