TE OGH 1993/2/24 9ObS14/93

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Veröffentlicht am 24.02.1993
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Manfred Dafert und AR Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** G*****, vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Leoben, Leoben, Erzherzog Johann Straße 8, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17, wegen 42.769,98 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.November 1992, GZ 7 Rs 67/92-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 15.Jänner 1992, GZ 21 Cgs 176/91-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei ihrer Dienstgeberin seit 11.11.1985 beschäftigt. Nach Eröffnung des Konkurses über das Unternehmen wurde die Klägerin vom Masseverwalter zum 31.3.1988 gekündigt. Der Masseverwalter, der den Betrieb fortführte, stellte die Klägerin jedoch mit 1.4.1988 neu ein; bezüglich der Tätigkeit der Klägerin trat keine Änderung ein. Am 10.11.1990 wurde über das Vermögen der Dienstgeberin der Klägerin neuerlich das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 20.11.1990 ihren vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO. Am 23.11.1990 kamen die Klägerin und andere ehemalige Dienstnehmer des Unternehmens zur Amtsstelle Judenburg der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark, um deren Hilfe bei Geltendmachung ihrer Forderungen aus dem Dienstverhältnis in Anspruch zu nehmen. Zu diesem Zweck erteilte die Klägerin einem Referenten der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark, Amtsstelle Leoben Vollmacht. In der Amtsstelle Judenburg wurde mit der Klägerin ein Aufnahmeblatt angelegt; in dem die Beschäftigungszeit mit "1.4.1988 bis 21.11.1990" angeführt wurde. Auf der Rückseite dieses Aufnahmeblattes ist der Termin "31.3.1991" vermerkt; neben anderen Ansprüchen wurde angeführt "zwei Monatsentgelte Abfertigung". Der aufnehmende Referent der Amtsstelle Judenburg, der im allgemeinen überwiegend mit Konsumentschutzagenden befaßt ist und eher selten mit Angelegenheiten des Insolvenz-Ausfallgeldes zu tun hat, ging von einer Kündigung zum Quartalsende und daher von einer fiktiven Dienstzeit von drei Jahren ab 1.4.1988 aus. Neben diesem Aufnahmeblatt wurde der Amtsstelle Leoben, deren Referent als Bevollmächtigter die Anmeldung der Ansprüche im Konkursverfahren und die Antragstellung an das Arbeitsamt durchzuführen hatte, auch die von der Klägerin vorgelegte Arbeitsbescheinigung übermittelt. In dieser Arbeitsbescheinigung war die Beschäftigungszeit vom 1.4.1988 bis 20.11.1990 angeführt. Daneben war in Klammer und kleinerer Schrift beigesetzt "11.11.1985 bis 31.3.1988". Der bevollmächtigte Referent der Amtsstelle Leoben fragte telephonisch bei der Amtsstelle Judenburg nach, weil er von einem Kündigungstermin zum 21.1.1991 ausging und daher die Voraussetzungen für einen Abfertigungsanspruch - ausgehend von einem Beginn des Dienstverhältnisses mit 1.4.1988 - nicht als erfüllt ansah. Er erhielt die Mitteilung, daß der Referent der Amtsstelle Judenburg irrtümlich von einem falschen Kündigungstermin ausgegangen sei. Die aus der Arbeitsbescheinigung ersichtliche weitere Dienstzeit der Klägerin vom 11.11.1985 bis 31.3.1988 übersah er, weil das Blatt in einem Ordner eingeheftet und der Rand dadurch verdeckt war. Er stellte daher den Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld ohne Berücksichtigung einer Abfertigung. Diesem Antrag wurde mit Bescheid vom 21.5.1991 stattgegeben und der Klägerin ein Insolvenz-Ausfallgeld von 87.216 S zuerkannt. Erst danach stellte der Referent der Amtsstelle Leoben nach einer Rücksprache der Klägerin, die die Zahlung der Abfertigung reklamierte, fest, daß dem mit 1.4.1988 eingegangenen Dienstverhältnis ein Dienstverhältnis vorangegangen war. Am 12.7.1991 machte die Klägerin mit einem Nachtragsantrag zum Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld einen Abfertigungsanspruch von 42.769,98 S geltend.

Mit Bescheid vom 2.9.1991 wies das Arbeitsamt Leoben diesen Antrag ab. Der Antrag sei außerhalb der viermonatigen Ausschlußfrist ab Eröffnung des Konkursverfahrens erhoben worden; der Anspruch sei daher verfristet. Berücksichtigungswürdige Gründe für die Nachsicht der Fristversäumung seien nicht geltend gemacht worden.

Das Erstgericht gab der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage statt. Die Gründe für die verspätete Antragstellung bezüglich des Abfertigungsanspruches seien ihrem Gewicht nach den im § 6 Abs 1 IESG beispielsweise aufgezählten Nachsichtsgründen gleichzuhalten. Von einem überwiegend mit Konksumentenschutzsachen befaßten Angestellten der Arbeiterkammer könne nicht verlangt werden, daß er über alle Details von Abfertigungsansprüchen Bescheid wisse. Der Referent der Kammer Leoben habe keinen Anlaß gehabt, die Arbeitsbescheinigung und insbesondere die darin bestätigte Dienstzeit genau zu studieren.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die in § 6 Abs 1 IESG genannten Gründe bezögen sich auf die Antragstellung als solche; genannt seien die Fälle, daß der Dienstnehmer mangels Kenntnis von der Konkurseröffnung innerhalb der Frist überhaupt keinen Antrag stelle oder ihm die rechtzeitige Bezifferung der Forderung nicht möglich gewesen sei. Die Fristversäumung der Klägerin habe jedoch andere Gründe. Sie habe rechtzeitig Kenntnis von der Konkurseröffnung gehabt, habe über die Dauer ihres Dienstverhältnisses Bescheid gewußt und auch Kenntnis von der Existenz von Abfertigungsansprüchen und davon gehabt, daß diese dienstzeitabhängig seien. Sie müsse gegen sich gelten lassen, daß sie im Rahmen der Geltendmachung des Insolvenz-Ausfallgeldes nicht mit Nachdruck auf ihre Dienstzeit hingewiesen habe. Der Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld sei rechtzeitig gestellt worden. Lediglich durch ein Versehen, das zum Teil sie, zum Teil ihr Vertreter zu verantworten habe, seien nicht die gesamten Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht worden. Die Voraussetzungen für die Nachsicht des Fristversäumnisses gemäß § 6 Abs 1 IESG lägen daher nicht vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ihrem Begehren zur Gänze stattgegeben werde.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 6 Abs 1 IESG ist der Antrag auf Insolvenz-Ausfallsgeld bei sonstigem Ausschluß binnen vier Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw binnen vier Monaten ab Kenntnis von dem Beschluß nach § 1 Abs 1 Z 3 bis 7 zu stellen. Ist der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt worden, so sind die Rechtsfolgen der Fristversäumung bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Gründen nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn dem Arbeitnehmer billigerweise die Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 1 Abs 1 nicht zugemutet werden konnte oder ihm die betragsmäßige Angabe seiner Ansprüche rechtzeitig nicht möglich war. Diese Bestimmung verfolgt das Ziel, Härtefälle, die sich vor der Novellierung durch eine restriktive Handhabung des § 71 AVG (Wiedereinsetzung) durch den Verwaltungsgerichtshof ergaben, zu vermeiden. Wenn § 6 Abs 1 IESG in der geltenden Fassung auch über die Bestimmungen des AVG über die Wiedereinsetzung gegen Fristversäumungen hinausgeht (SZ 62/50), wird doch durch den Begriff "berücksichtigungswürdige Gründe" wie auch durch die demonstrative Nennung solcher Gründe zum Ausdruck gebracht, daß nicht jedes Versäumnis die Nachsicht rechtfertigt und im Einzelfall, wenn auch nicht unter Anwendung besonders strenger Kriterien, zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Nachsicht der Fristversäumung vorliegen (9 Ob S 14/92). Die Nachsicht der Rechtsfolgen ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Fristversäumung vom Arbeitnehmer durch auffallende Sorglosigkeit verschuldet wurde. Derselbe Maßstab muß auch für die Fristversäumung durch einen Bevollmächtigten des Dienstnehmers gelten, will man eine weder sachlich gerechtfertigte noch vom Gesetzgeber gewollte Schlechterstellung der unvertretenen Dienstnehmer vermeiden (AnwBl 1990, 451).

Als berücksichtigungswürdige Gründe für die begehrte Nachsicht des Fristenversäumnisses hat die Klägerin hier unter Berufung auf den eingangs dargestellten Sachverhalt geltend gemacht, daß ihr wegen der Kompliziertheit der Rechtsfrage die ziffernmäßige Angabe ihrer Abfertigungsansprüche nicht rechtzeitig möglich gewesen sei; sie habe nicht gewußt, daß ihrer vor dem 1.4.1988 bei der Gemeinschuldnerin zurückgelegten Dienstzeit für den Abfertigungsanspruch wesentliche Bedeutung zukomme.

Wohl schließt die Unterlassung der Geltendmachung nur eines Teilanspruches die Nachsicht von der Versäumung der Frist iSd § 6 Abs 1 IESG nicht grundsätzlich aus. Hier fehlt es aber an den Voraussetzungen für die Gewährung der Nachsicht, weil berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des Gesetzes nicht vorliegen. Die Klägerin hatte ihren Bevollmächtigten über die Grundlagen für die Geltendmachung des Abfertigungsanspruches vollständig informiert. Sie hatte in die Liste ihrer Forderungen auch den Abfertigungsanspruch im Ausmaß von zwei Monatsentgelten aufgenommen; die Berechtigung dieser Forderung ergab sich aus der dem Informationsblatt beigeschlossenen Arbeitsbescheinigung, aus der auch die Zeit des früheren Dienstverhältnisses ersichtlich war. Die Geltendmachung des Abfertigungsanspruches unterblieb deshalb, weil der Bevollmächtigte der Klägerin die Unterlagen vor der Antragstellung nicht mit der gebotenen Sorgfalt prüfte. Er nahm die Unterlagen, die in einen Ordner eingeheftet waren, nicht heraus und nahm damit in Kauf, daß er die Urkunden nicht vollständig einsehen konnte und ihm im Bereich des Heftrandes angebrachte Informationen verborgen blieben. Entscheidend war daher nicht die mangelnde Rechtskenntnis des Referenten der Amtsstelle Judenburg. Hätte der Bevollmächtigte der Klägerin die ihm vorliegenden Dokumente zur Gänze eingesehen, so hätte er über alle Informationen verfügt, aus denen sich die Voraussetzungen für den Abfertigungsanspruch ergaben. Ein genaues Studium aller Schriftstücke wäre umsomehr geboten gewesen, als eine persönliche Kontaktaufnahme zwischen der Klägerin und ihrem Vertreter unterblieb. Die nur oberflächliche Prüfung der Unterlagen, ist als grob fahrlässig zu qualifizieren. Dieses Verschulden ihres Vertreters muß sich aber die Klägerin zurechnen lassen. Aus diesem Grund sind die Voraussetzungen für die Nachsicht von der Versäumung der Antragsfrist nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

Anmerkung

E32444

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBS00014.93.0224.000

Dokumentnummer

JJT_19930224_OGH0002_009OBS00014_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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