TE OGH 1992/11/10 10ObS261/92

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Veröffentlicht am 10.11.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Köck (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Kurt Retzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ferdinand G*****, Landwirt, ***** Enns,***** vertreten durch Dr.Alfred Haslinger, DDr.Heinz Mück, Dr.Peter Wagner und Dr.Walter Müller, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1020 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Teilersatz der Bestattungskosten, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.Juli 1992, GZ 13 Rs 46/92-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2.Dezember 1991, GZ 9 Cgs 97/91-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.175,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 362,56 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 12.Jänner 1974 geborene Sohn des Klägers, Markus, war Schüler an der Höheren landwirtschaftlichen Bundeslehranstalt in St.Florian bei Linz. Am 4.März 1991 fuhr er nach Unterrichtsschluß um 12,20 Uhr von der Schule nicht nach Hause, sondern zu seiner in Kristein bei Enns wohnhaften Großmutter, um dort, wie öfters vor Schularbeiten oder Tests, von seinen drei Geschwistern ungestört seine schulischen Vorbereitungsarbeiten verrichten zu können. Am Nachmittag des 4.März 1991 verrichtet er tatsächlich keine privaten Angelegenheiten, sondern ausschließlich schulische Arbeiten, er schrieb insbesondere ein Referat und bereitete sich auch in anderer Weise für die Schule vor. Sogleich nach Beendigung seiner Schulaufgaben setzte er am Abend den Heimweg zu seinem Elternhaus fort. Um etwa 19 Uhr 05 kam er mit seinem Kleinmotorrad auf der Harr-Bezirksstraße im Gemeindegebiet von Enns aus ungeklärter Ursache rechts von der Fahrbahn ab; er prallte frontal gegen einen Telegrafenmasten, erlitt schwerste Schädelverletzungen und verstarb etwa eine Stunde nach dem Unfall. Der Unfall geschah an einer Stelle, die der Sohn des Klägers auch dann passiert hätte, wenn er auf direktem Weg von der Schule nach Hause gefahren wäre.

Die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt lehnte mit Bescheid vom 12.Juni 1961 den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Teilersatz der Bestattungskosten gemäß §§ 175 Abs 4 und 214 ASVG mit der Begründung ab, daß kein unter Versicherungsschutz stehender Arbeitsunfall vorliege.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, "das Ereignis vom 4.März 1991 als Arbeitsunfall anzuerkennen" und dem Kläger den Teilersatz der Bestattungskosten im gesetzlichen Ausmaß binnen 14 Tagen bei Exekution zu leisten. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Sohn des Klägers als Schüler einer landwirtschaftlichen Schule gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit. h ASVG in der Unfallversicherung teilversichert gewesen sei und gemäß § 175 Abs 4 ASVG daher Versicherungsschutz für Unfälle bestünden, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dieser Schulausbildung ereignen würden. Auch Wegunfälle seien bei der nach dieser Gesetzesstelle vorgesehenen entsprechenden Anwendung des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG geschützt, wenn sie sich auf einem mit der Schulausbildung zusammenhängenden Weg zur oder von der Ausbildungsstätte ereignen. Ein solcher Wegunfall liege vor. Der Sohn des Klägers sei ausschließlich deshalb zu seiner Großmutter gefahren, um dort ungestört seine Schularbeiten verrichten zu können, was den ursächlichen Zusammenhang des Weges mit der Schulausbildung zeige. Der zeitliche Zusammenhang sei dadurch hergestellt, daß der Sohn des Klägers sofort den Weg zu seinem Elternhaus fortgesetzt habe. Der örtliche Zusammenhang sei schon deshalb zu bejahen, weil er die Unfallstelle auch dann passiert hätte, wenn er von der Schule auf direktem Weg nach Hause gefahren wäre. Der Unfall sei daher als Arbeitsunfall (Wegunfall) anzuerkennen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Grundsätzlich sei nur der direkte Weg zwischen dem ständigen Aufenthaltsort und der Arbeits- (Ausbildungs)stätte geschützt. Würden im Zuge eines solchen Weges eigenwirtschaftliche Angelegenheiten verrichtet, die nicht vom Versicherungsschutz umfaßt sind, sei zwar der nach der Unterbrechung fortgesetzte weitere Weg im Regelfall wieder versichert. Der Versicherungsschutz lebe aber dann nicht mehr auf, wenn aus der Art und Dauer der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg vom Ort der Tätigkeit geschlossen werden könne. Unabhängig von dem weiteren Gesichtspunkt des geringfügigen Abweges würde angesichts der großen zeitlichen Dauer zwischen Unterrichtsschluß um 12 Uhr 20 und Unfall um 19 Uhr 05 daher der Versicherungsschutz zu verneinen sein, wäre das Lernen bei der Großmutter dem privaten eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen. Der Gesetzgeber der 32. ASVG-Novelle, durch welche die Teilversicherung von Schülern und Studenten in der Unfallversicherung eingeführt wurde, stehe aber auf dem Boden der sogenannten "Rollentheorie", wonach jede Tätigkeit geschützt sein solle, die sich als Ausübung der Rolle des Schülers oder Studenten darstelle. Schüler und Studenten sollten gleich den Erwerbstätigen einen umfassenden rollenbezogenen Schutz bei Ausbildungstätigkeiten genießen. Dieser Schutzbereich sei ebenso wie bei Selbständigen zu bestimmen, d.h. die Tätigkeit müsse einem vernünftigen Menschen als Ausübung der Ausbildung erscheinen und sie müsse vom Handelnden in dieser Intention entfaltet werden. Im vorliegenden Fall sei die Tätigkeit für die Schule durch das Schreiben eines Referates und dadurch objektiviert, daß während der gesamten Zeit keine privaten Verrichtungen vorgenommen worden seien. Da somit für dieses häusliche Studium Unfallversicherungsschutz bestehe, sei auch der Weg von dieser Tätigkeit nach Hause zum ständigen Aufenthaltsort unfallversicherungsgeschützt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerechte, auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Durch die im § 175 Abs 4 ASVG vorgenommene Verweisung auf § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Schulausbildung zusammenhängenden Weg zur oder von der Schule ereignen. Der vorliegende Wegunfall ist dadurch gekennzeichnet, daß der versicherte Schüler auf dem Heimweg von der Schule einen Umweg einlegte, um seine Großmutter aufzusuchen und bei dieser ungestört zu lernen und zu arbeiten. Bei einer Unterbrechung des Weges vom Ort der Beschäftigung (hier: vom Schulort) lebt der Versicherungsschutz nur in Ausnahmefällen dann nicht wieder auf, wenn aus Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg von dem Ort der Tätigkeit geschlossen werden kann. Die den endgültigen Verlust des Versicherungsschutzes bewirkende Lösung des Zusammenhanges darf aber nicht allein danach beurteilt werden, welche Zeitdauer die vom Versicherten in seinem Heimweg eingeschobene private Verrichtung beansprucht hat; maßgebend sind vielmehr die näheren Umstände, welche diese Verrichtung nach Art und Dauer im Einzelfall kennzeichnen, wobei das Zeitmoment nur eines von mehreren Wesensmerkmalen ist (Brackmann, Handbuch der SV II 72. Nachtrag 487 g,h,k.; Lauterbach, Unfallversicherung 38.Lfg. 277; SSV-NF 3/61, 3/65, 3/103 und 4/20). Bei einer Unterbrechung von mehr als 2 Stunden wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine Lösung vom Betrieb verneint, wenn die Art der Verrichtung oder andere Umstände den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit für den anschließenden weiteren Heimweg als aufrechterhalten ansehen ließen (Brackmann, aaO, 487 i mit weiteren Nachweisen; vgl. auch SSV-NF 3/103).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob der Sohn des Klägers auf dem Weg zu seiner Großmutter und während des Aufenthaltes bei dieser unfallversicherungsgeschützt war. Es muß daher insbesondere nicht dazu Stellung genommen werden, ob es noch im Schutzbereich der Unfallversicherung liegt, wenn sich ein Schüler oder Student in einen fremden häuslichen Bereich begibt, um dort zu lernen, Hausaufgaben zu verfassen oder Nachhilfeunterricht zu nehmen (vgl. dazu Dusak, Zur Wechselbeziehung von Schutzbereich und wesentlicher Bedingung in der Unfallversicherung, ZAS 1990, 45 ff [57]). Entscheidend ist hier vielmehr, daß selbst bei Annahme einer Unterbrechung des geschützten Heimweges um mehr als sechs Stunden wegen der außerdem zu berücksichtigenden Besonderheiten des Einzelfalls der Versicherungsschutz auf dem weiteren Weg nach Hause wieder auflebte. Selbst wenn man nämlich das häusliche Lernen und Erledigen schriftlicher Hausaufgaben der privatwirtschaftlichen Sphäre eines Schülers zuordnen würde, ergäbe sich doch aus der Art der vom Sohn des Klägers während der Unterbrechung des Heimwegs ausschließlich verrichteten Tätigkeit auch nach allgemeiner Anschauung, daß eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der Schulausbildung (in der Schule) und dem weiteren Heimweg nicht anzunehmen ist. Der Unfall ereignete sich daher im geschützten Bereich der Unfallversicherung, nämlich auf einem mit der Schulausbildung zusammenhängenden Weg von der Schule. Daß eine aus betriebsfremden Motiven selbst geschaffene Gefahr nur dann gegenüber der versicherten Tätigkeit als wesentliche Bedingung in den Vordergrund tritt und den Unfallversicherungsschutz vernichtet, wenn sie in einem besonders hohen Maß vernunftwidrig war und daher zu einer besonderen Gefährdung geführt hat, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Die Fortsetzung des Heimweges erst bei Dunkelheit stellt in der Regel keine solche den Versicherungsschutz ausschließende Gefahrenerhöhung dar (SSV-NF 3/103).

Der Revision war daher im Ergebnis ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG. Mit Rücksicht auf die Höhe des gebührenden Teilersatzes der Bestattungskosten (§ 214 Abs. 2 ASVG iVm §§ 181 b und 293 Abs. 1 lit. a bb ASVG) waren die Kosten nach einem entsprechend niedrigen Streitwert (5.000 bis 10.000 S) zu bemessen.

Anmerkung

E30359

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00261.92.1110.000

Dokumentnummer

JJT_19921110_OGH0002_010OBS00261_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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