TE OGH 1993/3/30 10ObS20/93

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.03.1993
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dipl.Ing.Raimund Tschulik (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margarete T*****, zuletzt Verkäuferin, ***** vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Oktober 1992, GZ 31 Rs 118/92-50, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 31.Jänner 1992, GZ 6 Cgs 42/90-45, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 30.August 1941 geborene Klägerin hat den Beruf eines Kaufmannsgehilfen erlernt und war als Verkäuferin bis März 1987 berufstätig. Sie war auch im Einkauf beschäftigt, hat Rabatte ausgehandelt und Verhandlungen mit den Großhändlern und Erzeugern geführt. Sie war in der Beschäftigungsgruppe 4, zuletzt 5 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten Österreichs eingestuft. Der Klägerin sind leichte und mittelschwere Arbeiten vorwiegend, jedoch nicht ausschließlich im Sitzen unter den üblichen Arbeitspausen zumutbar. Zwischenzeitiges Gehen muß möglich sein, wobei die Klägerin alle ein bis zwei Stunden aufstehen muß, ohne dadurch die Arbeit länger unterbrechen zu müssen. Ausgenommen sind Arbeiten in Nässe und Kälte und solche mit großer Streßeinwirkung wie Akkord- und Fließbandarbeiten. Die Anmarschwege sind auf 1 km eingeschränkt.

Das Erstgericht gab dem auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gerichteten Begehren der Klägerin teilweise statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension ab 1. Juli 1990 zu gewähren und ihr eine vorläufige monatliche Zahlung von S 6.000 zu erbringen. Das darüberhinaus gehende Mehrbegehren für den Zeitraum vom 1.Juni 1987 bis 30.Juni 1990 wurde hingegen abgewiesen. Das Erstgericht erachtete die Klägerin während des zuletzt genannten Zeitraumes nicht als berufsunfähig, weil sie auf den Beruf eines Großhandelskaufmanns oder eines Industriekaufmanns verweisbar sei. Diese Tätigkeiten seien überwiegend im Sitzen durchzuführen und nur mit körperlich leichter Arbeit verbunden. Ab dem 1.Juli 1990 sei die Lehrzeit des Einzelhandelskaufmannes auf die Lehrzeiten der verwandten Berufe Großhandelskaufmann, Bürokaufmann und Industriekaufmann nur mehr zur Hälfte anrechenbar. Ab diesem Zeitpunkt sei daher eine Verweisung eines Einzelhandelskaufmannes auf den Beruf des Großhandels- oder Industriekaufmannes nicht mehr möglich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, hingegen der Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sei zwar richtig, daß die Klägerin bei ihrem letzten Dienstgeber in der Beschäftigungsgruppe 5 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten Österreichs eingestuft gewesen sei. Damit sei aber für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen. Selbst wenn man von den Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen ausgehe, wonach der Klägerin Arbeiten in der Statistik, Hilfstätigkeiten in der Kalkulation, als Fakturistin sowie im Ein- und Verkauf zumutbar und möglich seien, so fänden sich derartige Tätigkeiten doch auch in den Verwendungsgruppen 4 und 5 des genannten Kollektivvertrages. In der Beschäftigungsgruppe 4 seien folgende für die Klägerin in Betracht kommende Tätigkeiten beispielsweise aufgezählt: erste Verkäufer mit selbständiger Einkaufsbefugnis, selbständige Statistiker, Exportfakturisten. In der Beschäftigungsgruppe 5 komme für die Klägerin vor allem die Tätigkeit eines selbständigen Einkäufers in Betracht. In der Verwendungsgruppe IV des Rahmenkollektivvertrages für die Angestellte der Industrie seien Sachbearbeiter (Referenten) im Ein- und Verkauf beispielsweise genannt. In der Verwendungsgruppe V dieses Kollektivvertrags seien Angestellte im Verkauf genannt, die mit der weitgehend abschlußreifen Vermittlung bzw dem Abschluß von Geschäften beauftragt seien, die aufgrund ihres Schwierigkeitsgrades sowie aufgrund ihrer Bedeutung für das Unternehmen eine besondere Qualifikation erfordern. Ziehe man in Betracht, daß die Klägerin zuletzt den Einkaufsbereich (selbständig) betreute, mit Großhändlern und Produzenten verhandelte, Großkunden betreute und anwarb, so sei ihr jedenfalls eine Verkaufstätigkeit auch im Großhandel- und Industriebereich ohne sozialen Abstieg zumutbar. Der zuletzt ausgeübte Beruf bestimme das Verweisungsfeld, also die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen seien, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Der Beklagten sei darin beizupflichten daß die Tätigkeiten eines Einzelhandelskaufmannes einerseits und jene eines Großhandels- oder Industriekaufmanns andererseits derselben Berufsgruppe angehörten. Daß die Lehrzeit im Beruf eines Einzelhandelskaufmanns auf die Lehrzeiten in den verwandten Lehrberufen Großhandelskaufmann und Industriekaufmann nur mehr teilweise anrechenbar sei, spreche nicht gegen die Ähnlichkeit der Ausbildung. Nach der Verordnung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 19.Juni 1990, BGBlNr 374, sei das erste Lehrjahr zur Gänze, das zweite Lehrjahr zur Hälfte anrechenbar. Diese Regelung gelte ab 1.Juli 1990, hindere aber entgegen der Auffassung des Erstgerichts die Verweisung der Klägerin auf die Tätigkeiten eines Großhandels- oder Industriekaufmannes nicht, weil nicht die Zurücklegung der Lehrzeit und der formelle Lehrabschluß, sondern nur eine "ähnliche Ausbildung" und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten zu fordern seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Es trifft insbesondere nicht zu, daß das Berufungsgericht von den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen abgewichen sei, wozu es übrigens ohne Beweiswiederholung gar nicht berechtigt gewesen wäre (SSV-NF 6/10). Soweit sich in den erstgerichtlichen Feststellungen die Aussage findet, ab dem 1.Juli 1990 sei eine Verweisung eines Einzelhandelskaufmannes auf den Beruf des Großhandels- oder Industriekaufmannes nicht mehr möglich, handelt es sich in Wahrheit um Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung.

In ihrer Rechtsrüge vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, sie sei als Verkäuferin nicht mehr verweisbar und daher berufsunfähig nach § 273 Abs 1 ASVG. Sie beachtet dabei zuwenig, daß es keine Berufsgruppe, aber auch keinen Lehrberuf "Verkäufer" gibt, sondern daß darunter vielmehr Teiltätigkeiten mehrerer verwandter kaufmännischer Lehrberufe verstanden werden, insbesondere des Lehrberufes "Einzelhandelskaufmann", bei denen der Verkauf der Waren im Vordergrund steht (15.September 1992, 10 Ob S 160/92 = SSV-NF 6/87 - in Druck). Auch nach dem in den Ausbildungsvorschriften für den letztgenannten Lehrberuf (zuletzt BGBl 1990/378) festgelegten Berufsbild sind während der Berufsausbildung nicht nur Fertigkeiten und Kenntnisse des Warensortiments, der Verkaufsvorbereitung, der Warenpräsentation und Verkaufsförderung, des Warenverkaufs, der Kundenberatung und der Verkaufsabrechnung zu vermitteln, sondern unter anderem auch in der Verwaltung: einschlägige Schriftverkehrsarbeiten, Arbeiten bei Posteingang, Postausgang, Ablage und Evidenz, Arbeiten mit Formularen und Vordrucken, Kenntnis über die Anlegung von Statistiken, Karteien oder Dateien, Grundkenntnisse über betriebliche Risken und deren Versicherungsmöglichkeiten sowie über Schadensmeldungen; aber auch im Zusammenhang mit der Warenbeschaffung und Lagerung und im betrieblichen Rechnungswesen: Kostenrechnung und Kalkulation, Steuern und Abgaben, Rechnungswesen, Zahlungsverkehr und Buchführung.

Ein Vergleich mit den zuletzt mit Verordnung BGBl 1990/376 erlassenen Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Bürokaufmann" zeigt, daß zu dessen Berufsbild viele die Verwaltung, die Beschaffung und das Anbot und das betriebliche Rechnungswesen betreffende Fertigkeiten und Kenntnisse gehören, die etwa auch im Rahmen der Ausbildung für den Lehrberuf "Einzelhandelskaufmann" zu vermitteln sind. Dazu kommt, daß die bürokaufmännischen Elemente der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann im dualen System nicht nur in der Praxis des konkreten Lehrbetriebs vermittelt, sondern auch in der Berufsschule gelehrt werden. Berücksichtigt man dazu noch, daß der erfolgreiche Abschluß der nicht nach einzelnen kaufmännischen Berufen differenzierten, sondern eine allgemeine kaufmännische Grundausbildung vermittelten Handelsschule die Lehrabschlußprüfung unter anderem in den Lehrberufen Einzelhandelskaufmann und Bürokaufmann, aber auch Großhandelskaufmann und Industriekaufmann ersetzt und daß die Lehrzeiten in den verwandten kaufmännischen Lehrberufen in verschiedenem Maß gegenseitig angerechnet werden, dann bestätigen diese gesetzlichen Regelungen die Richtigkeit der Rechtsansicht, daß die in diesen verwandten Berufen tätigen Angestellten über eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen und daher zu einer Berufsgruppe der kaufmännischen Angestellten gehören (ebenso 10 Ob S 160/92 = SSV-NF 6/87 - in Druck).

Der Hinweis der Klägerin auf fehlende Kenntnisse in den einzelnen kaufmännischen Berufen schlägt nicht durch. Verfügt nämlich die Klägerin nicht über jene Kenntnisse und Fertigkeiten, die Angestellte üblicherweise besitzen, die in den Verwendungsgruppen 4 und 5 des genannten Kollektivvertrags eingestuft sind, kann sie auch nicht den Berufsschutz solcher Angestellten in Anspruch nehmen (vgl SSV-NF 4/17). Wenn sie aber tatsächlich so qualifiziert war, daß sie zu Recht die Beschäftigungsgruppe 5 eingestuft wurde, dann besteht an ihrer Verweisbarkeit auf kaufmännische Tätigkeiten, die über mittelschwere, körperliche Beanspruchung nicht hinausgehen und vorwiegend im Sitzen ausgeübt werden können, überhaupt kein Zweifel. Das medizinische Leistungskalkül erlaubt zwischenzeitiges Gehen und erfordert, daß die Klägerin nach Bedarf alle ein bis zwei Stunden aufstehen kann, ohne dadurch die Arbeit länger unterbrechen zu müssen. Wenngleich der Klägerin aufgrund dieser Einschränkung der vorwiegend im Stehen auszuübende Beruf eines Verkäufers verwehrt sein mag, so stehen ihr doch eine ganze Reihe der im Kollektivvertrag aufgezählten kaufmännischen Tätigkeiten offen, die vorwiegend im Sitzen auszuüben sind. Der Einwand der Klägerin, ihr Blutdruckleiden ändere das medizinische Leistungskalkül für die Zeit vor dem 1. September 1991, stellt den unzulässigen Versuch dar, im Revisionsverfahren die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen zu bekämpfen. Das Berufungsgericht ist zu dem zutreffenden rechtlichen Ergebnis gelangt, daß die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 1 ASVG nicht erfüllt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an die Klägerin nach Billigkeit wurden nach dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

Anmerkung

E32249

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00020.93.0330.000

Dokumentnummer

JJT_19930330_OGH0002_010OBS00020_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten