TE OGH 1992/9/29 10ObS219/92

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Veröffentlicht am 29.09.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Weinke (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Wilhelm Patzold (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anna *****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr.Silvia Groß-Stampfl, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeiststraße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. April 1992, GZ 7 Rs 8/92-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 12. September 1991, GZ 21 Cgs 234/90-18, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurskosten sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der nach § 527 Abs 2 ZPO und § 45 Abs 3 ASGG zulässige Rekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Da das Berufungsgericht überhaupt keine Feststellungen getroffen, sondern das Urteil des Erstgerichtes wegen Feststellungsmängeln aufgehoben hat, ist der Vorwurf, es sei ohne Beweiswiederholung von den erstgerichtlichen Feststellungen abgewichen, unbegründet. Insoweit kann aber auch von einer Aktenwidrigkeit keine Rede sein. Die Rekursausführungen zu dem psychiatrischen Sachverständigengutachten betreffen ausschließlich Fragen der Beweiswürdigung.

Die im angefochtenen Beschluß enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist richtig (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist auszuführen:

Daß es bei Beurteilung des Berufsschutzes nach § 273 Abs 3 lit c ASVG nur auf die gleiche oder gleichartige Tätigkeit in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate (und nicht Kalendermonate) während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ankommt, wurde in den Entscheidungen vom 24.3.1992, 10 Ob S 38/92, und vom 7.4.1992, 10 Ob S 129/91, eingehend begründet. Daß die Klägerin in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nur 7 Beitragsmonate erwarb, davon 6 Beitragsmonate als Kundenbetreuerin für Staubsauger, würde einem Berufsschutz nach § 273 Abs 3 lit c ASVG (§ 255 Abs 4 lit c ASVG) daher nicht grundsätzlich entgegenstehen.

In einer weiteren (nicht veröffentlichten) Entscheidung vom 16.6.1992, 10 Ob S 143/92, wurde ausgeführt, daß ebensowenig wie ein Versicherter auf eine Berufstätigkeit verwiesen werden darf, die er nur unter der Voraussetzung eines besonderen Entgegenkommens seines Arbeitgebers verrichten kann, eine solche - nur bei besonderem Entgegenkommen des Arbeitgebers mögliche - Tätigkeit als eine Tätigkeit im erlernten Beruf (im Sinne des dort maßgeblichen § 255 Abs 1 ASVG) angesehen werden kann. Der Versicherte war nach dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt bereits damals als Maurer praktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, während die Arbeitsbedingungen an seinem konkreten Arbeitsplatz nicht denjenigen am allgemeinen Arbeitsmarkt im Beruf des Maurers entsprachen. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit - sowohl nach § 255 ASVG wie auch nach § 273 ASVG - setzt voraus, daß sich der körperliche und geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn seiner Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert hat (SSV-NF 1/33, 1/67 ua). Bestand hingegen schon bei Antritt der Arbeit die Gewißheit, daß durch diese schon nach kürzester Zeit Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Invalidität oder Berufsunfähigkeit eintreten wird, so entsteht kein Anspruch auf die Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension, wenn dieser Zustand in der Folge tatsächlich eintritt (SSV-NF 4/60 = SZ 63/61). Dieser Grundsatz muß nicht nur in Fällen des erstmaligen Eintrittes in das Berufsleben gelten, sondern auch bei Antritt einer neuen Beschäftigung etwa wie im Fall der Klägerin nach jahrelanger Nichtbeschäftigung (sie hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, also im Zeitraum vom 1.9.1975 bis zum 1.9.1990 Beitragsmonate nur im Mai 1989 und von März bis August 1990 erworben). Bestand schon bei Antritt der hier für den Berufsschutz maßgeblichen Tätigkeit als Kundenbetreuerin für Staubsauger im März 1990 die Gewißheit, daß durch diese Tätigkeit schon nach kürzester Zeit Arbeitsunfähigkeit eintreten wird, konnte also diese Tätigkeit von Anfang an nur auf Kosten der Gesundheit ausgeübt werden und war sie an sich von Anfang an nicht zumutbar, weil mit dem medizinischen Leistungskalkül unvereinbar, dann ist Berufsschutz nach § 273 Abs 3 lit c ASVG zu verneinen und die Berufsunfähigkeit der Klägerin nach § 273 Abs 1 ASVG zu prüfen. Dazu fehlen aber ausreichende Tatsachenfeststellungen.

Wenn das Berufungsgericht die Feststellungen zu der Krankenstandsprognose für ergänzungsbedürftig ansieht, so kann der Oberste Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten. Im Sinne der neuesten Rechtsprechung des erkennenden Senates besteht ein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt allerdings bereits dann, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit leidensbedingte Krankenstände von 7 Wochen jährlich zu erwarten sind, wobei die durch andere Ursachen wie Erkältungen udgl hervorgerufenen Krankenstände nicht zu berücksichtigen sind (10 Ob S 119/92, 10 Ob S 184/92).

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes, das berufskundliche Gutachten werde gegebenenfalls dahin zu ergänzen sein, ob es nicht andere Vertretertätigkeiten gebe, denen die Klägerin auf Grund des medizinischen Leistungskalküls von vornherein gewachsen gewesen wäre und noch immer gewachsen sei, sind allerdings zu relativieren: Ist die geminderte Arbeitsfähigkeit nach § 255 Abs 4 ASVG oder nach § 273 Abs 3 ASVG zu beurteilen, kann der Versicherte auf alle Tätigkeiten verwiesen werden, die im Kernbereich dieselben Anforderungen stellen, wie die von ihm in den letzten 15 Jahren überwiegend ausgeübten Berufe. Nebentätigkeiten, die mit dem ausgeübten Beruf nicht typischerweise verbunden sind, haben bei Prüfung der Verweisbarkeit außer Betracht zu bleiben (SSV-NF 5/120). Die Klägerin könnte daher im Rahmen des § 273 Abs 3 ASVG nicht auf alle, sondern nur auf solche Vertretertätigkeiten verwiesen werden, die im Kernbereich dieselben Anforderungen stellen wie die von ihr ausgeübte Tätigkeit einer Kundenbetreuerin für Staubsauger.

Da die Rechtssache aus den dargelegten Gründen nicht spruchreif ist, mußte dem Rekurs ein Erfolg versagt bleiben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Anmerkung

E30331

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00219.92.0929.000

Dokumentnummer

JJT_19920929_OGH0002_010OBS00219_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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