TE OGH 1993/2/4 8Ob503/93

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Veröffentlicht am 04.02.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Huber, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am ***** geborenen Josef I***** , vertreten durch Dr.Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses des Betroffenen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 14.Juli 1992, GZ 44 R 490/92-40, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Purkersdorf vom 9. April 1992, GZ SW 14/91-30, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am 16.5.1909 geborene Betroffene war Vorstand der L***** Aktiengesellschaft. Er erlitt am 24.10.1988 während eines Urlaubes auf Mauritius einen cerebalen Insult (Gehirnschlag), als dessen Folge eine Sprachstörung im Sinne einer sensorischen Aphasie besteht. Der Betroffene ist bzw. war - soweit aktenkundig - Eigentümer der Liegenschaften EZ ***** und EZ ***** Grundbuch E***** sowie EZ ***** und EZ ***** Grundbuch A*****. Auf beiden letztgenannten Liegenschaften befindet sich das vom Betroffenen bewohnte Anwesen. Vertreten durch den am 29.4.1991 bevollmächtigten Wirtschaftsjuristen Dr.Hermann S***** belastete der Betroffene mit Pfandbestellungsurkunde vom 17.5.1991 die Liegenschaft EZ ***** Grundbuch E***** mit einem Pfandrecht von 7,8 Mill. S.

Über Anregung einer Tochter aus einer früheren Lebensgemeinschaft leitete das Erstgericht das Sachwalterbestellungsverfahren ein, in dessen Verlauf der zuständige Richter den Betroffenen in dessen Anwesen persönlich befragte (ON 6), Befund und Gutachten der Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie Dr.Lambrecht W***** (ON 10, 21 und 26) sowie UnivProf.Dr.Rudolf Q***** (ON 16) einholte und eine mündliche Verhandlung durchführte.

Mit Beschluß vom 9.4.1992 (ON 30) wurde Rechtsanwalt Dr.Wilfried S***** zum Sachwalter für den Betroffenen bestellt und gemäß § 273 Abs.3 Z 2 ABGB mit der Besorgung der Vermögensverwaltung, "insbesondere auch Überprüfung und Regelung allfälliger sogenannter wirtschaftlicher Dispositionen des Betroffenen nach dem Zeitpunkt seines cerebralen Insultes am 24.10.1988", betraut. Zur Begründung dieser Entscheidung wurde angeführt: Der Betroffene zeige eine sensorische Aphasie stärkergradigen Ausmaßes, die zeitweilig das Bild einer Globalaphasie einnehme. Es liege eine Gehirnschädigung mit einer Sprachstörung vor, die aus fehlendem Sprachverständnis und fehlendem bzw. äußerst mangelhaftem Spontansprachvermögen bestehe. Der Informationsgehalt der Sprache des Betroffenen sei sehr gering bzw. praktisch Null. Zusätzlich bestehe altersbedingt ein leichtgradiger Abbau der Hirnfunktionen, die aber nicht über das Altersausmaß hinausgehen, sowie ein organisches Psychosyndrom. Dieses werde als psychische Erscheinung organischer Hirnschädigungen den psychischen Krankheiten zugerechnet und sei unter den Rechtsbegriff einer psychischen Krankheit zu subsumieren. Das Psychosyndrom sei naturgemäß nicht immer von gleicher Intensität, da die Hirnfunktion je nach Durchblutungsstörung mehr oder weniger gestört sei. Dies äußere sich beim Betroffenen durch Affektlabilität, durch ein zeitweilig angetriebenes Verhalten, zeitweilig durch Affektdurchbrüche, aber auch durch depressive Schwankungen. Das Gesamterscheinungsbild sei sehr schwankend, wobei es wahrscheinlich sei, daß in Belastungssituationen eine deutlich höhere Beeinträchtigung vorliege. Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß die Kombination der Sprachstörung gemeinsam mit dem organischen Psychosyndrom das Bild einer psychischen Erkrankung gemäß § 273 ABGB ergebe. Der Betroffene sei nicht in der Lage, abstrakte Sachverhalte, insbesondere nicht alltägliche Rechtsgeschäfte verbal-akustisch oder schriftlich mit einer Ja-Nein-Fragetechnik adäquat zu artikulieren und damit sinnvoll zu kommunizieren. Insbesondere könne er in Belastungssituationen, wie diese geschäftliche Verhandlungen darstellen, mit der ihm zur Verfügung stehenden Technik keine adäquaten Entscheidungen treffen.

Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß umd führte dazu folgende Gründe an: Zwar rechtfertige die Sprachstörung allein nicht die Sachwalterbestellung im Sinne des § 273 ABGB, zumal sie nicht unter den Rechtsbegriff der psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung subsumiert werden könne; die Auswirkung der gesamten Hirnschädigung ergebe jedoch ein Zustandsbild, das als Symptom einer geistigen Behinderung zu werten sei. Der Betroffene besitze zwar zeitweise Einsichts- und Urteilsfähigkeit, sei aber zu eigenem Handeln in vermögensrechtlichen Belangen nicht in der Lage, da seine Handlungsfähigkeit in jeglicher Belastungssituation schwinde. Er sei daher auch nicht in der Lage, von rechtlichen Hilfeleistungen zur Unterstützung seines Handelns Gebrauch zu machen. Die Sachwalterbestellung durch das Erstgericht sei daher zu Recht erfolgt. Da sich aus der Aktenlage Hinweise ergeben, daß die bisherige Vermögensverwaltung mit fremder Hilfe zum Nachteil des Betroffenen geführt worden sein könnte, eine Verständigung mit dem Betroffenen selbst über die Transaktionen aber nicht möglich gewesen sei, sei auch die Bestellung des Sachwalters zur Überprüfung der seit dem cerebralen Insult abgewickelten Geschäfte unbedenklich. Da Dr.S***** als Bevollmächtigter des Betroffenen die bisherige Vermögensverwaltung durchgeführt habe, sei er zu Recht nicht zum Sachwalter bestellt worden. Aufgrund des Aufgabenbereiches des Sachwalters habe sich die Bestellung eines Rechtsanwaltes empfohlen.

Das Rekursgericht sprach die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses aus, da die Sachwalterbestellung bei dem gegebenen schwankenden Zustandsbild des Betroffenen entgegen seinen personellen Wünschen eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstelle, die - soweit überblickbar - bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden worden sei.

Mit seinem Revisionsrekurs bringt der Betroffene vor, daß die Sachwalterbestellung schon deshalb unzulässig gewesen sei, weil durch andere Hilfe im Sinne des § 273 Abs.2 ABGB das Auslangen hätte gefunden werden können. Aus dem im Verfahren eingeholten Gutachten ergebe sich, daß der Betroffene durchaus in der Lage sei, geistig einwandfrei Entschlüsse zu fassen und lediglich kurzfristige Schwierigkeiten bei der verbalen Umsetzung habe. Hinsichtlich des Auftrages, die wirtschaftlichen Dispositonen rückwirkend bis zum Zeitpunkt des cerebralen Insults zu überprüfen, fehle es an ausreichender Feststellungsgrundlage, weil über den wahren Zustand des Betroffenen in der Zeit zwischen dem Schlaganfall und den psychiatrischen Befundaufnahmen keinerlei Beweise aufgenommen worden seien. Das Rekursverfahren leide daher an einem Mangel gemäß § 15 Z 2 AußStrG. Darüber hinaus wäre in Befolgung der Empfehlung des Sachverständigen Dr.Q***** eine Vertrauensperson des Betroffenen zum Sachwalter zu bestellen gewesen. Es werde deshalb beantragt, den angefochtenen Beschluß derart abzuändern, daß von der Bestellung eines Sachwalters Abstand genommen oder die Bestellung nur ab dem Zeitpunkt der Erlassung des Beschlusses erster Instanz erfolge oder der Beschluß aufgehoben, allenfalls Dr.Hermann S***** oder eine andere Person des Vertrauens des Betroffenen zum Sachwalter bestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zwar zulässig, weil zur Frage des Umfanges des Aufgabenbereiches des Sachverhalters im hier strittigen Bereich keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes besteht, er ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 273 Abs.1 ABGB setzt die Bestellung eines Sachwalters voraus, daß der Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist und infolge dieser Beeinträchtigung alle oder einzelne seiner Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen vermag. Die in dieser Gesetzesstelle verwendeten Begriffe der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung sind Rechtsbegriffe, die nicht unbedingt mit medizinischen Definitionen übereinstimmen müssen. Sie umfassen jede geistige Störung, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindert, und bewirken kein verschiedenes Maß der Schutzwürdigkeit des Betroffenen. Die Gerichte sind auch dann, wenn eine Geisteskrankheit oder Geistesschwäche medizinisch nicht einwandfrei feststellbar ist, berechtigt, aufgrund des durch Sachverständigengutachten und auf andere Weise ermittelten Zustandsbildes des Betroffenen eine Geistesstörung anzunehmen, die den Kuranden unfähig macht, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen (2 Ob 574/89; 7 Ob 547/86; Gamerith, Drei Jahre Sachwalterrecht, NZ 1988, 62 mwH). Das dem Erstgericht vorliegende Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof.Dr.Q***** hat neben der bestehenden Sprach- und Sprechstörung das Vorliegen eines leichten "organischen Psychosyndroms" ergeben. Der genannte Sachverständige hat aber gleichzeitig auf die besondere Bedeutung der Vermeidung von Drucksituationen verwiesen (AS 73). Daß der Betroffene außerhalb seiner gewohnten Lebensumstände auch unter Zuhilfenahme der Möglichkeit der schriftlichen Erteilung von Ja-Nein-Antworten und Zuziehung seiner Lebensgefährtin als "Dolmetscherin" überfordert ist, ergibt sich nachvollziehbar aus den Gutachten Dris.W***** (AS 108 f und AS 132 f). Die Schlußfolgerung der beiden bisher befaßten Gerichte, daß beim Betroffenen eine geistige Störung vorliege, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindere, ist somit unbedenklich, zumal gerade in Anbetracht der offenkundig divergierenden Interessen naher Angehöriger des Betroffenen nicht von der Annahme ausgegangen werden kann, er werde vermögensrechtliche Dispositonen spannungsfrei treffen können.

Aus § 273 Abs.2 ABGB ergibt sich, daß die Sachwalterbestellung dann unzulässig ist, wenn sich der Betroffene in rechtlich einwandfreier Weise der Hilfe anderer - zB durch Vollmachtserteilung udgl. - bedienen kann. Ist eine solche Hilfe anderer in ausreichendem Maße schon vor der Einleitung des Verfahrens gewährleistet, dann fehlt die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betroffenen Person und das Verfahren ist erst gar nicht einzuleiten (EvBl. 1992/12). Allerdings schließt die bloße Möglichkeit der Bevollmächtigung eines Anwaltes durch den Betroffenen die Sachwalterbestellung nicht aus. Durch diese soll nämlich nicht Vorsorge für mangelnde Rechtskenntnisse des Betroffenen geschehen, sondern es soll der Betroffene vor Rechtsnachteilen durch die Auftragserteilung an einen zur juristischen Vertretung berufenen Anwalt infolge unrichtiger vorausgehender wirtschaftlicher Dispositionen (wegen der festgestellten geistigen Behinderung) bewahrt werden. Zur Besorgung finanzieller Angelegenheiten gehört es auch, den fachkundigen Rat eines Anwaltes zu befolgen oder doch das Risiko der einen oder anderen von ihm vorgeschlagenen Maßnahme abschätzen und verantwortlich auf sich nehmen zu können (5 Ob 574/90). Da der Betroffene gerade in diesem Entscheidungsprozeß im bereits mehrfach beschriebenen Umfang behindert ist, bedarf es schon wegen der Höhe der bisher eingegangenen Verbindlichkeiten der Beigebung eines Sachwalters.

Beherrschender Grundsatz für die Auswahl des Sachwalters ist das Wohl der behinderten Person. Allerdings ist bei Beurteilung der Eignung einer dem Behinderten nahestehenden Person zum Sachwalter auf mögliche Interessenkollisionen Bedacht zu nehmen (RV 742 BlgNR 15.GP, 20). Abgesehen davon, daß der Umfang der zu erwartenden Vermögensverwaltung den Rahmen bloß familiärer Hilfe wohl sprengen würde, ist zu beachen, daß sich die Bestellung der Lebensgefährtin zum Sachwalter wegen nach der Aktenlage zumindest möglicher Interessenkollision verbietet (siehe den mit ON 33 vorgelegten Übergabsvertrag an die Lebensgefährtin betreffend die Liegenschaften EZ ***** und EZ ***** Grundbuch A*****).

Zur Vermögensverwaltung gemäß § 273 Abs.3 Z 2 ABGB zählt auch die Feststellung des Vermögens, die ihrerseits die Überprüfung der Rechtswirksamkeit eingegangener Verbindlichkeiten sowie des Bestehens von Forderungen mitumfaßt. Diese Tätigkeit zählt - entgegen der Ansicht des Rekurswerbers - nicht zu den Aufgaben des Gerichtes im Rahmen des Sachwalterbestellungsverfahrens, sondern obliegt allein dem Sachwalter, der den für den Vormund geltenden Regeln unterliegt (§ 282 ABGB). Nur der Sachwalter kann allenfalls sich aufgrund seiner Überprüfung ergebende Forderungen einziehen oder Rechtsgeschäfte abschließen (RZ 1991/58). Das Erstgericht war daher nicht gehalten, Feststellungen über den jeweiligen Geisteszustand des Betroffenen seit seiner Erkrankung zu treffen, weshalb schon aus diesem Grunde der vom Revisionswerber gerügte Mangel des Rekursverfahrens nicht vorliegen kann.

Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht, daß die im Verfahren zugezogenen Sachverständigen empfohlen haben, für den Betroffenen eine Person seines Vertrauens als Sachwalter zu bestellen. Allerdings kommen bei der gegebenen Sachlage für dieses Amt wegen der Gefahr der Interessenkollision weder die Lebensgefährtin noch der bisherige Machthaber Dr.S***** in Frage, wie bereits das Rekursgericht zutreffend dargelegt hat. Da das Vorhandensein anderer dem Betroffenen vertrauter Personen nicht aktenkundig ist, muß die Bestellung eines Rechtsanwaltes in Anbetracht des Aufgabenbereiches als zweckmäßig erachtet werden. Es wird Sache der nahen Angehörigen sein, dabei zu helfen, daß der Betroffene diesen akzeptieren kann.

Es war daher dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E31290

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0080OB00503.93.0204.000

Dokumentnummer

JJT_19930204_OGH0002_0080OB00503_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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