Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Raimund Zimmermann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Taucher (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria Anna P*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Renate Steiner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Oktober 1992, GZ 33 Rs 91/92-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17.März 1992, GZ 25 Cgs 529/90-32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt vom 21.März 1990 wurde der Antrag der Klägerin vom 21.April 1989 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin eine Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab 1.Mai 1989 zu gewähren und eine vorläufige Leistung von 3.000 S monatlich zu erbringen. Es stellte fest, daß die am 28.März 1937 geborene Klägerin von April 1979 bis Juli 1984 bei einer Firma beschäftigt war, die Faksimile-Bücher verlegte, damit handelte und darüber hinaus einen allgemeinen Buchhandel betrieb. Von November 1984 bis März 1986 war sie bei einer anderen Firma beschäftigt, bei welcher sie etwa die gleiche Tätigkeit ausübte. Es handelte sich jeweils um einen "Zweimannbetrieb". Die Klägerin führte dabei schwierige, umfangreiche Fachkenntnisse bzw. Branchenkenntnisse und Berufserfahrungen im Buchhandel erfordernde Arbeiten weitgehend fachlich selbständig durch. Insbesondere die Tätigkeit der Buchpräsentation und Beratung ist fachlich als sehr schwierig zu bewerten. Im Bereich der kaufmännischen Arbeiten wurden von der Klägerin zwar auch schwierige Arbeiten durchgeführt, doch konnte sie selbst keine Einkäufe tätigen und auch nicht über höhere Geldsummen verfügen; auch langfristige Verpflichtungen konnte sie nicht selbständig eingehen. Den Verkauf konnte sie selbständig abwickeln, für die Präsentation war sie selbständig verantwortlich. Sie mußte sich über die jeweiligen Marktgegebenheiten fortwährend auf dem laufenden halten. Reklamationen konnte sie eigenverantwortlich abwickeln. Ihre tatsächliche kollektivvertragliche Einstufung kann nicht mehr festgestellt werden. Vom Inhalt ihrer Beschäftigung her wäre sie überwiegend in die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten Österreichs einzustufen (Angestellte, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausführen). Für die Einstufung in diese kollektivvertragliche Beschäftigungsgruppe sind üblicherweise eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung, eine mehrjährige einschlägige Berufspraxis, die Ausübung schwieriger Arbeiten mit weitgehend selbständiger Berufsausübung im Rahmen allgemeiner Arbeitsaufträge erforderlich. Aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen ist die Klägerin nur mehr für leichte, einfache Arbeiten unter Ausschluß von ständigem besonderen Zeitdruck geeignet. Anlernfähigkeit und Einordenbarkeit liegen vor. Aufgrund dieses Leistungskalküls kommen für die Klägerin nur noch Hilfstätigkeiten (Routinearbeiten) ohne Übernahme besonderer Verantwortung in Betracht, also Arbeiten, die keinen qualifizierten Berufsverlauf auch keine qualifizierte Berufsausbildung bzw. Anlernung erfordern und die in den Beschäftigungsgruppen 1 bis 2 des Kollektivvertrages einzustufen wären (Angestellte ohne abgeschlossene Lehrzeit in einem kaufmännischen Lehrberuf).
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß die Verweisung einer Handelsangestellten der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 in der Regel zwar zulässig sei, doch müsse im Fall der Klägerin berücksichtigt werden, daß für sie nur noch Hilfstätigkeiten ohne Übernahme besonderer Verantwortung und ohne Erfordernis eines qualifizierten Berufsverlaufes in Frage kämen. Ein Verweis von Tätigkeiten, die umfangreiche Fachkenntnisse und Berufserfahrungen im Buchhandel erfordern, auf Hilfs- bzw Routinearbeiten würde einen unzumutbaren sozialen Abstieg darstellen. Die Möglichkeit, eine solche Tätigkeit allenfalls in die Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages einzustufen, sei nicht entscheidend, da es nicht bloß auf die kollektivvertragliche Einstufung, sondern vor allem auf den Inhalt der Tätigkeit ankomme. Die Klägerin sei daher berufsunfähig gemäß § 273 Abs 1 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Ein Versicherter müsse sich grundsätzlich auch auf geringere Anforderungen stellende und geringer entlohnte Berufe verweisen lassen, sofern damit nicht ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden sei, was dann der Fall wäre, wenn die Verweisungstätigkeit in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen genieße. Die Einstufung einer Tätigkeit im Kollektivvertrag bildet dabei einen Anhaltspunkt für die Einschätzung des sozialen Wertes und könne daher zur Beurteilung eines sozialen Abstieges herangezogen werden. Die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe entspreche, die der bisherigen Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet sei, sei zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung werde die Unzumutbarkeitsgrenze damit noch nicht überschritten (SSV-NF 3/13, 80, 4/16, 72, 5/132). Zutreffend sei das Erstgericht davon ausgegangen, daß die Tätigkeit der Klägerin im Buchhandel mit weitgehend selbständiger Erledigung und eigenständiger fachlicher Beratung einer Einstufung in der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten entsprochen hätte, dies unabhängig von der konkreten Entlohnung. Keine dieser Tätigkeiten könne ihr aufgrund ihres nunmehrigen Leistungskalküls noch zugemutet werden. Sie sei aber auf alle jene Tätigkeiten zu verweisen, die keine besondere Verantwortung erfordern, bei denen es sich um Routinearbeiten und Hilfstätigkeiten handle. Eine Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 1 des Kollektivvertrages komme bei der Klägerin infolge ihrer mehrjährigen Tätigkeit als Angestellte ohnehin nicht mehr in Frage, sodaß sie auf Berufstätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2, also für einfache Arbeiten ohne Verantwortung, verwiesen werden könne. Wenn es sich dabei auch um Arbeiten mit weniger Eigenverantwortung und geringerer Entlohnung handeln mag, so seien diese Einbußen in der Entlohnung und am sozialen Prestige vom Versichertern hinzunehmen. Bei der Klägerin lägen keine besonderen Gründe vor, um von der ständigen Rechtsprechung abzugehen, wonach die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten in einer der bisherigen Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordneten als zulässig angesehen werde.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Wenngleich das Berufungsgericht nicht alle erstgerichtlichen Feststellungen wiedergegeben hat, so ist es doch von ihnen ausgegangen. Diese Feststellungen des Erstgerichtes waren im Berufungsverfahren auch gar nicht bekämpft worden. Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache (§ 503 Z 4 ZPO) macht die Klägerin lediglich geltend, daß ihre Verweisung auf Berufstätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 einen unzumutbaren sozialen Abstieg mit sich brächten. Gerade der festgestellte Berufsverlauf, der völlig untypisch sei und der sich in keine der kollektivvertraglichen Leistungsgruppen einordnen lasse, zeige, daß die Klägerin durch eine Verweisung auf reine Hilfstätigkeiten einer beruflichen und somit sozialen Herabsetzung ausgesetzt wäre, die ihr nicht zugemutet werden könne.
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Das Berufungsgericht hat den unbekämpft feststehenden Sachverhalt zutreffend rechtlich beurteilt, insbesondere die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Frage des unzumutbaren sozialen Abstieges zutreffend wiedergegeben. Wenngleich eine kollektivvertragliche Einstufung der Klägerin bei ihren Dienstgeberfirmen nicht festgestellt werden konnte, so ist aus berufskundlicher Sicht dennoch die Einstufung ihrer Tätigkeit möglich, nämlich in die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten Österreichs, weil die Klägerin eine kaufmännische Angestellte war, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig auszuführen hatte. Daß sie über eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung verfügte, wurde allerdings nicht festgestellt. Sie war bei Kleinstbetrieben tätig ("Zweimann-Betrieben"), wobei die dort erforderte Tätigkeit im Buchhandel zweifellos eine gewisse Spezialisierung auf diesem Gebiet mit sich brachte. Daraus ergibt sich aber nicht, daß eine Verweisung auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages einen unzumutbaren sozialen Abstieg mit sich bringen müßten. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch der der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 15.Dezember 1987, 10 Ob S 51/87 zugrundeliegende Fall dem ihren nicht vergleichbar. Der dortige Kläger hatte die Tätigkeit eines Filialleiters in einer Wäscheübernahmestelle ausgeübt und als angestellter Filialleiter und Vorgesetzter zweier weiterer Dienstnehmer eine Stellung inne gehabt, die in den Augen der Öffentlichkeit ein wesentlich höheres Ansehen genoß als die ihm allenfalls noch möglichen einfachen kaufmännischen Arbeiten der Verwendungsgruppe 2. Die Klägerin war aber weder Filialleiterin noch Vorgesetzte anderer Dienstnehmer, sie konnte nicht über höhere Geldsummen verfügen, keine langfristigen Verpflichtungen eingehen und insbesondere auch keine Einkäufe tätigen. Daraus ergibt sich, daß das Berufungsgericht den Sachverhalt rechtlich durchaus zutreffend beurteilt hat.
Der Revision der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an die unterlegene Klägerin nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.
Anmerkung
E32253European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00026.93.0223.000Dokumentnummer
JJT_19930223_OGH0002_010OBS00026_9300000_000