TE OGH 1993/3/17 9ObA606/92

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Veröffentlicht am 17.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Fachverband der Nahrungs- und Genußmittelindustrie Österreichs, Wien 3., Zaunergasse 1-3, vertreten durch Dr.Dittrich Rössler, Dr.Johann Pritz und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider den Antragsgegner Österreichischer Gewerkschaftsbund, Agrar-Nahrung-Genuß vormals Gewerkschaft der Lebensmittel- und Genußmittelarbeiter, Wien 8., Albertgasse 35, vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, über den nach § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Es wird festgestellt, daß die im Branchenanhang zum Rahmenkollektivvertrag der Nahrungs- und Genußmittelindustrie für die Brauereien, deren Jahresausstoß nicht mehr als 36.000 hl beträgt und für die Brauereien, deren Jahresausstoß mehr als 36.000 hl beträgt, enthaltene Abänderung zu § 24 des Rahmenkollektivvertrages in Abs 1 lit a, b und f nichtig ist.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Rahmenkollektivvertrag für die Nahrungs- und Genußmittelindustrie Österreichs (im folgenden auch kurz: KV) enthält ua folgende Bestimmung:

"§ 24 Allgemeine Bestimmungen

(1) Die Regelung der aus dem Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer entstammenden Angelegenheiten erfolgt zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat im Rahmen der Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr.22/74 idgF.

Der sogenannte Branchenanhang zu diesem Kollektivvertrag in der Fassung vom 1.Jänner 1990 enthält für die Brauereien, deren Jahresausstoß mehr und für solche, deren Jahresausstoß nicht mehr als 36.000 hl beträgt, folgende gleichlautende Regelungen:

"Zu § 24 Allgemeine Bestimmungen:

In Änderung der Z 1 gilt:

1. In den im nachstehenden angeführten Personalangelegenheiten ist das Einvernehmen zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat herzustellen:

a) bei Einteilung der täglichen Arbeitszeit,

b) bei Überstundenleistung und Festsetzung von Pauschalien,

f) bei Erstellung des Fahrplanes für das Fahrpersonal.

In allen übrigen Personalgelegenheiten gelten die gesetzlichen Bestimmungen."

Der Antragsteller ist eine gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitgeber im Sinne des § 4 Abs 1 ArbVG (Floretta-Strasser HdKommzArbVG 48). Die Antragsgegnerin ist eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsvereinigung der Arbeitnehmer im Sinne des § 4 Abs 2 ArbVG, der vom Obereinigungsamt (für die einzelne Fachgewerkschaft) die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt wurde (Floretta-Strasser aaO 1025 f; Cerny, Arbeitsverfassungsrecht II 55).

Beide Parteien sind daher im Sinne des § 54 Abs 2 erster Satz ASGG als Parteien dieses Feststellungsverfahrens legitimiert.

Der Antragsteller führt zur Begründung seines aus dem Spruch ersichtlichen Feststellungs(haupt-)antrages aus, daß in den Mitgliedsbetrieben mit einer (kollektivvertragsangehörigen) Belegschaft von rund 5000 Arbeitern (hievon 1000 Kraftfahrer) die Rechtsfrage strittig sei, ob die von § 24 Abs 1 KV abweichenden Bestimmungen im sogenannten Brachenanhang hinsichtlich der Z 1 lit a, b und f nichtig seien. Die dort normierten Mitwirkungsrechte des Betriebsrates würden vom Antragsgegner so ausgelegt, daß auch bei Anordnungen des Arbeitgebers gegenüber einzelnen Arbeitnehmern, die Überstundenleistungen oder die Fahrtroute bzw den Fahrplan betreffen, ein Zustimmungsrecht des Betriebsrates bestehe. Derartige Mitwirkungsrechte seien nicht typischer Gegenstand eines Einzelvertrages. Sie seien daher als Regelung der Rechtsbeziehungen des Betriebsinhabers zur Belegschaft, also betriebsverfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten, der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien gemäß § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG entzogen. Die genannten Bestimmungen seien daher wegen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nichtig.

Sollte Nichtigkeit nicht vorliegen, seien die maßgeblichen Bestimmungen des Branchenanhanges so auszulegen, daß diese Mitwirkungsrechte des Betriebsrates nur bei generellen Regelungen für einen abstrakt beschriebenen Personenkreis, nicht aber bei Anordnungen gegenüber einzelnen Arbeitnehmern bestehen.

Der Antragsgegner beantragte die Abweisung des Feststellungsantrages. Die strittigen Bestimmungen hielten sich im Rahmen des § 2 Abs 2, § 29 ff und § 97 ArbVG. Sie seien nur eine Verdeutlichung der im Arbeitsverfassungsgesetz geregelten Mitwirkungsrechte des Betriebsrates gemäß § 97 Abs 1 Z 2 und 13 ArbVG, betreffend die Einteilung der täglichen Arbeitszeit, die Mitwirkung bei Überstundenleistungen und bei der Festsetzung von Pauschalien. Auch die Erstellung von Fahrplänen hänge mit der Regelung der Verteilung der Arbeitszeit und der Arbeitspausen zusammen und sei daher von § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG mitumfaßt.

Der Feststellungshauptantrag ist berechtigt.

Kollektivverträge sind in ihrem normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6 und 7 ABGB), auszulegen. Dabei ist vom objektiven Inhalt der Norm auszugehen. Maßgebend ist nur der in der Norm objektiv erkennbare Wille des Normengebers. Der Normadressat muß sich an den klaren Wortlaut der Norm halten können und muß in seinem Vertrauen darauf geschützt werden, daß die Norm so gilt, wie sie von ihm verstanden werden muß. In erster Linie ist daher der Wortsinn auch im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrages ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (Cerny, Arbeitsverfassungsrecht II 31; ArbSlg 10.815; RZ 1990/89 ua).

§ 24 Abs 1 KV ist eine bloße Verweisung auf (zwingende) Vorschriften der ArbVG ohne eigenen normativen Gehalt. Dies trifft aber für die in den Branchenanhängen vereinbarten Abänderungen nicht zu. Nach der primär heranzuziehenden Wortauslegung haben die Kollektivvertragsparteien eine Änderung des § 24 Abs 1 KV, also ein Abweichen von den im Wege der Verweisung zitierten Vorschriften des ArbVG gewollt. Das ist nicht nur aus der Wortfolge "In Änderung der Ziff 1 gilt", sondern auch aus der abschließenden Klausel der Brauchanhänge zu § 24 KV, daß "in allen übrigen Personalangelegenheiten die gesetzlichen Bestimmungen gelten" zu entnehmen. Die Kollektivvertragsparteien wollten daher in den in lit a), b) und f) der Branchenanhänge aufgezählten Personalangelegenheiten, von den Vorschriften des ArbVG abweichen. Eine andere Auslegung würde zu einer dem Normgeber nicht zu unterstellenden inhaltsleeren und damit sinnlosen Regelung führen (Arb 10.447).

Der Einwand der Antragsgegnerin, daß damit lediglich auf Angelegenheiten Bezug genommen worden sei, über die gemäß § 97 Abs 1 ArbVG Betriebsvereinbarungen im Sinne des § 29 ArbVG abgeschlossen werden können, ist nicht berechtigt. Dazu hätte es keiner vom ArbVG abweichenden Sonderregelung bedurft. Der Branchenanhang zählt nicht bestimmte Angelegenheiten auf, in denen Betriebsvereinbarungen im Sinne des § 29 ArbVG abgeschlossen werden können, sondern führt "Personalangelegenheiten" an, in denen "das Einvernehmen zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat" herzustellen ist. Der Begriff "Personalangelegenheiten" weist darauf hin, daß die Mitwirkung in personellen Angelegenheiten geregelt werden sollte, wie sie das ArbVG in den §§ 98 ff (II. Teil Betriebsverfassung, Abschnitt 3) in bestimmten, regelmäßig eine Entscheidung im Einzelfall betreffenden Fragen (zB Mitwirkung bei der Einstellung von Arbeitnehmern; Mitwirkung bei Versetzungen; Mitwirkung bei Verhängung von Disziplinarmaßnahmen; Anfechtung von Kündigungen und Entlassungen usw) vorsieht. Wohl kann die generelle Festsetzung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit, so wie die Anordnung der vorübergehenden Verkürzung und Verlängerung der Arbeitszeit Gegenstand einer Betriebsvereinbarung im Sinne des § 97 Abs 1 Z 3 und 13 ArbVG sein. Das ist aber hier nicht gemeint, wie sich auch aus dem Wort "Überstundenleistung" ergibt.

Nach dem für wahr zu haltenden Vorbringen des Antragstellers (§ 54 Abs 4 ASGG) nehmen die Betriebsräte der Mitgliedsbetriebe auch tatsächlich ein Mitspracherecht ("Zustimmungsrecht") in diesen "Personalangelegenheiten" im Einzelfall für sich in Anspruch.

Da der Arbeitnehmerschaft kein allgemeines, sich auf alle personellen Angelegenheiten beziehendes Mitwirkungsrecht zusteht, der Gesetzgeber vielmehr einzelne, ihm wichtig scheinende Sachverhalt herausgegriffen und einer Mitwirkung der Belegschaft unterworfen hat (Floretta-Strasser, HdKommzArbVG 576), ist zu prüfen, ob ein solches - über die §§ 98 ff ArbVG hinausgehendes - Mitwirkungsrecht in personellen Angelegenheiten im Einzelfall durch Kollektivvertrag begründet werden kann.

Der Antragsgegner leitet dieses Recht aus § 2 Abs 2 ArbVG ab, weil alle dort in Z 1 bis 7 genannten Regelungsbereiche durch Kollektivverträge geregelt werden könnten. § 29 ArbVG erweitere diesen Regelungsbereich, weil alles, was Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein könne, auch mit Kollektivvertrag normiert werden könne. Dem ist nicht zu folgen.

Die Mitwirkungsrechte der Belegschaft sind ebenso wie die Organisation der Betriebsverfassung Bestandteil des Betriebsverfassungsrechtes. Die Ordnung der Betriebsverfassung ist gesetzlich abschließend und absolut zwingend geregelt. Durch Kollektivvertrag kann diese Ordnung grundsätzlich nicht abgeändert werden (Mayer-Maly/Marhold, Kollektivarbeitsrecht II 62; Jabornegg, Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht in: Strasser-FS 366 [379 ff]; derselbe, Grenzen kollektivvertraglicher Rechtssetzung und richterlicher Kontrolle, JBl 1990, 205f, [209 ff]; Strasser, Arbeitsrecht3 II 139 f).

Die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien gründet sich nicht auf die allgemeine Vertragsfreiheit, sondern auf die durch § 2 Abs 2 ArbVG beschränkte gesetzliche Ermächtigung (Arb 10.057 = DRdA 1983, 11 [Wachter] = ZAS 1983/9 [Geppert]). § 2 ArbVG begrenzt somit die Rechtssetzungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien (Jabornegg zu DRdA 1990/9, 120) und legt den zulässigen Inhalt eines Kollektivvertrages taxativ fest (Cerny, Arbeitsverfassungsrecht II 33 mwN). Betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten könne durch Kollektivvertrag (und kraft kollektivvertraglichen Vorbehalts gemäß § 29 ArbVG durch Betriebsvereinbarung) nur so weit geregelt werden, als sie von der durch § 2 Abs 2 ArbVG gesetzlich eingeräumten Regelungsbefugnis umfaßt sind und somit zum erlaubten Inhalt des Kollektivvertrages gehören (Mayer-Maly/Marhold aaO 62 f; Floretta-Strasser aaO 30). Das gilt sowohl für die Organisation der Betriebsverfassung als auch für die Mitbestimmungsrechte der Belegschaft (Mayer-Maly/Marhold aaO; Jabornegg, Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht 374 ff; 379 ff). Diese Rechtsfolge ergibt sich aus dem bereits erwähnten absolut zwingenden Charakter des ArbVG und aus einem Gegenschluß aus § 2 Abs 2 Z 5 und Z 6 ArbVG, die in bestimmt bezeichneten Angelegenheiten die Schaffung von Mitwirkungsbefugnissen der Arbeitnehmerschaft und von gemeinsamen Einrichtungen der Kollektivvertragsparteien vorsehen (Jabornegg, JBl 1990, 210; Mayer-Maly/Marhold aaO). § 29 ArbVG bringt darüber hinaus für die Schaffung von Betriebsverfassungsrecht keine Erweiterung, weil durch Betriebsvereinbarung nur Angelegenheiten des Betriebsverfassungsrechtes geregelt werden können, die gemäß § 2 Abs 2 ArbVG auch im Kollektivvertrag normiert werden könnten (Floretta-Strasser, KurzkommzArbVG 44).

Insbesondere können weitere Mitwirkungsrechte des Betriebsrats auch nicht aufgrund der Normsetzungsermächtigung des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG geschaffen werden, wonach die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer durch Kollektivverträge geregelt werden können. Da die Normsetzungsbefugnis des § 2 Abs 2 ArbVG im Zweifel restriktiv auszulegen ist (Firlei, Mitbestimmung durch Inhaltsnormen? in: FS Floretta 469, [472]; Jabornegg, JBl 1990, 206; aM Cerny, Arbeitsverfassungsrecht II 33 f), kann nur der typische, wesentliche oder regelmäßig wiederkehrende Inhalt eines Arbeitsvertrages einer kollektivvertraglichen Regelung unterworfen werden (Strasser in HdKommzArbVG 27; Kuderna, Schlichtungsstellen für Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis, DRdA 1978, 3 [6 ff];

Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 85; Arb 10.057 = DRdA 1983/11

[Wachter] = ZAS 1983/9 [Geppert]; RdW 1986, 52; Arb 10.965).

Obwohl es grundsätzlich nicht möglich ist, durch Kollektivverträge betriebsverfassungsrechtliche Normen zu schaffen, wurde doch der Standpunkt vertreten, daß die personellen Mitwirkungsrechte hier eine Sonderstellung einnehmen. Die Normen, die sich auf die Mitwirkung des Betriebsrates an personellen Maßnahmen beziehen, seien nicht allein Bestandteil des Betriebsverfassungsrechts, sondern auch arbeitsvertragliche Normen, da sie als Bedingung für die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Gestaltung aufgefaßt werden können; was isoliert betrachtet als betriebsverfassungsrechtliche Norm erscheine (zB das Erfordernis der Anhörung des Betriebsrates vor der individuellen Anordnung vorübergehender Überstunden), sei im Zusammenhang mit der arbeitsvertragsrechtlichen Maßnahme als bloße Bedingung ihrer Zulässigkeit anzusehen. Der Normierung derartiger Bedingungen stehe § 2 Abs 2 ArbVG nicht entgegen (Strasser in HdKommzArbVG 576 f). Auch Firlei (in FS Floretta 469 ff) hält derartige kollektivvertraglich begründete Mitwirkungsrechte für zulässig, wenn sie dem Zweck dienen, dem einzelnen Arbeitnehmer primär einen individuellen arbeitsvertraglichen Anspruch zu verschaffen. Mayer-Maly/Marhold (aaO 62) meinen hingegen unter Berufung auf Jabornegg (JBl 1990, 205 ff), daß der Versuch, Mitbestimmungsrecht als Bindung für Inhaltsnormen zu formulieren, den Grundsatz umgehe, daß die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung grundsätzlich durch Kollektivvertrag nicht abgeändert werden könne.

Dem ist zuzustimmen: Selbst wenn man den Doppelcharakter derartiger kollektivvertraglicher Regelungen in Personalangelegenheiten bejaht, weil sie einerseits die wechselseitigen Rechte und Pflichten des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers (zB Weisungsrecht des Arbeitgebers und Pflicht des Arbeitnehmers, Weisungen des Arbeitgebers zu befolgen) und andererseits die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates (zB bei der Ausübung dieses Weisungsrechtes) betreffen, wird doch in den zweiseitig zwingenden Charakter der Normen des Arbeitsverfassungsgesetzes eingriffen. Bei den Normen über die Rechtssetzungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien handelt es sich um einheitliche, unteilbare Normen, so daß nicht nur ein Teil (nämlich die Inhaltsnorm), sondern ihr gesamter Inhalt durch die den Kollektivvertragsparteien verliehene Rechtssetzungsbefugnis derart gedeckt sein muß, daß sie sich widerspruchsfrei in das System der Regelung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates einfügen lassen (Strasser, Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden in FS Weissenberg 343 [349 mwN]; Jabornegg, JBl 1990, 205 [210 f]).

Derartige Mitwirkungsrechte, die durch die den Kollektivvertragsparteien erteilte Normsetzungsbefugnis nicht gedeckt sind, verstoßen gegen absolut zwingende Normen des ArbVG. Sie sind daher nichtig (Strasser in FS Weissenberg 343 [349]; Jabornegg, in FS Strasser 366 [373, 384]; derselbe, JBl 1990, 205 [211]; derselbe DRdA 1990, 120). Der gegenteiligen Ansicht Cernys (aaO 43), der sich auf die überwiegende Meinung der Lehre (Strasser in HdkommzArbVG 576 f; Floretta in HdKommzArbVG 679) stützt, die er aber nicht mehr für sich hat (Strasser vertritt in FS Weissenberg 343 die gegenteilige Ansicht und ist damit zu der von Floretta-Strasser im HdKommzBRG 337 vertretenen Meinung, daß eine Ausweitung der personellen Mitwirkungsrechte des Betriebsrates durch Kollektivvertrag gegen den absolut zwingenden Charakter des Arbeitsverfassungsrechts verstößt, zurückgekehrt).

Der Hinweis Cernys auf die Entscheidung DRdA 1990/9 [kritisch Jabornegg 120 f]) ist nicht überzeugend. Der Oberste Gerichtshof hat dort die Meinung vertreten, daß gegen die Zulässigkeit der Beschränkung des Entlassungsrechtes des Arbeitgebers durch die Pflicht, vorher den Betriebsrat anzuhören, keine Bedenken bestehen, weil dies dem Arbeitgeber nicht die Befugnis nehme, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, sondern ihn nur verpflichte, dem Betriebsrat Gelegenheit zur Äußerung zu der beabsichtigten Maßnahme zu geben. Eine solche Beschränkung des Entlassungsrechtes greife viel weniger tief in die Dienstgeberrechte ein als die Übertragung des Ausspruches der Disziplinarstrafe an einen Dritten. Dieser Fall ist daher mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, weil hier der Betriebsinhaber das Einvernehmen mit dem Betriebsrat herstellen muß.

Die in den Branchenanhängen vereinbarten Mitwirkungsrechte in personellen Angelegenheiten gehen über die durch das ArbVG eingeräumte Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien hinaus; sie verstoßen gegen absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht und sind daher nichtig. Dem Feststellungshauptantrag ist daher stattzugeben. Auf den Eventualantrag ist daher nicht mehr einzugehen.

Anmerkung

E34896

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBA00606.92.0317.000

Dokumentnummer

JJT_19930317_OGH0002_009OBA00606_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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