TE OGH 1993/3/31 7Ob7/93

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Veröffentlicht am 31.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred K*****, vertreten durch Dr.Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Georg Döcker, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung der Deckungspflicht (Streitwert S 300.000,-- s.A.), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23.Oktober 1992, GZ 3 R 129/92-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 27.März 1992, GZ 28 Cg 905/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das Klagebegehren des Inhaltes, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei verpflichtet ist, dem Kläger für den Rechtsschutzfall vom 24.8.1991 aus dem Versicherungsvertrag zur Polizzennummer 75/1148338 Versicherungsschutz (Rechtsschutz) im Sinne der Versicherungsbedingungen zu gewähren, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 19.034,40 (darin S 3.172,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die mit S 30.055,60 (darin S 3.402,60 Umsatzsteuer und S 9.640,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 24.247,20 (darin S 2.041,20 Umsatzsteuer und S 12.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Dem Rechtsschutzvertrag des Klägers bei der beklagten Partei liegen die ARB 1988 zugrunde. Die Versicherungssumme beträgt S 300.000,--. Der Kläger hat sich am 24.8.1991 bei einem von der Ö***** veranstalteten Abenteuerurlaub schwer verletzt, als er seinen Behauptungen nach über Anraten eines Mitarbeiters dieses Veranstalters, dies sei völlig gefahrlos, von einem 4 m hohen Felsen in die Enns sprang.

Der Kläger erstattete durch den nunmehrigen Klagevertreter mit Schreiben vom 19.9.1991, in dem der Klagevertreter darauf hinweist, daß ihn der Kläger - den er in der Folge als seinen Mandanten bezeichnet - um seine rechtsfreundliche Vertretung ersucht habe, eine Schadensmeldung, in der er gleichzeitig um Bestätigung der Deckung ersuchte. Diesem Schreiben war die offensichtlich am gleichen Tag abgefertigte Aufforderung des Klagevertreters an den Mitarbeiter des Reiseveranstalters, Walter G*****, zur Zahlung eines Schmerzengeldes von 100.000,-- S, eines Verdienstentganges von S 20.000,-- sowie - "für den sofortigen Vergleichsfall" - der mit S 12.000,-- zuzüglich Umsatzsteuer pauschalierten Kosten seines rechtsfreundlichen Einschreitens (Beilage F) beigelegt. Mit Schreiben vom 25.10.1991 (in dem auf eine mündliche Deckungszusage eines Mitarbeiters der beklagten Partei hingewiesen wurde), übersandte der Klagevertreter einen Klageentwurf gegen den Reiseveranstalter und seine Mitarbeiter. Die beklagte Partei verweigerte in der Folge die Deckung, weil keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestehe.

Art.8 Z 1 der ARB 1988 lautet (auszugsweise):

"Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet......,

1.2 dem Versicherer die Beauftragung des Rechtsanwaltes (Art.10) zu überlassen...

1.5 bei der Geltendmachung oder Abwehr von zivilrechtlichen Ansprüchen außerdem

1.5.1 dem Versicherer vorerst die Möglichkeit einzuräumen, Ansprüche selbst innerhalb angemessener Frist außergerichtlich durchzsuetzen oder abzuwehren..."

Art.9.2 der ARB lautet (auszugsweise):

"Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen".

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei die Feststellung, diese sei verpflichtet, ihm für den gegenständlichen Schadensfall Rechtsschutz zu gewähren.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe gegen die Obliegenheit nach § 8 Z 1.2 ARB 1988 verstoßen und die Beauftragung des Rechtsanwaltes nicht der beklagten Partei überlassen; er habe auch die Bestimmung des Art.8 Z 1.5.1 und Art.9 ARB 1988 verletzt. Danach sei der Versicherer berechtigt, die Durchsetzung der Ansprüche des Versicherungsnehmers selbst außergerichtlich zu versuchen und Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Die beklagte Partei gestand dabei zu, daß dem Kläger für den ex delictu geltend gemachten Anspruch gegenüber Walter G*****, dem Mitarbeiter des Veranstalters, das Recht der freien Anwaltswahl zustehe, wiewohl die Beauftragung des Anwalts durch den Versicherer zu erfolgen habe. Anders verhalte es sich mit dem gegenüber dem Veranstalter selbst aus dem Reisevertrag geltend zu machenden Anspruch, da dem Versicherer hier gemäß Art.23 der ARB 1988 auch das Auswahlrecht zustehe. Behauptungen, daß die Durchsetzung des klägerischen Anspruches erfolglos sei bzw. in diese Richtung gehende Behauptungen fehlen (im Gegensatz zur vorangehenden Korrespondenz).

Beide Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für unzulässig. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß mit der Bestimmung des Art.8.1.2 ARB 1988 der Versicherung die Führung des Prozesses durch einen Rechtsanwalt ihres Vertrauens und damit auch eine entsprechende Prozeßkontrolle gewährleistet werden solle. Die Rechtsprechung, wonach sich der Versicherte zur Verfolgung seiner Ansprüche nur eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bedienen dürfe (SZ 47/116 = EvBl. 1975/163 = VR 1975/159; ZVR 1984/248) sei zu den anderslautenden ARB 1965 ergangen. Danach entfalle der Versicherungsschutz, wenn sich der Versicherte zur Verfolgung seiner Ansprüche nicht eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bediene. Diese von der Rechtsprechung als versteckte Obliegenheit des Versicherungsnehmers qualifizierte Bestimmung sei in den ARB 1988 nicht mehr enthalten. Ein bloßes Anspruchsschreiben an den Schädiger ohne weitergehende Vergleichsverhandlungen könne daher noch nicht als Obliegenheitsverletzung angesehen werden.

Die gegen diese Entscheidung von der beklagten Partei erhobene Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zu den ARB 1988, die in ihrem Wortlaut hinsichtlich der Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches des Versicherten von den früheren Bedingungen abweichen, wurde vom Obersten Gerichtshof noch nicht Stellung genommen. Die dazu vom Berufungsgericht vertretene Ansicht kann jedoch nicht geteilt werden.

Rechtlich unbeachtlich ist die Verfassung der Schadensmeldung durch einen vom Versicherungsnehmer betrauten Rechtsanwalt, weil damit gegen keines der Gebote des Art.8 und 9 der ARB 1988 verstoßen worden ist.

Nach Art.4 lit.g der ARB 1965 "...entfällt der Versicherungsschutz, wenn sich der Versicherte zur Verfolgung seiner Ansprüche nicht eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes ... bedient". Die Rechtsprechung wertete einen Verstoß gegen diese Bestimmung als Obliegenheitsverletzung (vgl. SZ 47/116, VR 1988/115, VR 1987/65). Der Versicherungsschutz umfasse auch die zur Wahrung der rechtlichen Interessen notwendigen außergerichtlichen Maßnahmen. Es sei klar, daß die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen auch die Durchführung von Vergleichsverhandlungen mitumfasse.

Da der Versicherungsnehmer, um Versicherungsschutz zu erlangen, nach den ARB 1988 zu im einzelnen aufgezählten Verhaltensweisen zugunsten des Versicherers "verpflichtet" ist, d.h. daß ein Zuwiderhandeln den Versicherer zur Ablehnung berechtigt, wird mit der Bestimmung des Art.8 Z 1 sub 1.5.1 dieser Bedingungen wiederum eine Obliegenheit gleich jener des Art.4 lit.g der ARB 1965 umschrieben, sodaß sich trotz des geänderten Wortlautes der beiden Bedingungen in diesem Punkt keine inhaltliche Änderung ergibt.

Zufolge der in Art.8 Z 1 sub 1.5.1 der ARB 1988 dem Versicherer weiterhin vorbehaltenen Möglichkeit, vorprozessual den geltend gemachten Anspruch vorerst allein zu regulieren, ist an der zu den ARB 1965 in diesem Zusammenhang ergangenen Rechtsprechung festzuhalten. Der Versicherte muß sich daher vor Beginn der Verfolgung seiner Ansprüche entscheiden, ob er sich eines nicht vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bedienen oder des Versicherungsschutzes teilhaftig werden will. Führt ein Versicherter noch vor der Deckungszusage ihm nicht erlaubte vorprozessuale Vergleichsverhandlungen mit dem Schädiger - das Anspruchsschreiben des Klägers an Walter G***** ist grundsätzlich in dieser Richtung zu werten - so ist damit der beklagten Versicherung der Nachweis einer Obliegenheitsverletzung gelungen (vgl. Zandl im AnwBl 1989, 655). Es wäre daher Sache des Kläges gewesen, seine Behauptung zu beweisen, daß diese Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig erfolgt ist (vgl. hiezu insbesondere SZ 47/116, die einen im wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalt zur Grundlage hat). Die Wortwahl in den beiden Schreiben des Klagevertreters vom 19.9.1991 "...hat mich um seine rechtsfreundliche Vertretung ersucht", vermag zumindest in jenem, das an Walter G***** gerichtet ist, nach ihrem Inhalt nicht darüber hinweg zu täuschen, daß eine Bevollmächtigung des Klagevertreters durch den Kläger bereits erfolgt war. All dem schadet weder, daß sich der Versicherer ursprünglich auf einen anderen Ablehnungsgrund berufen hat und das als Schadensmeldung zu wertende Schreiben des Klagevertreters vom 19.9.1991 ursprünglich unbeantwortet ließ. Für den Fall der Verletzung der Bestimmung des Art.9 Z 1 der ARB 1988 ist keine entsprechende Sanktionsnorm vorgesehen, das festgestellte Verhalten der Beklagten ist noch nicht als wider Treu und Glauben verstoßend zu werten. Der Revision war daher stattzugeben und es waren die Urteile der Vorinstanzen im klabsabweisenden Sinne abzuändern.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 41 ZPO, hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auch auf § 50 ZPO.

Anmerkung

E34242

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0070OB00007.93.0331.000

Dokumentnummer

JJT_19930331_OGH0002_0070OB00007_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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