TE OGH 1992/11/11 9ObS14/92

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Veröffentlicht am 11.11.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Rupert Gnant in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** Ch*****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Versicherungsdienste, Wien 4, Schwindgasse 5, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen 51.773,33 S netto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Juni 1992, GZ 34 Rs 62/92-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22. November 1991, GZ 20 Cgs 1002/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, die aus Polen stammt jedoch gut deutsch spricht, war vom 1.6.1989 bis 30.9.1990 als Angestellte (Verkäuferin) bei einem Textilhandelsunternehmen tätig. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung. Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 1.9.1990 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über den Dienstgeber der Klägerin abgewiesen. Am 6.11.1990 beantragte die Klägerin die Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld im Betrag von 55.703 S zuzüglich Zinsen ohne Betragsangabe. Mit Antrag vom 24.4.1991 (bei der beklagten Partei eingelangt am 29.4.1991) begehrte die Klägerin die Zuerkennung des Insolvenzaufallgeldes in Höhe von nunmehr 62.362,62 S. Mit Antrag vom 3.6.1991 begehrte sie Insolvenzausfallgeld von nunmehr insgesamt 109.795,50 S.

Die beklagte Partei sprach der Klägerin mit Bescheid vom 1.7.1991 Insolvenzausfallgeld im Betrag von 58.665 S zu und wies mit Bescheiden vom 28.6.1991 und vom 1.7.1991 das Mehrbegehren ab. Die Abweisung eines Teilbetrages von 1.596 S ist nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Abweisung des Restbetrages von 51.773,33 S wurde damit begründet, daß die Klägerin die Antragsfrist versäumt habe und berücksichtigungswürdige Gründe, die eine Nachsicht des Fristversäumnisses rechtfertigen könnten, nicht vorlägen.

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Betrages von 51.773,33 S. Es handle sich um weitere offenen Ansprüche aus dem Dienstverhältnis. Berücksichtigungswürdige Gründe für die Nachsicht des Fristversäumnisses lägen vor, weil sie als polnische Staatsbürgerin der deutschen Sprache nicht voll mächtig und mit den Normen des österreichischen Arbeitsrechtes nicht vertraut sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, wobei sie an dem im Bescheid vertretenen Standpunkt festhält.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Im Hinblick auf die Antragstellung am 6.11.1990 sei davon auszugehen, daß die Klägerin spätestens an diesem Tag von der Abweisung des Antrages auf Konkurseröffnung Kenntnis erlangt habe. Die Frist des § 6 Abs 1 IESG sei daher spätestens am 6.3.1991 abgelaufen. Ein berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne dieser Gesetzesstelle liege nicht vor. Selbst mangelhafte Sprachkenntnisse seien kein Hindernis, sich über die Höhe der Ansprüche rechtzeitig zu informieren; hier komme jedoch noch dazu, daß die Klägerin gut deutsch spreche. Die Behörden hätten auch nicht gegen die ihnen obliegende Belehrungspflicht verstoßen. Im übrigen wären die von der Klägerin nach Fristablauf geltend gemachten Ansprüche mit Ausnahme der Urlaubsentschädigung selbst dann nicht berechtigt, wenn das Fristversäumnis außer Acht gelassen werde, weil Ansprüche gegen ihren Dienstgeber nur in der ursprünglich geltend gemachten und von der beklagten Partei zuerkannten Höhe bestünden. Das Begehren auf Urlaubsentschädigung sei jedoch verfristet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Ein berücksichtigungswürdiger Grund für die Nachsicht des Fristversäumnisses liege nicht vor. Allerdings bestünden die Aussprüche der Klägerin auf Grund eines am 4.7.1991 gegen ihren Dienstgeber erwirkten Versäumungsurteiles zu Recht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 Abs 1 IESG ist der Antrag auf Insolvenzausfallgeld bei sonstigem Ausschluß binnen 4 Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw binnen 4 Monaten ab Kenntnis von dem Beschluß nach § 1 Abs 1 Z 3 bis 7 zu stellen. Ist der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt worden, so sind die Rechtsfolgen der Fristversäumung bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Gründen nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn dem Arbeitnehmer billigerweise die Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 1 Abs 1 nicht zugemutet werden konnte oder ihm die betragsmäßige Angabe seiner Ansprüche rechtzeitig nicht möglich war. Diese Bestimmung verfolgt das Ziel, Härtefälle, die sich vor der Novellierung durch eine restriktive Handhabung des § 71 AVG (Wiedereinsetzung) durch den Verwaltungsgerichtshof ergaben, zu vermeiden (SZ 62/50; Anw 1980, 451). Wenn § 6 Abs 1 IESG in der geltenden Fassung auch über die Bestimmungen des AVG über die Wiedereinsetzung gegen Fristversäumnisse hinausgeht, wird doch durch den Begriff "berücksichtigungswürdige Gründe" wie auch durch die demostrative Nennung solcher Gründe zum Ausdruck gebracht, daß nicht jedes Versäumnis die Nachsicht rechtfertigt und im Einzelfall, wenn auch nicht unter Anwendung besonders strenger Kriterien, zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Nachsicht des Fristversäumnisses vorliegen.

Die Klägerin hat als berücksichtigungswürdige Gründe geltend gemacht, daß sie nur schlecht deutsch spreche und mit den Normen des österreichischen Arbeitsrechtes nicht vertraut sei; auch werde in der Literatur die Ansicht vertreten, daß der berücksichtigungswürdige Grund der "nicht rechtzeitigen betragsmäßigen Angabe der Ansprüche" etwa dann vorliege, wenn die Abrechnung der Firmenbuchhaltung verzögert oder fehlerhaft vorgenommen werde. Es erübrigt sich, auf die letztgenannten Ausführungen einzugehen, weil solche Gründe nicht geltend gemacht wurden. Auch die Frage, ob mangelnde Deutschkenntnisse einen berücksichtigungswürdigen Grund im Sinne des § 6 Abs 1 IESG bilden können, kann unerörtert bleiben, weil das Erstgericht unbekämpft festgestellt hat, daß die Klägerin gut deutsch spricht. Als einziger in Frage kommender Grund bleibt, daß die Klägerin mit den Normen des österreichischen Arbeitsrechtes nicht vertraut war und daher ihre Ansprüche nicht zur Gänze innerhalb der Frist des § 6 Abs 1 IESG geltend machte. Dies bildet jedoch keinen berücksichtigungswürdigen Grund im Sinne der zitierten Gesetzesstelle. Daß die Klägerin aus Polen stammt und sich erst seit kürzerer Zeit in Österreich aufhält, ist dabei ohne Bedeutung, weil auch Österreicher regelmäßig nicht über die Kenntnis aller im Einzelfall wesentlichen arbeitsrechtlichen Normen verfügen und darauf angewiesen sind, sich entsprechende Informationen zu verschaffen. Nach dem Gesetz liegt ein berücksichtigungswürdiger Grund vor, wenn die betragsmäßige Angabe der Ansprüche nicht rechtzeitig möglich war. Der Klägerin wäre es aber jedenfalls möglich gewesen, sich innerhlab der gesetzlichen Frist über Art und Umfang ihrer Ansprüche zu informieren und diese fristgercht geltend zu machen. Daß sie dies unterlassen hat, obwohl zahlreiche Informationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, rechtfertigt nicht die Nachsicht der Fristversäumung. Besondere Gründe, die es allenfalls vertretbar erscheinen ließen, daß es die Klägerin unterließ, Erkundigungen über die ihr gegen ihren Dienstgeber zustehenden Ansprüche einzuholen, wurden nicht geltend gemacht.

Die Voraussetzungen für die Nachsicht des Fristversäumnisses liegen sohin nicht vor; das Begehren der Klägerin besteht schon aus diesem Grund nicht zu Recht. Damit erübrigt sich, ein Eingehen auf die Frage der materiellen Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

Anmerkung

E32199

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBS00014.92.1111.000

Dokumentnummer

JJT_19921111_OGH0002_009OBS00014_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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