TE OGH 1993/2/24 9ObA27/93(9ObA28/93)

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Veröffentlicht am 24.02.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Manfred Dafert und AR Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Anton B*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 421.839,38 brutto sA sowie Ausstellung eines Dienstzeugnisses (Gesamtstreitwert S 451.839,38), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.November 1992, GZ 33 Ra 109/92-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29.April 1992, GZ 6 Cga 2503/92-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der Revision gegen das Teilurteil wird nicht Folge gegeben.

2. den

Beschluß

gefaßt:

Der Revision gegen das Zwischenurteil wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang des Geldleistungsbegehrens aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei seit 1.7.1989 als Schichtleiter in der Abteilung Montage/Kopie mit einem Lohneinkommen von mtl S 54.648 brutto (inklusive Sonderzahlungen) als Arbeiter beschäftigt. Für die Vertretung des Abteilungsleiters ab 16 Uhr bekam er eine Zulage von 15 vH. Zu seinen Aufgaben gehörte ab 1.7.1989 neben der bisherigen Mitarbeit vor allem organisatorische und administrative Tätigkeit. Am 8.11.1991 traf der Kläger bei einer Zusammenkunft mit Arbeitskollegen aus der Jugend auch Ernst Stadler, der in der Direktion des Niederösterreichischen Pressehauses arbeitet. Dieser zeigte sich interessiert, die Räume der beklagten Partei zu besichtigen. Am 19.11.1991 in der Schichtpause (19 Uhr bis 19 Uhr 30) führte der Kläger Ernst Stadler durch alle Firmenräume, die ihn interessierten. Ein Teil dieser Räume ist für betriebsfremde Personen strikte gesperrt. Darauf weisen große Aufschriften hin. Ernst Stadler konnte nicht nur die neu angeschafften Großmaschinen in Betrieb sehen, sondern auch die in Arbeit befindlichen Druckerzeugnisse. Auch alle vertraulichen Unterlagen, einschließlich Kalkulationen lagen offen in den Räumen, durch die der Kläger Ernst Stadler führte. Wegen dieses Verhaltens wurde der Kläger am 20.11.1991 entlassen.

Der Kläger begehrt S 421.839,38 brutto an Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Urlaubsentschädigung; er sei ungerechtfertigt entlassen worden. Das ihm ausgestellte Dienstzeugnis hätte Rückschlüsse auf die Art der Beendigung des Dienstverhältnisses ermöglicht; es habe einen für Dritte erkennbaren abträglichen Inhalt, so daß er auch die Ausstellung eines ordnungsgemäßen Dienstzeugnisses begehre.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß die Entlassung zu Recht erfolgt sei. Der Kläger habe interne Informationen an die Konkurrenz weitergegeben. Er habe Ernst Stadler, der Verkaufsleiter und Geschäftsführer des Niederösterreichischen Pressehauses sei, Zutritt auch zu Firmenräumlichkeiten gegeben, in denen der Kläger nicht beschäftigt war, wo aber alle wichtigen Unterlagen auflagen. Er habe weiters gegen das Verbot, Betriebsfremden die Produktionsräume zu zeigen, verstoßen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß das Verhalten des Klägers klare Weisungen mehrfach verletzte; er habe einem direkten wichtigen Hauptkonkurrenten Einblick in viele vertrauliche Betriebstatsachen zumindest ermöglicht. Der Entlassungsgrund nach § 82 lit e GewO 1859 sei verwirklicht. Im übrigen habe der Kläger ein Dienstzeugnis erhalten, das im wesentlichen dem in der Klage begehrten entspricht.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahingehend ab, daß es mit Zwischenurteil das Klagebegehren auf Zahlung von S 421.839,38 brutto als dem Grunde nach zu Recht bestehend ansah und mit Teilurteil die Beklagte zur Ausstellung eines Dienstzeugnisses ohne einen auf die Art der Beendigung des Dienstverhältnisses hinweisenden Zusatz verurteilte.

Das Besichtigen der Betriebseinrichtungen sei keine Bekanntgabe von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der Beklagten, zumal Unterlagen der Beklagten vom Kläger nicht hergezeigt worden seien. Für einen Leistungsausspruch fehlten Feststellungen. Das Begehren nach Ausstellung eines Dienstzeugnisses sei berechtigt, weil Zusätze, die nicht ausschließlich im Interesse des Arbeitnehmers eingefügt wurden bzw völlig wertneutral seien, wie beispielsweise die Erwähnung des Austrittes, zu unterbleiben hätten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, das Berufungsgericht habe ohne Beweiswiederholung oder -ergänzung Feststellungen des Erstgerichtes nicht übernommen, liegt nicht vor. (§ 510 Abs 3 ZPO), weil Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nur dann zu einer Beweiswiederholung oder Beweisergänzung führen müssen, wenn von den getroffenen Feststellungen abgegangen wird (SZ 59/6), nicht jedoch, wenn offenbar bedenkliche Feststellungen nicht übernommen werden.

Als weiteren Mangel des Berufungsverfahrens macht die Beklagte geltend, daß sie in erster Instanz vorgebracht habe, der Kläger hätte interne Informationen an die Konkurrenz weitergegeben, und dazu Koloman B***** als Zeugen beantragt habe, das Berufungsgericht aber zur Annahme gelangt sei, die Beklagte habe dieses Vorbringen nicht präzisiert und unter Beweis gestellt.

Diese Annahme des Berufungsgerichtes ist aktenwidrig, weil die Beklagte diesen Zeugen zum Beweis ihres gesamten Vorbringens, das den zur Entlassung führenden Sachverhalt ausreichend präzisierte, beantragt hat. Das Verlangen nach einer Präzisierung darf jedenfalls bei einer nicht qualifiziert vertretenen Partei nicht überspannt werden. Das Gericht hat alle vom Dienstgeber im Prozeß zur Begründung der Entlassung genannten Umstände auf ihre Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen, ohne an eine vom Dienstgeber vorgenommene rechtliche Qualifikation gebunden zu sein (Kuderna, Entlassungsrecht, 30 f).

Als Entlassungsgrund wurde neben der Gewährung des Zutritts zu den Firmenräumlichkeiten und der Führung durch den Betrieb auch geltend gemacht, daß der Kläger interne Informationen an die Konkurrenz weitergegeben habe. Darunter sind Tatsachen oder Vorgänge zu verstehen, die in einer Beziehung zum Betrieb des Klägers stehen und nach dem für einen durchschnittlichen Beschäftigten erkennbaren Willen des Unternehmers vertraulich zu behandeln sind. Ob an der Geheimhaltung dieser Informationen dann auch tatsächlich ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse besteht und es sich daher um ein Geschäfts- und Betriebsgeheimnis handelt (ÖBl 1971, 26; ÖBl 1988, 13), hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Durch das Vorbringen, der Kläger habe interne Informationen an die Konkurrenz weitergegeben, war der Sachverhalt jedenfalls so weit präzisiert, daß nicht von einem pauschal beantragten Beweis gesprochen werden kann. Es liegt daher ein in der Berufungsbeantwortung nicht gerügter, aber in der Revision zulässigerweise geltend gemachter Verfahrensmangel vor. Der Grundsatz, daß angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt worden sind, nicht auch noch in dritter Instanz geltend gemacht werden können, bleibt in Fällen unanwendbar, in welchen das Berufungsgericht wegen unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften Mängel des Verfahrens erster Instanz mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verneinte. In solchen Fällen liegt ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor, der gemäß § 503 Abs 1 Z 2 ZPO bekämpft werden kann (EFSlg 52.239 ua).

Diesem Mangel kommt auch Relevanz zu, weil ein vorsätzliches Weitergeben von internen Informationen einen Entlassungsgrund bilden kann, während aus den bisherigen Feststellungen ein Entlassungsgrund nicht hervorgeht.

Der Revisionswerberin kann nämlich nicht gefolgt werden, soweit sie das Verhalten des Klägers am Entlassungsgrund des § 27 Z 1 AngG mißt. Nach dem übereinstimmenden Vorbringen beider Streitteile war der Kläger Arbeiter. Die Beklagte wendete nur ein, daß der Kläger als Stellvertreter des Abteilungsleiters für die Vertretungstätigkeit einen 15 %igen Lohnzuschlag erhielt und er daher eine höhere Verantwortung wie ein Angestellter habe. Daß er Angestellter war, wurde nicht behauptet.

Demgemäß kommen nur die in § 82 GewO 1859 - entgegen der Meinung der Revision taxativ - aufgezählten Entlassungsgründe in Betracht. Die taxative Aufzählung der Entlassungsgründe gestattet es - anders als die demonstrative Aufzählung der Entlassungsgründe in § 27 AngG - nicht, an Gewicht ähnlich gelagerte Sachverhalte als Entlassungsgrund heranzuziehen (Kuderna, Entlassungsrecht 31 f; Schwarz-Löschnigg4 Arbeitsrecht, 440; DRdA 1988/1; ZAS 1989/5; Arb 10.267). Vertrauensunwürdigkeit oder Untreue als solche scheiden als Entlassungsgrund bei Anwendung der Gewerbeordnung aus, weil § 82 lit d GewO 1859 eine Vertrauensunwürdigkeit hervorrufende strafbare Handlung voraussetzt (Kuderna, Entlassungsrecht 61; Arb 10.323).

Die von der Revisionswerberin relevierte höhere Verantwortung des Klägers bei seiner Vertretungstätigkeit kann daher lediglich für die Vorwerfbarkeit eines tatbestandsmäßigen Verhaltens von Bedeutung sein (Kuderna, Entlassungsrecht 48 f).

Bisher steht lediglich fest, daß der Kläger einem betriebsfremden Bekannten Zutritt zu den Firmenräumlichkeiten verschaffte und ihn durch die Räumlichkeiten führte, in denen auch vertrauliche Unterlagen, einschließlich Kalkulationen, offen herumlagen. Als strafbarer Tatbestand käme § 11 Abs 1 UWG in Frage, der aber das Bewußtsein der unbefugten Mitteilung zum Zwecke des Wettbewerbes voraussetzt. Fahrlässigkeit reicht zur Erfüllung des Tatbestandes nicht aus (Baumbach-Hefermehl17 Wettbewerbsrecht 1302).

Nach den bisherigen Feststellungen läßt sich dem Verhalten des Klägers weder Vorsatz noch bedingter Vorsatz unterstellen. Der Entlassungsgrund nach § 82 lit d GewO 1859 liegt daher nicht vor.

Daran vermag auch das Verbot Fremde ohne Bewilligung herumzuführen, das dem Kläger bekannt war oder bekannt sein mußte, nichts zu ändern. Die von der Revisionswerberin vermißte Feststellung, daß zu einer Besichtigung die ausdrückliche Zustimmung des Geschäftsführers erforderlich ist, bedurfte es daher nicht. Die Besichtigung einer "angeschafften" Großdruckereimaschine während des Betriebes vermag keine Geschäftsgeheimnisse zu verletzen. Als auf dem einschlägigen Markt erhältliches Objekt war sie in den beteiligten Fachkreisen allgemein bekannt. Die bloße fahrlässige Ermöglichung der Kenntnis von den Erzeugnissen der Beklagten und von offen herumliegenden vertraulichen Unterlagen begründete lediglich die Besorgnis eines Geheimnisverrates, die zur Herstellung des Tatbestandes nach § 82 lit e GewO 1859 erster Fall nicht ausreicht (Martinek-M.Schwarz-W.Schwarz7, AngG 605; Kuderna, Entlassungsrecht 64). Eine Duldung einer tatsächlichen Kenntnisnahme durch Ernst Stadler ist nicht festgestellt.

Das Interesse Stadlers an der Besichtigung der Betriebsräumlichkeiten hätte beim Kläger bei pflichtgemäßer Sorgfalt nur die Besorgnis erwecken müssen, Gelegenheit zum Einblick in vertrauliche Vorgänge zu geben.

Dieses einmalige unbedachte Fehlverhalten, ohne jede festgestellte Absicht eines Geheimnisverrates, ohne Eigennutz und ohne festgestellte nachteilige Folgen für die Beklagte war aber nur eine Ordnungswidrigkeit.

Im Umfang des Zahlungsbegehrens sind daher die Urteile der Vorinstanzen zur Einvernahme des Zeugen Koloman B***** aufzuheben.

Der Revision kommt aber keine Berechtigung zu, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Ausstellung eines ordnungsgemäßen Dienstzeugnisses wendet.

Der Hinweis im Dienstzeugnis, daß das Dienstverhältnis durch Austritt beendet wurde, verstößt gegen die gesetzliche Beschränkung des Inhaltes des notwendigen Dienstzeugnisses auf Angaben zu Art und Dauer des Dienstverhältnisses (Runggaldier/Eichinger, Arbeitszeugnis 96 f; Eypeltauer in DRdA 1992, 19 [22]). Die Angabe über die Art der Beendigung des Dienstverhältnisses gehört nicht zu diesen Angaben und hatte daher zu entfallen. Im konkreten Fall entspricht sie auch nicht der Wahrheit, so daß der Kläger ein Dienstzeugnis mit diesem Inhalt nicht hinnehmen mußte. Ob auch gegen das Erschwerungsverbot verstoßen wurde, kann dahingestellt bleiben.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E32362

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBA00027.93.0224.000

Dokumentnummer

JJT_19930224_OGH0002_009OBA00027_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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