TE Vfgh Erkenntnis 2008/12/10 U80/08

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Veröffentlicht am 10.12.2008
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 1997 §7, §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinanderdurch Abweisung des Asylantrags eines Staatsbürgers aus Kirgisistandurch Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichenPunkt

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Kirgisistan,

reiste am 5. Juni 2003 illegal nach Österreich ein und stellte am 6. Juni 2003 einen Asylantrag. Begründend brachte er vor, dass er in seinem Heimatland wegen Blutrache verfolgt würde. Er wurde am 21. August 2003 beim Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) zu seinen Fluchtgründen befragt und gab dort einen neuen Sachverhalt an, da er sich seinem Vorbringen zufolge zunächst gefürchtet habe, die Wahrheit zu sagen.

2. Das BAA wies den Asylantrag mit Bescheid vom 30. Oktober 2003 gemäß §7 Asylgesetz 1997 ab und erklärte gemäß §8 leg. cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Kirgisistan für zulässig.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß §§7, 8 Asylgesetz 1997 als unbegründet abgewiesen. Im Erkenntnis wird der erstinstanzliche Bescheid teilweise wörtlich und teilweise inhaltlich wiedergegeben, im Übrigen wird hinsichtlich der Beweiswürdigung und der Sachverhaltsdarstellung auf die Darstellungen im erstinstanzlichen Bescheid verwiesen. Der AsylGH führt u.a. aus, dass das BAA ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe und die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfragen klar und übersichtlich zusammengefasst habe. Demgegenüber beschränke sich die inhaltsleere Berufung des Asylwerbers auf eine textbausteinartige Darstellung, der nichts zu entnehmen sei, was die Feststellungen oder die rechtliche Würdigung der erstinstanzlichen Behörde in Frage ziehen lasse. Da kein neuer Sachverhalt behauptet würde, bestehe auch im Hinblick auf die Klärung des Sachverhalts aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung keine Verhandlungspflicht des AsylGH. Zur Lage in Kirgisistan führt der AsylGH aus:

"In Kirgisistan herrscht keine Bürgerkriegssituation, noch eine sonstige derart extreme Gefahrenlage, dass praktisch jedem, er in diesen Staat abgeschoben wird, eine Gefahr für Leib und Leben im hohen Maße droht.

Da in Kirigisistan weder grobe, massenhafte Menschenrechtsverletzungen unsanktioniert erfolgen, noch nach den getroffenen Feststellungen von einer völligen behördlichen Willkür auszugehen ist, ist auch kein "real risk" (dazu VwGH vom 31.03.2005, Zl 2002/20/0582) einer unmenschlichen Behandlung festzustellen.

Für den Berufungswerber bestünde bei einer Rückkehr nach Kirgi[si]stan die Möglichkeit [,] seinen erforderlichen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten abzudecken. [...]".

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK) geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Dem Beschwerdeführer sei zu Unrecht kein Parteiengehör gewährt worden, da keine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Er behauptet weiters die Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Erkenntnisses, da gegen ein Erkenntnis des AsylGH nicht mehr der Verwaltungsgerichtshof wegen gravierender einfachgesetzlicher Verstöße, sondern nur noch der Verfassungsgerichtshof angerufen werden könne.

5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht den erstinstanzlichen Bescheid und die dagegen erhobene Berufung in elektronischer Form übermittelt, jedoch weder fristgerecht die Bezug habenden Verwaltungsakten vorgelegt noch eine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen -Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

Zwischen Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des AsylGH sind fast fünf Jahre vergangen. Weder der Unabhängige Bundesasylsenat noch der AsylGH hat in dieser Zeit irgendwelche Ermittlungstätigkeiten durchgeführt (vgl. VfSlg. 18.052/2007). Die Entscheidung des AsylGH ist auf die - fünf Jahre alten - Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde gestützt und wirft der Berufung eine inhaltsleere, textbausteinartige Darstellung vor. Wenn der AsylGH davon ausgeht, dass keine Verhandlungspflicht bestehe, so ist ihm jedoch vorzuwerfen, dass er auch nicht auf andere Weise eine Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt, nämlich insbesondere betreffend die Lage im Herkunftsland, vorgenommen hat. Er hat weder eine mündliche Verhandlung durchgeführt, noch dem Beschwerdeführer schriftlich die Möglichkeit gegeben, sich zu der derzeit aktuellen Lage in Kirgisistan oder zu seiner derzeitigen Situation zu äußern, noch hat er in seine Entscheidung aktuelle Länderberichte einfließen lassen. Die Feststellungen zur Lage in Kirgisistan verweisen auf den beinahe fünf Jahre alten erstinstanzlichen Bescheid. Auf welche aktuellen Länderberichte die oben wiedergegebenen allgemeinen Ausführungen über Kirgisistan gestützt sind, ist nicht ersichtlich.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Hinsichtlich der Behauptung der Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung verweist der Verfassungsgerichtshof auf sein Erkenntnis U48/08 vom 7. November 2008, in dem er sich ausführlich mit den auch im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsgrundlagen auseinandergesetzt hat und weder eine Gesamtänderung der Verfassung noch eine Verfassungswidrigkeit der einfachgesetzlichen Bestimmungen feststellen konnte.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:U80.2008

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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