TE OGH 1993/2/18 10ObS14/93

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Veröffentlicht am 18.02.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Prohaska (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Taucher (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Walter S*****, technischer Angestellter, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.Oktober 1992, GZ 13 Rs 73/92-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 4.Februar 1992, GZ 14 Cgs 1174/91-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 25.Oktober 1989 wurde der Antrag des Klägers vom 22. August 1989 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen.

Das Erstgericht gab der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger ab 1.September 1989 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und ab 4. Februar 1992 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 6.500,-- monatlich zu erbringen. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der am 10.März 1937 geborene Kläger schloß die Bäckerlehre mit der Gesellenprüfung ab, arbeitete von 1954 bis 1955 als Bäckergeselle und von 1955 bis 1972 als Hilfsarbeiter bei verschiedenen Firmen. Seit 1972 war er (laufend) als technischer Angestellter eines Unternehmens in der Brillenerzeugung beschäftigt. Er führte dort alle typischen Meistertätigkeiten aus und war für den ordnungsgemäßen Ablauf seiner Abteilung, in der 24 bis 30 Arbeiter und Arbeiterinnen tätig waren, verantwortlich. Er hatte die Arbeitseinteilung und Kontrolle, mußte Entscheidungen bei Betriebsstörungen und notwendigen Reparaturen treffen und auch Konflikte zwischen Arbeitnehmer schlichten. An schriftlichen Arbeiten waren die Arbeitsstunden zu verzeichnen, Laufkarten zu bearbeiten und je nach Vorkommnissen Monatsberichte oder auch manchmal Wochen- oder Tagesberichte zu erstellen. Es handelte sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine hoch spezialisierte Tätigkeit; er mußte über Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, die vom Erstgericht im einzelnen festgestellt wurden. Auf Grund verschiedener krankheitsbedingter Einschränkungen kann der Kläger leichte bis mittelschwere Arbeiten vorwiegend in sitzender Körperhaltung verrichten. Er kann jedoch zwecks Wechsel des Arbeitsplatzes und Herbeischaffen von Arbeitsmaterial auch vorübergehend im Gehen oder Stehen arbeiten, doch sollte dieses jeweils 30 Minuten in ununterbrochener Folge nicht überschreiten. Arbeiten, die nur im Sitzen zu verrichten sind, ohne daß der Kläger dabei kurzfristig aufstehen kann, insbesondere Arbeiten mit einer Zwangshaltung des Kopfes in vornübergeneigter Stellung, Arbeiten, die mit Heben und Tragen von Lasten von über 15 kg einhergehen, Arbeiten, bei denen er über Schulterhöhe hantieren muß, Arbeiten mit häufigem Stufensteigen und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Maschinen mit mechanischem Fußantrieb sind nicht möglich. Arbeiten unter Einfluß von Kälte und Nässe sollten vermieden werden, Arbeiten unter vermehrtem Zeitdruck, Akkordarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit scheiden aus. Der Kläger ist im Hinblick auf seinen psychischen Zustand nicht umschulbar, wohl aber anlernbar und unterweisbar. Arbeiten, die besondere schriftliche Fertigkeiten verlangen, können nicht geleistet werden, ebensowenig Tätigkeiten mit stärkeren psychischen Belastungen wie Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeiten mit besonderer Verantwortung, mit belastender Kommunikation oder Tätigkeiten, die häufige Überstundenleistungen erfordern. Die in den letzten 15 Jahren vor der Antragstellung ausgeübte Tätigkeit eines Meisters (technischer Angestellter) ist dem Kläger im Hinblick auf die Einschränkungen im medizinischen Leistungskalkül und auch aus den arbeitspsychologischen Gründen nicht mehr möglich. Der Kläger konnte bei seiner Tätigkeit nur bei schriftlichen Arbeiten sitzen und dies war ein kleiner Teil der Tätigkeit; überwiegend mußte er stehen und gehen. Mit der Arbeit war auch eine sehr starke psychische Belastung verbunden, die dem Kläger nicht mehr zumutbar ist. Auch innerhalb der Berufsgruppe ist der Kläger nicht verweisbar: Meistertätigkeiten scheiden aus mehreren Gründen aus, einerseits, weil ein Meister nicht vorwiegend im Sitzen arbeiten kann, andererseits, weil dem Kläger eine allgemeine Grundausbildung fehlt und seine Kenntnisse nicht auf andere Meisterpositionen übertragbar sind. Technische Angestelltentätigkeiten kann er einerseits im Hinblick auf die erforderlichen, ihm aber fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten nicht durchführen, andererseits auch im Hinblick auf die mangelnde funktionale Ausstattung infolge der hochgradig reduzierten Einschränkungen der schriftlichen Fertigkeiten. Die in der Verwendungsgruppe III des Rahmenkollektivvertrages für Angestellte der Industrie aufscheinenden technischen Angestelltentätigkeiten (Angestellte, die nach allgemeinen Richtlinien und Weisungen technische Arbeiten im Rahmen des den Angestellten erteilten Auftrages selbständig erledigen), sind dem Kläger nicht möglich. Deshalb kann er etwa auch den Anforderungen als Arbeitsvorbereiter nicht nachkommen. Auf Grund der eingeschränkten psychischen Leistungsfähigkeit ist er auch nicht in der Lage, Abläufe und Termine zu koordinieren, nachzukalkulieren und Zeitnehmertätigkeiten durchzuführen. Für die Tätigkeit des Klägers gibt es keinen vergleichbaren Lehrberuf. Der Kläger kann seine Kenntnisse und Fertigkeiten nur in der Brillenerzeugung verwenden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in ihrer Gesamtheit entspreche am ehesten den Tätigkeitsmerkmalen der Verwendungsgruppe IV des Rahmenkollektivvertrages für Angestellte in der Industrie. Der Kläger könnte daher auf technische Angestelltentätigkeiten der Verwendungsgruppe III verwiesen werden, ohne daß dies einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten würde. Auf Grund seiner eingeschränkten psychischen Leistungsfähigkeit sei er aber nicht in der Lage, den Anforderungen der Verwendungsgruppe III nachzukommen, weshalb technische Angestelltentätigkeiten als Verweisungsberufe nicht in Frage kämen. Dasselbe gelte auch für die Meisterposition, wobei diese nicht nur wegen der damit verbundenen psychischen Belastungen, sondern auch wegen der orthopädischen Einschränkungen nicht in Frage käme. Daher lägen die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 1 ASVG vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Das Erstgericht sei zutreffend zum Ergebnis gelangt, daß eine Verweisung des Klägers innerhalb der Berufsgruppe ohne unzumutbaren sozialen Abstieg nicht möglich sei. Sollte das Verweisungsfeld (technische Angestellte der Verwendungsgruppe III und IV) nicht der tatsächlichen Tätigkeit des Klägers entsprochen haben, so kämen als Verweisungsberufe für den Kläger nur Meistertätigkeiten in Betracht. Von diesen sei er aber wegen seiner orthopädischen Einschränkungen ausgeschlossen, weil er nicht länger als 30 Minuten ununterbrochen im Gehen oder Stehen arbeiten könne, während Meistertätigkeiten vorwiegend im Gehen oder Stehen auszuführen seien. Auch bei Beschränkung des Verweisungsfeldes auf die Berufsgruppe der Meister wäre daher mangels Verweisbarkeit des Klägers Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG gegeben.

Die beklagte Partei bekämpft dieses Urteil mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache insoweit, als dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension für den Zeitraum vom 1.September 1989 bis 31.März 1992 (also für die Zeit vor Vollendung des 55. Lebensjahres) zuerkannt wurde. Sie beantragt die Abänderung dahin, daß insoweit das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei führt im Rahmen ihrer Rechtsrüge aus, bei Prüfung der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG komme es auf die vom Versicherten zuletzt ausgeübte, nicht jedoch auf die überwiegend ausgeübte Tätigkeit an. Der Kläger sei in den letzten 3 Jahren vor der Antragstellung aber nicht als Meister in der Brillenerzeugung, sondern als unqualifizierter Lagerarbeiter tätig gewesen, daher höchstens in die Verwendungsgruppe II des Kollektivvertrages einzustufen gewesen und daher noch auf unqualifizierte Tätigkeiten in den Verwendungsgruppen I und II des Kollektivvertrages verweisbar, wie etwa Hilfskraft im Büro, in der Werkstätte, Registratur und Magazin oder Telefonist, Werkstättenschreiber usw.

Der Revisisonsgrund des § 503 Z 4 ZPO liegt nur vor, wenn ausgehend vom festgestellten Sachverhalt aufgezeigt wird, daß dem Berufungsgericht bei Beurteilung dieses Sachverhaltes ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Die Rechtsrüge der Beklagten beruht einzig und allein auf der Annahme, daß der Kläger in den letzten drei Jahren vor der Antragstellung nicht als Meister in der Brillenerzeugung, sondern als unqualifizierter Arbeiter im Lager tätig gewesen sei. Derartiges wurde aber vom Erstgericht nicht festgestellt. Das Erstgericht stellte, wie oben wiedergegeben, vielmehr fest, daß der Kläger seit 1972 laufend als technischer Angestellter (Meister) in der Brillenerzeugung beschäftigt war; diese Feststellung wurde von der Beklagten in ihrer Berufung gar nicht bekämpft (vgl. Seite 3 der Berufung ON 28). Insbesondere ist den erstgerichtlichen Feststellungen nicht zu entnehmen, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag etwa "überwiegend" in der von der Beklagten behaupteten Funktion tätig gewesen sei. Das Erstgericht stellte den Berufsverlauf des Klägers lückenlos fest, ohne eine unqualifizierte Arbeit während der letzten drei Jahre zu erwähnen, weshalb auch kein der rechtlichen Beurteilung zuzuordnender Feststellungsmangel gegeben ist. Die Darlegung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens, wonach der Kläger in den letzten 15 Jahren zwar überwiegend als Meister (technischer Angestellter), jedoch in den letzten drei Jahren nur in unqualifizierten Tätigkeiten eingesetzt war, hat in den erstgerichtlichen Feststellungen - von der Beklagten in ihrer Berufung ungerügt - keinen Niederschlag gefunden. Dem Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, ist es jedoch verwehrt, in die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen einzugreifen und Beweisergebnisse zu berücksichtigen, die nicht in die Tatsachenfeststellungen eingeflossen sind. Soweit das Berufungsgericht bei der Behandlung der Rechtsrüge von der "im Beobachtungszeitraum überwiegend ausgeübten tatsächlichen Tätigkeit" sprach, ging es ebenfalls nicht von den unbekämpft gebliebenen erstgerichtlichen Feststellungen aus. Daß der Kläger als Meister (technischer Angestellter) nicht mehr verweisbar ist, wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 1 ASVG vor.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E32243

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00014.93.0218.000

Dokumentnummer

JJT_19930218_OGH0002_010OBS00014_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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