TE OGH 1992/10/22 1Ob599/92

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Veröffentlicht am 22.10.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Warta, Dr. Schlosser und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Unterbringungssache des Mag. Alfred A***** infolge Revisionsrekurses des Abteilungsleiters des Landes-Nervenkrankenhauses V***** in R***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 12. August 1992, GZ 1 b R 171/92-7, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 27. Juli 1992, GZ Ub 262/92-4, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Patient wurde am 22. Juli 1992 auf einer geschlossenen Station des Landes-Nervenkrankenhauses V***** in R***** aufgenommen. Nach der Aufnahme erklärte er den behandelten Ärzten gegenüber, er bleibe freiwillig in der Anstalt. Dem Patientenanwalt gegenüber äußerte er sich hingegen dahin, er fühle sich nicht krank und würde nach Hause gehen, wäre die Stationstür nicht versperrt. Auf diese Äußerung hin vertrat der Patientenanwalt dem zuständigen Oberarzt gegenüber die Auffassung, der Patient müsse untergebracht werden.

Da dies am darauffolgenden Tag noch immer nicht geschehen war, führte der Erstrichter mit dem Patienten ein Gespräch und teilte danach den Stationsärztinnen mit, er hege Zweifel an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit und damit auch an der Freiwilligkeit des Entschlusses des Patienten, sodaß er untergebracht werden möge.

Noch am selben Tag erklärte der Patient allerdings Ärzten gegenüber, er halte sich auf der geschlossenen Station freiwillig auf und möge deshalb keinesfalls untergebracht werden; er sei krank und müsse daher behandelt werden.

Der Patient wurde deshalb nicht untergebracht, weil festgestellt wurde, daß er damals weder sein Leben oder seine Gesundheit noch das Leben oder die Gesundheit anderer gefährdete.

In der Folge wurde der Patient auf seinen Wunsch auf eine andere geschlossene Station verlegt. Es war ihm freigestellt worden, entweder auf einer geschlossenen oder einer offenen Station behandelt zu werden. Er entschied sich für die Behandlung auf der geschlossenen Station. Auch zu diesem Zeitpunkt war keine Gesundheitsgefährdung für ihn oder andere zu befürchten. Er war damals auch in der Lage, die Folgen eines Aufenthalts auf einer geschlossenen Station richtig abzuschätzen.

Am 27. Juli 1992 erklärte der Patient dem Erstrichter gegenüber, er sei bisher mit dem Aufenthalt auf einer geschlossenen Station einverstanden gewesen, er könne sich allerdings derzeit nicht entscheiden, wie es weitergehen solle.

Das Erstgericht stellte darauf das am selben Tag eingeleitete Unterbringungsverfahren ein. Zur Begründung führte es aus, ungeachtet der Bestimmungen der §§ 3 und 4 UbG müsse es jeder einsicht- und urteilsfähigen Person freistehen, sich zu einer Behandlung und Betreuung auf einer geschlossenen Station zu entschließen. Dem Patienten müsse das Recht eingeräumt werden, seinen Aufenthaltsort in einer psychiatrischen Krankenanstalt frei zu wählen. Da somit die Voraussetzungen für die Durchführung eines Unterbringungsverfahrens nicht vorlägen, sei das eingeleitete Verfahren einzustellen.

Das Gericht zweiter Instanz trug dem Erstgericht über Rekurs des Patientenanwalts die Fortsetzung der Unterbringungsverfahrens auf und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, die am 22. Juli 1992 erfolgte Aufnahme des Patienten auf einer geschlossenen Station sei eine Unterbringung im Sinne des § 2 UbG, sodaß das Unterbringungsverfahren jedenfalls durchzuführen sei. In diesem Verfahren habe das Erstgericht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung vorlägen, was vom Rekursgericht derzeit mit Sicherheit nicht verneint werden könne. Das Erstgericht habe nämlich in seinem Beschluß festgestellt, eine Unterbringung sei nicht erfolgt, weil beim Patienten „zum damaligen Zeitpunkt“ (also am 23. Juli 1992) eine ernste und erhebliche Gesundheitsgefährdung weder für ihn selbst noch für andere vorgelegen sei; im Zusammenhang mit der Verlegung auf eine andere geschlossene Station habe es weiters festgestellt, daß dies deshalb geschehen sei, weil die Ärzte Freiwilligkeit angenommen hätten, obwohl eine Gesundheitsgefährdung nicht vorgelegen sei. Die Auffassung des Erstgerichts, jeder einsichts- und urteilsfähigen Person müsse die Entscheidung überlassen werden, ob sie auf einer geschlossenen oder auf einer offenen Station behandelt bzw. betreut wird, stehe mit der klaren gesetzlichen Regelung nicht im Einklang. Aus den Bestimmungen des Unterbringungsgesetzes über die Unterbringung auf Verlangen (und somit auch über die Anhaltung in einem geschlossenen Bereich) sei abzuleiten, daß der Patient ohne Zutreffen der Voraussetzungen für die Unterbringung (§ 3 UbG) und ohne Einhaltung der im Gesetz angeführten weiteren Bedingungen nicht angehalten werden dürfe, selbst wenn er das ausdrücklich verlangt habe und soweit auch über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfüge. Jede Unterbringung im Sinne des § 2 UbG stelle einen Freiheitsentzug dar, der auch bei Freiwilligkeit einer bestimmten Kontrolle bedürfe. Da der Patient zweifellos im Sinne des § 2 UbG untergebracht sei, in diesem Fall aber die Bestimmungen des Unterbringungsgesetzes Anwendung fänden und eine Unterbringung ohne Bedachtnahme auf die Bestimmungen dieses Gesetzes nicht vorgesehen sei, müsse bei der gegebenen Sachlage ein Unterbringungsverfahren durchgeführt werden. Bei anderer Auslegung dieser Bestimmungen wäre die Freiwilligkeit der Aufnahme in einem geschlossenen Bereich in dem vom Erstgericht beurteilten Fall nicht überwachbar, wogegen eine gerichtliche Überwachung bei der Unterbringung auf Verlangen gemäß § 4 UbG vorgesehen sei. Darin läge ein Wertungswiderspruch.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Abteilungsleiter (§ 4 Abs 2 UbG) erhobene Revisionsrekurs ist zwar zulässig, weil dessen Rechtsmittelrecht der Abwehr eines durch eine gerichtliche Entscheidung in der Sache erhobenen Vorwurfs einer gesetzwidrigen Vorgangsweise einem Kranken gegenüber dient (vgl EvBl. 1992/145) und dem rekursgerichtlichen Beschluß der Vorwurf zugrunde liegt, daß die Anstalt den Patienten zu Unrecht in einem geschlossenen Bereich anhalte, das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Nach den Materialien (JAB, 1202 BlgNR 17. GP, 2 f) ist ausschließlich der Schutz der Persönlichkeitsrechte - insbesondere des Rechts auf die körperliche Bewegungsfreiheit (vgl EvBl 1992/101) - psychisch Kranker in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten (8 Ob 593/91; 7 Ob 586/91) Ziel des Unterbringungsgesetzes. Dieser Zielsetzung entsprechend erstreckt sich der Geltungsbereich dieses Gesetzes auf alle Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden; diese Beschränkungen werden insgesamt unter dem Begriff „Unterbringung“ zusammengefaßt (§ 2 UbG). Nach § 3 UbG darf in einer Anstalt nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet (Z 1) und nicht in anderer Weise - insbesondere außerhalb einer Anstalt - ausreichend ärztlich behandelt und betreut werden kann (Z 2). Aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmungen ergibt sich zwingend, daß die Anhaltung in einem geschlossenen Bereich einer Anstalt oder Abteilung stets nur unter den im § 3 UbG umschriebenen Voraussetzungen zulässig, dann aber auch geboten ist, ohne Unterschied, ob die betroffene Person auf eigenes Verlangen (§ 4 UbG) oder gegen oder ohne ihren Willen (§ 8 UbG) aufgenommen wird. Für eine „freiwillige“ Anhaltung oder Betreuung eines Patienten in einem geschlossenen Bereich einer Anstalt oder Abteilung ohne Unterbringung iSd § 2 UbG bietet das Gesetz keine Handhabe.

Da feststeht, daß sich der Patient seit seiner Aufnahme in die Anstalt auf einer geschlossenen Station befindet, ist er dort im Sinne des § 2 UbG untergebracht, so daß das Erstgericht das über Verständigung durch den Patientenanwalt eingeleitete Unterbringungsverfahren nicht hätte mit der Begründung einstellen dürfen, daß dem in seiner Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht beeinträchtigten Patienten die freie Wahl seines Aufenthaltes in einem geschlossenen Anstaltsbereich unabhängig vom Zutreffen der allgemeinen (§ 3 UbG) und der besonderen Voraussetzungen der Unterbringung auf Verlangen (§ 4 UbG) gewahrt bleiben müsse. Das Argument, beim Patienten liege ohnehin die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit vor, erweist sich in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht als stichhältig, ist diese doch eine der besonderen Voraussetzungen für die Unterbringung auf Verlangen: Auf eigenes Verlangen darf eine Person, bei der die (allgemeinen) Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, nur dann untergebracht werden, wenn sie Grund und Bedeutung der Unterbringung einzusehen und ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen vermag (§ 4 Abs 1 UbG). Auch die vom Rechtsmittelwerber ins Treffen geführten medizinischen Erwägungen können diese aus dem Gesetz unmittelbar ableitbaren Schlußfolgerungen nicht entkräften, weil der Rechtsschutz vom Gesetz auch auf die auf ihr eigenes Verlangen untergebrachten Personen ausgedehnt wurde. Beweggründe für diesen Rechtsschutz waren unter anderem die Kontrolle der „Freiwilligkeit“, die Tatsache, daß sich, ist der Patient einmal aufgenommen, die Unterbringung auf Verlangen von der zwangsweisen Unterbringung in ihrer Durchführung nicht unterscheidet, und die Unterbringung auf Verlangen letztlich ohnehin weitgehend bloß fiktive Züge trägt (Kopetzki, Unterbringungsgesetz, RZ 164 und 165): Liegen nämlich die allgemeinen Unterbringungsvoraussetzungen gemäß § 3 UbG vor, hat der Kranke nur die Wahl zwischen „freiwilliger“ und „unfreiwilliger“ Unterbringung, nicht aber auch die Wahl zwischen der Unterbringung und deren Unterbleiben. Fehlen dagegen die Voraussetzungen nach § 3 UbG, ist der Patient ohnehin zu entlassen, jedenfalls aber die Unterbringung aufzuheben (§ 32 UbG).

Da das Erstgericht von der Unterbringung Kenntnis erlangt hat und es zweifelhaft war, ob überhaupt die allgemeinen Unterbringungsvoraussetzungen vorliegen, hat ihm das Gericht zweiter Instanz zu Recht die Fortsetzung des Verfahrens zur Prüfung der Zulässigkeit der Unterbringung aufgetragen.

Dem Revisionsrekurs des Abteilungsleiters ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

Textnummer

E34291

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00599.92.1022.000

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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